Hat das Bundesverwaltungsgericht "gegen Corona-Leugner" entschieden?

Diesen Eindruck ver­sucht die "Süddeutsche Zeitung" zu erwecken. Im Urteil steht das nicht.

sued​deut​sche​.de (4.12.23)

»Bei extre­mi­sti­schen Äußerungen von Staatsdienern dür­fen Behörden schon seit vie­len Jahren dis­zi­pli­na­ri­sche Maßnahmen ergrei­fen und sogar Personen aus dem Dienst ent­fer­nen. Nun ist dies erst­mals auch bei Verbreitung von Corona-Verschwörungs­ideologien möglich.

Es gibt dazu jetzt eine Leitentscheidung des Bundesverwaltungs­gerichts. Corona-Leugner wer­den dar­in unter bestimm­ten Umständen auf eine Stufe mit Rechtsextremen gestellt…

Verschwörungsideologische Querdenker sind Extremisten

Erst seit 2021 stu­fen die Verfassungsschutzämter die ver­schwö­rungs­ideo­lo­gi­sche Szene der soge­nann­ten Querdenker über­haupt als extre­mi­stisch ein. Auch wenn die Querdenker kein eige­nes poli­ti­sches Programm ver­fol­gen und auch wenn sie eine "Diktatur" kei­nes­wegs für etwas Gutes hal­ten wür­den, betrie­ben die­se Personen den­noch eine "Diffamierung und Delegitimierung des Staates", so lau­tet der Vorwurf.

Dieses Argument, mit dem inzwi­schen zahl­rei­che Verfassungs­schutzämter arbei­ten, hat nun das Bundesverwaltungsgericht erst­mals gebil­ligt. Die Relevanz sei­ner Entscheidung ist groß. "Die inhalt­li­chen Ausführungen las­sen sich naht­los auf Beamtinnen und Beamte des Bundes und der Länder über­tra­gen", kom­men­tiert in der Juristenzeitung der Bonner Rechtsprofessor Klaus Ferdinand Gärditz…«

Was steht im Urteil?

Die Entscheidung des 2. Wehrdienstsenats des Bundes­verwaltungsgerichts ist nach­zu­le­sen auf bverwg​.de:

bverwg​.de

Im gesam­ten umfang­rei­chen Text des Urteils taucht weder das Wort "Querdenker" noch "Corona-Leugner" auf.

Für sei­ne Entscheidung, dem Hauptmann für 24 Monate sein Ruhegehalt in Höhe von etwa 3.410 € net­to um ein Zehntel zu kür­zen, zieht das Gericht viel mehr Äußerungen her­an wie:

»Die ver­damm­ten Kommunisten wol­len uns ins Verderben sto­ßen. Aufwachen! […] Lasst euch von die­ser Diktatur nicht unter­krie­gen. Wir wer­den gewin­nen. Habt Mut: Es ist ein Krieg, den wir mit Mut gewin­nen wer­den, gegen die­sen poli­ti­schen Wahnsinn der NWO.«

»[e]s bedarf eines Kriegsgerichts, um die­se Regierung zur Rechenschaft zu brin­gen und das ohne Pardon«

»[w]ir brau­chen jetzt die Alliierten, die uns end­lich aus dem Kriegszustand befrei­en, bevor Merkel uns in die näch­ste deut­sche Diktatur führt!«

»[e]s ist die Zeit gekom­men, wo wir Reservisten uns tref­fen soll­ten, um unser Volk von der Sklaverei zu befreien«

Das Gericht kommt zu dem Schluß (RNr. 16 ff.):

»Der frü­he­re Soldat hat sich mit die­sem vor­sätz­li­chen Verhalten als frü­he­rer Offizier gegen die frei­heit­li­che demo­kra­ti­sche Grundordnung betä­tigt, was nach § 23 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 SG als Dienstvergehen gilt…

[Er] schreibt im fol­gen­den Post vom 6. Mai 2020: "Ich ver­ste­he nicht, war­um mei­ne Kameraden nicht gegen die­se geplan­te Diktatur vor­ge­hen?" Dabei weist er auf sei­ne frü­he­re Dienststellung als Soldat hin, womit er sei­nen Aussagen einer­seits eine beson­de­re Autorität ver­mit­teln will und ande­rer­seits sei­ne Verbundenheit mit den Streitkräften hervorhebt.

