Die beiden Corona-Ausbrüche in Großfleischereien machen überdeutlich: Das Virus trifft uns nicht alle gleichermaßen. In den USA werden extrem überdurchschnittlich Nicht-Weiße und Arme zu Opfern, hierzulande trifft es mit wachsender Wucht osteuropäische Saisonarbeiter.
Ohnehin für die Knochenarbeit in den Fleischfabriken unterbezahlt, müssen sie häufig beengt und unter lausigen hygienischen Verhältnissen leben. Dort überträgt sich das Virus – da hilft keine Abstandsmarkierung im Betrieb. Die Konzerne haben mit den Wohnverhältnissen ihrer Beschäftigten nichts am Hut: Sie lassen die Drecksarbeit von Subunternehmern machen und schmücken sich mit Fieberthermometern am Werkstor. Die Behörden machen zu oft das schäbige Spiel mit. Das Wohlergehen des "Standorts Deutschland" (oder Coesfeld oder Bramstedt) rechtfertigt dann eben übelste Ausbeutermethoden. Wie sonst sollen Aldi, Lidl & Co. uns ihr Billigfleisch anbieten können?
Selbst in der Fleischwirtschaft regt sich Unmut – man fürchtet weiteren Imageverlust:
Am 5.5. war auf fleischwirtschaft.de zu lesen:
"Die Fleischwirtschaft bleibt auch in der Corona-Krise angreifbar
… Wieso schafft es die Branche nicht, Stoff für mehr positive Schlagzeilen an Medienmacher zu transportieren?
Das sensible Thema Lebensmittel, und insbesondere Fleisch, steht unter besonderer Beobachtung – und dafür gibt es eine Vielzahl von Gründen, die allesamt kaum in einen Kommentar gepackt werden könnten. Lassen wir deshalb die Umweltaktivisten und Fleischverächter außen vor. Die Zivilgesellschaft hakt heutzutage nach und möchte wissen, wie es mit dem Tierwohl im Stall aussieht…
Die Arbeits- und Wohnbedingungen von Leiharbeitern bleiben ein Minenfeld, obwohl sich die Fleischwirtschaft im Juli 2014 einen freiwilligen Verhaltenskodex gab. Mit der Vereinbarung verpflichten sich die Betriebe zur Einhaltung sozialer Standards, insbesondere im Bereich der Unterbringung Beschäftigter aus anderen EU-Mitgliedstaaten. Die aktuellen Nachweise des Coronavirus bei Mitarbeitern von Subunternehmen, die für die Schlachter Müller, Vion und Westfleisch tätig sind, rücken die oft engen Unterkünfte in den Fokus. Das kann niemandem im Sektor egal sein, auch wenn alle Gesetze eingehalten werden. Schließlich neigt die Öffentlichkeit nicht zur Differenzierung komplexer Sachverhalte."
Der Autor weiß den Ausweg, mit der unterkomplexen Öffentlichkeit umzugehen und die Minenfelder wegzulächeln:
"Journalisten und Influencer lassen sich begeistern, beispielsweise durch Genussspezialisten, die mit ihren Künsten auf glühenden Rosten Appetit auf das wertvolle Lebensmittel Fleisch machen. Auch Porträts von Fleischsommeliers sind willkommener Lesestoff. Der Handwerksmetzger vom Dorfplatz oder aus dem Stadtviertel mit eigener Produktion genießt in der Öffentlichkeit einen anderen Stellenwert als der Boss aus der Fleischindustrie, der ebenso systemrelevant für die Herstellung von Fleisch, Fleischwaren und Wurst ist. Zeigen Sie doch, wer Sie sind und was Sie tun!"
(Hervorhebungen nicht im Original)
Statt die Arbeits- und Wohnbedingungen der Saisonarbeiter zu verbessern (das schmälert den Gewinn), lassen wir Fleischsommeliers die Influencer begeistern.
Und wir haben noch gar nicht vom Tierwohl gesprochen…
Auch dieses Thema sollten wir uns über die Krise hinaus bewahren. Wie wollen wir leben, auf wessen Kosten und zu wessen Profit?