Für die Linksradikalen hier

In die­sen Tagen jährt sich zum 150. Mal die Pari­ser Kom­mu­ne. Vom 18. März bis zum 28. Mai 1871 dau­er­te der Ver­such der unte­ren Klas­sen, die fran­zö­si­sche Haupt­stadt in einer Art Räte­de­mo­kra­tie selbst zu regie­ren. Die Zer­stö­rung der Guil­lo­ti­ne mit einem Schwert auf der Place Vol­taire gehör­te zu den sym­bo­li­schen Akten. In enger Abspra­che mit dem bis­he­ri­gen Kriegs­geg­ner Deutsch­land wur­de die Stadt von der Armee beschos­sen und das Expe­ri­ment bru­tal nie­der­ge­schla­gen. Tau­sen­de com­mu­nards wur­den – meist stand­recht­lich – erschossen.

Ber­tolt Brecht schrieb das Gedicht "Reso­lu­ti­on der Kom­mu­nar­den", das von Hanns Eis­ler ver­tont wur­de. Ist davon heu­te etwas brauchbar?

»1. In Erwä­gung unse­rer Schwä­che machtet
ihr Geset­ze, die uns knech­ten soll'n
die Geset­ze sei­en künf­tig nicht beachtet
in Erwä­gung,
daß wir nicht mehr Knecht sein woll'n.

Refrain:
In Erwä­gung, daß ihr uns dann eben
mit Geweh­ren und Kano­nen droht
haben wir beschlossen,
nun­mehr schlech­tes Leben
mehr zu fürch­ten als den Tod.

2. In Erwä­gung, daß wir hung­rig bleiben
wenn wir dul­den, daß ihr uns bestehlt
wol­len wir mal feststell'n,
daß nur Fensterscheiben
uns vom Bro­te tren­nen, das uns fehlt.

Refrain …

3. In Erwä­gung, daß da Häu­ser stehen
wäh­rend ihr uns ohne Blei­be laßt
haben wir beschlos­sen, jetzt dort einzuziehen
weil es uns in uns'ren Löchern nicht mehr paßt.

Refrain …

4. In Erwä­gung, es gibt zuviel Kohlen
wäh­rend es uns ohne Koh­len friert
haben wir beschlos­sen, sie uns jetzt zu holen
in Erwä­gung, daß es uns dann warm sein wird.

Refrain …

5. In Erwä­gung, es will euch nicht glücken
uns zu schaf­fen einen guten Lohn
über­neh­men wir jetzt sel­ber die Fabriken
in Erwä­gung, ohne euch reicht's für uns schon.

Refrain …

6. In Erwä­gung, daß wir der Regierung
was sie immer auch verspricht,
nicht trau'n
haben wir beschlos­sen, unter eig'ner Führung
uns ein gutes Leben aufzubau'n .

In Erwä­gung, ihr hört auf Kanonen
and're Spra­chen könnt ihr nicht versteh'n
müs­sen wir dann eben, ja das wird sich lohnen
die Kano­nen auf euch dreh'n. «

20 Antworten auf „Für die Linksradikalen hier“

  1. Ich bin zwar kein Links­ra­di­ka­ler und daher nicht die Ziel­grup­pe, möch­te aber doch sagen, dass mir bei so etwas ein leicht unwoh­li­ger Schau­er den Rücken herunterläuft.

    Das Pro­blem am "Neh­men was uns gehö­ren soll­te" und am "Dre­hen der Kano­nen" ist aus mei­ner Sicht, dass auch zuächst wohl­ge­mein­te Ansät­ze die­ser Art dem Anschein nach unwei­ger­lich dazu füh­ren, dass die Kano­nen­dre­her und Haus­weg­neh­mer am Ende in die Fuß­stap­fen der­je­ni­gen tre­ten, die sie ver­trie­ben haben. Mir ist es ehr­lich gesagt ziem­lich egal, ob Frie­dens­reich Graf von Ziz­ze­witz-Hub­ensack Unheil stif­tet oder Chan­tal­le-Che­yenne Napp es tut, und auch ob man dabei die­ses Lied oder "Wild­gän­se rau­schen durch die Nacht" singt juckt mich nicht. Der Zug mit Räten, Sozia­lis­mus etc. ist aus mei­ner Sicht schon seit dem Mit­tel­al­ter und dem dama­li­gen Auf­stre­ben der Städ­te abge­fah­ren, das Den­ken und Han­deln hat sich seit­dem strin­gent in eine ande­re Rich­tung ent­wi­ckelt. Die­se Rich­tung zu beein­flus­sen braucht viel Zeit und Geduld, kei­ne Gewalt oder Umstürze.

