Hertielein, du mußt nicht traurig sein

Neben Krankenhausreform (gut), Klimawandel (ernst), Militarismuskritik (extrem unsym­pa­thisch) twit­tert Karl Lauterbach auch zu Demokratie. Im letz­ten Jahr durf­te er auf der Tagung der mil­li­ar­den­schwe­ren Hertie-Stiftung ("UNSERE MISSION: Gehirn erfor­schen und Demokratie stär­ken)" spre­chen.

twit​ter​.com  (22.11.23)

Die Stiftung ist so was von gemein­nüt­zig, daß sie es sogar im Namen vor­zei­gen kann ("Gemeinnützige Hertie-Stiftung").

»Mit ihrem Projektportfolio bleibt die Hertie-Stiftung dem Wirken und Willen des Stifters ver­bun­den, ist zugleich aber einer moder­nen, zeit­ge­mä­ßen Umsetzung sei­ner Anliegen ver­pflich­tet. Die Hertie-Stiftung arbei­tet inner­halb ihrer Leitthemen modell­haft. Als Reformstiftung schafft sie Anreize und führt ihre Projekte ope­ra­tiv zur „Marktreife“ mit dem Ziel, sie dau­er­haft zu verankern…

Woher wir kommen

Mit ihrem Vermögen von 1 Milliarde Euro gehört die Hertie-Stiftung zu den größ­ten pri­va­ten Stiftungen Deutschlands.

        • Gründung: 1974
        • Stifter: Hans-Georg Karg und Brigitte Gräfin von Norman
        • Anlagevermögen: rund 1,2 Milliarden Euro (Marktwert per 31.12.2021)
        • Jährliche Förderung: 25 – 30 Mio. Euro

Die Hertie-Stiftung baut auf dem Lebenswerk des 1972 ver­stor­be­nen Stifters Georg Karg, Inhaber der Hertie Waren- und Kaufhaus GmbH, auf. Er war ein Mensch, der sich nicht nur dem Unternehmen und sei­nen Mitarbeitenden, son­dern auch dem Allgemeinwohl ver­pflich­tet fühl­te, dem er sein Vermögen wid­me­te. Sein Leben und Werk sind Vorbild und Maßstab für das Wirken der Stiftung.

«
ghst​.de

Leben und Werk sind Vorbild

Studierende und Alumni der "Hertie School of gover­nan­ce" hat­ten ange­mahnt, doch genau­er auf die Herkunft des Vermögens des Stifters zu schau­en. Im November 2020 beauf­trag­te die Stiftung eine wis­sen­schaft­li­che Untersuchung dazu, die 2022 abge­schlos­sen sein soll­te (ghst​.de). Sie soll nun am 5. Dezember vor­ge­stellt werden:

unter​neh​mens​ge​schich​te​.de

Derweil ist auf der Seite etwas ver­steckt ein Link zu fin­den, auf dem immer­hin zu erfah­ren ist::

»EINE ZEITREISE
Vom jüdi­schen Kaufhaus zur Gemeinnützigen Hertie-Stiftung

… Anfang 1933 ist Tietz mit 85 Millionen Reichsmark verschuldet…

Im Juni 1933 ver­lan­gen die Gläubiger-Banken auch unter poli­ti­schem Druck von der Familie Tietz: Liquidation oder Sanierung. Ein Bankenkonsortium bil­det die „Hertie Kaufhaus Beteiligungs GmbH“ (hier taucht der Name Hertie erst­mals auf) bewil­ligt einen Sanierungskredit von 11 Millionen Reichsmark und erhält eine 60prozentige Beteiligung an der Firma Tietz, die damit fak­tisch den Banken gehört.

Die Banken beru­fen Georg Karg, seit 1914 Leiter der Jandorf-Filiale in Berlin-Charlottenburg und spä­ter Chefeinkäufer für Textilien bei Tietz, als Geschäftsführer. Keine zufäl­li­ge Wahl: Karg hat­te sich einem Namen als begna­de­ter Kaufmann gemacht und schon 1931 das Angebot erhal­ten, Vorstandsvorsitzender bei der damals eben­falls strau­cheln­den Karstadt-AG zu wer­den, was er trotz eines beacht­li­chen Jahresgehalts von 500.000 Reichsmark abge­lehnt hatte…

Von 1933 bis 1936 ist Georg Karg Angestellter von „Hermann Tietz & Co“, wie der Konzern inzwi­schen heißt, und han­delt im Auftrag der Mehrheits-Gesellschafter, der Banken. In ihrem Namen führt er 1933/1934 Verhandlungen mit der Familie Tietz, die auf poli­ti­schen Druck aus dem Unternehmen aus­schei­den und ihre rest­li­chen Anteile abge­ben sol­len. Man einigt sich auf eine Abfindung, über deren Höhe es unter­schied­li­che Angaben (1,5 Millionen RM oder 12 Mio. RM) gibt. Die Familie Tietz wan­dert in die USA aus…

Die Sanierung von Hertie ist müh­sam. Georg Karg ent­lässt gut ein Drittel der Belegschaft, dar­un­ter alle jüdi­schen Mitarbeiter

Nach heu­ti­gen Maßstäben war Georg Karg ein Patriarch, gemes­sen an der Zeit sei­nes Wirkens ein für­sorg­li­cher, sozi­al ein­ge­stell­ter und neu­en Ideen gegen­über auf­ge­schlos­se­ner Firmenlenker. Zeitlebens in kei­ner Partei und kei­nem Verband, beschrie­ben ihn Wegbegleiter als unpo­li­tisch und durch und durch prag­ma­tisch…«

Wären Gehirn und Demokratie irgend­wo bes­ser auf­ge­ho­ben als in die­ser Tradition?

