Im "Open Source"-Bereich von berliner-zeitung.de kommt am 5.5. ein Notfallsanitäter aus Hessen zu Wort:
»Berlin – Die Reaktionen auf #allesdichtmachen waren teilweise unfassbar. Viele Gegner der Kampagne geben vor, im Sinne der Angestellten des Gesundheitswesens zu agieren und bescheinigen den Video-Machern „Zynismus“ gegenüber der „Corona-Front“ und den „Corona-Toten“. Auch die Ärztin Carola Holzner („Doc Caro“) hat sich in einem YouTube-Beitrag geäußert. Sie watscht die Initiative verständnislos ab und maßt sich an, „die Stimme des Gesundheitssystems“ zu sein („zumindest eine“) und „für alle“ zu sprechen, die in diesem Bereich arbeiten.
Ich bin 41 Jahre alt, verheiratet, Vater, seit 19 Jahren im Rettungsdienst tätig, früher Rettungsassistent, mittlerweile Notfallsanitäter. Zur Ausbildung gehören Einsätze auf Intensivstation und in der Anästhesie. Vor dem Rettungsdienst habe ich in mehreren Altenheimen als Pflegekraft gearbeitet und davor mal als junger Bundeswehrsoldat einen Schwur auf die freiheitlich-demokratische Verfassung unseres Landes abgelegt. Ich bin außerdem aktuell Betriebsratsvorsitzender und gewähltes Mitglied einer Tarifkommission. Und ich möchte festhalten, dass die Gegner der #allesdichtmachen-Kampagne keineswegs für alle Mitarbeiter des Gesundheitssystems sprechen!..
Der harten Abwehrhaltung gegenüber dieser Kampagne liegt eine ideologisierte Dynamik zugrunde, die höchst bedenklich ist für eine freiheitlich-demokratische Gesellschaft. Sachliche Einwände gegen die Maßnahmen werden zu kaum beachteten Fußnoten oder zu „Geschwurbel“ degradiert. Um dieses Zerrbild etwas aufzuhellen, möchte ich Eckpunkte einer sachlichen Grundsatzkritik an der Corona-Strategie umreißen, aus subjektiver Sicht eines im Gesundheitsbereich Tätigen, aber auch anhand objektiver Sachverhalte…
Zum Thema: Überlastung der Intensivstationen
Angespannt wurde die (sowieso seit Jahren prekäre) Personalsituation seit der Corona-Pandemie höchstens dadurch, dass immer wieder Kolleginnen und Kollegen für Wochen quarantänebedingt ausfielen – oft sogar trotz negativer Testergebnisse nach „bestätigtem Kontakt“ im Dienst.
Dazu kommen immer mal wieder verlängerte Fahrtstrecken mit Patienten zum Krankenhaus, weil einige Kliniken zwischendurch abgemeldet sind. Wegen Corona? Ja, aber anders als in Bergamo, wo die Flure mit Patienten überfüllt waren. Wenn Kliniken seit letztem Jahr „dicht“ sind, liegt es meinen Informationen nach überwiegend daran, dass Personal in Quarantäne steckt, oder daran, dass ein ganzes Krankenhaus auf „Rot“ geschaltet wurde, weil es auf einer Station nachträglich einen positiven Test bei einem zuvor negativ getesteten Patienten gegeben hat.
Woher kommt die reduzierte Zahl der gemeldeten Intensivbetten?
Oder weil die Corona-Ambulanzen (Fieber-Ambulanzen) aufgrund der aufwendigen Reinigungsmaßnahmen abgemeldet sind. Da es so ist, dass wirklich jeder Patient mit erhöhter Temperatur durch dieses Klinik-Nadelöhr muss, können logistisch „verstopfte“ Fieber-Ambulanzen ständig zur Lahmlegung des Aufnahmebereichs führen. Es scheint, als ob es zumeist die logistisch-administrativen Anweisungen und Verfahren zu Corona sind, die zu punktuellen Überlastungen der Kliniken führen, nicht zwangsläufig das Infektionsgeschehen selbst…
Am 30. Juni 2020 meldete das Intensivregister der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) 32.505 Intensivbetten. Mitte April diesen Jahres wurden nur noch 23.868 Intensivplätze gemeldet. Personalnot als Begründung dafür ist absolut inakzeptabel. Ein Jahr lang war Zeit, dieses Problem anzugehen – und es ist auch jetzt noch möglich.
