Mit dem Megafon vor das Altenheim

Mit dem Mega­fon vor das Altenheim

Etwas rat­los fragt die FAZ (Bezahl­schran­ke) am 21.1.:

»In Schwä­bisch-Gmünd demons­trie­ren Geg­ner der Coro­na-Poli­tik vor Alten- und Pfle­ge­hei­men – um die Bewoh­ner von Imp­fun­gen abzu­hal­ten. Soll die Stadt die Pro­pa­gan­da verbieten?

Im streng katho­li­schen Schwä­bisch Gmünd steht der Weih­nachts­baum noch auf dem Rat­haus­platz. Jeden Abend ver­sam­meln sich dort – auch bei Minus­gra­den – etwa hun­dert Kri­ti­ker der Coro­na-Poli­tik zum Demons­trie­ren. „Wir sind kei­ne Rech­ten, wir sind auch nicht mit der RAF zu ver­glei­chen, was ja Herr Söder glaubt“, ruft einer her­über. Eine Demons­tran­tin hält eine Fah­ne mit der Auf­schrift „Love wins“ in die Höhe, auf einem Pla­kat steht: „Sei ein guter Skla­ve, hör auf dei­nen Fernseher.“

Wäh­rend der Orga­ni­sa­tor der Quer­den­ker-Bewe­gung aus Stutt­gart, Micha­el Ball­weg, vor­erst nicht mehr zu Demons­tra­tio­nen auf­ruft, wol­len die beson­ders hart­lei­bi­gen Coro­na-Leug­ner in der schwä­bi­schen Stadt mit 61.000 Ein­woh­nern so lan­ge demons­trie­ren, bis die Bun­des­re­gie­rung den Lock­down beendet…

Demonstranten in Ku-Klux-Klan-Montur

Was [Orga­ni­sa­tor] Schmidt „neue Aktio­nen“ nennt, berei­tet der Stadt­ver­wal­tung, dem Land­rat Joa­chim Blä­se und dem Gmün­der Ober­bür­ger­meis­ter Richard Arnold (bei­de CDU) Sor­gen. Die Initia­ti­ve tes­tet immer wie­der Gren­zen aus, ver­sucht die Ord­nungs­be­hör­de vor­zu­füh­ren: Mal lässt sie Män­ner in Anleh­nung an den Ku-Klux-Klan in wei­ßen Maler­an­zü­gen mit Fackeln durch Wohn­ge­bie­te mar­schie­ren. Die Demons­tran­ten rufen Paro­len wie: „Regel­bre­cher an die Wand“, „Mas­ken­pflicht ein Leben lang“ oder „Impf­geg­ner in Fesseln“.

Mal pos­tie­ren sich die Coro­na-Leug­ner vor Alten­hei­men und ver­su­chen, die Bewoh­ner mit Mega­fon-Pro­pa­gan­da zu ver­un­si­chern und Impf­skep­sis zu wecken – ein Vor­ha­ben, das Men­schen­le­ben kos­ten kann. In den fünf Gmün­der Hei­men, vor denen die Kund­ge­bun­gen im Dezem­ber statt­fan­den, leben immer­hin knapp tau­send Men­schen. Die Stadt hat mehr kari­ta­ti­ve Ein­rich­tun­gen als ande­re Städ­te und ver­sorgt vie­le Umland­ge­mein­den mit…

Heimbewohner beschweren sich über den Lärm

Die meis­ten Gmün­der Bür­ger, die Heim­lei­ter und auch die Heim­be­woh­ner sehen das anders. Sie beschwer­ten sich über den Lärm und die sonn­täg­li­che Ruhe­stö­rung sowie die Behaup­tung der Demons­tran­ten, die Heim­be­woh­ner sei­en ent­mün­dig­te Bür­ger und wür­den von der Regie­rung wie „Ver­suchs­ka­nin­chen“ behan­delt. Es sei unver­ant­wort­lich, wenn älte­re Men­schen in der ohne­hin ange­spann­ten Lage nach Wochen der Iso­la­ti­on und Unge­wiss­heit von der Stra­ße mit impf­kri­ti­schen Paro­len beschallt würden.

