Es ist wirklich wahr. Ein Bericht mit diesem Titel konnte vor 10 Jahren in der Süddeutschen Zeitung erscheinen. Darum ging es:
»Hat Pfizer Druck auf die nigerianische Justiz ausgeübt, um Prozessen nach einer umstrittenen Medikamentenverabreichung zu entgehen? Einige Kinder starben damals. Nun zitiert Wikileaks aus einem Geheimpapier.
Als 1996 im Norden Nigerias eine Meningitis-Epidemie ausbrach, schickte der weltgrößte Pharmahersteller Pfizer Ärzte in die Region und startete eine großangelegte humanitäre Hilfsaktion. So jedenfalls erzählt der Konzern die Geschichte.
Kritiker behaupten hingegen schon seit Jahren, das US-Unternehmen habe die Welle an Hirnhautentzündungen, die schließlich 12.000 Menschen das Leben kostete, genutzt, um einen illegalen Freilandversuch an Kindern mit einem seiner Medikamente zu unternehmen. Dabei soll das Unternehmen in Kauf genommen haben, dass Kinder starben – und zum Teil schwere Behinderungen erlitten.
Die Folge? Pfizer musste sich mit peinlichen Gerichtsverfahren und milliardenschweren Entschädigungsforderungen herumplagen. Im vergangenen Jahr einigte der Pharmahersteller sich mit der Regierung des nordnigerianischen Bundesstaats Kano überraschend darauf, die Klagen gegen eine Zahlung von 75 Millionen Dollar beizulegen. Nun gibt eine von der Enthüllungsplattform Wikileaks veröffentlichte Diplomatendepesche Einblick in die Hintergründe dieses Deals. Dem als geheim eingestuften Dokument zufolge engagierte Pfizer Privatdetektive, um an belastende Informationen über den für das Verfahren zuständigen Staatsanwalt Michael Aondoakaa zu gelangen.
Druck auf den Staatsanwalt ausgeübt
US-Diplomaten berichten in dem Dokument über ein Treffen mit Pfizers Nigeria-Chef Enrico Liggeri: "Er sagte, Pfizers Detektive würden diese Informationen an die lokale Presse weiterreichen." Im Februar und März 2009 tauchten tatsächlich Korruptionsvorwürfe gegen Aondoakaa in den örtlichen Medien auf. "Damit sollte Druck auf ihn ausgeübt werden dahingehend, dass er die Anklage fallen lässt", heißt es in der Nachricht aus der nigerianischen US-Botschaft nach Washington. Liggeri ließ in dem Treffen erkennen, dass sein Unternehmen über weiteres Material verfüge, um Aondoakaa gefügig zu machen.
Und siehe: Nur wenige Wochen später kam es zur Beilegung der Klage. Der von Wikileaks veröffentlichte Bericht beweist nicht, dass Pfizer mit seiner Strategie Erfolg hatte, den Staatsanwalt unter Druck zu setzen. In der nigerianischen Presse allerdings gibt es schon seit einigen Monaten Berichte über angebliche Geheimabsprachen zwischen Aondoakaa und dem Pharmaunternehmen.
Der Staatsanwalt und Pfizer weisen solche Vorwürfe weit von sich. Über die Modalitäten der Klagebeilegung haben Pfizer und die nigerianischen Behörden Stillschweigen vereinbart…
In einem Kommentar zu dem Bericht schreibt einer der US-Diplomaten: "Pfizers Image in Nigeria wurde durch diese Angelegenheit beschädigt. Pfizers Management betrachtet Nigeria als einen wichtigen Wachstumsmarkt für seine Produkte." Den Fall nun abgeschlossen zu haben, werde dem Unternehmen helfen, sein Image wieder zu verbessern.
Ein erster Versuch an Kindern
Während der Meningitis-Epidemie behandelten Pfizers Ärzte 200 Kinder im Alter von drei Monaten bis 18 Jahren. Die Hälfte von ihnen bekam Trovan, ein schon damals umstrittenes Antibiotikum aus dem Hause Pfizer. Den anderen Kindern gaben die Ärzte das erprobte und anerkannte Standardmedikament eines Konkurrenten – jedoch angeblich in einer viel zu niedrigen Dosis. So sollte die bessere Wirkung von Trovan bewiesen werden.
Nie zuvor war Trovan an Kindern erprobt worden. Heute darf das starke Antibiotikum wegen des Verdachts auf Leberschädigung in Pfizers Heimat nur noch in Notfällen an Erwachsene verabreicht werden, in Europa ist es seit 1999 verboten. Fünf der mit Trovan behandelten Kinder starben während der Behandlung, in der anderen Gruppe waren es sechs. Pfizer betrachtete das als ein gutes Resultat…«
Assange, Überbringer der Nachricht
Pfizer wird mit Wohlwollen den aktuellen Umgang mit Julian Assange, dem Gründer von Wikileaks, beobachten. Hier eine Kurzfassung aus Wikipedia:
»Auf alle Anklagepunkte der US-Anklageschrift steht eine Maximalstrafe von 175 Jahren Haft, schlimmstenfalls sogar die Todesstrafe.
Auch nach Verbüßung der fünfzigwöchigen Haftstrafe (wegen des Verstoßes gegen Kautionsauflagen) im September 2019 muss Assange wegen des Auslieferungsantrages der Vereinigten Staaten in Haft bleiben. Der Auslieferungsprozess wurde vom Mai auf September 2020 verschoben. Vierzig Menschenrechtsorganisationen forderten die britische Regierung auf, Assange unverzüglich freizulassen und dessen Auslieferung an die USA zu verhindern…
Anfang Februar 2020 stellten der Investigativjournalist Günter Wallraff, die ehemaligen Bundesminister Sigmar Gabriel und Gerhart Baum sowie die Bundestagsabgeordnete Sevim Dağdelen in der Bundespressekonferenz in Berlin den Appell Julian Assange aus der Haft entlassen (Wallraff-Appell, weil von ihm initiiert) vor. Auch der Publizist Navid Kermani und die ehemalige Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin sind Teil der Initiative.[264][265][266][267] Dem vorangegangen war ein breiter, von 130 Persönlichkeiten aus der deutschen Politik, Wissenschaft und Kultur unterzeichneter Appell, darunter zehn ehemalige Minister, an Großbritannien: „Wir unterstützen die Forderung des Sonderberichterstatters der Vereinten Nationen zum Thema Folter, Nils Melzer, nach einer umgehenden Freilassung von Julian Assange, aus medizinischen sowie aus rechtsstaatlichen Gründen“ – der ganzseitig in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienen war.[268] Der Forderung schlossen sich auch vier Verbände, der Deutsche Journalisten-Verband, die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union in Verdi, Reporter ohne Grenzen und das gemeinnützige Whistleblower-Netzwerk[269] an.[270] Gabriel erklärte, die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens sei – offenbar aus politischen Gründen – nicht gewährleistet. Wallraff ergänzte, es gehe nicht nur um Assange selbst, sondern um die Verteidigung der Meinungs- und Pressefreiheit. Wenn Journalisten und Whistleblower befürchten müssten, die Aufdeckung staatlicher Verbrechen mit „Einkerkerung“ oder ihrem Leben zu bezahlen, sei die „Vierte Gewalt“ und damit die Demokratie in Gefahr.[271][272][273] Der Wallraff-Appell kann von jedem Menschen unterzeichnet werden. Über 43.000 (Stand: 15. September 2020) haben das bereits getan.«