Falscher Fokus, falscher Feind

Unter die­ser Überschrift ver­sucht der lang­jäh­ri­ge lin­ke Aktivist Wolf Wetzel auf hei​se​.de, sich zur heu­ti­gen Querdenken-Demo in Stuttgart und dem Gegenaufruf von "Stuttgart gegen Rechts" zu posi­tio­nie­ren. Er nennt dies einen "Beitrag, der zwi­schen bei­den Stühlen genü­gend Platz fin­det". Es heißt dort:

»Ich muss mich bei die­sem Gegenaufruf schwer zurück­hal­ten. Es gibt end­los vie­le Demos, die etwas auf die Straße brin­gen oder for­dern, was ich nicht tei­le. Das geht sicher­lich vie­len so. Niemand wür­de auf Idee kom­men, wegen die­ser Differenz dazu auf­zu­ru­fen, das zu verhindern.

Es gibt eine Ausnahme, die im lin­ken Kontext weit­ge­hend Konsens ist: Wenn Neonazis auf­mar­schie­ren, dann geht es nicht um eine ande­re Meinung, son­dern um eine Demonstration, die ein Staats- und Menschheitsverbrechen bewirbt.

Die Behinderung und die Blockade von Neonazi-Aufmärschen geschieht dann unter dem weit­hin geteil­ten Motto: "Faschismus ist kei­ne Meinung, son­dern ein Verbrechen."

Wenn also das Bündnis "Stuttgart gegen Rechts" eine Demo der Querdenker be- bzw. ver­hin­dern will, dann setzt es damit die Querdenker mit Neonazis gleich. Entsprechend gehen seit Monaten zahl­rei­che anti­ras­si­sti­sche und anti­fa­schi­sti­sche Gruppen vor: Nach ihrer Ansicht sind die Querdenker mehr oder weni­ger Neonazis. In Stuttgart schei­nen sich die Bündnisteilnehmer also nun einig zu sein: "Masken auf! Nazis raus!"

Was wir [sic] heute unter Antifaschismus verstanden?

Dieses Sammelsurium an Vorwürfen hat es in sich. Es gibt ein recht ehr­li­ches Bild von dem ab, was heu­te anschei­nend unter Antifaschismus ver­stan­den wird.

Fangen wir mit den auf­ge­führ­ten Vergleichen an, die auf Querdenker-Demos tat­säch­lich zu fin­den sind.

Es steht hof­fent­lich außer Frage, dass die Verwendung des David- oder Juden-Sterns durch Querdenker eine inak­zep­ta­ble Instrumentalisierung des Holocaust ist. Auch der Vergleich einer Frau, die sich als Querdenkerin mit Sophie Scholl ver­glich, ist in der sug­ge­rie­ren­den Aussage, wie leb­ten in faschi­sti­schen Zeiten, nicht tole­ra­bel. Ebenso der zyni­sche Spruch "Impfen macht frei" der auf die Konzentrationslager ver­wei­sen soll, die unter dem Banner "Arbeit macht frei" ihre Massenmorde vollzogen.

Das eben auf die­se Weise zu the­ma­ti­sie­ren, sich mit denen zu strei­ten, die die­se Vergleiche auf­stel­len, ist wich­tig, sehr wich­tig. Arrogant wird es jedoch, wenn man nicht die eige­ne Geschichte reflek­tiert, die gera­de in Antifa-Zusammenhängen reich­lich ange­füllt ist mit den Vergleichen und Assoziationen, die – ganz mil­de for­mu­liert – deut­lich danebenlagen:

Dazu gehört zum Beispiel die anti­fa­schi­sti­sche Einschätzung aus den 1990er Jahren, wie steu­er­ten auf ein "4. Reich" zu, also auf einen neu-alten Faschismus…

Was hat die Antifa als Alternative zu bieten?

Ich fürch­te, dass die oben zitier­ten Stichworte dar­auf eine Antwort geben, aber eine durch­aus nie­der­schmet­tern­de. Da ist von "Diktaturgeschrei" die Rede, wenn Grundrechtseinschränkungen nicht hin­ge­nom­men wer­den. Keine Frage, wer die­se mit einer Diktatur gleich­setzt, unter­schlägt die Umstände, die eine Diktatur über­flüs­sig machen, etwa eine Mehrheit, die es mit der Regierung und denen, die es ihr als Opposition gleich­ma­chen wer­den, aushalten.