Zum Thema: Aufwendige Hygienemaßnahmen
Es heißt, durch die Pandemie-Verfahrensweisen hätten die Kliniken einen höheren Aufwand bei Hygienemaßnahmen. Das wundert mich. Die angeblich zusätzlichen Hygienemaßnahmen hätten bereits vor vielen Jahren implementiert werden müssen. Nämlich gegenüber multiresistenten Erregern (MRE). Dem Robert-Koch-Institut (RKI) zufolge ist die Zahl der Meldungen zu antibiotikaresistenten Keimbesiedlungen deutlich zurückgegangen im Zuge der Covid-19-Hygienemaßnahmen der Kliniken. In den Jahren zuvor starben hierzulande bis zu 20.000 Menschen jährlich im Zusammenhang mit solchen antibiotikaresistenten Keimen…
Ein wichtiger Faktor für die hohe Belastung der Intensivstationen ist die fortschreitende Privatisierung im Kliniksektor. Das Fallpauschalensystem der Krankenkassen zwingt die Kliniken, ihre Intensivstationen auszulasten, wenn sie keine gravierenden Umsatzverluste hinnehmen wollen…
Die DIVI wird trotz ihrer bescheidenen Datenlage zu den Jahren vor 2020 häufiger zitiert, als die viel größere DKG (Deutsche Krankenhausgesellschaft). Deren Präsident Gaß sagte Anfang April klipp und klar, dass es eine totale Überlastung unseres Gesundheitssystems absehbar nicht geben werde.
Bereits letztes Jahr zeigte eine Studie zur Nutzung von Intensivbetten aufgrund von Covid-19 (Ärzteblatt 19/2020), dass es selbst bei Annahme einer maximalen täglichen Fallzahl von 20.966 Covid-Patienten „keinen Anlass zu einer Diskussion über eine bevorstehende notwendige Triage“ gebe. Die „Initiative für Qualitätsmedizin“ zeigt, dass im ersten Halbjahr 2020 (erste Corona-Welle inklusive) die Zahlen der Patienten mit Atemwegsinfekten und der Beatmungspatienten durchgängig unterhalb der Zahlen von 2019 lagen. Und für das Gesamtjahr 2020 zeigt eine aktuelle (März 2021) Auswertung des InEK (Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus), dass die Belegung der Klinikbetten im Schnitt um 13 Prozent gesunken war gegenüber früheren Auswertungen…
Zwei verschiedene Rechenverfahren zur Sterblichkeitsrate
Und wie viele Menschen wissen, dass es zur Berechnung der Corona-Sterblichkeitsrate zwei verschiedene Rechenverfahren gibt? Das eine teilt die Gestorbenen durch die Anzahl aller positiv Getesteten. Das zweite (Case Fatality Rate – Fallsterblichkeit) teilt die Toten lediglich durch die Zahl der abgeschlossenen Fälle (genesen oder gestorben). Verfahren zwei kommt zu einer deutlich höheren Sterblichkeitsrate. Das RKI verwendet das zweite Verfahren, während es bei den Inzidenzen nicht nur Krankheitsfälle (genesen oder verstorben) zählt, sondern alle positiv Getesteten. Die WHO veröffentlichte dagegen im Oktober 2020 eine Studie zur Sterblichkeit von Covid-19, bei der man die erste Methode verwendete. Ergebnis: eine durchschnittliche Sterblichkeitsrate von 0,2 Prozent, bei den unter 70-Jährigen 0,05 Prozent…
Im Rettungsdienst sind übrigens eindeutig internistische Probleme wie Herzinfarkt oder neurologische Probleme wie Schlaganfall maßgeblich. 270.000 Deutsche erleiden jedes Jahr einen Schlaganfall, 99.900 Personen sterben daran, das sind 37 Prozent. Warum versuchen wir es nicht mal mit Verbot von Zigaretten, Alkohol, fettem Essen, Zucker und Zwangssport, um diese Menschen zu retten? Weil wir eine freie, eigenverantwortliche und mit Eigenrisiko ausgestattete demokratische Gesellschaft sind.
Unsere Grund- und Freiheitsrechte erschienen mir immer als etwas Unantastbares. Einschränkungen müssen wasserdicht begründet und durch die Verhältnisse gerechtfertigt sein. Es in eine rechtspopulistische Ecke zu drängen, wenn Bürger die Begründungen und die Verhältnismäßigkeit infrage stellen, ist antidemokratisch. Dass Freiheit und das Recht auf Kritik so schnell zur Disposition stehen, wenn Angst im Spiel ist, macht Sorge. Diese Sorge hat die #allesdichtmachen-Kampagne aufgegriffen. Und das war richtig so.
Jan Schad ist in Hessen als Notfallsanitäter tätig.«
Danke Jan Schad!!!
Moralische Verletzungen
Der wahre Grund, warum Pflegekräfte aufgeben
https://twitter.com/krautreporter/status/1389565320457752578
https://krautreporter.de/3829-der-wahre-grund-warum-pflegekrafte-aufgeben?shared=5924062f-fb61-471c-a3eb-44bfaebbc78c&utm_campaign=share-url-47157-article-3829&utm_source=twitter.com
@Info
Danke für den Hinweis. Das ist in vielerlei Hinsicht sehr aufschlussreich.
Diese beiden Sätze hätte er weglassen können.
Lauterbachniveau (oder zuviel DrOsten-Podcast-Skripte gelesen?):
"Das eine teilt die Gestorbenen durch die Anzahl aller positiv Getesteten. Das zweite (Case Fatality Rate – Fallsterblichkeit) teilt die Toten lediglich durch die Zahl der abgeschlossenen Fälle (genesen oder gestorben)."
