"Der Lockdown verstößt gegen EU-Recht."

Auf nord​ku​rier​.de kommt am 6.1. der Jurist Rolf Kar­pen­stein zu Wort.

»Ham­burg. Der Ham­bur­ger Rechts­an­walt Rolf Kar­pen­stein (57) ist über­zeugt, dass die Coro­na-Poli­tik von Bund und Län­dern nicht auf den best­mög­li­chen Gesund­heits­schutz von Risi­ko-Grup­pen aus­ge­rich­tet ist, son­dern auf macht­po­li­ti­sche und fis­ka­li­sche Zie­le. Die mit dem anhal­ten­den Lock­down ver­bun­de­nen Ver­bo­te für Unter­neh­mer und Gewer­be­trei­ben­de sei­en nicht mit den EU-Frei­heits­rech­ten ver­ein­bar, sagt er.

Dem Nord­ku­rier ver­si­chert er, nie­man­den zum offe­nen Rechts­bruch anstif­ten zu wol­len. Sein Stand­punkt ist aber: Die Coro­na-Beschrän­kun­gen selbst sind der Rechts­bruch. Wie kommt er dar­auf? Der Nord­ku­rier hat das Nahe­lie­gends­te getan – und ihn ein­fach gefragt. Hier spricht er über sei­ne Sicht der Dinge.

Herr Kar­pen­stein, Sie sind seit Jahr­zehn­ten auf das Euro­pa­recht, jetzt „Uni­ons­recht“, spe­zia­li­siert. Wie beur­tei­len Sie die Ver­ein­bar­keit der Ver­län­ge­rung des Lock­downs mit dem Europarecht?

Kar­pen­stein: Nach­dem ich mich seit Febru­ar 2020 aus­führ­lich mit der Argu­men­ta­ti­on der inter­na­tio­na­len Orga­ni­sa­tio­nen und der staat­li­chen Stel­len sowie mit den kom­ple­xen Fak­ten und glo­ba­len Ver­knüp­fun­gen befasst habe, steht für mich fest, dass kei­ne ein­zi­ge der auf Coro­na gestütz­ten Beschrän­kun­gen mit dem vor­ran­gi­gen Uni­ons­recht ver­ein­bar ist. Dies gilt jeden­falls für alle Beschrän­kun­gen, die sym­ptom­lo­se, also gesun­de Men­schen betref­fen. Denn Men­schen ohne Krank­heits­sym­pto­me sind prak­tisch kaum anste­ckungs­fä­hig und dürf­ten in Demo­kra­tien nicht unter den Gene­ral­ver­dacht gestellt wer­den, eine ernst­haf­te Gefahr für ande­re zu sein…

Kann man sich denn als ein­hei­mi­scher Gewer­be­trei­ben­der gegen deut­sches Recht weh­ren und sich dabei aufs EU-Recht beru­fen? Gibt es dafür Beispiele?

Na klar, vie­le! Man muss die unmit­tel­ba­re Anwend­bar­keit der Frei­heits­rech­te aus dem Uni­ons­recht aber meist mit Nach­druck gel­tend machen.

Neh­men Sie zum Bei­spiel die Tau­sen­den von Sport­wett­bü­ros in den Innen­städ­ten. Alle Sport­wett­bü­ros ver­sto­ßen gegen deut­sches Recht. Ihnen fehlt seit Jahr­zehn­ten eine „Betriebs­er­laub­nis“. Der Betrieb ohne Erlaub­nis ist ver­bo­ten und straf­bar – aber nur nach deut­schem Recht. Sämt­li­che deut­schen Beschrän­kun­gen und Straf­nor­men wer­den dann vom Uni­ons­recht über­la­gert und dür­fen nicht ange­wen­det wer­den. Das haben die deut­schen Gerich­te und die zustän­di­gen Behör­den­mit­ar­bei­ter ver­stan­den und las­sen die deut­schen Beschrän­kun­gen und Sank­ti­ons­nor­men gegen­über Wett­an­bie­tern unan­ge­wen­det. Dazu bedurf­te es aller­dings inten­si­ver Arbeit der Anwäl­te der Sportwettanbieter.

Und war­um hal­ten sich Ver­ord­nungs­ge­ber und Behör­den im Voll­zug dann nicht von allein an die höher­ran­gi­gen Ver­bots­nor­men aus dem Unionsrecht?