    Ich habe kei­ne Lösung für die offen­sicht­li­chen gesell­schaft­li­chen Miss­stän­de, aber das hier Prä­sen­tier­te ist jeden­falls keine.

    1. @Rocku o'Roll Ich zitier mal: "Das Pro­blem am "Neh­men was uns gehö­ren soll­te" und am "Dre­hen der Kano­nen" ist aus mei­ner Sicht, dass auch zuächst wohl­ge­mein­te Ansät­ze die­ser Art dem Anschein nach unwei­ger­lich dazu füh­ren, dass die Kano­nen­dre­her und Haus­weg­neh­mer am Ende in die Fuß­stap­fen der­je­ni­gen tre­ten, die sie ver­trie­ben haben. "
      .…dem ist nicht unbe­dingt so:
      Wenn die Arbei­ter / Bür­ger, oder nen­nen wir sie Aus­ge­beu­te­ten der klei­nen kri­mi­nel­len Ban­de die aktu­ell herrscht, ihre Macht und Indus­trie weg­neh­men, sie nach Hau­se schi­cken, dann wol­len die­se (wir) ja anders als die kri­mi­nel­le Ban­de wirt­schaf­ten, näm­lich in unse­rem Intresse.
      Dem­zu­fol­ge braucht es auch wie­der Pla­ner und eine Regie­rung, die aber dies­mal die Plä­ne der Bür­ger umsetzt. Kei­ner wäre dar­an inter­es­siert, zb das sei­ne Mie­ten immer noch Wucher­mie­ten sein sol­len. Die­se Pla­ner / Regie­rung kom­men dann von den Bür­gern sel­ber. Ab die­sem Punkt wäre natür­lich direk­te Mit­be­stim­mung not­wen­dig, viel­leicht auch Räte und direk­te Kon­troll­gre­mi­en der Bür­ger. Die Früch­te der Arbeit (Mehr­wert) kommt dann den Bür­gern sel­ber zugu­te und nicht wie heut­zu­ta­ge ein­zel­nen Aus­beu­tern. Im Grun­de kann sich so kein Mehr­wert mehr von ein­zel­nen Per­so­nen mehr ange­eig­net werden.
      Die Macht im Staa­te wird umgekehrt.

      "Der Zug mit Räten, Sozia­lis­mus etc. ist aus mei­ner Sicht schon seit dem Mit­tel­al­ter und dem dama­li­gen Auf­stre­ben der Städ­te abgefahren,"
      …Sozia­lis­mus ist ein Wirt­schafts­sys­tem, eben­so wie der Kapi­ta­lis­mus. Sozia­lis­mus bedeu­tet nichts ande­res, als das die Bür­ger sel­ber die Macht über öko­no­mi­sche und öko­lo­gi­sche Ver­hält­nis­se im Staat über­neh­men (soll­ten). Man braucht Sozia­lis­mus auch nicht so nen­nen, eben­so wie der Name Kapi­ta­lis­mus von des­sen Ver­tre­tern ver­schlei­ert wird.
      An den Macht­ver­hält­nis­sen hat sich in den letz­ten 150 Jah­ren ja nichts geändert.

      Oder alles mal ganz kurz und ver­ständ­lich erklärt:

      Es kommt dar­auf an wer einem Staat öko­no­misch beherrscht und kontrolliert.
      Das ist ent­we­der das Kapi­tal oder die Volksmacht.

