Fühlen schlägt Denken

In einem Bei­trag auf frei​tag​.de ist am 23.3. unter dem Titel "Zero Mei­nung" zu lesen:

»Coro­na – Die Kri­se hat die Gesell­schaft ent­zweit und ver­gif­tet. Wir brau­chen ein all­ge­mei­nes Vergessen…

Füh­len schlägt Denken
Das Virus hat nicht nur Thea­ter, Unis und Schu­len, die Sport­hal­len und Schwimm­bä­der, die Kauf­häu­ser, Clubs und Bars dicht­ge­macht, son­dern oft auch unse­re Hir­ne. Er hat poli­ti­sche Lager umsor­tiert und Freund­schaf­ten gesprengt. Nicht weni­ge, die sich als links ver­or­te­ten und Obrig­keits­hö­rig­keit ver­ach­te­ten, wur­den plötz­lich bei der unkri­ti­schen Ver­brei­tung von Mar­kus-Söder-Con­tent ertappt. Und ande­re, die sich für gut grund­ge­setz­lich hiel­ten, beka­men nun­mehr den Vor­wurf, fast schon im rechts­kip­pen­den Nar­ren­schiff zu sit­zen. Wie „auto­ri­tär“ ist wann die Sor­ge um die Schwächs­ten? Wie rück­sichts­los, ja „faschis­to­id“ ist wann das Pochen auf gewohn­te Bürgerrechte?

Die „Quer­fron­ten“, die das Virus her­stellt, sind ideen­ge­schicht­lich inter­es­sant. Ihr Modus Ope­ran­di ist der fol­gen­de: Will ich so klin­gen wie die­ser oder jene, auf die ich Zorn emp­fin­de? Nicht nur in sozia­len, son­dern auch redak­tio­nel­len Medi­en fand sich oft genug der Warn­hin­weis: Autorin X oder Kom­men­ta­tor Y begä­ben sich „in gefähr­li­che Nähe“ zu ent­we­der ver­wirr­ter Coro­na-Leug­nung oder auto­ri­tä­rem Lock­dow­nis­mus! Wenn man aber ganz unwill­kür­lich vor Argu­men­ten zurück­schreckt, weil die­se „den Fal­schen nüt­zen“ könn­ten – also Leu­ten, auf die man wütend ist, vor denen man Angst hat oder die man in Kom­bi­na­ti­on die­ser Impul­se zu has­sen beginnt –, was sagt das eigent­lich über uns?…

Schmäh­con­tent, Memes, Häme und Hohn auf allen Sei­ten: Wie oft las man den Kom­men­tar, wer sich den „Maß­nah­men“ ver­wei­ge­re, sol­le im Bedarfs­fall auch von der Beatmung aus­ge­schlos­sen wer­den? Der Ber­li­ner Viro­lo­ge Chris­ti­an Dros­ten wur­de samt sei­nen „Ultras“ als dik­ta­to­ri­scher Molch ver­un­glimpft, sein Bon­ner Fach­kon­tra­hent unter dem Hash­tag „ster­ben­mit­stre­eck“ gemobbt. Ist „Zero­Co­vid“ tota­li­tär? Oder ist, wie jüngst eine lin­ke Zei­tung zürn­te, umge­kehrt die Idee „kolo­ni­al­ras­sis­tisch“, mit dem Virus leben zu ler­nen – weil sie sich wei­ge­re, von Pan­de­mie­stra­te­gien im Glo­ba­len Süden zu ler­nen?«

Der Autor zieht eine Par­al­le­le zu den Schil­de­run­gen der Ili­as und ent­nimmt ihr:

»Amnes­tie wird uns nicht rei­chen. Sie setzt eine sieg­rei­che oder voll­stän­dig im Recht befind­li­che Par­tei vor­aus – und dar­um dreht sich ja der Ärger. Ein Burg­frie­de auf Basis von „Fact Che­cking“ hiel­te nicht lan­ge. Was wir brau­chen, ist auch etwas mehr als eine Kon­trol­le von „Hate Speech“. Von­nö­ten ist Memnes­ik­ak­ein: eine Maß­nah­me, die ver­ges­sen macht. Selbst um den Preis, dass ein Atti­la Hild­mann wie­der zurück in jene Tage dürf­te, als sei­ne Mis­si­on nur im Beweis bestand, dass sich Vega­nis­mus auf Tes­to­ste­ron rei­men kann. Oder dass jener nicht ganz unbe­kann­te Öko­ak­ti­vist und Video­künst­ler gar nicht erst ans Licht gezerrt wird, der jüngst auf sei­ner Face­book­sei­te den „Sozio­pa­then“ Hen­drik Stre­eck mit Sta­lin verglich…

Mnes­ik­ak­ein, jene Pflicht zur Erin­ne­rung an Schlech­tes, besteht heu­te im fak­ti­schen Zwang, sozia­le Medi­en zu nut­zen. Memnes­ik­ak­ein wäre dann eine Art Zero-Mei­nungs-Stra­te­gie. Die Löschung von allem, was seit März 2020 gepos­tet, get­wit­tert und geteilt wor­den ist. Ein Upload­fil­ter, der Covid-Wut durch Kat­zen­bild­chen ersetzt?