Die meis­ten Wirt­schafts­teil­neh­mer und Behör­den ver­ste­hen lei­der das Uni­ons­recht bis heu­te nur unzu­rei­chend. Dabei hat­te der Gerichts­hof der Euro­päi­schen Uni­on schon in den 1960er-Jah­ren klar­ge­stellt, dass das Uni­ons­recht und die dar­aus fol­gen­den Frei­heits­rech­te jedem Recht der Mit­glied­staa­ten vor­ge­hen und unmit­tel­bar anwend­bar sind.

Auch gibt es zu weni­ge Anwäl­te, die in der Coro­na-Pro­ble­ma­tik mit Uni­ons­recht argu­men­tie­ren. Und die Gerich­te, jeden­falls die Ver­wal­tungs­ge­rich­te, lau­fen ja in der Regel lei­der nur der Poli­tik hin­ter­her. Effek­ti­ver Rechts­schutz ist in Deutsch­land kaum erhält­lich. Da muss man als Anwalt mas­siv tätig wer­den und das EU-Recht mit gro­ßem Nach­druck gel­tend machen…

Ich selbst habe in eini­gen Coro­na-Ver­fah­ren Uni­ons­recht auf­ge­führt. Es kam dann dazu, dass die Behör­de ein­ge­knickt ist, bevor das Gericht eine Ent­schei­dung getrof­fen hat.

Aber grund­sätz­lich ist es doch auch erlaubt, Maß­nah­men zum Infek­ti­ons­schutz zu ergrei­fen und dafür per­sön­li­che Frei­hei­ten einzuschränken!

Im Ansatz schon. Der Schutz Drit­ter gegen­über Gefah­ren, die von ande­ren Men­schen oder von einer Ware oder einer Dienst­leis­tung aus­ge­hen, ist im Ansatz selbst­re­dend geeig­net, eine Beschrän­kung des frei­en Waren­ver­kehrs oder des frei­en Dienst­leis­tungs­ver­kehrs zu recht­fer­ti­gen. Der Gesund­heits­schutz ist ja auch in Art. 36 AEUV expli­zit auf­ge­führt, um Beschrän­kun­gen des frei­en Waren­ver­kehrs zu legi­ti­mie­ren. Die blo­ße Beru­fung auf den Gesund­heits­schutz genügt aber nicht, um den Anwen­dungs­vor­rang der Dienst­leis­tungs­frei­heit und der Waren­ver­kehrs­frei­heit zu durch­bre­chen. Schon gar nicht genü­gen blo­ße Schlag­wor­te wie „Infek­ti­ons­ge­sche­hen“ oder „Infek­ti­ons­fäl­le“ oder gar „Inzi­denz“, um Beschrän­kun­gen der uni­ons­recht­li­chen Grund­frei­hei­ten oder gar deren voll­stän­di­ge Nega­ti­on – nichts ande­res ist näm­lich ein Lock­down – zu recht­fer­ti­gen. Die Recht­fer­ti­gungs­an­for­de­run­gen sind in der Recht­spre­chung des EuGH kom­plex und hoch.

Wie müss­te denn eine sol­che Recht­fer­ti­gung aus­se­hen, um vor dem EuGH Bestand zu haben?

Fest steht aus mei­ner Sicht, dass in kei­nem ein­zi­gen Fall, den ich bis­her gese­hen habe, eine auf Coro­na gestütz­te Beschrän­kung den Vor­ga­ben in der Recht­spre­chung des EuGH an eine uni­ons­recht­lich belast­ba­re Recht­fer­ti­gung ent­spro­chen hat.

Zunächst gilt fol­gen­des für die Dienst­leis­tungs­frei­heit: Nach der Recht­spre­chung des EuGH muss mit der Beschrän­kung „wirk­lich“ (im Sin­ne von wahr­haf­tig und nicht ledig­lich heuch­le­risch) das Ziel des All­ge­mein­in­ter­es­ses ver­folgt wer­den, auf wel­ches sich die Behör­de beruft. Dies ist, sobald es um Geld und Macht geht, meist nicht der Fall…