Diese Aussagen des frü­he­ren Soldaten las­sen sich nicht auf eine pole­misch-über­spitz­te Kritik an der Corona-Politik der Bundes­regierung reduzieren…

Wie die­se vagen Appelle zu ver­ste­hen sind, ist schwer zu bestim­men. Einerseits wen­det sich der frü­he­re Soldat mit sei­ner Kampfes- und Kriegsrhetorik gezielt an Soldaten der Bundeswehr. Dies legt den Gedanken nahe, er wol­le zu einem bewaff­ne­ten Aufstand auf­ru­fen. Andererseits ver­mei­det er in sei­nen Appellen jede Konkretisierung, wel­ches Verhalten er von den ange­spro­che­nen Kameraden und Reservisten erwar­tet… Vor die­sem Hintergrund ver­bie­tet es sich, die ambi­va­len­ten Äußerungen des ange­schul­dig­ten Soldaten in einem Disziplinarverfahren zu sei­nen Lasten als Aufforderung zur gewalt­sa­men Absetzung der Bundesregierung auszulegen…

Sein Aufruf an die Soldaten und Reservisten, gegen die Bundesregierung vor­zu­ge­hen und sei­ne Forderung nach Installierung eines Kriegsgerichts erfül­len den Tatbestand der feind­se­li­gen Betätigung gegen die frei­heit­li­che demo­kra­ti­sche Grundordnung…«

Kritik an Corona-Politik zulässig

Im Gegensatz zur Darstellung der SZ erklärt das Gericht wei­ter­hin (RNr. 34 ff.):

»Hingegen liegt kei­ne Betätigung gegen die frei­heit­li­che demo­kra­ti­sche Grundordnung vor, soweit sich der frü­he­re Soldat in Anschuldigungspunkt 1 und 7 gegen die im Zuge der COVID-19-Pandemie erlas­se­nen Kontaktbeschränkungen emo­tio­nal und vehe­ment wen­det und soweit er in Anschuldigungspunkt 2 und 6 Polizeimaßnahmen gegen Demonstranten scharf kritisiert…

Die vor­lie­gen­den Äußerungen fal­len in den Schutzbereich des Grundrechts auf Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Denn es schützt jed­we­de durch das Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens gekenn­zeich­ne­te Äußerung unab­hän­gig davon, ob sie sich als wahr oder unwahr erweist, begrün­det oder grund­los, emo­tio­nal oder ratio­nal, wert­voll oder wert­los, gefähr­lich oder harm­los ist… Dass eine Aussage pole­misch oder ver­let­zend for­mu­liert ist, ent­zieht sie nicht dem Schutzbereich des Grundrechts (BVerwG, Urteile vom 11. Mai 2023 – 2 WD 12.22 – Rn. 68 und vom 26. April 2023 – 6 C 8.21 – NVwZ 2023, 1167 Rn. 27), sofern sie noch nicht den Grad einer Formalbeleidigung oder Schmähkritik erreichen…