      1. @Andi67 Das von Ihnen beschrie­be­ne Ide­al (ich nen­ne es nicht Modell, ich kann Modell­rech­nun­gen nicht aus­ste­hen 😉 ) der Volks­macht setzt vor­aus, dass die Volks­macht die herr­schen­den Ver­hält­nis­se so ein­schätzt wie Sie. Auf­grund der Jahr­hun­der­te andau­ern­den Fort­ent­wick­lung des indi­vi­dua­lis­ti­schen Stre­bens nach Ver­bes­se­rung der eige­nen Situa­ti­on fehlt es aller­dings an die­sem alles ent­schei­den­den Ele­ment. Sie wer­den nur eine klei­ne Min­der­heit fin­den, die Ihrer Idee folgt, denn die Mehr­heit hat sich nicht nur mit den Ver­hält­nis­sen arran­giert, son­dern ist durch­aus aktiv unter­stüt­zend dabei. Das heißt, ent­we­der setzt die Regie­rung (oder die Räte) die Ideen der Mehr­heit um, was Ihnen nicht gefal­len dürf­te, denn das ent­sprä­che dem Sta­tus Quo.
        Oder Sie müs­sen mit Ihnen gleich­ge­sinn­ten Per­so­nen die Kon­trol­le über­neh­men, womit wir – bzw. Sie – dann wie­der bei den Kano­nen wären. Ich ent­neh­me Ihren Äuße­run­gen, dass Sie aber nicht an einer Kano­ne ste­hen wol­len, son­dern einem gemein­sa­men Vor­ge­hen nahe stehen.

        Es bedarf eines wesent­lich höhe­ren Lei­dens­dru­ckes, um Men­schen für einen so weit­rei­chen­den Umschwung zu gewin­nen, wie er Ihnen vorschwebt.
        Das ist es, was ich mit Geduld und Zeit mein­te. Um für Ihren Gedan­ken eine Mehr­heit zu fin­den, die tat­säch­lich der Volks­macht ent­spricht, brau­chen Sie beides.

        Ein klei­nes Bei­spiel: Sie hät­ten nicht ein­mal mei­nen Urgroß­va­ter, einen Zigar­ren­ma­cher und eiser­nen Gewerk­schaf­ter, für eine Räte­re­pu­blik gewin­nen kön­nen. Mei­ne und die nach­fol­gen­de Gene­ra­ti­on unse­rer Fami­lie, alle­samt aka­de­misch aus­ge­bil­det und recht erfolg­reich bei der Ver­bes­se­rung der indi­vi­du­el­len mate­ri­el­len Situa­ti­on, ist die­ser Idee gegen­über erst recht nicht auf­ge­schlos­sen. So dürf­te es bei der über­wie­gen­den Mehr­heit der Bevöl­ke­rung sein.

        1. @Rocku o’Roll: Ist das, was Sie zutref­fend beschrei­ben, nicht sehr ver­wandt mit dem, was wir im letz­ten Jahr erlebt haben, daß Men­schen gegen ihre Inter­es­sen han­deln? Und ver­su­chen wir nicht gera­de, das zu ändern?

        2. @Rocku o'Roll , "Das von Ihnen beschrie­be­ne Ide­al (ich nen­ne es nicht Modell, ich kann Modell­rech­nun­gen nicht aus­ste­hen ) der Volks­macht setzt vor­aus, dass die Volks­macht die herr­schen­den Ver­hält­nis­se so ein­schätzt wie Sie."

          .…..es ist kein Ide­al, son­dern beruht auf Wissenschaft.
          Der Kampf genau dar­um, wur­de doch schon Jahr­hun­der­te geführt und es wur­den auch defi­ni­tiv Sie­ge errun­gen, sonst gäbe es immer noch das könig­li­che Feu­dal­sys­tem und kei­ne BRD mit eini­en Rech­ten der Bür­ger, die es frü­her über­haupt nicht gab.