Ich konn­te seit März 2020 kei­ne ein­zi­ge Maß­nah­me von Bund oder Län­dern erken­nen, bei der es wirk­lich ernst­haft und wider­spruchs­frei dar­um ging, bei Risi­ko­grup­pen das Immun­sys­tem zu stär­ken. Des­halb gibt der Bund auch vie­le Mil­lio­nen an Steu­er­gel­dern aus, um Wer­bung für sei­ne auf Coro­na gestütz­ten Beschrän­kun­gen zu machen. Wer­bung braucht eine Regie­rung nur, wenn sie kei­ne Argu­men­te hat, um die Wirt­schafts­teil­neh­mer von der zwin­gen­den Not­wen­dig­keit der Beschrän­kun­gen zu über­zeu­gen. Wäre Covid 19 die Toll­wut mit hoher Anste­ckungs­mög­lich­keit, wäre jeder frei­wil­lig vor­sich­tig. Bei Coro­na aber ver­ste­hen die­je­ni­gen, die trotz staat­li­cher Pro­pa­gan­da klar den­ken, dass kei­ne Gefah­ren außer­halb des all­ge­mei­nen Lebens­ri­si­kos bestehen und dass Beschrän­kun­gen der Frei­heits­rech­te gesun­der Men­schen nie­mals legi­ti­miert wer­den könn­ten. Damit jedoch ein Groß­teil der (Welt-)Bevölkerung frei­wil­lig die Frei­heits­rech­te auf­gibt – denn dann lässt es sich beque­mer herr­schen – wer­den Wer­bung und Pro­pa­gan­da vorgenommen.

Kurz: Ich bin über­zeugt, dass hin­ter den auf Coro­na gestütz­ten Beschrän­kun­gen gesun­der Men­schen nicht „wirk­lich“ das Ziel steht, irgend­ei­nen unbe­kann­ten Drit­ten in sei­ner Gesund­heit opti­mal zu schüt­zen. Wie soll das auch gehen?…

Der Kol­le­ge Rei­ner Füll­mich hat dem­entspre­chend in Inter­views rich­tig klar­ge­stellt, dass er über­zeugt ist, dass hin­ter den welt­wei­ten Coro­na-Beschrän­kun­gen macht­po­li­ti­sche und fis­ka­li­sche Zie­le ste­hen. Ange­fan­gen wird bei der Ver­nich­tung des Mit­tel­stan­des, der dann für klei­nes Geld vom Groß­ka­pi­tal über­nom­men wird. Das Gan­ze reicht bis zu dem vom World–Economic-Forum geplan­ten Gro­ßen Reset der gesam­ten Welt und der Vier­ten Indus­tri­el­len Revo­lu­ti­on. All die­se macht­po­li­ti­schen und fis­ka­li­schen glo­ba­lis­ti­schen Inter­es­sen lie­gen offen auf der Hand. Sie wer­den aber von den Pro­fi­teu­ren der Angst als Ver­schwö­rungs­theo­rie abge­tan. Dabei weiß jeder, dass die Poli­tik pri­mär den Mäch­ti­gen und den Super­rei­chen dient und nicht den klei­nen Risi­ko­grup­pen in Pflegeheimen.

Die Pro­fi­teu­re der Coro­na-Beschrän­kun­gen sind deut­lich erkenn­bar. In 2020 haben Ver­mö­gens­ver­schie­bun­gen von dem durch die Lock­downs betrof­fe­nen Mit­tel­stand hin zum Groß­ka­pi­tal statt­ge­fun­den, die Exper­ten auf über 1 Bil­li­on Dol­lar taxie­ren. Wer regiert denn die Welt? Es sind die glo­bal agie­ren­den Groß­kon­zer­ne, wie zum Bei­spiel Ama­zon, Black Rock, Goog­le, Face­book und die Ban­ken. Der Lock­down an

Weih­nach­ten hat den Mit­tel­stand in den Ruin getrie­ben und weit­ge­hend alles zu Ama­zon & Co. ver­la­gert. Bei der­art gigan­ti­schen Sum­men ist doch klar, dass es nicht um den best­mög­li­chen Schutz von win­zi­gen Rand­grup­pen und deren Gesund­heit geht…«

15 Antworten auf „"Der Lockdown verstößt gegen EU-Recht."“

    1. Kann man nicht so ein­fach von der Hand wei­sen. Z.B. pro­fi­tie­ren alle Digi­tal­kon­zer­ne mas­siv von den lock­downs. Dar­um könn­te Google/Youtube ein mas­si­ves Inter­es­se an lock­downs haben. Und komi­scher­wei­se zen­siert You­tube alles was sich gegen lock­downs ausspricht.

      1. Zitat aus dem og. Interview:

        "Ich selbst habe in eini­gen Coro­na-Ver­fah­ren Uni­ons­recht auf­ge­führt. Es kam dann dazu, dass die Behör­de ein­ge­knickt ist, bevor das Gericht eine Ent­schei­dung getrof­fen hat."

