"Menschen merken, wenn jemand manipuliert" überschreibt die FAZ vom 11.9. (Druckausgabe) ein Interview mit Tom Buhrow, dem ARD-Vorsitzenden und Intendanten des WDR. Daß er damit nicht die öffentlich-rechtlichen Medien meint, wird im Verlauf des Gesprächs deutlich.
Auf die Frage »Bei den "Tagesthemen" gibt es seit Anbeginn einen Kommentar. Seit ein paar Tagen ist er versehen mit dem Schriftzug "Meinung". Ist das nötig?« antwortet er:
»Viele Zuschauerreaktionen haben uns gezeigt, dass oft nicht erkannt wird, dass ein Kommentar die persönliche Meinung wiedergibt… Deswegen wurde der Hinweis "Meinung" eingeführt.«
Es folgt die naheliegende Frage »Könnte das auch am Journalismus liegen? Dass nicht genau getrennt wird zwischen Bericht und Kommentar?…«
Die Antwort läßt sich mit "Nö" zusammenfassen. Buhrow erklärt:
»Ich reagiere empfindlich, wenn ich den Begriff "Haltung" höre. Wir sind als Journalisten den Menschenrechten und der Demokratie verpflichtet, das ist ganz klar. Aber das ist etwas anderes als "Haltung"…
Diejenigen, die hautsächlich die Welt verbessern wollen, brauchen einen guten Redakteur oder eine gute Redakteurin, die über alles noch einmal drübergeht.«
Buhrow beherrscht sein Handwerk nicht
Er verteidigt ein Sommerinterview mit Bernd Höcke so:
»Interviews auch mit Diktatoren oder mit Gesprächspartnern, die der politische Mainstream ablehnt, also Gespräche mit kritischen Fragen, mit Distanz oder auch auf Konfrontationskurs, sind journalistisches Handwerk.«
Nun war das Höcke-Interview von zahlreichen JournalistInnen gerade wegen der fehlenden Distanz scharf kritisiert worden, doch aufschlußreicher ist Buhrows Lüge. Welches Interview mit in- oder ausländischen WissenschaftlerInnen, die eine grundsätzliche Ablehnung der Corona-Maßnahmen oder auch nur der ihnen zugrunde liegenden Analyse vertreten, kann er benennen? Allein die Erwähnung von "Diktatoren" und "Gesprächspartnern, die der politische Mainstream ablehnt" in einem Atemzug hätte in Zeiten, in denen Journalismus noch etwas galt, zu Rücktrittsforderungen geführt.
Framing der ARD mit Wiederholung bestimmter Begriffe
Angesprochen auf die Themen Framing und Narrative kommt ihm
"… die Trennung zwischen den Kollegen, die berichten, und denjenigen, die die Schlagzeilen machen, in den Sinn. Die Berichte schildern das Geschehen anders, als es die zugespitzte Schlagzeile ausdrückt."
Auch die ReporterInnen vor Ort bekommen damit "einen guten Redakteur oder eine gute Redakteurin, die über alles noch einmal drübergeht".
»Beim Stichwort "Narrativ" denke ich zunächst daran, dass Menschen Geschichten lieben… Deshalb beginnt man mit einem Einzelbeispiel, hängt die Geschichte an einem Protagonisten auf, hat Gute und Böse. Weil solche Geschichten überzeugender sind, ist ein emotionales, psychologisches "Framing" fast immer enthalten. Man kann das forcieren, durch Wiederholung und bestimmte Begriffe.«
Der ARD-Präsident beschreibt damit anschaulich das Absinken der Anstalt auf das Niveau des Boulevards. Zur Erinnerung: Es geht hier um Nachrichtensendungen, nicht um die Dauerübertragung royaler Events oder andere seichte Formate. Er übersieht, daß genau das zum dramatischen Verfall der Glaubwürdigkeit der öffentlich-rechtlichen Medien beigetragen hat. Wer will wirklich die dramatisierende Dauerberieselung mit Fallzahlen, R‑Werten, Verdoppelungraten, Perkolation, Wellen jeder Art?