          Aktu­ell wird sicher nicht dar­um gekämpft den Sozia­lis­mus her­bei­zu­füh­ren – dafür fehlt der Mehr­heit das Kals­sen­be­wusst­sein – aber es wird um die Wider­her­stel­lung von Demo­kra­tie gekämpft.
          Die Volks­macht kämpft aber gera­de (auch).

          Ansons­ten habe ich nur beschrie­ben, wie das von dir dar­ge­stell­te Pro­blem "Neh­men was uns gehö­ren soll­te" und am "Dre­hen der Kano­nen" eben doch funk­tio­nie­ren kann – aber nicht das es aktu­ell so gemacht wird.

  2. Als "alter" Links­ra­di­ka­ler emp­fin­de ich seit dem Ende der jugend­li­chen Hau-drauf-Pha­se Unbe­ha­gen bei der Vor­stel­lung des simp­len Umdre­hens der Kano­nen und Gewehr­läu­fe, weil mich eigent­lich schon damals die Ahnung plag­te, daß der Kern (Keim) des Pro­blems dar­in lie­gen könn­te, daß über­haupt irgend­wer Geweh­re (oder Spee­re oder sym­bo­li­sche Kano­nen) auf irgend­wen rich­tet. (Davon unbe­rührt bleibt, daß es zumin­dest für den Moment der Not höchst ver­nünf­tig wäre, zu deren Lin­de­rung über­mä­ßi­gen Besitz den Besit­zen­den wegzunehmen.)
    Mög­li­cher­wei­se läuft letzt­lich alles auf das alte Pro­blem der Ska­la zusam­men: Daß man mit 83 Mil­lio­nen Teil­neh­mern kei­ne Demo­kra­tie ver­an­stal­ten kann, darf als erwie­sen gel­ten. Es blie­be her­aus­zu­fin­den, bis zu wel­cher Zahl ein gewalt­frei­es, ver­stän­dig­tes Zusam­men­le­ben und ‑wir­ken mög­lich ist. Viel­leicht hel­fen uns da die Soziologen?

  3. "Com­mu­nards" ist der Feind­be­griff, die kor­rek­te Selbst­be­zeich­nung lau­te­te "com­munaux" oder eher noch "fédé­rés".

  4. P. S.: Und es waren nicht tau­sen­de, es waren zehn­tau­sen­de "Kom­mu­nar­den" und Sym­pa­thi­san­ten, die in der "semaine san­glan­te" nie­der­ge­macht wur­den, von den anschlie­ßen­den Mas­sen­de­por­ta­tio­nen in fran­zö­si­sche Straf­ko­lo­nien ganz abgesehen.

  5. Noch mehr als die "Reso­lu­ti­on der Kom­mu­nar­den" geht mir die­ser Tage Brechts Gedicht "Lob des Ler­nens" und ins­be­son­de­re des­sen letz­te Stro­phe durch den Kopf:

    Ler­ne das Ein­fachs­te! Für die
    Deren Zeit gekom­men ist
    Ist es nie zu spät!
    Ler­ne das Abc, es genügt nicht, aber
    Ler­ne es! Laß es dich nicht verdrießen!
    Fang an! Du mußt alles wissen!
    Du mußt die Füh­rung übernehmen .

    Ler­ne, Mann im Asyl!
    Ler­ne, Mann im Gefängnis!
    Ler­ne, Frau in der Küche!
    Ler­ne, Sechzigjährige!
    Du mußt die Füh­rung übernehmen.
    Suche die Schu­le auf, Obdachloser!
    Ver­schaf­fe dir Wis­sen, Frierender!
    Hung­ri­ger, greif nach dem Buch: es ist eine Waffe.
    Du mußt die Füh­rung übernehmen.

    Scheue dich nicht zu fra­gen, Genosse!
    Laß dir nichts einreden
    Sieh sel­ber nach!
    Was du nicht sel­ber weißt
    Weißt du nicht.
    Prü­fe die Rechnung
    Du mußt sie bezahlen.
    Lege den Fin­ger auf jeden Posten
    Fra­ge: Wie kommt er hierher?
    Du mußt die Füh­rung übernehmen.

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