Corona-Mutationen und die Probleme von Prognosen

»Mit der „Unsta­tis­tik des Monats“ hin­ter­fra­gen der Ber­li­ner Psy­cho­lo­ge Gerd Gige­renz­er, der Dort­mun­der Sta­tis­ti­ker Wal­ter Krä­mer, die STAT-UP-Grün­de­rin Katha­ri­na Schül­ler und RWI-Vize­prä­si­dent Tho­mas K. Bau­er jeden Monat sowohl jüngst publi­zier­te Zah­len als auch deren Inter­pre­ta­tio­nen. Alle „Unsta­tis­ti­ken“ fin­den Sie im Inter­net unter www​.unsta​tis​tik​.de und unter dem Twit­ter-Account @unstatistik

Die des Janu­ar trägt obi­gen Titel. Dazu ist u.a. zu lesen:

»Wie ent­stand die Pro­gno­se unse­rer Bun­des­kanz­le­rin? Hier­zu müs­sen erst ein­mal eini­ge Annah­men getrof­fen wer­den. Ver­schie­de­ne neue­re Stu­di­en aus Groß­bri­tan­ni­en (s. dazu einen Bericht der Staat­li­chen Agen­tur „Public Health Eng­land“, einen Arti­kel zur Über­tra­gung der Coro­na-Muta­ti­on B.1.1.7 in Eng­land sowie Aus­sa­gen von Viro­lo­ge Chris­ti­an Dros­ten auf web​.de) legen nahe, dass die Virus­mu­ta­ti­on B.1.1.7 unge­fähr 35 bis 70 Pro­zent anste­cken­der ist als die bis­her bekann­te Form. 

Dar­über hin­aus muss man Annah­men über die bis­her vor­han­de­nen Infek­tio­nen mit der neu­en Form des Virus tref­fen, da es hier­zu bis­her nur sehr weni­ge belast­ba­re Daten gibt. Ange­nom­men, der Anteil des mit der neu­en Virus­mu­ta­ti­on der­zeit infi­zier­ten Anteils der Bevöl­ke­rung liegt irgend­wo zwi­schen 0,1 und 1 Pro­zent. Geht man nun zusätz­lich von der Annah­me aus, dass die Ver­brei­tung des Virus einem expo­nen­ti­el­len Wachs­tums­pro­zess folgt (sie­he hier­zu unse­re Unsta­tis­tik vom 25. März 2020) und geht man von dem der­zei­ti­gen Repro­duk­ti­ons­wert von etwa 1,1 sowie einer 7‑Ta­ge-Inzi­denz von 164 aus, kommt man in einer opti­mis­ti­schen Vari­an­te (die Virus­mu­ta­ti­on ist ca. 40 Pro­zent anste­cken­der und weni­ge sind bereits mit der Muta­ti­on infi­ziert) bis Ostern auf einen Inzi­denz­wert von etwa 500 Infek­tio­nen je 100.000 Ein­woh­ner. In einer pes­si­mis­ti­schen Vari­an­te (mit der Annah­me, dass die Virus­mu­ta­ti­on sehr viel anste­cken­der ist und vie­le bereits mit der neu­en Muta­ti­on infi­ziert sind) auf eine 7‑Tages Inzi­denz von etwa 3500 Infek­tio­nen je 100.000 Ein­woh­ner. Der Durch­schnitt bei­der Sze­na­ri­en ent­spricht in etwa der von Frau Mer­kel genann­ten Ver­zehn­fa­chung der Inzidenz.

Wo lie­gen die Pro­ble­me die­ser Pro­gno­se? Ein zen­tra­les Pro­blem der obi­gen Pro­gno­se liegt in der man­gel­haf­ten Qua­li­tät der zugrun­de­lie­gen­den Daten. Die Coro­na-Muta­ti­on B.1.1.7 wur­de erst im Novem­ber 2020 in Groß­bri­tan­ni­en ent­deckt. Daher lie­gen bis­her auch nur weni­ge Infor­ma­tio­nen zum Aus­brei­tungs­pro­zess die­ser Muta­ti­on vor. Dies erklärt auch die erheb­li­che Band­brei­te der geschätz­ten Anste­ckungs­ge­fahr der Muta­ti­on, die von 35 Pro­zent bis 70 Pro­zent anste­cken­der als die bekann­te Ver­si­on des Virus reichen… 