In Schwä­bisch Gmünd wird seit­dem dis­ku­tiert, ob man sol­che Aktio­nen ver­bie­ten soll­te. „Die­se Ver­an­stal­tun­gen vor den Alten­hei­men waren natür­lich schwer zu ertra­gen“, sagt Ord­nungs­bür­ger­meis­ter Chris­ti­an Baron. „Wenn aber jemand sagt, das Imp­fen gegen Coro­na sei schäd­lich, ist das von der Mei­nungs­frei­heit selbst­ver­ständ­lich geschützt.“ Wenn durch eine ange­mel­de­te Demons­tra­ti­on die öffent­li­che Ord­nung gefähr­det wer­de oder Straf­ta­ten zu befürch­ten sei­en, kön­ne die Stadt zunächst Auf­la­gen erlas­sen und letzt­lich ein Ver­bot aus­spre­chen. Die Ver­an­stal­tun­gen der Coro­na-Leug­ner vor den Hei­men sei­en aber grund­sätz­lich nicht zu ver­hin­dern, sagt Baron.

Demons­tra­tio­nen wer­den in Deutsch­land nicht geneh­migt, sie wer­den nur ange­mel­det. Ord­nungs­äm­ter kön­nen dann Auf­la­gen ver­hän­gen. Im Gmün­der Rat­haus prüf­ten die Juris­ten den­noch gründ­lich, ob die Heim­be­woh­ner vor der Pro­pa­gan­da geschützt wer­den könn­ten. Das grund­ge­setz­lich garan­tier­te Recht auf freie Per­sön­lich­keits­ent­fal­tung sowie das Recht auf Pri­vat­sphä­re ste­hen in die­sem Fall in Kon­kur­renz zum Recht auf freie Mei­nungs­äu­ße­rung – Juris­ten spre­chen von „prak­ti­scher Kon­kor­danz“. Zur Mei­nungs­frei­heit gehört auch das Recht, sich die Adres­sa­ten der Mei­nungs­äu­ße­rung auszusuchen.

Genügt ein Abstandsgebot von 500 Metern?

Aller­dings darf durch eine Ver­samm­lung vor einem Alten­heim kein „Bela­ge­rungs­druck“ ent­ste­hen. Die Stadt­ver­wal­tung könn­te also – vor allem nach den zahl­rei­chen Bür­ger­be­schwer­den – künf­tig wei­te­re Auf­la­gen prü­fen, zum Bei­spiel ein Abstands­ge­bot von bis zu 500 Metern zwi­schen Demons­tran­ten und Hei­men. Damit wür­den sich die mit gro­ßen Pla­ka­ten und Mega­fo­nen aus­ge­stat­te­ten Demons­tran­ten aber nicht gänz­lich von den Heim­be­woh­nern fern­hal­ten lassen.

Isol­de Otto-Lan­ger, Regio­nal­lei­te­rin des St.-Vinzenz-Paul-Altenheims in Gmünd, ist immer noch scho­ckiert über die Dreis­tig­keit der Demons­tran­ten. „Das waren vie­le fal­sche Behaup­tun­gen. Eine jun­ge Frau rief immer wie­der, bei uns wohn­ten Ver­suchs­ob­jek­te der Phar­ma­in­dus­trie. Eini­ge unse­rer rüs­ti­gen Senio­ren waren empört“, sagt sie. Zum Glück hät­ten die Demons­tra­tio­nen an der Impf­be­reit­schaft der Heim­be­woh­ner nichts geän­dert, von etwa 200 Senio­ren sei­en mitt­ler­wei­le etwa sieb­zig geimpft wor­den – ohne dass Neben­wir­kun­gen auf­ge­tre­ten sei­en…«

7 Antworten auf „Mit dem Megafon vor das Altenheim“

  1. Ich kom­me nicht umhin; ich berich­te nun doch ein­mal über einen Film, der im Febru­ar 1963 im Fern­se­hen gesen­det wur­de, den ich damals mit 16 J.sah: Titel: "Schlacht­vieh" Regie: Egon Monk, Autor des Buches: Chris­ti­an Geiss­ler, ( NEIN, Herr Söder, kein Terrorist!)
    Ich habe den Film aktu­ell über die "Chris­ti­an Geissler
    Gesell­schaft" als Datei erhal­ten und ihn mir vor kur­zer Zeit ange­se­hen. Emp­feh­lens­wert, er wirkt wie eine Blau­pau­se auf das aktu­el­le Gesche­hen hin­sicht­lich der blei­er­nen Gleich­gül­tig­keit der Masse.
    LE BON: "Psy­cho­lo­gie der Mas­sen" läßt grüßen.

