Unter diesem beklemmend aktuellen Titel veröffentlichte 2015 die Bundeszentrale für politische Bildung einen Aufsatz, der zu dem Schluß kommt:
Ohne ausreichende Ernährung, Bildung und sanitäre Standards bleiben die Mechanismen zur globalen Pandemiebekämpfung ein Tropfen auf den heißen Stein.
'Einem verbreiteten Ausspruch zufolge kenne Krankheit keine Grenzen. In der Tat: Ansteckungskrankheiten verbreiten sich in einer globalisierten Welt häufig sehr schnell über regionale Grenzen hinweg. Epidemien, also lokal begrenzte Ausbrüche, können mittels des internationalen Flugverkehrs schnell zu Pandemien werden, die mehrere Regionen oder Kontinente betreffen…
Angesichts dieser weltweiten Seuchengefahr nimmt der Begriff der "Gesundheitssicherheit" mittlerweile einen zentralen Platz auf der internationalen Agenda ein…
Der höhere Stellenwert globaler Gesundheitspolitik kann jedoch nicht über die Grenzen globaler Seuchenkontrolle hinwegtäuschen. Gerade die westafrikanische Ebola-Epidemie hat aktuell wieder deutlich gemacht, dass Armutskrankheiten, die vor allem die Länder des Südens betreffen, bei der internationalen Seuchenbekämpfung nachrangig behandelt werden. Denn allen Beteuerungen zum Trotz ist Gesundheitssicherheit keineswegs ein globales öffentliches Gut, sondern sehr ungleich verteilt. Globale Seuchenkontrolle leidet unter notorischer Ressourcenknappheit, vor allem angesichts schwacher Gesundheitssysteme in Entwicklungsländern, und ist geprägt von Verteilungskonflikten zwischen armen und reichen Ländern…
Ein Blick in die Geschichte zeigt: Die Sorge um Gesundheitssicherheit konkurriert seit jeher mit anderen politischen und ökonomischen Motiven. So bezweckten erste Vereinbarungen zur internationalen Seuchenbekämpfung gerade nicht die Maximierung der Gesundheitssicherheit. Vielmehr ging es auf den sogenannten Internationalen Sanitärkonferenzen ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts darum, den Einsatz von Schutzmaßnahmen wie zum Beispiel Quarantänen auf das Notwendigste zu begrenzen. Denn gerade See- und Handelsmächte, allen voran Großbritannien, waren an einem reibungslosen Verkehr von Personen und Waren interessiert, der nicht durch überzogene Sicherheitsvorkehrungen anderer Länder behindert werden sollte…
[Es gebe Grenzen der Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV):] Denn erstens können Informationen über Ausbrüche nur verwertet werden, wo sie auch vorliegen. Dies erfordert Diagnosemittel und Fachpersonal. Gerade arme Staaten können jedoch die – ebenfalls in den IGV verankerten – Vorgaben zur Seuchenüberwachung gar nicht umsetzen, besonders wenn es sich um Ausbrüche in entlegenen Regionen handelt…
Zweitens müssen relevante Informationen innerhalb der WHO weitergegeben werden. Altbekannte Schwächen der Organisation – ihre unzureichende Finanz- und Personalausstattung sowie Kommunikationsprobleme zwischen den Länderbüros, Regionalorganisationen und der Genfer Zentrale – standen dem zu Beginn der Ebolakrise im Wege und haben so die Reaktion zusätzlich verzögert. Und drittens bedarf es für die Bekämpfung von Gesundheitsnotfällen erheblicher Ressourcen wie Personal oder medizinische Ausrüstung, über die gerade Entwicklungsländer nicht verfügen…
Influenzaforschung: Wem gehören die Grippeviren?
Die ungleiche Teilhabe an globaler Gesundheitssicherheit zeigt sich auch bei einem weiteren wichtigen Instrument der internationalen Zusammenarbeit, dem WHO-Netzwerk zur Influenzaüberwachung (seit 2011 Globales Influenza Überwachungs- und Reaktionssystem, GISRS). Dieses existiert bereits seit 1952. Es koordiniert die Arbeit von über hundert nationalen Instituten, die Informationen über den Verlauf der saisonalen Grippe und anderer Grippe-Arten teilen und auswerten. Denn Grippeviren wandeln sich permanent, sodass sich auch die Impfstoffentwicklung stets den neuesten Mutationen anzupassen versucht. Auf die Arbeit dieses Netzwerks gestützt, formuliert die WHO jeweils Empfehlungen für geeignete Impfpräparate…
[2006 hatte Indonesien entschieden], künftig keine Virenproben mehr über das GISRS-Netzwerk zu teilen. Dies war insofern ein Schock, als die Vogelgrippe in dem Inselstaat besonders virulent war. Der Zugang zu Proben von Viren, die aktuell in Indonesien zirkulierten, war entscheidend für die Überwachung des Erregers und vor allem für die Erforschung neuer Impfstoffe durch die GISRS-Partner. Indonesien begründete seinen Schritt damit, dass es von den Forschungsergebnissen – Publikationen, aber auch Arzneimitteln – ausgeschlossen wurde. Impfstoffe wurden andernorts produziert und teils auch patentiert, sodass sie zuletzt für die indonesische Regierung selbst unerschwinglich wurden. Das Problem verschärfte sich dadurch, dass westliche Staaten, obwohl weit weniger bedroht, sich durch Hamsterkäufe mit Arzneimitteln eindeckten, was deren Preis zusätzlich in die Höhe trieb…
Daher wurde in den folgenden vier Jahren die Nutzenverteilung aus der Forschungskooperation im WHO-Netzwerk neu verhandelt. Das Ergebnis waren 2011 zwei neue Vorlagen für sogenannte Material-Transfer-Vereinbarungen für das Teilen von biologischem Material. Die erste Standardvereinbarung bezieht sich auf die Weitergabe an Partner des WHO-Netzwerks. Sie fordert etwa eine angemessene Beteiligung der Forschungslabore in den Herkunftsländern und verbietet die Patentierung von Forschungsergebnissen. Die zweite Standardvereinbarung gilt für die Zusammenarbeit mit externen Parteien. Externe Nutznießer müssen nun aus einer Liste möglicher Gegenleistungen für erhaltene Virenproben auswählen. Die Gegenleistung kann beispielsweise in Technologietransfers oder Arzneimittelspenden an Entwicklungsländer oder in der Abgabe von zehn Prozent der entwickelten Arzneimittel an die WHO bestehen. Mit diesem Konsens einer marginalen Umverteilung der Kooperationsfrüchte wurde die Ungleichheit beim Zugang zu Gesundheitssicherheit zwar nicht behoben. Doch der akute Konflikt um die Pandemiebereitschaft konnte so befriedet werden. Freilich ist der Streit um Grippe-Arzneien nur ein kleiner Bereich des weit größeren Problemfeldes "Zugang zu Medikamenten".
