Die Berliner Zeitung schreibt heute:
»René Gottschalk, Leiter des Frankfurter Gesundheitsamtes: "Die Bevölkerung muss sachgerecht informiert werden." Trotz einer "deutlichen Zunahme von Meldezahlen" gebe es "weniger schwere Erkrankungen mit weniger Krankenhauseinweisungen", so der Professor…
[Er fordert] jetzt eine "dringend erforderliche, breite öffentliche Diskussion zu den Zielen und Mitteln der Pandemie-Bekämpfung". Diese Diskussion müsse, "über rein virologische Fragen hinaus, ethische Aspekte sowie rechtliche Fragen zum legitimen Zweck, der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit der Maßnahmen" umfassen.
Der Mediziner ist überzeugt, dass man derzeit "von den (richtigen) Strategien Containment (Eindämmungsstrategie), Protection (Schutzstrategie für vulnerable Gruppen) und Mitigation (Folgenminderungsstrategie)", die im nationalen Pandemieplan des Robert-Koch-Institutes (RKI) beschrieben sind, "komplett abweicht und derzeit ausschließlich Containment betreibt, was angesichts der Fallzahlen dringend überdacht werden sollte".«
Der Beitrag verweist auf zwei Artikel, die auf der Seite der Landesärztekammer Hessen veröffentlicht wurden, Dort ist jedoch lediglich einer zu finden*. In diesem lesen wir zur "schnellen Isolierung von Indexfällen bzw. zur Quarantänisierung von Kontaktpersonen":
»Ob dies bei einer Erkrankung, die zum weitaus größten Teil bei den Patienten leicht oder gar asymptomatisch verläuft, sinnvoll ist, muss bezweifelt werden, zumal der Preis – neben der massiven Gefährdung gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Strukturen – eine völlige Auflösung der gängigen Arbeitsabläufe in den Gesundheitsämtern ist, die ihre vielfältigen präventiven Aufgaben nicht mehr wahrnehmen können.«
Gottschalk ist durchaus Verfechter der AHA-Regeln:
Schule ist kein "Hochrisikoarbeitsplatz"
»Dennoch ist ein Diskurs angebracht: Die geplante wiederholte Testung von Lehrern, Erziehern etc. ist diskussionswürdig: Zum einen sind Kinder – insbesondere kleine Kinder in Kitas – allenfalls ausnahmsweise in der Lage, Erwachsene anzustecken. Umgekehrt können aber Lehrer, wenn auch selten, ihre betreuten Kinder anstecken, wie Studien mittlerweile gut belegen. Die Schule ist also kein "Hochrisikoarbeitsplatz". Warum Mitarbeiter im Gesundheitswesen ein geringeres Risiko haben sollen als Lehrer, kann nicht nachvollzogen werden. Vielleicht liegt es daran, dass sie einen Mund-Nasenschutz tragen, was bei Beschäftigten in Kindergemeinschaftseinrichtungen ebenso sinnvoll wäre, damit sie ihre Schüler nicht gefährden.
Stattdessen wird Diagnostik vor Prävention gesetzt – dies ist eindeutig abzulehnen, zumal die Gesundheitsämter den positiven (oder vermeintlich positiven) Fällen nachgehen, Kontaktpersonen ermitteln und Isolierungen/Quarantänen aussprechen müssen. Vermeintlich positiv deshalb, weil die Testgenauigkeit bei der momentan vorliegenden Prävalenz von Covid-19 in der Bevölkerung ein positives Testergebnis ergeben kann, obwohl die Getesteten negativ sind – und dies gilt nur für wirklich geeignete Tests!
Die Impfung der Bevölkerung wird Jahre dauern
Und auch der Blick auf Impfstoffe, die unsere Probleme lösen werden, ist leider in der näheren Zukunft nicht zielführend. Nimmt man an, dass sich bei Verfügbarkeit eines Impfstoffes zunächst 50 % der Bevölkerung impfen ließen, würde das für die Stadt Frankfurt am Main bedeuten, dass ca. 400.000 Menschen zu impfen sind. Erfahrungsgemäß ist die anfängliche Verfügbarkeit eines Impfstoffes außerordentlich limitiert – es kann daher vermutlich mit maximal 2.000 bis 3.000 Impfdosen wöchentlich gerechnet werden. Wahrscheinlich muss mehrfach geimpft werden. Auf Frankfurt am Main umgerechnet würde dies bedeuten, dass man Jahre mit der Impfung der Bevölkerung beschäftigt wäre – und während dieser Zeit beständig neue Fälle auftreten werden.
Mittel der Pandemie-Bekämpfung: Breite Diskussion wäre wichtig
Auch ist die derzeit geführte Diskussion der Übertragungsmöglichkeit durch Aerosole von der Realität weit entfernt: Wäre dies ein wichtiger Übertragungsweg, hätten wir eine gänzlich andere epidemiologische Ausbreitung.
Angesichts des Verlaufs und der Ausprägung der Pandemie sowie der bisher vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse und praktischen Erfahrungen bedarf es dringend einer breiten öffentlichen Diskussion zu den Zielen und Mitteln der Pandemie-Bekämpfung. Diese Diskussion muss, über rein virologische Fragen hinaus, ethische Aspekte sowie rechtliche Fragen zum legitimen Zweck, der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit der Maßnahmen umfassen.«
Die Berliner Zeitung fährt fort:
»Nach Auswertung vieler Daten des Statistischen Bundesamtes stellt Gottschalk in seiner Bilanz zudem fest: "Eine Übersterblichkeit ist weder in der Gesamtbevölkerung noch in der Gruppe der Hochrisikopatienten (Bewohner von Altenpflegeheimen) zu verzeichnen. Die Sterbestatistik (tägliche Sterbefälle) zeigt im ersten Halbjahr 2020 keine Auffälligkeiten – im Gegensatz zu der erkennbar höheren Sterbezahl während der Influenza-Zeiten 2017 und 2018 sowie während der Hitzeperiode im Juli 2018."«
(Hervorhebungen nicht in den Originalen.)
* Update: Der zweite Beitrag ist hier zu finden.