Zum letzt­jäh­ri­gen Kongreß der Stiftung mit Karl Lauterbach sie­he hier.

Das sind die Mitglieder des Kuratoriums:

      • Hans-Jörg Vetter, Vorsitzender, Aufsichtsratvorsitzender der Commerzbank und ehe­ma­li­ger Vorsitzender des Vorstands Landesbank Baden-Württemberg und Baden-Württembergische Bank
      • Michael Endres, Ehrenvorsitzender und ehe­ma­li­ges Vorstandsmitglied der Deutsche Bank AG.
      • Maria Böhmer, Staatsministerin im Auswärtigen Amt a. D., Präsidentin der Deutschen UNESCO-Kommission
      • Andreas Barner, ehe­ma­li­ger Vorstandsvorsitzender Boehringer Ingelheim Pharma GmbH & Co. KG; jetzt: Mitglied des Gesellschaftsausschusses der C.H. Boehringer Sohn AG & Co. KG
      • Nico Hofmann, CEO UFA GmbH, Regisseur, Drehbuchautor
      • Frank Mattern, ehe­ma­li­ger Senior-Partner McKinsey & Company Inc.
      • Annette Schavan, Bundesministerin a. D.
      • André Schmitz-Schwarzkopf, Vorstandsvorsitzender der Schwarzkopf-Stiftung
      • Wolfgang Schön, Direktor Max-Planck-Institut für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen
      • Sascha Spoun, Präsident der Leuphana Universität und Gastprofessor Universität St. Gallen (HSG)
      • Nikolaus von Bomhard, Vorsitzender des Aufsichtsrats der Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft
      • Otmar Wiestler, Präsident der Helmholtz-Gemeinschaft, Berlin

(Hervorhebungen in blau nicht in den Originalen.)

9 Antworten auf „Hertielein, du mußt nicht traurig sein“

  1. Erschreckender Überwachungskapitalismus vom Feinsten:

    "Auch die Ärzte des NHS England schei­nen weni­ger begei­stert von dem Deal zu sein als Atkins es sug­ge­riert. Die Vertragsvergabe durch den NHS sei „zutiefst besorg­nis­er­re­gend“, erklär­te Latifa Patel, Vorsitzende des Vertretungsgremiums der British Medica Association (BMA). Die BMA habe bereits seit Monaten ihre Besorgnis über die bereits im Vorfeld erwar­te­te Entscheidung deut­lich gemacht und eigens in einem Schreiben an Atkins‘ Amtsvorgänger Steve Barclay auf ein Umdenken gedrängt.

    Es dür­fe nicht zuge­las­sen wer­den, dass Patientendaten miss­braucht wer­den. Ärzte müss­ten genau wis­sen, wie ver­trau­li­che Patientendaten inner­halb die­ser Datenplattform ver­wen­det wer­den und wel­che Rolle Palantir – das als Unternehmen ein kom­mer­zi­el­les Interesse an die­ser Entscheidung habe – spie­len wird.

    „Dieser Vertrag ist mit einer hor­ren­den Summe dotiert – Geld, das drin­gend für die direk­te Versorgung der Patienten benö­tigt wür­de und für ande­re Bereiche der Gesundheits- und Sozialfürsorge, die sich nach wie vor in einer sol­chen Krise befin­den, ganz zu schwei­gen von dem anhal­ten­den Personalmangel“, kri­ti­sier­te Patel.

    Auch die Doctor’s Association UK wen­det sich gegen die Entscheidung. „Es gab kei­ne aus­rei­chen­de öffent­li­che Prüfung, was dies für den NHS und die Patienten bedeu­tet und ob ein sol­ches Geschäft für den Steuerzahler von Nutzen ist, und das, obwohl der NHS bei der IT-Beschaffung bis­her kei­ne guten Erfahrungen gemacht hat“, erklär­te Verbandssprecher David Nicholl."

    "Patientenvertreter war­nen vor Vertrauensverlust
    Neben Ärzten und Datenschützern wen­den sich auch Patientenhilfegruppen gegen den Zuschlag für Palantir. Derart grund­le­gen­de Änderungen im Umgang mit so sen­si­blen Daten müss­ten so trans­pa­rent wie mög­lich vor­ge­nom­men wer­den, um das Vertrauen der Öffentlichkeit zu gewinnen."

    https://​www​.aerz​te​blatt​.de/​n​a​c​h​r​i​c​h​t​e​n​/​1​4​7​6​0​3​/​A​u​f​t​r​a​g​s​v​e​r​g​a​b​e​-​d​e​s​-​N​H​S​-​a​n​-​P​a​l​a​n​t​i​r​-​t​r​i​f​f​t​-​a​u​f​-​m​a​s​s​i​v​e​-​K​r​i​tik

  2. Im Laufe der Jahrhunderte hat sich das Wesen des Kapitalismus als sozio­öko­no­mi­sches System nicht ver­än­dert. Er basiert auf der glei­chen Ausbeutung des Menschen durch den Menschen durch wirt­schaft­li­chen Zwang zur Arbeit. Die Lohnarbeit für die Klasse, die die Produktionsmittel besitzt, ist nach wie vor die ein­zi­ge Quelle für den Lebensunterhalt der gro­ßen Mehrheit der Weltbevölkerung.

  3. "Gehirn erfor­schen und Demokratie stär­ken!" Sollte das das Motto von unse­rem Karlchen sein , dann wird alles gut. Er wird in sich gehen, nach­den­ken und zurück­tre­ten. Na ja, man wird wohl noch träu­men dürfen.

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