        Ich fürch­te, da war ein­fach noch kei­ner so hell, ans Uni­ons­recht zu den­ken dabei. Hat den Vor­teil, dass man das DANN bis vor den EuGH brin­gen könnte!

        1. Die deut­schen Ver­wal­tungs- und Ver­fas­sungs­ge­rich­te (vor allem) inter­es­sie­ren sich nicht ein­mal fürs GG oder IfSG – war­um soll­ten sie plötz­lich das EU-Recht als ver­bind­lich betrach­ten? Dass da seit Mona­ten auch Euro­pa­recht ver­letzt wird, ist den Gerich­ten den­ke ich auch klar. Eben­so, dass sehr vie­le Ver­fah­ren, wenn sie in Karls­ru­he von Har­barth erwar­tungs­ge­mäß abge­wie­sen wur­den, vorm EuGH lan­den. Dar­um geht es ja auch nicht; ent­schei­dend ist die Zeit, die für die Dik­ta­to­ren spielt, bis sie ihre Plä­ne (Gre­at Reset, Zer­stö­rung des Mit­tel­stands) durch haben. Bis das mal vor einem euro­päi­schen Gericht lan­det, ver­ge­hen min­des­tens 3 bis 5 Jah­re. Denn lei­der, lei­der gibt es kei­ne euro­päi­schen Eilverfahren.

          In den ande­ren EU-Län­dern sieht es ja genau­so aus; da spielt das Euro­pa­recht bei den durch­weg die "Maß­nah­men" bestä­ti­gen­den Ent­schei­dun­gen auch kei­ne Rolle.

          1. @DS-pektiven
            Sagen wir es deut­lich: wenn die 3. Gewalt tat­säch­lich final ver­sagt, dann leben wir im Dschun­gel. Also gibt es nichts zu ver­lie­ren. Ich sehe in einer not­wen­dig stär­ke­ren Beto­nung des EU-Rechts vor den Gerich­ten eine Chan­ce. Dass die Rich­ter so freund­lich sind, Sie von sich aus drauf hin­zu­wei­sen – sicher nicht. Und bis­her agie­ren die Anwäl­te eben wie Frau Bah­ner – sie erwäh­nen EU-Recht zwar, aber eher unter fer­ner lie­fen. Dabei ist es im Grun­de die ein­zig bestim­men­de Rechts­grund­la­ge – und dar­auf die Gerich­te fest­zu­na­geln ohne die Aus­weich­mög­lich­keit auf Gewe­be­ord­nung oder ande­re Neben­schau­plät­ze – das wäre den Ver­such wert.

  1. Ich habe mir den Ori­gi­nal­ar­ti­kel durch­ge­le­sen. Der Mann könn­te DIE Idee über­haupt gehabt haben:

    Art. 20 Abs. 2 AEUV besagt:
    Die Uni­ons­bür­ge­rin­nen und Uni­ons­bür­ger haben die in den Ver­trä­gen vor­ge­se­he­nen Rech­te und Pflich­ten. Sie haben unter anderem
    a) das Recht, sich im Hoheits­ge­biet der Mit­glied­staa­ten frei zu bewe­gen und aufzuhalten;
    Art. 21 Abs. 1 AEUV
    Jeder Uni­ons­bür­ger hat das Recht, sich im Hoheits­ge­biet der Mit­glied­staa­ten vor­be­halt­lich der in den Ver­trä­gen und in den Durch­füh­rungs­vor­schrif­ten vor­ge­se­he­nen Beschrän­kun­gen und Bedin­gun­gen frei zu bewe­gen und auf­zu­hal­ten.

    Das Gegen­stück für Gewer­be­trei­ben­de und Dienst­leis­ter fin­det sich in Art. 28 und 56:
    Die Beschrän­kun­gen des frei­en Dienst­leis­tungs­ver­kehrs inner­halb der Uni­on für Ange­hö­ri­ge der Mit­glied­staa­ten, die in einem ande­ren Mit­glied­staat als dem­je­ni­gen des Leis­tungs­emp­fän­gers ansäs­sig sind, sind nach Maß­ga­be der fol­gen­den Bestim­mun­gen ver­bo­ten.