Aber wie ord­net "Stuttgart gegen Rechts" den Ausnahmezustand, die mas­si­ven Einschränkungen von Grund- und Schutzrechten ein? Gibt es das alles nicht? Und geschieht dies alles zu unser aller Wohl? Wo bleibt die Auseinandersetzung mit Ausnahmezuständen, von denen es in Deutschland eini­ge gab? In wel­chem Zustand befin­den sich die Linke und die Antifa, wenn Ausgangssperren von der FDP als unver­hält­nis­mä­ßig und medi­zi­nisch unbe­gründ­bar ablehnt wer­den, aber die Linke kei­nen eige­nen offen­si­ven Umgang mit dem Thema findet?

Aber viel­leicht geben die Stichworte "Lügenpressegeschrei" und "VÖLLIGE Missachtung der Staatsgewalt" eine unge­woll­te Antwort. Ist das nach Antifa-Ansicht völ­lig aus der Luft gegrif­fen? Gemeint ist doch die Tatsache, dass über die "Meinungsvielheit" in Deutschland ein publi­zi­sti­sches Oligopol ent­schei­det, das ein Großteil der ver­öf­fent­lich­ten Meinung kontrolliert.

Ist es nicht not­wen­dig, die­se "Bewusstseinsindustrie" anzu­grei­fen? Wäre es nicht eine wich­ti­ge Aufgabe für die Linke, für die Antifa, gera­de in Corona-Zeiten, die mas­si­ve Unterdrückung von Gegenstimmen und Gegenpositionen im media­len und öffent­li­chen Raum zur Sprache zu bringen?

Eine Antifa, die Respekt vor Staatsgewalt fordert?

Geradezu staats­tra­gend ist der Vorwurf an die Querdenker, die Staatsgewalt völ­lig zu miss­ach­ten. Mir ist die­ser Schwenk zur (teil­wei­sen) Anerkennung der Staatsgewalt neu! Es ist doch mehr als ver­rückt, wenn Antifas ande­re zur Akzeptanz des Staates und sei­ner Organe auf­for­dert. Gehörte es nicht zu den Essentials anti­fa­schi­sti­scher Erfahrung und Praxis, dass man der Staatsgewalt grund­sätz­lich miss­traut, dass man ihr nicht die Einhaltung und Durchsetzung der gesell­schaft­li­chen Ordnung überlässt?…

Das zeigt: Sich heu­te eine Maske auf­zu­zie­hen und sie einer Antifa-Fahne gleich zu tra­gen, genügt noch lan­ge nicht.«


Und jetzt erst mal Pause hier. Ich muß zur Demo.

18 Antworten auf „Falscher Fokus, falscher Feind“

  1. Wenn Neonazis auf­mar­schie­ren, dann geht es nicht um eine ande­re Meinung, son­dern um eine Demonstration, die ein Staats- und Menschheitsverbrechen bewirbt.

    Genau! Denn die mar­schie­ren ja nicht von sich aus son­dern haben ganz kon­kre­te Auftraggeber.

  2. Welche Möglichkeiten gibt es für maß­nah­men-kri­ti­sche Menschen aktu­ell, ihr Unverständnis, ihren Ärger, ihre Verzweiflung über die Maßnahmen zu äußern, die die Staatsgewalt aktu­ell auf­grund der "Corona-Pandemie" immer wei­ter ver­schärft, selbst­ver­ständ­li­che, unver­äu­ßer­li­che Grundrechte immer wei­ter ein­schränkt, mit Ordnungsamt und Polizei durch­setzt, und Erwachsene behan­delt wie unmün­di­ge Kinder, die anschei­nend kei­ne eige­nen Entscheidungen mehr tref­fen können?

    Warum glau­ben anschei­nend vie­le "Linke" heu­te, dass Menschen den all­mäh­li­chen Demokratieabbau ohne Gegenwehr ein­fach aus­hal­ten und den staat­li­chen Institutionen völ­lig ver­trau­en sol­len – obwohl sie mit erkenn­bar unaus­ge­wo­ge­nen Maßnahmen, ohne Diskurs unter­schied­li­cher fach­li­cher Meinungen, ohne nach­voll­zieh­ba­re Begründungen und auf­grund von pau­scha­len und fal­schen Schreckens-Szenarien (jeden Tag ster­ben so vie­le Menschen, wie wenn ein Flugzeug abstürzt – es ster­ben immer mehr, auch jün­ge­re, Menschen) und nicht nach­voll­zieh­ba­ren Behauptungen über­rollt werden?

    Gehört eine kri­ti­sche Distanz zu staat­li­chen Institutionen und den Interessen des Kapitalismus heu­te nicht mehr zum Repertoire der Linken? Reicht es der lin­ken Politik heu­te schon, dass die Chefs jetzt die Schnelltests bezah­len, die dann dazu bei­tra­gen, die Inzidenzwerte zu erhö­hen und letzt­lich die Freiheitsrechte noch stär­ker einzuschränken?