  2. Es ist sehr schwie­rig, die­sen Bericht zu kom­men­tie­ren. Bei­de Par­tei­en haben ein "Recht."
    Die Alten­heim­be­woh­ner auf ihre Ruhe, die Demons­tran­ten auf ihr "Infor­ma­ti­ons­recht."
    Ich bin aller­dings nicht davon über­zeugt, dass alle alten Men­schen überr die Imp­fung so auf­ge­klärt wer­den, wie es nötig wäre.
    Mir ist auch nicht klar, war­um sehr alte Men­schen über 90 noch mit die­sem Zeug geimpft wer­den müs­sen. Es gibt doch genug besorg­nis­er­re­gen­de Berichte.
    Außer­dem wäre es viel bes­ser , die­sen Men­schen einen gesi­cher­ten Raum zu bie­ten, anstatt auf Teu­fel komm her­aus alles durchzukämpfen.
    Der Satz, der mich sehr amü­siert hat, aber sehr wahr ist, war:"Sei ein guter Skla­ve, hör auf dei­nen Fernseher."
    Was ja im all­ge­mei­nen Alten­heim­be­woh­ner tun. Was bie­tet man ihnen denn sonst noch an? Hin und wie­der ein biss­chen Gymnastik.

  3. Der Jour­na­list asso­zi­iert die Maler­an­zü­ge also mit dem Klu-Klux-Klan und nicht etwa mit den Anzü­gen, mit denen die Test‑, Impf- und Des­in­fek­ti­ons­teams unter­wegs sind. Rei­fe Leistung.

    1. "In Anleh­nung an den Ku-Klux-Klan"!? Hat der den Malern den Lack weg­ge­sof­fen? Wenn ich sowas lese, muss ich immer an John Swin­ton den­ken. Auszug:

      Wir sind Werk­zeu­ge und Dienst­leu­te rei­cher Män­ner hin­ter der Büh­ne. Wir sind Ham­pel­män­ner. Sie zie­hen die Fäden und wir tan­zen. Unse­re Zeit, unse­re Fähig­kei­ten, unser Leben, unse­re Mög­lich­kei­ten sind alle das Eigen­tum ande­rer Men­schen. Wir sind intel­lek­tu­el­le Prostituierte.

      Das Wört­chen "intel­lek­tu­el­le" wür­de ich aber heu­te weg­las­sen und durch "sogar fürs f… zu doof sei­en­de" ersetzen.

  4. >>"von etwa 200 Senio­ren sei­en mitt­ler­wei­le etwa sieb­zig geimpft
    wor­den – ohne dass Neben­wir­kun­gen auf­ge­tre­ten seien…«

    Also bei 70 sind kei­ne Neben­wir­kun­gen auf­ge­tre­ten; wie vie­le von den 200 Senio­ren wur­den denn geimpft und bei wie vie­len sind eben doch schwe­re Neben­wir­kun­gen oder gar der Tod eingetreten?

    1. Es sind zwar kei­ne _Nebenwirkungen_ auf­ge­tre­ten (das sind ja Wir­kun­gen im Zusam­men­hang mit der Imp­fung), aber dafür liegt die Hälf­te ent­kräf­tet im Bett und die ande­ren auf der Inten­siv – könn­te man so eine Aus­sa­ge interpretieren.

      Mit sol­chen Sät­zen kann man bös­wil­lig alles verschleiern.

      Man müss­te also genau­er fra­gen: wie geht es denn Geimpf­ten ganz all­ge­mein, vorher-nachher-Vergleich.

  5. "Mit dem Mega­fon vor das Altenheim"

    Kei­ne gute Idee – wenn's stimmt.

    Aber es besteht ja auch die Fra­ge, ob das denn bewusst gemacht wor­den wäre, wie ja die Über­schrift doch nahelegt.

    Dem Bild nach zu urtei­len liegt das Alten­heim aber ein­fach zufäl­lig am Markt­platz. Und Markt­plät­ze sind nun ein­mal Orte, an denen auch Mega­fo­ne ihren Platz haben, Markt­schrei­er, gröh­len­den Besof­fe­ne – und davon abge­se­hen hören Alte auch nicht unbe­dingt so gut.

    Wo ist also der ver­zwei­felt ver­sucht aus­ge­ru­fe­ne Skandal?

    (Lese sol­chen Schrott nicht auf Details durch. Der ers­te Blick zeigt schon völ­lig aus­rei­chend den schlech­ten Zweck.)

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