Das ist nicht min­der abwe­gig als noch vor Jah­res­frist die Idee, das Kind auf dem Spiel­platz von den Freun­din­nen fern­zu­hal­ten. Aber irgend­wo hier liegt Hoff­nung. Denn im Grun­de sind heu­ti­ge Men­schen viel ver­gess­li­cher als zu Homers Zei­ten.«

13 Antworten auf „Fühlen schlägt Denken“

  1. Ich den­ke, wer ver­gisst ist ver­dammt die Feh­ler der Ver­gan­gen­heit zu wiederholen.
    Die Schwei­negrip­pe- Fake-Pan­de­mie von 2009 ist kei­nes­wegs ver­ges­sen, und trotz­dem haben wir uns mit Kara­cho in ein desas­trö­ses Remake trei­ben lassen.
    Wir brau­chen nicht weni­ger als ein Zeit­al­ter der Auf­klä­rung um aus die­sem geis­ti­gen Mit­tel­al­ter der Spal­tung und Anti­auf­klä­rung aufzuwachen.

  2. Aus der moderne(re)n Geschich­te fällt mir als ein­zi­ger Staat, dem es gelang, aus einer sys­te­misch so ver­fah­re­nen Lage ohne tota­len Zusam­men­bruch bzw. Umsturz her­aus­zu­kom­men, Süd­afri­ka ein. Aller­dings hat­te die "Truth & Recon­ci­lia­ti­on Com­mis­si­on" gera­de nicht vor, ein all­ge­mei­nes Ver­ges­sen ein­zu­lei­ten. (Eine irgend­wie gear­te­te Gleich­set­zung ver­bie­tet sich auf­grund der Unter­schie­de, aber einen Hin­weis ist das viel­leicht wert.)

    1. Wir lau­fen ja gera­de in eine neue Apart­heid hin­ein. Geimpf­te wer­den noch rei­sen und ins Kino dür­fen, Unge­impf­te und unge­tes­te­te wer­den, wenn über­haupt, nur noch in einem Son­der­ab­teil und nur mit Mas­ke U‑Bahn fah­ren dürfen.

  3. "Denn im Grun­de sind heu­ti­ge Men­schen viel ver­gess­li­cher als zu Homers Zeiten."

    Das ist wahr.
    Odys­seus hät­te sich nichts vom "neu­en Nor­mal" erzäh­len lassen …

  4. Die Illus­tra­ti­on im Frei­tag mit Bild­un­ter­schrift ist auch gut:
    "Hin­ter den Mas­ken lau­ern Frat­zen von Hader und Wut"

    Genau. Hin­ter den MASKEN.

  5. Guter Bei­trag. Es gibt aber einen Unter­schied zwi­schen der Ver­un­glimp­fung eines Dros­ten und der eines Streeks. Dros­ten hängt am Ohr der Kanz­le­rin und ist mit­ten­drin. Die Ver­un­glimp­fun­gen gehen ja auch in eher in Rich­tung poin­tier­ter Kri­tik bis hin zu Schmä­hun­gen, wie "Dr. Osten".

    Die Mäch­ti­gen pöbeln nach unten aus einer Arro­ganz her­aus (z. B. "Covidio­ten" aus dem Mund der Esken), das Volk hin­ge­gen pöbelt aus einer Ohn­macht her­aus, die die Mäch­ti­gen zu ver­ant­wor­ten haben (Nicht sie selbst und auch nicht das Virus.) Ich bin Ange­stell­ter in der Soft­ware­ent­wick­lung und mein Gehalt kommt. Ich kann wei­ter­ar­bei­tern. Aber ich kann nicht garan­tie­ren, wenn mir als Unter­neh­mer mein Lebens­werk weg­bricht oder das, was der Groß­va­ter schon auf­ge­baut hat, dass ich da noch anstän­dig bleibe.

    Ob Stein­mei­er, Esken und Söder auch den Ver­fall der guten Sit­ten beklagt hät­ten, hät­te ein Aus­schwitz-Insas­se auf den "Scheiß­hit­ler" geschimpft? Ver­mut­lich. Zum Glück haben die Hei­ko, dass das nicht passiert.