    Sind Ausgangssperren, Reise- und Übernachtungsverbote im eige­nen Land, die Gleichschaltung der Medien und die völ­li­ge Nichtbeachtung von Kollateralschäden der Maßnahmen für die Linke verhältnismäßig?
    Wenn Linke und Antifa, ohne kri­ti­sche Reflexion, zur Akzeptanz des Staates und sei­ner Organe auf­ru­fen – wo sol­len sich aktu­ell kri­ti­sche Menschen dann wiederfinden?

  3. Schon mal ein kur­zer Bericht von der Hamburger "Demo":
    Nur 200 Teilnehmer wur­den zu einer sta­tio­nä­ren Kundgebung durch­ge­las­sen. Grob geschätz­te 1000 wei­te­re stan­den vor den Absperrungen. Dazu eine grö­ße­re Zahl halb­wüch­si­ger Agro-Antifa-Macker.
    Ein Teilnehmer konn­te auf der Kundgebung völ­lig unbe­hel­ligt mit einem T‑Shirt der Identitären Bewegung rum­ren­nen, sonst kei­ne erkenn­ba­ren Rechten.

  4. Erstaunlich, hat­te die­ser Wolf Wetzel doch sehr kri­tisch u.a. über staat­li­che Verwicklungen in den NSU Komplex geschrieben.
    Es ist frap­pie­rend wie undif­fe­ren­ziert er, in Bezug auf die Zusammensetzung der Querdenker Bewegung, das "offi­zi­el­le" Narrativ über­nom­men hat.

  5. Drosten ant­wor­tet der Welt zu Fragen zum PCR Test: Ich habe im Sommer 2020 den­sel­ben Vorschlag geäu­ßert (s. Zeit-Artikel „Ein Plan für den Herbst“, 5. August 2020). Gemeinsam mit dem RKI habe ich inten­siv an der Erstellung eines Ct- bzw. Viruslast-Standards gear­bei­tet. Dieser wur­de mitt­ler­wei­le allen Diagnostiklaboren zur Verfügung gestellt, sodass Ct- oder bes­ser Viruslast-basier­te PCR-Befunde mög­lich sind. Die Viruslastmessung wird auch schon in vie­len Richtlinien und in der Praxis des öffent­li­chen Gesundheitsdienstes ange­wandt. https://​www​.welt​.de/​p​o​l​i​t​i​k​/​d​e​u​t​s​c​h​l​a​n​d​/​a​r​t​i​c​l​e​2​3​0​4​6​1​5​0​7​/​C​h​e​f​v​i​r​o​l​o​g​e​-​D​r​o​s​t​e​n​-​D​i​e​-​P​C​R​-​T​e​s​t​s​-​f​u​e​r​-​S​A​R​S​-​C​o​V​-​2​-​s​i​n​d​-​v​o​n​-​A​n​f​a​n​g​-​a​n​-​b​e​s​s​e​r​-​v​a​l​i​d​i​e​r​t​.​h​tml

  6. "…Ebenso der zyni­sche Spruch "Impfen macht frei"…"
    Ähm, lie­ber Herr Wetzel, ich möch­te hier­zu auf die mit teu­er Geld öffent­lich gespon­ser­te Düsseldorfer Lichtinstallation "Impfen = Freiheit" des Künstlers Leon Löwentraut hin­wei­sen. Es kommt mal wie­der nicht dar­auf an, was gesagt wird, son­dern wer es sagt.

  7. Es ist immer wie­der erstaun­lich, wie Medien und Politiker sich selbst ent­lar­ven (nicht nur die Linken haben in die­ser Krise total ver­sagt). Eine Meldung von ntv:
    „Kretschmer: AfD, "Querdenker" und Schwurbler tor­pe­die­ren kla­ren Kurs +++
    Sachsens Landeschef Michael Kretschmer kri­ti­siert das Verhalten der AfD und eines Teils der Bevölkerung im Freistaat. Anders als Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer müss­ten vie­le Amtskollegen in Sachsen einen gro­ßen Teil ihrer Zeit damit ver­brin­gen, "wir­re Verschwörungstheorien" und Bösartigkeiten zurück­zu­wei­sen, so Kretschmer auf dem Landesparteitag der CDU in Dresden. Der AfD, "Querdenkern" und ande­ren "ver­schwur­bel­ten Menschen" wirft Kretschmer vor, die Verantwortlichen von der Arbeit abzu­hal­ten, Leute zu irri­tie­ren und den kla­ren Kurs, den man bei der Bekämpfung der Pandemie brau­che, kaputtzumachen.„

  8. Faschismus ist, das Sein oder die Gesinnung von Menschen zu bestra­fen anstel­le von Unrecht und Betrug, die jemand ver­übt. Faschismus heißt, Menschen ihres Lebens‑, und Freiheitsrechts zu berau­ben, weil sie ande­rer Auffassung sind oder ande­rer Hautfarbe. Faschismus ist der Dieb, der "HALTET DEN DIEB!" ruft.