Ungleicher Zugang zu Medikamenten
Die medizinische Behandlung ist ein wesentliches Element der Seuchenbekämpfung. Viele Infektionskrankheiten können geheilt (Tuberkulose) oder wenigstens gelindert (AIDS) werden. Gegen andere, etwa Kinderlähmung, gibt es wirksame Impfstoffe. Die Entwicklung von Arzneimitteln ist freilich kostspielig und wird den Herstellern mit teils sehr hohen Preisen und Patentrechten entgolten, das heißt, sie ist überwiegend an den Bedürfnissen zahlungskräftiger Kundschaft orientiert. Um trotz dieser Hürden auch Entwicklungsländern und armen Bevölkerungsschichten Zugang zu Arzneimitteln zu gewährleisten, gibt es eine Bandbreite internationaler Politikinstrumente.
Auf der einen Seite sind hier diejenigen Maßnahmen zu nennen, mithilfe derer Entwicklungsländern der Zugang zu bereits vorhandenen Arzneimitteln erleichtert werden soll. Eine wichtige Komponente sind hier Gesundheitsklauseln im internationalen Handelsrecht, das heißt zuvorderst die Doha-Erklärung und ihre Nachfolgevereinbarungen im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO). Denn die 1995 gegründete WTO sieht mit dem sogenannten TRIPS-Abkommen über intellektuelles Eigentum eigentlich eine strikte Durchsetzung von Patentrechten in den WTO-Mitgliedsländern vor. Doch mit der Doha-Erklärung wurde 2001 klargestellt, dass Ausnahmen vom Patentschutz da zulässig sind, wo die öffentliche Gesundheit auf dem Spiel steht..
Die Anwendung dieser "Flexibilitäten" beim Patentschutz ist notorisch umstritten. Dies gilt auch für die zahlreichen Freihandels- und Investitionsschutzabkommen, die in den vergangenen Jahren zusätzlich zu den WTO-Verträgen abgeschlossen wurden und die bei Fragen intellektuellen Eigentums häufig über TRIPS hinausgehen. Hier steht bei jedem Vertrag die Frage des Zugangs zu Medikamenten erneut auf dem Spiel…
Andere Mechanismen konzentrieren sich hingegen auf die Entwicklung neuer Medikamente. Denn für viele weit verbreitete Krankheiten werden Medikamente mangels Marktanreizen gar nicht erst produziert. Dies sind die "vernachlässigten" oder "Tropenkrankheiten", in die Entwickler und Hersteller ohne gesonderte Förderung gar nicht erst investieren würden. Die Weltgesundheitsorganisation listet allein 17 vernachlässigte Krankheiten, die 149 Länder und mehr als 1,4 Milliarden Menschen betreffen, etwa das Denguefieber oder die Flussblindheit. Um bei ihrer Behandlung oder auch Vermeidung Fortschritte zu machen, existieren ebenfalls eine Vielzahl von Initiativen…
Gesundheit in allen Politikbereichen
Initiativen wie den oben genannten gelingt es immer wieder, Heilungschancen zu verbessern oder lebensverlängernde Medikamente breiter zugänglich zu machen… Dennoch fangen die Instrumente die globale Ungleichheit im Zugang zu Gesundheitssicherheit nur sehr begrenzt auf. An der globalen Wirtschaftsordnung und den ungleichen Lebensverhältnissen, die Gesundheitschancen und damit die Verwundbarkeit gegenüber Seuchen zuvorderst bestimmen, ändern sie nur wenig. Dies belegen beispielsweise Statistiken über die stark divergierenden Lebenserwartungen und das unterschiedliche Krankheitsaufkommen in armen und reichen Ländern. Es bleibt also zu betonen, dass Global Health Governance breit verstanden werden muss. Gesundheit wird in allen Politikbereichen gestaltet – von der Agrar- bis zur Bildungspolitik. Ohne ausreichende Ernährung, Bildung und sanitäre Standards bleiben die Mechanismen zur globalen Pandemiebekämpfung ein Tropfen auf den heißen Stein.'
(Hervorhebungen nicht im Original)