social distancing in dieser Form Unsinn?

Der "Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen" ist ein Beratungsgremium des Gesundheitsministeriums.

Zwei ehe­ma­li­ge Mitglieder des Gremiums haben mit ande­ren Fachleuten ein Papier ver­faßt, das gänz­lich ande­re Vorschläge zum Umgang mit Corona vor­legt als die gegen­wär­tig prak­ti­zier­ten. Wie alle Beiträge die­ser Art wer­den sie von der Bundsregierung schlicht igno­riert. Das Papier kann hier ein­ge­se­hen werden.

Berichte dazu hier und hier.

Sie schla­gen vor, "social distan­cing" auf gefähr­de­te Zielgruppen zu konzentrieren:

"These 2: Die all­ge­mei­nen Präventionsmaßnahmen (z.B. social distan­cing) sind theo­re­tisch schlecht abge­si­chert, ihre Wirksamkeit ist beschränkt und zudem para­dox (je wirk­sa­mer, desto grö­ßer ist die Gefahr einer „zwei­ten Welle“) und sie sind hin­sicht­lich ihrer Kollateralschäden nicht effi­zi­ent. Analog zu ande­ren Epidemien (z.B. HIV) müssen sie daher ergänzt und all­mäh­lich ersetzt wer­den durch Zielgruppen-ori­en­tier­te Maßnahmen, die sich auf die vier Risikogruppen hohes Alter, Multimorbidität, insti­tu­tio­nel­ler Kontakt und Zugehörigkeit zu einem loka­len Cluster beziehen.

Diese vier Risikofaktoren sind von­ein­an­der abhän­gig: wäh­rend betag­te Personen ohne Multimorbidität kaum ein erhöh­tes Risiko haben, steigt ihr Risiko mit zuneh­men­der Multimorbidität rapi­de an, erhöht sich wei­ter bei Kontakt zu Krankenversorgungsund/ der Pflegeeinrichtungen und „explo­diert“ gera­de­zu bei Auftreten spon­tan ent­ste­hen­der loka­ler Herde. Für die Fortentwicklung der Präventionsstrategien sind u.a.
fol­gen­de Empfehlungen zu geben:

      • Ergänzung der all­ge­mei­nen Präventionsmaßnahmen (Eindämmung, con­tain­ment) durch spe­zi­fi­sche Präventionskonzepte,
      • Entwicklung eines ein­fa­chen Risikoscores auf der Basis der o.g. vier
        Risikokonstellationen, das auf Einzelpersonen und Personengruppen anwend­bar ist,
      • Trennung der Betreuungs- und Behandlungsprozesse der Infizierten bzw. Nicht-Infizierten im insti­tu­tio­nel­len Rahmen (Entwicklung von Vorgaben), und
      • zen­tra­le Etablierung einer Hochrisiko-Task Force, die auf spon­tan ent­ste­hen­de Herde (Cluster) reagie­ren kann."

"These 3: Entstehung und Bekämpfung einer Pandemie sind in gesell­schaft­li­che Prozesse ein­ge­bet­tet. Die der­zei­tig ange­wand­te all­ge­mei­ne Präventionsstrategie (par­ti­el­ler shut­down) kann anfangs in einer unübersichtlichen Situation das rich­ti­ge Mittel gewe­sen sein, birgt aber die Gefahr, die sozia­le Ungleichheit und ande­re Konflikte zu ver­stär­ken. Es besteht wei­ter­hin das Risiko eines Konfliktes mit den
nor­ma­ti­ven und juri­sti­schen Grundlagen der Gesellschaft. Demokratische Grundsätze und Bürgerrechte dürfen nicht gegen Gesundheit aus­ge­spielt wer­den. Die Einbeziehung von Experten aus Wissenschaft und Praxis muss in einer Breite erfol­gen, die einer sol­chen Entwicklung entgegenwirkt.

Obwohl Solidarität und Verbundenheit ein­ge­for­dert wird, ist davon aus­zu­ge­hen, dass die SARS-CoV‑2/Covid-19-Pandemie und die bis­he­ri­gen all­ge­mei­nen Präventionsmaßnahmen auf gesell­schaft­li­che Prozesse ein­wir­ken und bestehen­de Konfliktlinien ver­tie­fen. In erster Linie trifft dies auf die Problematik der sozia­len Ungleichheit zu, denn allein die Bevölkerungs-bezo­ge­nen Maßnahmen tref­fen Personen
mit nied­ri­gem Einkommen und Selbstständige deut­lich stär­ker als Personen mit grö­ße­rem finan­zi­el­len Spielraum. In zwei­ter Linie wird die der­zei­ti­ge Legitimationskrise des demo­kra­ti­schen Systems ver­schärft, denn erneut wird die Alternativlosigkeit des exe­ku­ti­ven Handelns dem demo­kra­ti­schen Diskurs gegenübergestellt (z.B. Reduktion der
par­la­men­ta­ri­schen Kontrolle)…

[Es] besteht die Gefahr, dass unter Verweis auf den unaufschiebbaren
Handlungsbedarf auto­ri­tä­re Elemente des Staatsverständnisses aus Ländern mit tota­li­tä­ren Gesellschaftssystemen in das deut­sche Staats- und Rechtssystem übernommen wer­den (z.B. indi­vi­du­el­le Handyortung). Es muss klar­ge­stellt wer­den und klar­ge­stellt blei­ben, dass es kei­nen trade-off zwi­schen der demo­kra­ti­schen Verfasstheit und den Bürgerrechten auf der einen Seite und den Anforderungen der
Seuchenbekämpfung auf der ande­ren Seite geben darf. Insbesondere dürfen die nor­ma­ti­ven Grundlagen des Rechtsstaates nicht rela­ti­viert werden."

(Hervorhebungen nicht im Original)

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