Die eben­falls ange­schul­dig­te, aber – wie aus­ge­führt – von § 23 Abs. 2 Nr. 2 SG nicht erfass­te Kritik des frü­he­ren Soldaten an den COVID-19-Maßnahmen und Polizeieinsätzen [ist] von Art. 5 Abs. 1 GG geschützt. Die in § 23 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 SG fest­ge­leg­te Verpflichtung stellt – eben­so wie § 8 SG – auch nicht in Frage, dass ein Soldat in den durch die Rechtsordnung gezo­ge­nen Grenzen sei­ne Freiheit des welt­an­schau­li­chen Bekenntnisses (Art. 4 Abs. 1 GG) und sei­ne Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) in Anspruch nimmt oder in Wahrnehmung der ihm zuste­hen­den Grundrechte an Erscheinungen oder Entwicklungen in Staat und Gesellschaft Kritik übt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. Mai 1988 – 1 WB 28.86 – NZWehrr 1989, 80) … Als von der Meinungsfreiheit geschützt und auch bei Betrachtung der Wechselwirkung nicht durch § 23 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 SG ein­ge­schränkt sind daher alle Äußerungen, mit denen der frü­he­re Soldat die von der Bundesregierung zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie ein­ge­setz­ten Zwangsmaßnahmen als unver­hält­nis­mä­ßig bezeich­net, sie pole­misch als dik­ta­to­risch und als von "ver­damm­ten Kommunisten" initi­iert brand­markt, er erklärt, sich dafür als frü­he­rer Staatsdiener zu schä­men und er die Presse in einen ver­schwö­rungs­theo­re­ti­schen Kontext stellt…«

Das Urteil zitiert aus der letz­ten plan­mä­ßi­gen Beurteilung des Soldaten (RNr. 5):

»… Sein sehr gutes Allgemeinwissen und sein exzel­len­tes mili­tä­ri­sches Fachwissen mach­ten ihn zu einem gesuch­ten Gesprächspartner und Berater… Er sei ein gerad­li­ni­ger, tat­kräf­tig han­deln­der Offizier mit Profil und festen Wertvorstellungen und gehö­re zur Spitzengruppe sei­ner Laufbahn.…«

Die "SZ" wird an die­ser Stelle wohl Recht behal­ten mit ihrer Vermutung. Andere "StaatsdienerInnen", die nicht so vor­bild­lich gewür­digt wer­den, dürf­ten mit schwe­rer wie­gen­den Sanktionen zu rech­nen haben, wenn sie "die von der Bundesregierung zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie ein­ge­setz­ten Zwangsmaßnahmen als unver­hält­nis­mä­ßig bezeich­nen".

4 Antworten auf „Hat das Bundesverwaltungsgericht "gegen Corona-Leugner" entschieden?“

  1. Hat der Staat jemals offen und ehr­lich kom­mu­ni­ziert wen er bekämpft, war­um und mit wel­chen Zielen!? 

    Nö. Hat er nicht. Wird er auch nie­mals tun. MFG

  2. Das Urteil begrün­det sich als Vergehen gegen den Staat. Aber die BRD ist kein Staat, son­dern eine GmbH und inso­fern ist das Urteil nicht rele­vant. Ich wür­de als Mensch das Urteil einem Normenkontrollverfahren unter­zie­hen, um wie­der die Kürzung des Ruhegeldes rück­gän­gig zu machen. Das hät­te mit Sicherheit Erfolg!
    Volker Burkhart

    1. @Volker Burkhart: Ich fürch­te, Sie sind hier bei einem fal­schen Forum gelan­det. Wir wer­den hier gewiß die­se These nicht dis­ku­tie­ren und auch nicht die Logik, Gerichte einer GmbH zu nutzen.

  3. Justiz
    Gericht stoppt Strafbefehl gegen Organisator von Corona-Protestdemos
    Neubrandenburg / Lesedauer: 2 min
    Seit drei Jahren gibt es in Neubrandenburg mon­tags Proteste. Organisator Robert Feuker muss­te sich nun wegen Verstößen gegen Corona-Auflagen im Januar 2021 verantworten.
    Veröffentlicht:07.12.2023, 14:56
    Von: Winfried Wagner

    https://​www​.nord​ku​rier​.de/​r​e​g​i​o​n​a​l​/​n​e​u​b​r​a​n​d​e​n​b​u​r​g​/​g​e​r​i​c​h​t​-​s​t​o​p​p​t​-​s​t​r​a​f​b​e​f​e​h​l​-​g​e​g​e​n​-​o​r​g​a​n​i​s​a​t​o​r​-​v​o​n​-​c​o​r​o​n​a​-​p​r​o​t​e​s​t​d​e​m​o​s​-​2​1​1​0​025

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