  9. Ich ver­ste­he über­haupt nicht, was hier aus der Sicht eines Linken am Wetzel beson­ders kri­tik­wür­dig erscheint. 

    Sein Fokus rich­tig sind doch gegen die "sog. Antifa" und die klein­bür­ger­li­che Hosenscheißer-Bewegung "stutt​gart​-gegen​-rechts​.de".

    Die Antifa als homo­ge­ne Gruppe exi­stiert aber gar nicht. Ein "Stuttgart gg. Rechts" ist auch über­haupt nicht ver­werf­lich, wenn es denn wirk­lich um die Sache gin­ge. Geht es aber ganz offen­sicht­lich nicht. Hier soll nur par­al­lel zur QD-Demo unter dem Label "Antirassismus/Antifaschismus" regie­rungs­kri­ti­scher Protest stig­ma­ti­siert wer­den. Für sol­che Contra-Aktionen wer­den erfah­rungs­ge­mäß immer Blöde, aber auch nai­ves Fußvolk oder sol­che ein­ge­spannt, die nichts­ah­nend für eine gute Sache auf die Straße gehen wollen.

    Warum der Wetzel die von Staatsbütteln durchsetzte"Jubelperserbewegung", die sich fälsch­li­cher­wei­se als "Antifa" bezeich­net, in sei­nem Beitrag nicht the­ma­ti­siert, bleibt allein sein Geheimnis. 

    Aus Interviews und sei­nen Büchern kann man ent­neh­men, dass er es bes­ser weiß. 

    Sich klar zum Thema Corona und dem Betrug zu äußern, der so klar wie Kloßbrühe vor unse­ren Augen statt­fin­det, dazu sind Wetzels Eier ent­we­der zu klein, sei­ne Erkenntnisse zu schwach oder was auch immer…

  10. Es gab eine "Kunstaktion", ganz sicher nicht von Querdenkern, die auch in die­sem Blog erwähnt wur­de: Auf ein Hochhaus wur­de der Spruch "IMPFEN = FREIHEIT" projiziert.
    Also wer jetzt macht hier die unzu­läs­si­gen Assoziationen?

    1. O‑Ton Spahn: "Geimpften wie­der ein Stück Freiheit und Vertrauen zurück geben." Ist Spahn jetzt ein Verharmloser des NS? Erst fängt es ganz lang­sam an, aber dann … aber dann … kommt der Dark Winter

  11. Die Welt ist nicht mehr das was sie ein­mal war. Was oben ist, ist nun unten, was links ist nun rechts, und umgekehrt.
    Mein lie­ber Scholli… mein Lebtag hät­te ich mir nicht gedacht, daß ich, als im Herzen Linker, lieb­äug­le die FPÖ zu wäh­len – weil ich mit deren Kritik an den Überschießenden Anti-Corona-Maßnahmen kon­form gehe. Die Grünen wer­de ich aus genau dem sel­ben Grund (aber umge­kehrt) garan­tiert nicht mehr wäh­len *über mich sel­ber den Kopf schüttel*

    Nachdenkliche Grüße,
    der Ösi

  12. Medizin
    Published: 16 March 2021

    Macht und Ohnmacht von Argumenten
    Wie bringt man Impfmuffel an die Nadel?

    https://link.springer.com/article/10.1007/s11298-021‑1932‑3

    web suche ergeb­nis auf mein neu­stes "Unwort" Impfmuffel

    kürz­lich las ich auch "Impfmuffel sind Volksfeinde"

    jjj…hätte mich nie­mals als libe­ral kon­ser­va­tiv ein­ge­schätzt, aber fürcht ich muss mich von die­ser lin­ken heut­zu­ta­ge ver­ab­schie­den und als weder noch irgend­wie doch noch posi­ti­on in die­ser Dystopie als zoon poli­ti­con mein letz­tes drit­tel fristen

    mein herz befin­det sich links in mei­ner kör­per­hälf­te… des­sen bin ich mir gewiss.

  13. Beim Spagat kann man sich auch sehr verletzen.

    Oder wie der Engländer sagt:
    "Sitting on two chairs is nice to shit. But only shit is the result."

    U.W.

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