  6. Die­ses Mons­trum, seit 15 Jah­ren in unse­ren Regie­run­gen, samt Ihrer Unter­stüt­zer muss weg! Ent­we­der frei­wil­lig oder unter Zwang. Wer das immer noch nicht sieht und mit die­sem intel­lek­tu­el­len Gefa­sel hin und her abwängt und nicht begreift, dass es hier um GANZ ande­re Din­ge als einen beschix­xes Virus geht, der hat nichts kapiert, ganz ein­fach! Wir sind nach Strich und Faden von die­ser Regie­rung seit einem Jahr ver­ar­xxxt wor­den. Oder müs­sen noch mal alle Lügen, Kon­struk­te, Ein­schüch­te­run­gen, wiss. Unsinn, wiss. halt­lo­se Behaup­tun­gen, angeb­li­che Inzi­den­zen, Evi­den­zen, Falsch­in­ter­pre­ta­tio­nen, Cor­rec­tiv, Fak­ten­check, Volks­ver­pet­zer, Can­cel Cul­tu­re Müll, Medi­en­gleich­sch­la­tung usw. hier auf­ge­lis­tet wer­den? Dafür gibt es kei­ne Ent­schul­di­gun­gen, das sind z.T. mehr oder weni­ger gro­ße Rechts­ver­stö­ße mit rea­len Opfern! Da kann man nicht ein­fach sagen "Schwamm drü­ber, Ver­ge­ben, Vergessen"
    Das gehört auf­ge­b­ar­bei­tet irgend­wann und die Leu­te die das aktiv oder pas­siv unter­stützt haben, müs­sen das begrei­fen, dass das ALLES mind. ein gro­ßer Irr­tum war.

  7. Ver­ges­sen kann gut und heil­sam sein, aber nur, wenn man die rich­ti­gen Din­ge ver­gisst. Wer soll das ent­schei­den? Big Tech? Söder?

  8. Da ist viel Wah­res dran, aber mit dem Ver­ges­sen wird das nix. Dafür funk­tio­niert unser Unter­be­wusst­sein zu gut und hat Coro­na als kol­lek­ti­ves Trau­ma längst unlösch­bar abge­spei­chert. Demut und Ver­zei­hen ist der Weg.
    Füh­len statt denken!

  9. Füh­len ja, den­ken auch, ver­ges­sen auf gar kei­nen Fall!
    Im Gegen­teil, wir soll­ten aus den Erfah­run­gen die­ser Zeit ler­nen, um nicht die sel­ben Feh­ler noch ein­mal zu machen!
    Ein Löschen aller gemach­ten Feh­ler wäre ein­fach nur dumm.
    Kon­se­quen­zen dar­aus sind notwendig!
    Zum Bei­spiel heißt es immer: "Das Inter­net ver­gisst nie!"
    Aber wer der Herr über die Net­ze ist, kann schon mal ganz ein­fach Links und Unter­la­gen löschen, die anhand frü­he­rer Akti­vi­tä­ten sei­ne heu­ti­gen Absich­ten hin­ter­fra­gen; wie der Hin­weis auf damals die heim­li­che Ste­ri­li­sa­ti­on afri­ka­ni­scher Frau­en per Tetanusimpfung.
    Die Ver­schleie­rung durch Löschen+ Ver­ges­sen ist falsch!!!!

  10. Ver­ges­sen und Ver­ge­ben, aha. Das wäre natür­lich unheim­lich prak­tisch. Die Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen an Alten und Kin­dern, die exis­ten­ti­el­len Bedro­hun­gen und Ver­nich­tun­gen an jenen (hier und auch glo­bal), die den „Maß­nah­men“ gleich zu Beginn oder nach und nach zum Opfer fielen/ fal­len, lie­ßen sich auf die­se Wei­se wun­der­bar aus dem kol­lek­ti­ven Gedächt­nis til­gen und belie­big wie­der­ho­len. Der Autor ver­gisst, dass es hier nicht um einen ent­gleis­ten Dis­kurs auf Augen­hö­he geht, son­dern um schlimms­te ver­ba­le und exis­ten­ti­el­le Angrif­fe der Pri­vi­le­gier­ten gegen jene, die kon­kret betrof­fen sind oder zumin­dest wahr­neh­men, dass hier zum „Schutz“ gegen ein Virus rei­hen­wei­se Opfer pro­du­ziert wer­den, die kei­ne hör­ba­re Stim­me haben und schein­bar auch nicht haben sollen.
    Die Wahr­neh­mung der Ent­glei­sung mag rich­tig sein; man kann sie aber nicht vom Maß der Betrof­fen­heit los­ge­löst betrach­ten. Tut man das, wäre viel deut­li­cher, dass sich hier im Wesent­li­chen Not­wehr und Ohn­macht und eine kul­ti­vier­te Hyper­mo­ral und Deu­tungs­ho­heit gegenüberstehen.

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