Lassen wir die offensichtlich falschen Angaben außer Acht, die er in einem Lebenslauf vor 2007 hat veröffentlichen lassen: Promotion im Jahr 2000 mit "experimental thesis in Transfusion Virology (blood donor screening)".
Nehmen wir statt dessen einen 2017 auf einer Internetseite der Bundesärztekammer publizierten Lebenslauf (s. Abb.). Auch hier paßt einiges nicht zusammen.
Update: Die Dokumente gibt es inzwischen nur im Archiv hier und hier.
Arzt im Praktikum in Hamburg…
Danach nahm er im Jahr 2000 eine Tätigkeit als Arzt im Praktikum am Bernhard Nocht Institut für Tropenmedizin (BNTM) in Hamburg auf. 2002 erfolgte seine ärztliche Approbation. Nun ist auch davon die Rede, daß er bereits 2000 als Assistenzarzt am BNTM tätig war. Laut Wikipedia ist dies aber "ein approbierter Arzt ohne leitende Funktion".
Zwischen 2000 und 2002 hat also die 18-monatige Ausbildung als "Arzt im Praktikum" in Hamburg stattgefunden. Nach der damals geltenden Approbationsordnung für Ärzte soll es sich dabei um eine ganztägige Tätigkeit handeln
-
- im Krankenhaus,
- in der Praxis eines niedergelassenen Arztes oder einer sonstigen Einrichtung der ambulanten ärztlichen Versorgung,
- in einem Sanitätszentrum oder einer ähnlichen Einrichtung der Bundeswehr oder
- in einer Justizvollzugsanstalt mit hauptamtlichem Anstaltsarzt.
Es sei hier unterstellt, daß die Abteilung für Virologie am BNTM damals diesen Kriterien entsprach.
Update: Auch dieses Dokument findet man inzwischen nur im Archiv.
… gleichzeitig Dissertation in Frankfurt
2001 hat Drosten eine Dissertation an der Frankfurter Goethe-Universität eingereicht. Sie trägt den Vermerk "Aus dem Institut für Transfusionsmedizin und Immunhämatologie, Blutspendedienst des DRK Hessen, Frankfurt am Main". Es mutet seltsam an, wie D. neben der ganztägigen Tätigkeit in Hamburg die "Etablierung von Hochdurchsatz-PCR-Testsystemen für HIV‑1 und HBV zur Blutspendertestung" in Frankfurt nicht nur durchführen, sondern zu einer Dissertation mit diesem Titel hat verarbeiten können.
Selbständige Leistung? Die Rolle des Doktorvaters
Die seinerzeit geltende Promotionsordnung schrieb vor:
Ȥ 6 Dissertation
(1) Die Dissertation muß wissenschaftlichen Ansprüchen genügen und einen Beitrag zum Fortschritt der Wissenschaft auf dem Gebiet der Medizin oder Zahnmedizin liefern. Sie muß eine selbständige Leistung des/der Doktorand/in sein und beweisen, daß diese/ dieser befähigt ist, eine wissenschaftliche Fragestellung mit einwandfreier Methodik unter wissenschaftlicher Anleitung zu bearbeiten und unter Berücksichtigung des Schrifttums verständlich darzustellen.«
Auf einer Webseite der Charité teilt Drosten in einer englischen Version mit, daß sein Doktorvater Kurth Roth in Frankfurt war, in der ausführlicheren deutschen Version fehlt dieser Hinweis.
Über diesen Prof. Roth war 2000 im Ärzteblatt zu lesen, daß im Jahr 2000 der Forschungspreis "Sicherheit von Blutpräparaten durch PCR-Testung"
»…an die Forschergruppe Prof. Dr. med. Willi Kurt Roth, Dr. rer. nat. Marijke Weber und Prof. Dr. med. Erhard Seifried, DRK-Blutspendedienst Hessen, Institut für Transfusionsmedizin in Frankfurt am Main, in Anerkennung ihrer Arbeit mit dem Titel "Feasibility and efficacy of routine PCR screening of blood donations for hepatitis C virus, hepatitis B virus and HIV‑1 in a blood-bank setting". Die Göttinger Arbeitsgruppe wurde vom Bundesministerium für Gesundheit mit insgesamt 369 000 DM gefördert. Die Frankfurter Arbeit wurde vom Blutspendedienst Hessen des Deutschen Roten Kreuzes gefördert und in "The Lancet" original publiziert.«
verliehen wurde. Der Artikel in "The Lancet" kann hier eingesehen werden. Die Arbeit wurde auch in der National Library of Medicine veröffentlicht. Sucht man dort mit den Stichworten "Drosten" und "HIV‑1", findet man 9 Publikationen. Die Doktorarbeit ist nicht dabei, auch nicht unter den 10 Werken, die sich mit "HBV" beschäftigen. Update: Inzwischen (21.3.23) sind dort 10 bzw. 11 Werke gelistet.