    ****Das gilt für jeden Uni­ons­bür­ger unmit­tel­bar und ist jeder natio­na­len Gesetz­ge­bung über­ge­ord­net. Auch für die, die ab dem 11.01. ein Geschäft oder Restau­rant oder Ski­ge­biet auf­ma­chen oder als Kun­den betre­ten wol­len!! Für den EU-Bezug genügt, dass ein Fran­zo­se das Geschäft betre­ten könnte.****

    Ein­schrän­kend gilt Art. 36 AEUV
    Die Bestim­mun­gen der Arti­kel 34 und 35 ste­hen Einfuhr‑, Aus­fuhr- und Durch­fuhr­ver­bo­ten oder ‑beschrän­kun­gen nicht ent­ge­gen, die aus Grün­den der öffent­li­chen Sitt­lich­keit, Ord­nung und Sicher­heit, zum Schut­ze der Gesund­heit und des Lebens von Men­schen, Tie­ren oder Pflan­zen, des natio­na­len Kul­tur­guts von künst­le­ri­schem, geschicht­li­chem oder archäo­lo­gi­schem Wert oder des gewerb­li­chen und kom­mer­zi­el­len Eigen­tums gerecht­fer­tigt sind. Die­se Ver­bo­te oder Beschrän­kun­gen dür­fen jedoch weder ein Mit­tel zur will­kür­li­chen Dis­kri­mi­nie­rung noch eine ver­schlei­er­te Beschrän­kung des Han­dels zwi­schen den Mit­glied­staa­ten darstellen.

    *** Das bedeu­tet kon­kret, dass die Behör­de die Beschrän­kun­gen recht­fer­ti­gen muss. Sie selbst ist unmit­tel­bar an Uni­ons­recht gebun­den, unab­hän­gig von natio­na­len Geset­zen und Ver­ord­nun­gen! Dazu aus dem Inter­view, das oben ver­linkt ist: Die blo­ße Beru­fung auf den Gesund­heits­schutz genügt aber nicht, um den Anwen­dungs­vor­rang der Dienst­leis­tungs­frei­heit und der Waren­ver­kehrs­frei­heit zu durch­bre­chen. Schon gar nicht genü­gen blo­ße Schlag­wor­te wie „Infek­ti­ons­ge­sche­hen“ oder „Infek­ti­ons­fäl­le“ oder gar „Inzi­denz“, um Beschrän­kun­gen der uni­ons­recht­li­chen Grund­frei­hei­ten oder gar deren voll­stän­di­ge Nega­ti­on – nichts ande­res ist näm­lich ein Lock­down – zu recht­fer­ti­gen. Die Recht­fer­ti­gungs­an­for­de­run­gen sind in der Recht­spre­chung des EuGH kom­plex und hoch.

    Die unmit­tel­ba­re Anwend­bar­keit der höher­ran­gi­gen Frei­heits­rech­te aus dem EU-Recht ist ein sehr schar­fes Schwert gegen die auf Coro­na gestütz­ten Beschrän­kun­gen. So kann zum Bei­spiel ein Hote­lier dem Behör­den­mit­ar­bei­ter oder der Poli­zei, die ihm auf­er­legt, eine auf Coro­na gestütz­te Beschrän­kung umzu­set­zen (z.B. Mas­ken am Buf­fet) unmit­tel­bar ent­ge­gen­hal­ten, dass die­se Beschrän­kung nicht ange­wen­det wer­den darf. Der Hote­lier beruft sich auf das vor­ran­gi­ge Uni­ons­recht, nament­lich auf die Dienst­leis­tungs­frei­heit. Der Behör­den­mit­ar­bei­ter ist an das höher­ran­gi­ge Uni­ons­recht gebun­den und muss des­sen Anwen­dungs­vor­rang beach­ten. Der Behör­den­mit­ar­bei­ter ist dann, auch wenn er das oft nicht wahr­ha­ben will, durch höher­ran­gi­ges Recht gezwun­gen, von sei­nem Vor­ha­ben und von der Anwen­dung der inner­staat­li­chen Coro­na-Ver­ord­nung abzu­se­hen.

    EU-Recht! Dass man da nicht gleich drauf gekom­men ist!

