Man mag ihm zugute halten, daß damals die Infektionen nach den veröffentlichten Zahlen in die Höhe schossen. Nur, wollte er das nicht vielleicht? Am 20.3. erklärte er auf die Frage in einem Interview mit der Zeit:
»ZEIT ONLINE: Wie lange kommen wir hierzulande mit dem Testen noch hinterher?
Drosten: Irgendwann wird das nicht mehr möglich sein…
Man muss Abkürzungen nehmen. Wenn eine Person im Haushalt positiv getestet wurde, könnten wir den ganzen Haushalt als positiv definieren – auch ohne Test. Weil man einfach weiß, dass es so eintreten wird: Ist ein Familienmitglied infiziert, steckt es alle anderen an. Sagt man gleich, die sind alle positiv, spart man sich viel Testaufkommen… Ich werde das jetzt auch in Gesprächen mit Gesundheitsämtern in Deutschland vorschlagen.«
Nach Drosten, der damit die offzielle Linie vorgibt (verkniffen sei hier der Hinweis auf die BMGS), hilft angesichts der Zahlen dann nur Impfen. Notfalls mit einem Impfstoff, der schon relativ weit entwickelt ist, der vielleicht schon klinisch ausprobiert wurde. Man kommt nicht umhin, das verantwortliches medizinisches Handeln zu nennen…
Natürlich weiß Drosten es besser. Nicht, weil es für ihn eine neue Erkenntnis wäre, sondern weil es inzwischen allgemein beobachtbar war, stellte er Ende April in seinem Podcast klar, daß sich in einem Haushalt "vielleicht 15 Prozent" anstecken. Da gebe es eine "gewisse Hintergrundimmunität". Er reagierte damit auf eine Studie eines Immunologen der Charité, in der 34% der Probanden eine Hintergrundimmunität aufwiesen. Doch Drosten wäre nicht Drosten, wenn er nicht nachschöbe:
»Es ist nicht so, dass man aus so einer einfachen wissenschaftlichen Information immer gleich was für den Verlauf der Epidemie und das Schicksal der Pandemie in Deutschland ableiten kann.«
Das gilt nämlich nur für seine eigenen Studien.
Das Drostensche Prinzip ist: Besorgniserregende Warnungen raushauen, die massenmedial verbreitet werden. Anschließende vorsichtige Relativierungen gibt es immer wieder. Sie werden nur nicht mehr rezipiert. Ein Beispiel: Am 2.4. bekräftigt er in einem weiteren Podcast die Forderung nach Lockerung der Zulassungsregeln, gibt aber bescheiden zu bedenken:
»Ich bin kein Impfstoffforscher, ich bin ein allgemeiner Wald- und Wiesen-Virologe, vielleicht mit Spezialkenntnissen zu epidemischen Coronaviren. Aber die Impfstoffforschung, Entwicklung von Impfstoffen, wird immer mehr zu einer eigenen Wissenschaft. Da stecke ich nicht mittendrin.«
Nachdem er zwei Stränge der Impfstoffentwicklung darstellt, resümiert er in seiner flapsigen Art:
»Ab einem bestimmten Zeitpunkt muss sich eine Firma, die eigentlich stets auch mit akademischen Gruppen zusammenarbeitet, auf einen der Wege einschießen. Dann kann man das nicht mehr einfach vergleichen. Man kann nicht erwarten, dass Impfstoffstudien durchgeführt werden, wo einfach beide Wege miteinander verglichen werden. Das übersteigt einfach jede zu leistende Arbeit und jeden leistbaren, auch Finanz- und Organisationsaufwand. Die Arbeitsgruppen müssen einfach ab einem bestimmten Zeitpunkt ihre Studien für sich, für ihre Vakzinen durchziehen und erst mal die Daten so sammeln, dass die im Kasten sind, dass man das sicher hat. Und dann, hinterher, kann man vergleichen.«
Als überzeugte Marktwirtschaftler erklärt Drosten, warum es gigantische öffentliche Gelder für die Forschung gibt, sie aber in Konkurrenz der Pharmaindustrie vorgenommen wird:
»[Es ist] so, dass natürlich auch Betriebsgeheimnisse bestehen. Das sind nun mal Industrieunternehmungen, so einen Impfstoff zu machen. Also die Vorstellung, dass eine Uniklinik einen Impfstoff macht, ist falsch. So was gibt es nicht. Impfstoffe werden nur in der Industrie hergestellt. Da gibt es natürlich extrem hohe Investitionsvolumina, die getätigt werden müssen. Da müssen bestimmte Dinge geschützt werden…
Und die Vorstellung, dass das alles nur Steuergelder sind, also die CEPI, das sind ja Forschungsfördermittel von verschiedenen Ländern, die in einen großen Topf getan werden. Das stimmt, das sind Steuergelder. Aber die stehen dennoch nur ergänzend da zu der Grundinvestition von wichtigen pharmazeutischen Unternehmen, und auch von risikoreichen biotechnologischen Start-up-Firmen, deren Schicksal an solchen Dingen hängt. Das ist also eher, warum dieser ganze Impfstoffbereich zumindest bis zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Entwicklung nicht vollkommen offen ist, sondern auch einem gewissen Schutz unterliegen muss.«
Impfstoffe sollen es für ihn schon sein, aber bitte von den Richtigen hergestellt. Große Skepsis gegenüber einem billigen und schnell verfügbaren Impfstoff aus China äußert er in seinem Podcast vom 24.4. Auch diese Warnung wurde breitestmöglich publiziert.
Was es mit Drostens Forderung auf sich hat, erklärte am 20.3. Dr. Fabian Huber, Jurist der internationalen Großkanzlei Simmons & Simmons LLP im Bereich Healthcare and Life Sciences:
»Im Hinblick auf das Coronavirus (SARS-CoV‑2) sind möglicherweise die Ausnahmen nach der AMG-Zivilschutzausnahmeverordnung in Betracht zu ziehen. Diese Verordnung sieht beispielsweise für den Bereich des Zivilschutzes und des Katastrophenschutzes auch Ausnahmen von der arzneimittelrechtlichen Zulassungspflicht vor. Mit Hilfe dieser Ausnahmen könnte ein Impfstoff durchaus schneller auf den Markt gebracht werden – ohne, dass arzneimittelrechtliche Vorschriften „außer Kraft“ gesetzt werden müssten…
Der konkrete Vorschlag käme einer staatlichen Produkthaftung gleich, die es so nicht gibt. Es ist nicht der Staat, der das Arzneimittel – hier einen Impfstoff – herstellt oder auf den Markt bringt. Insofern halte ich von diesem Vorschlag eher weniger, zumal das Arzneimittelgesetz grundsätzlich schon für einen (materiellen) Schutz des Patienten sorgt. Anders ist es natürlich, wenn eine Impfung beispielsweise behördlich empfohlen oder sogar angeordnet würde. Hier würde auch von staatlicher Seite aus für Schäden gehaftet, und zwar nach den Regelungen des Infektionsschutzgesetzes…
Die Verwendung von vorhandenen Impfstoffen gegen das Coronavirus (SARS-CoV‑2) setzt voraus, dass die entsprechenden Impfstoffe konkret in Bezug auf das Coronavirus (SARS-CoV‑2) nach den arzneimittelrechtlichen Vorschriften erprobt und auch (grundsätzlich) zugelassen wurden. Eine Impfung „ins Blaue hinein“, nur weil entsprechende Impfstoffe für ein altes Coronavirus (SARS-CoV) erprobt wurden, wäre wohl nicht nur aus juristischer Sicht unvertretbar. « Link zum Focus
Auch Karl Lauterbach (SPD und ehemals Aufsichtsrat der privaten Rhön Klinikum AG) stößt am 24.3. ins Horn der Liberalisierung:
»Müssen die Hürden also gesenkt werden, damit Impfstoffe schneller entwickelt und zugelassen werden können in Deutschland? Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach hält das für sinnvoll. Es dürfe nicht sein, dass die Entwicklung eines Impfstoffs an politischen Regularien hängen bleibe oder verzögert werde, so Lauterbach.« Link zur Tagesschau
(Hervorhebungen nicht in den Originalen.)