Die bereits erwähn­te Kri­tik an Pro­gno­se­feh­lern liegt jedoch an einer in der öffent­li­chen Wahr­neh­mung weit­ge­hend igno­rier­ten Annah­me von Pro­gno­sen: Pro­gno­sen kön­nen nur auf Basis des vor­han­de­nen Wis­sens erstellt wer­den. Daher muss man immer anneh­men, dass die Zukunft so ver­läuft wie die Ver­gan­gen­heit. Dar­in liegt jedoch gera­de eine der zen­tra­len Auf­ga­ben einer Pro­gno­se: Man schätzt die zukünf­ti­ge Ent­wick­lung, wenn alles so bleibt, wie es ist, um auf Basis die­ser Pro­gno­se Hand­lungs­not­wen­dig­kei­ten und ‑optio­nen dis­ku­tie­ren zu kön­nen. Damit ist aber jed­we­de Pro­gno­se bereits mit ihrer Ver­öf­fent­li­chung not­wen­di­ger­wei­se falsch! Denn die Pro­gno­se selbst führt zu Ver­hal­tens­än­de­run­gen, damit unter­schei­det sich die Zukunft von der Ver­gan­gen­heit und die Pro­gno­se ist nicht mehr kor­rekt…«

32 Antworten auf „Corona-Mutationen und die Probleme von Prognosen“

  1. Niels Bohr war ein däni­scher Phy­si­ker und erhielt 1922 den Nobel­preis für Phy­sik. Er hat­te nicht nur gro­ßen wis­sen­schaft­li­chen Ver­stand, son­dern war auch sehr schlag­fer­tig. Eines Tages bekam er Besuch von einem Kol­le­gen. Die­ser bemerk­te, dass über dem Ein­gang zum Haus ein Huf­ei­sen hing.

    Der Besu­cher war erstaunt und frag­te: "Sie, Herr Prof. Bohr, und ein Huf­ei­sen. Glau­ben Sie etwa im Ernst daran?"

    Bohr soll geant­wor­tet haben: "Selbst­ver­ständ­lich nicht. Aber es soll auch dann hel­fen, wenn man nicht dar­an glaubt!"
    https://​www​.blue​prints​.de/​h​u​m​o​r​-​a​n​e​k​d​o​t​e​n​/​d​e​r​-​s​c​h​l​a​g​f​e​r​t​i​g​e​-​n​i​e​l​s​-​b​o​h​r​.​h​tml

  2. Das fin­de ich dies­mal eine rela­tiv schwa­che 'Unsta­tis­tik des Monats'.

    Inzi­denz sei die Häu­fig­keit des Auf­tre­tens neu­er Krankheitsfälle/Erkrankungen, so liesst man land­läu­fig. Dazu gibt es gar kei­ne Zah­len, weder in UK, noch in DE.

    Gezählt wird die Anzahl test-posi­ti­ver Neu­fäl­le mit unter­schied­li­chen und im Zeit­ab­lauf wech­seln­den Test­stra­te­gien mit einer Gemein­sam­keit: sie kön­nen kei­ne Erkran­kun­gen nachweisen.

    CT-Wert etc. pp. las­sen grüssen…

    Dane­ben nimmt man an, dass aber die rei­ne 'Viren­ver­brei­tung' teils wesent­lich um ein Viel-Viel­fa­ches über der offi­zi­el­len 'Inzi­denz liegt'. Ueber die eigent­li­che 'Viren­ver­brei­tung' hat man gar kein annä­hernd genau­es Bild.

    Anti­kör­per­stu­di­en könn­ten aber Anhalts­punk­te lie­fern, nicht aber die gan­ze Wahr­heit, weil Immu­ni­tät nicht nur durch Anti­kör­per defi­niert ist und Anti­kör­per nach eini­ger Zeit wie­der 'ver­schwin­den', zusätz­lich besteht eine
    Hintergrundimmunität. 

    In Schwe­den hät­ten 40% inzwi­schen Anti­kör­per: https://​sebas​ti​an​rushworth​.com/​2​0​2​1​/​0​1​/​2​5​/​h​e​r​e​s​-​a​-​g​r​a​p​h​-​t​h​e​y​-​d​o​n​t​-​w​a​n​t​-​y​o​u​-​t​o​-​s​ee/

    Eine Hohe 'Inzi­denz' führt zu Immu­ni­tät und das führt zu nied­ri­ger 'Inzi­denz', wo Muta­tio­nen ins Spiel kom­men, kommt Bewe­gung in die 'Inzi­denz­la­ge'.

    Das es für 'Coro­na' und Mutan­ten aber ein­fa­che und wirk­sa­me Pro­phy­la­xe und Behand­lung gibt (Vit­amin C, D, Schwarz­küm­mel mit Honig, Iver­mec­tin etc.) und für Per­so­nen der Nicht-Risi­ko­grup­pen ohne­hin kaum schwe­re Fäl­le auf­tre­ten, ist das gan­ze 'Viren­thea­ter' ohne­hin surrealistisch. 

    Es geht gar nicht um die Inzi­denz, es geht nur um die öffent­li­che Argu­men­ta­ti­on und Gehirn­wä­sche, es geht um die fal­schen Annah­men und aus­ge­blen­de­ten The­men, wie z.B. dass es Pro­phy­la­xe und Behand­lung gibt zur Unter­stüt­zung des natür­li­chen Immunsystems.