Das Drostensche Prinzip, etwas zu behaupten und gleichzeitig auch dessen Gegenteil, beherrscht auch Buhrow, wenn er nunmehr erklärt:
»"Framing" ist pauschal und nicht seriös. Ich glaube, wir Menschen haben ein Gespür dafür, wenn wir manipuliert werden sollen. «
Lebenshilfe in den Radiowellen
Angesprochen darauf, was er von einer Studie aus der Universität Passau (siehe Studie kritisiert Panikmache von ARD und ZDF) halte, sagt er:
»Gar nichts… Eine komplett verzerrte Wahrnehmung: in Sondersendungen zu Corona ist halt auch Corona drin. Ich war selten so stolz auf das, was die Öffentlich-Rechtlichen, aber ich finde auch die gesamte Qualitätspublizistik, in der Corona-Krise, die ja noch nicht vorbei ist, an Informationsleistung gebracht haben… Wir haben nach Kräften Lebenshilfe geleistet – im Fernsehen, in den Radiowellen und online. Ich glaube, das hat auch jeder gespürt.«
Zur Einordnung von Worten und Taten des ARD-Präsidenten kann helfen, was Wikipedia mitteilt:
»Kontroversen
2015 stand Tom Buhrow wegen des geplanten Verkaufs von Teilen der WDR-Kunstsammlung in der Kritik.
Im Juni 2009 berichtete das NDR-Medienmagazin "Zapp" über die Nebenverdienste von Fernsehmoderatoren. Auch Tom Buhrows umfangreiche und gut dotierte Nebentätigkeit als Vortragsredner wurde thematisiert. Das Magazin warf die Frage auf, ob im öffentlichen Fernsehen beschäftigte Journalisten unabhängig berichten können, wenn sie ihre Dienste als bezahlte Redner vermarkten. Der Spiegel berichtete am 10. Juni 2009, dass leitende Redakteure der ARD-aktuell-Redaktion in einem Brief den Nachrichtenmann aufforderten, künftige Nebenerwerbsengagements besser darauf zu prüfen, ob sie dem Ansehen der "Tagesthemen" und ARD-aktuell schaden könnten.
Anfang 2020 geriet Buhrow aufgrund einer Entschuldigung zu einem vom WDR produzierten Satirevideo und der Billigung von dessen Löschung in die Kritik. Ein Kinderchor sang das bekannte Kinderlied "Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad", bei welchem der Text umgeändert wurde und Zeilen wie: "Meine Oma ist 'ne alte Umweltsau" beinhaltete. Nach einem "Shitstorm" im Netz, größtenteils angeführt von verschiedenen rechten Bewegungen, veranlassten Programmverantwortliche die Löschung des Videos, die Buhrow billigte. Buhrow entschuldigte sich öffentlich für die Satire, nachdem sich NRW-Ministerpräsident Armin Laschet der Kritik am Satirevideo angeschlossen hatte. Die WDR-Redakteursvertretung kritisierte Anfang Januar 2020 die Löschung des Satirevideos als "eklatante Verletzung der Rundfunkfreiheit". Dieser Kritik schlossen sich TV-Autoren mehrerer Sender an. Buhrow nahm dazu in einer außerordentlichen Redakteursversammlung des WDR am 7. Januar 2020 Stellung. Er erklärte, dass er auf den Protest des WDR-Stammpublikums reagieren musste. Es gab auch viel Zustimmung zu Buhrows Entschuldigung, beispielsweise von Andreas Meyer-Lauber, dem Vorsitzenden des Rundfunkrats.
Das Gehalt Buhrow[s] von rund 399.000 Euro wurde mehrfach kritisch hinterfragt. 2018 fragte die Westdeutsche Allgemeine Zeitung ob nicht sein Gehalt gekürzt werden könnte, da es 100.000 Euro über dem Gehalt der Bundeskanzlerin Merkel liege. 2020 kritisierte Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff das Gehalt von Buhrow als zu hoch und forderte Buhrows Gehalt an die Bezüge des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier von etwa 214.000 Euro anzupassen.«
(Hervorhebungen nicht in den Originalen.)
Für den Fall, dass ich den noch nicht erzählt habe:
Patrick: Du, SpongeBob, was ist eigentlich ein Narrativ?
SpongeBob: Hmm, ja, weißt Du Patrick, das ist so eine Art Getränk, das man Hofnarren vor dem Essen serviert.
Cheers!