»Über 90 Ausgaben der Nachrichtensondersendungen "ARD Extra" und "ZDF spezial" haben Dennis Gräf und Martin Hennig von der Universität Passau ausgewertet – gesendet ab der zweiten Märzwoche bis in den Juni hinein. Ihr Fazit: Mit ihrer Berichterstattung hätten die beiden Sender ein permanentes Krisen- und Bedrohungsszenario vermittelt…
Die Regierungsmaßnahmen in der Pandemie seien in den Sondersendungen wenig hinterfragt worden. Ob sie effizient und angemessen waren, sei kaum verhandelt worden.«
Das berichtete deutschlandfunk.de am 20.8. Es versteht sich, daß der Sender sich auf diese wenigen Worte über die Studie beschränkt und weit ausführlicher die Reaktionen von ARD und ZDF darstellt. Er steht damit nicht allein.
»Matthias Fornoff, Leiter der ZDF-Hauptredaktion Politik und Zeitgeschehen, weist das von sich. Die Opposition sei im Programm ebenfalls zu Wort gekommen: „Klar ist aber auch, solche Krisensituationen sind die Stunde der Exekutive. Also die Maßnahmen sind ja kommuniziert und erklärt worden, sie sind untermauert gewesen mit den Erkenntnissen der Wissenschaft. Es wäre unverhältnismäßig gewesen, wenn wir da nur pseudokritisch draufgeschlagen hätten.["]«
Entlarvender hätte der Mann die Studie nicht bestätigen können. Mit dieser Haltung könnte er ebenso gut als Pressesprecher von Erdogan fungieren. Fornoffs Stunde der Exekutive währt über ein Vierteljahr. Maßnahmen werden da kommuniziert, nicht etwa hinterfragt. Erkenntnisse der Wissenschaft unterliegen keinem Diskussionsprozeß. Kritik kann nur pseudo sein und unverhältnismäßig. Mit Opposition kann er nur die Parteien des Bundestages meinen, die die Notstandsrechte für den Gesundheitsminister abnickten. Welch ein armseliges Verständnis von Demokratie und Journalismus!
Rainald Becker, Chefredakteur der ARD, steht ihm in nichts nach. Er glaubt,
»[Wir haben] unsere Sache unterm Strich im Großen und Ganzen gut gemacht. Und ich sage Ihnen ganz ehrlich: Die Akzeptanz unserer Sendungen war außerordentlich groß und das zeigt ja, dass die Informationen gesucht wurden und auch benutzt wurden.«
Quote hat gestimmt
Das Argument für Hofberichterstattung ist: Die Quote war gut. Noch einmal wird aus der Studie kurz berichtet – als Vorlage für die Kritik der Programmgewaltigen:
»Ihre Methode stammt aus der Filmsemiotik, das heißt, sie untersucht die Bildsprache und Dramaturgie der Nachrichtenformate. Zu sehen waren zum Beispiel immer wieder leere Geschäfte und Fußgängerzonen – was auf die Bildwelten apokalyptischer Endzeiterzählungen verweise, so die Forscher.
ZDF-Journalist Matthias Fornoff: "Das haben wir uns ja nicht ausgedacht, weil wir dramaturgische Effekte erzielen wollten wie im Horrorfilm, sondern das ist Tatsache gewesen über viele Wochen, und die müssen wir dann auch transportieren, auch in den Bildern. Dann kann man an der Stelle als verantwortlicher Journalist nicht sagen, wenn das bei Leuten Ängste auslöst, was die Wirklichkeit anrichtet, berichte ich nicht mehr über die Wirklichkeit. Ich will aber zugeben, dass der Eindruck des Alarmismus schon auch entstehen kann. Aber das war halt auch eine Situation, wo die Alarmsirenen klingen mussten."«
Wenigstens ehrlich: Wir wollten Panik erzeugen.
Ein richtiger Faktencheck im Sinne der Herrschenden kommt nicht aus ohne eine Autorität. In Ermangelung der personifizierten Kompetenz in Gestalt des Christian Drosten muß ein Professor für Medienwissenschaft reichen. Dieser Bernhard Pörksen nörgelt:
»Die Studie aus Passau ist aus Sicht des Medienwissenschaftlers zu sehr in rein akademischen Erzähltheorien verhaftet – und zu wenig informiert über die tatsächliche journalistische Praxis. Fraglich ist auch, wie aussagekräftig es ist, in einer Studie nur Sondersendungen zu analysieren. Denn die sind schließlich nur ein kleiner, sehr spezifischer Ausschnitt der Corona-Berichterstattung von ARD und ZDF.«
Das ist nichts anderes als ein billiger Appell an antiwissenschaftliche Ressentiments. Akademische Erzähltheorien und Filmsemiotik braucht einE normale FernsehkonsumentIn ja nun wirklich nicht.
Aufgewärmt wird der Bericht am nächsten Tag unter dem Titel "ARD und ZDF weisen Kritik von Medienforschern an Corona-Berichterstattung zurück", wie auch sonst?
Erst Bericht, dann Abrechnung
Einer der wenigen journalistischen Berichte, die ohne "Richtigstellung" auskamen, war ein Beitrag des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) vom 18.8. mit dem Titel »Forscher: ARD und ZDF hatten "Tunnelblick” während Coronakrise«. Doch schon zwei Tage später wird in einem wesentlich umfangreicheren Artikel zurückgeschlagen ("Applaus für dieses Urteil kommt auch von der AfD. Jetzt wehren sich die Sender"). Diesmal wird Vizechefredakteur von "ARD aktuell" angesprochen, der "vehement" widerspricht.
»Der Anspruch der ARD-Nachrichten sei es, dass sich die Zuschauer selbst eine Meinung bilden können aus der Gesamtheit der Eindrücke. "Wir liefern die Fakten und die Bilder dazu, ohne sie künstlich zu dramatisieren. So sah die Welt eben aus in dieser Zeit. Inszenierungen gab es nicht.”«
Niemals hatte jemand die Absicht, eine Mauer zu bauen oder Dieselmotoren mit krimineller Software auszustatten. Daß der ARD-Mensch seine umstrittenen Sendungen so verteidigt wie Winterkorn seine Autos, ist das Eine. Daß nach allem, was wir erlebt haben, der "Leiter Team Gesellschaft" des RND offensiv dessen Position vertritt, beschreibt einen weiteren Tiefpunkt des Mainstream-Journalismus:
»Tatsächlich machen sich die Forscher in ihrer Bewertung Eindrücke zu eigen, die oft in den Reihen von Corona-Skeptikern und Maskenverweigerern zu hören sind… Prompt applaudierte Stephan Brandner, AfD-Vizebundessprecher.«
Damit ist das maximal denkbare Negativurteil über die Studie gesprochen. Wie weiland die Wertung eines VW-Pressesprecher scheint auch das Urteil von Carmen Miosga bestens geeignet, Klarheit zu schaffen: »Dieser Vorwurf, dass die Medien in der Frühphase der Krise zu unkritisch waren, der stimmt nicht”« Dann ist doch alles geklärt.
Der Beitrag schließt mit der Hoffnung machenden Information "Quoten liegen wieder auf dem Vor-Corona-Niveau", nachdem sie von Februar bis April enorm gestiegen waren.
Die Studie ist hier zu lesen.