Bereits aus dem Jahr 2000 stammen zwei Arbeiten, zu deren Verfassern Drosten und Roth gehören. Sie tragen die Titel
»Roth WK, Buhr S, Drosten C, Seifried E. NAT and viral safety in blood transfusion.
Vox Sang 2000;78 Suppl 2(257–9.«
und
»Drosten C, Weber M, Seifried E, Roth WK. Evaluation of a new PCR assay with competitive internal control sequence for blood donor screening.
Transfusion 2000;40(6):718–24.«
Im Jahr 2001 wurde diese gemeinsame Arbeit publiziert:
»Drosten C, Seifried E, Roth WK. TaqMan 5'-nuclease human immunodeficiency virus type 1 PCR assay with phage-packaged competitive internal control for high-throughput blood donor screening.
J Clin Microbiol 2001;39(12):4302–8.«
Der ebenfalls an den Arbeiten und dem erwähnten Forschungspreis beteiligte Seifried ist Ärztlicher Direktor und Medizinischer Geschäftsführer des Instituts für Transfusionsmedizin. (Er hat sich übrigens 1989 habilitiert.) Es steht zu vermuten, daß er neben Roth Gutachter im Promotionsverfahren von Drosten war.
Diese drei Arbeiten sind zufällig die, welche die Goethe-Universität in ihrer zweiten Interpretation als Dissertation von Herrn Drosten definiert. Keine davon wird im übrigen in der inzwischen vorliegenden Veröffentlichung benannt. Sie sind auch nicht im Katalog der UB vorhanden.
Es bleibt die Frage, ob angesichts dieser Umstände, eine selbständige Leistung Drostens erkennbar ist.
Warum wird die "Dissertation" erstmals 2020 veröffentlicht?
Bis vor wenigen Wochen erschien die vermeintliche Dissertation weder im Katalog der Universitätsbibliothek noch bei der Deutschen Nationalbibliothek, der sie 2003 zu melden gewesen wäre.
Doch auch dem DRK-Blutspendedienst, bei dem Roth, Seifried und Drosten tätig waren, war die Drosten-Forschung keine Erwähnung wert. Dem "Forschungsbericht 2001/2002 " ist zu entnehmen:
»Der vorliegende Forschungsbericht des DRK-Blutspendedienstes Baden-Württemberg–Hessen umfasst die Kalenderjahre 2001 und 2002. Er ist Teil des wissenschaftlichen Berichtswesens.«
Offenbar umfaßt er alle wissenschaftlichen Projekte dieser Jahre. Es werden 3 Arbeiten unter Mitwirkung von Drosten aufgelistet, eine aus dem Jahr 2001, zwei für 2002. Auf den 174 Seiten kommt die Forschung zum Thema der Dissertation nicht vor.
Wenn also nirgendwo in der akademischen Welt dieses Werk bekannt ist und es erstmals 2020 nach Drängen der Öffentlichkeit (in zwei gänzlich unterschiedlichen Varianten und belastet mit zahlreichen Widersprüchen) publiziert wurde, drängt sich die Frage auf:
(Wann) wurde diese Dissertation wirklich verfaßt?
Und wie konnte jemand mit einer solchen Vorgeschichte ohne Habilitation Professor werden? Vielleicht hilft bei der Antwort die Beschäftigung mit der Karriere von Prof. Roth: Doktorvater Roth "hat den deutschen Markt aufgerollt".
(Hervorhebungen nicht in den Originalen.)
Ich traue ihm nicht
Verlief das jetzt alles im Sande und hat sich geklärt bzw als unklärbar erwiesen?
@Tom: Das damit befaßte Gericht hat seeehr langsam mahlende Mühlen.