    1. Noch zur Erklärung:

      Der Ver­trag über die Arbeits­wei­se der Euro­päi­schen Uni­on (AEUV oder AEU-Ver­trag) ist neben dem Ver­trag über die Euro­päi­sche Uni­on (EUV oder EU-Ver­trag) einer der Grün­dungs­ver­trä­ge der Euro­päi­schen Uni­on (EU). Zusam­men bil­den sie die pri­mär­recht­li­che Grund­la­ge des poli­ti­schen Sys­tems der EU; nach Art. 1 AEU-Ver­trag sind bei­de Ver­trä­ge recht­lich gleich­ran­gig und wer­den gemein­sam als „die Ver­trä­ge“ bezeich­net. Bis­wei­len wer­den die­se Ver­trä­ge des­halb auch als „euro­päi­sches Ver­fas­sungs­recht“ bezeich­net, for­mal sind sie jedoch völ­ker­recht­li­che Ver­trä­ge zwi­schen den EU-Mitgliedstaaten.
      https://de.wikipedia.org/wiki/Vertrag_über_die_Arbeitsweise_der_Europäischen_Union

      Wer es nicht ver­drängt hat, weiß zwar, wie sehr sich die EU in Syri­en, Afgha­ni­stan etc. bis­lang ans Völ­ker­recht gehal­ten hat – gar nicht – aber das hier ist eigent­lich der Ersatz für die euro­päi­sche Ver­fas­sung, die ja lei­der nie als Refe­ren­dum zustan­de kam. Das wäre zwar bes­ser gewe­sen, aber die AEUV ist bes­ser als nix. Dr. Füll­mich ist lei­der ein sehr ame­ri­ka­ni­scher Anwalt inzwi­schen; möge sich der Aus­schuss von Kar­pen­stein, dem Euro­pa­recht­ler, befruch­ten las­sen. Die Idee ist gut und eigent­lich so nahe­lie­gend: na klar, da war noch was, genau: wir sind ja EU-Mitglied!

      Noch­mal: die AEUV hat Vor­rang vor jedem natio­na­len Gesetz und jeder Verordnung.

    2. @some1
      Vie­len Dank für Ihre wei­te­ren Erläuterungen.
      Lei­der habe ich mehr­fach erfah­ren müs­sen daß die Exe­ku­ti­ve, ggf. auch unter Andro­hung von Zwang, eige­ne Fak­ten schafft.
      (schon vor Coronazeiten)
      Die­se Hand­lun­gen ent­spra­chen zwar nicht der kon­kre­ten Rechts­la­ge, wur­den aber den­noch wide­recht­lich durchgesetzt.
      Mot­to : "Wenn Sie mei­nen Ihnen geschieht Unrecht, dann kön­nen Sie gern Kla­ge einreichen".
      Sicher­lich wer­den loka­le Ver­wal­tun­gen die eigene
      (gege­be­nen­falls auch unzu­tref­fen­de) Rechts­aus­le­gung erst ein­mal durch­setz­ten – dar­auf soll­te man sich rea­lis­ti­scher­wei­se einstellen!
      Inso­fern hilft ver­mut­lich auch EU Recht (lei­der) nur bedingt weiter.

  2. Zitat Dr Fuellmich:"Verwaltungsgerichte hei­ßen so, weil sie das tun, was die Ver­wal­tun­gen von ihnen erwarten".
    Dies kann ich aus eige­ner, leid­vol­ler Pro­zess­erfah­rung umfäng­lich bestätigen.
    Die schwar­ze Kugel wird, wie im Pool-Bil­lard, hof­fent­lich über Ban­de (Aus­land) versenkt …

    1. @TT
      Hier geht es aber nicht um deut­sche Ver­wal­tungs­ge­rich­te, son­dern letzt­lich um den EuGH, wenn die deut­schen Gerich­te die EU-Ver­fas­sung igno­rie­ren und man samt Anwalt dort­hin durchmarschiert

      1. @some1
        Sor­ry, der ers­te Kom­men­tar bezog sich auf DS-pektiven.
        Zu die­sem Zeit­punkt hat­te ich Ihre Erläu­te­run­gen noch nicht gelesen.
        .

  3. Wie wenn sich die Selbst­er­mäch­tig­ten, Über­grif­fi­gen aus Poli­tik und Eli­ten sich um Rechts­la­ge und Rechts­staat sche­ren würden …

    nur wenn end­lich die Mas­se der Bür­ger auf die Ein­hal­tung der Rech­te pocht und deren Durch­set­zung for­dert, kann sich da was drehen.

  4. Ganz genau so ist es. Das EU-Recht im Rechts­streit außer Acht zu las­sen, ist außer der offen­sicht­li­chen juris­ti­schen "Kur­pfu­sche­rei", auch immer eine leicht­fer­tig ver­ta­ne Chance. 

    Wie auch immer
    MfG

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