Nö. ersteres ist die "Case Fatality Rate" – zweiteres ist "irgendwas", das das RKI hie&da (kreativ) anwendet (z.B. beim Prozentsatz der Hospitalisierungen, wo man im Nenner nicht die positiv Getesteten, sondern nur die "mit Angaben zu Hospitalisierung" berücksichtigt – ein Verfahren, das auf die gerne von den Talkshowschwätzern erwähnten Modelle besonders üble Auswirkungen hat:. Gerne erwähnt: soundsoviel erkrankte = soundsoviel Prozent Hospitalisierte, davon soundsoviel auf Intensiv und davon soundsoviele Tote).
Das *eigentlich* wesentliche, die "Infection Fatality Rate" (auch in diesem Blog mehrfach erwähnt), die die Dunkelziffer berücksichtigt (und deswegen unbekannt ist) hätte man mit (relativ) geringem Aufwand ermitteln können – hat dies (unterstelle ich: aus politischen Gründen) nicht getan, weil dadurch die tatsächliche Gefahr in den Bereich einer mittelschweren Gripewelle gedrückt worden wäre und damit die Impfbegeisterung (noch weiter) reduziert hätte … .
@Kassandro
Genau! Eine Division durch 0 sozusagen 😉
Oh Mann, jeder Busfahrer des VEB Kraftverkehr Weimar hatte mehr drauf als diese Scharlatane, Wellenreiter und Trickbetrüger.
EF
Vom „Recht auf Megaphon“ bei 1‑Person-Demos bzw. bei der Meinungskundgabe Einzelner
Publiziert am 3. Mai 2021 von freiheitsfoo
Ausgangspunkt dieses Blogbeitrags war der Telefonanruf eines Menschen, der aus großer persönlicher Betroffenheit alleine vor einer Behörde seine Meinung kundtut und protestiert, in diesem Sinne also „demonstriert“.
Weil ein einzelner Mensch allerdings im Sinne des Artikel 8 des Grundgesetzes, der die Versammlungsfreiheit postuliert, nicht als Versammlung gilt, ist dieser Protest auch nicht wie eine Versammlung im formellen Sinne geschützt.
Dementsprechend wurde und wird dem Betroffenen das Protestieren seitens Behörde und Polizei so schwierig bis unmöglich gemacht – i.e. verboten – soweit es den Stellen jeweils irgend möglich ist … oder möglich scheint.
…
Es ist richtig, dass eine Versammlung nach bekannte Gerichtsentscheidungen erst ab 2 Personen gilt.
Wenn eine Einzelperson ihre Meinung kundtut, hat sie jedoch noch mehr Freiheiten als Menschen welche an einer Versammlung teilnehmen.
Die eine Einzelperson kann jederzeit ohne jegliche Voranmeldung ihre Meinung kundtun.
Diese Person darf auch laut sein. Diese Person darf auch an mindestens den gleichen Orten ihre Meinung kundtun wie Menschen, die eine Versammlung anmelden. In der aktuellen Pandemie hat eine Einzelperson riesige Vorteile, da das Gericht nicht von einer Gefährdung aufgrund einer Versammlung von mehreren Personen ausgehen kann.
Mit eine der wichtigsten Entscheidungen zu 1‑Person-Demonstrationen ist folgende: Bundesverfassungsgericht: 10. Oktober 1995 – 1 BvR 1476/91
https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/1995/10/rs19951010_1bvr147691.html
https://freiheitsfoo.de/2021/05/03/recht-auf-megaphon-meinungsfreiheit/#more-3852
Schwur auf die Verfassung? Oh Leute überlegt doch mal was es heißt auf eine Verfassung zu schwören: Gar nichts!
Vielen Dank Herr Schad.
Vor 30 Jahren hätte sich das deutsche Volk selbstbestimmt sich eine neue Verfassung geben können. Da Herr Schäuble sich bereits geäußert hat, dass wir seit Kriegsende nicht mehr souverän sind, hat sich das erübrigt. Es wäre besser gewesen sich zu einer Neutralität zu bekennen., dann wäre uns eine Teilung erspart geblieben. Aber Stalin lebte ja noch.
Man kann gar nicht so schnell schauen, so wird man gleich in die rechte Ecke gestellt und als Reichsbürger beschimpft. Erfurt hat schon recht mit seiner Aussage. Die Richter des BVG in Karlsruhe haben alle ein Parteibuch und haben auf die Verfassung geschworen. Keiner hat sich jemals offen gegen BK Merkel gestellt. Alle sind sie bezahlte und hörige Richter.
Erinnern wir uns wie mit Ra Beate Bahner umgegangen wurde.
Es wird gelogen, dass sich die Balken biegen.
Hut ab vor diesem Schauspielern die ihre Meinung nicht wieder geändert haben.
Die Großen hören auf zu herrschen,
wenn die Kleinen aufhören zu kriechen.
Friedrich Schiller