  3. Die India­ner wol­len von ihrem Medi­zin­mann das Wet­ter des kom­men­den Win­ters wis­sen. Er weiß es nicht, will aber sein Anse­hen nicht ver­lie­ren und wägt ab, was er sagen soll. Einen har­ten Win­ter, der einen ohne Vor­be­rei­tun­gen trifft, ist der grö­ße­re Scha­den, des­halb erzählt er laut, dass es einen eisi­gen Win­ter geben wird. In Panik ren­nen die India­ner los und sam­meln Holz. Am nächs­ten Tag bekommt der Medi­zin­mann ein schlech­tes Gewis­sen. Er ruft in der Stadt beim Wet­ter­dienst an: „Wis­sen Sie, wie der nächs­te Win­ter wird?“ „Ja – er wird sehr hart“. „Woher wis­sen Sie das so sicher?“ „Wir haben untrüg­li­che Zei­chen.“ „Wel­che denn?“ „Bit­te sagen Sie es nicht wei­ter – aber die India­ner sam­meln Holz …“

    https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/panorama/dr-med-eckart-von-hirschhausen-kleine-humorheilkunde-folge‑5/10716082.html

  4. "Dar­über hin­aus muss man Annah­men über die bis­her vor­han­de­nen Infek­tio­nen mit der neu­en Form des Virus tref­fen, da es hier­zu bis­her nur sehr weni­ge belast­ba­re Daten gibt."

    "Die bereits erwähn­te Kri­tik an Pro­gno­se­feh­lern liegt jedoch an einer in der öffent­li­chen Wahr­neh­mung weit­ge­hend igno­rier­ten Annah­me von Pro­gno­sen: Pro­gno­sen kön­nen nur auf Basis des vor­han­de­nen Wis­sens erstellt werden."
    (s.o.)

    Um es auf gut Neu­la­tein zu sagen:
    Gar­ba­ge in, gar­ba­ge out! 

    "Gar­ba­ge In, Gar­ba­ge Out (kurz GIGO) ist eine scherz­haf­te Phra­se aus der Infor­ma­tik, die besagt, dass ein Rech­ner mit hoher Wahr­schein­lich­keit (aber nicht not­wen­di­ger­wei­se) eine ungül­ti­ge oder nicht aus­sa­ge­kräf­ti­ge Aus­ga­be pro­du­ziert, wenn die Ein­ga­be ungül­tig oder nicht aus­sa­ge­kräf­tig ist." 

    https://​de​.wiki​pe​dia​.org/​w​i​k​i​/​G​a​r​b​a​g​e​_​I​n​,​_​G​a​r​b​a​g​e​_​Out

  5. "Denn die Pro­gno­se selbst führt zu Ver­hal­tens­än­de­run­gen, damit unter­schei­det sich die Zukunft von der Ver­gan­gen­heit und die Pro­gno­se ist nicht mehr kor­rekt…«" (Ach nee. Aber nur, wenn die Pro­gno­se über­haupt wahr­ge­nom­men wird …)

    Lei­der ist das eines der gerings­ten Pro­ble­me von Pro­gno­sen. Was soll das?

    Pro­gno­sen sind pro­ble­ma­tisch, da dar­in Annah­men ein­flie­ßen, wie ja auch rich­tig erwähnt wird. In heu­ti­ge Modelle/Simulationen flie­ßen hun­der­te, ja tau­sen­de Para­me­ter ein. Oft ist sich der Pro­gram­mie­rer gar nicht mehr bewusst, was alles ange­nom­men wird, da sol­che Annah­men teils schon tief im Pro­gramm­code ver­steckt sind, zB Ras­ter­wei­ten oder Sprung­grö­ßen, etc.

    Nun kön­nen mit die­sen Annahmen/Parametern die Ergeb­nis­se belie­big gesteu­ert wer­den. Der Model­lie­rer sitzt vor dem Pro­blem, dass sein Modell belie­bi­ges aus­sa­gen kann. Aber der Kun­de erwar­tet natür­lich ein DEFINITIVES Ergeb­nis. Was macht der Model­lie­rer? Er lie­fert ein Modell, des­sen Ergeb­nis den Erwar­tun­gen des Kun­den ent­spricht. Ist der Kun­de die Poli­tik, so lie­fert das Modell die Unter­stüz­tung der aktu­el­len Rich­tung. Fertig.

    Die Wis­sen­schaft heu­ti­ger Aus­prä­gung ist zur puren Bestä­ti­gungs­ma­schi­ne­rie für Aber­glau­be und Herr­scher­wil­le ver­kom­men. Das war schon­mal so in der deut­schen Geschich­te. Mit immer schreck­li­che­rem Ver­lauf und töd­li­chem Ende.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.