"Teile des deutschen Journalismus haben in der Corona-Krise eine Wagenburg ums Kanzleramt gebildet"

Das meint am 5.1. der Autor eines Arti­kels auf welt​.de mit dem Titel "Die Regie­rungs­spre­cher".

»Tei­le des deut­schen Jour­na­lis­mus haben in der Coro­na-Kri­se eine Wagen­burg ums Kanz­ler­amt gebil­det. Sie sehen ihre Auf­ga­be dar­in, die Sta­te­gie der Regie­rung zu ver­tei­di­gen, und rich­ten ihre Kri­tik statt­des­sen auf die „unver­nünf­ti­gen“ Bür­ger. Über eine gefähr­li­che Ent­wick­lung.«

Die­se Kri­tik wird in dem Bei­trag bezo­gen auf die (hoch­ge­jazz­te?) Debat­te um das ver­meint­li­che Ver­sa­gen der Bun­des­re­gie­rung bei der Impfstoff­beschaffung. Sie läßt sich jedoch auch auf ande­re Bereich anwenden:

»Man muss sich die­ses Sze­na­rio noch ein­mal modell­haft ver­ge­gen­wär­ti­gen, um es in sei­ner scho­ckie­ren­den Dras­tik zu erken­nen: Da gibt es Jour­na­lis­ten, die durch eine Recher­che auf­de­cken, dass in einem für jeden Bür­ger die­ses Lan­des fol­gen­rei­chen Ablauf schwe­re Feh­ler gemacht wur­den – und dann kom­men ande­re Jour­na­lis­ten, die ihre Auf­ga­be dar­in sehen, die­se Feh­ler her­un­ter­zu­spie­len, die Alter­na­tiv­lo­sig­keit einer Stra­te­gie, bei der „nicht alles opti­mal“ war, nach­zu­wei­sen („die Alter­na­ti­ven waren schlech­ter“) und sich gegen­sei­tig mit kin­di­schen Klatsch-Emo­jis und digi­ta­len Bit­te-bit­te-Appel­len noch in ihrer PR-Kam­pa­gne für die Bun­des­re­gie­rung zu unterstützen.

Die einen decken etwas auf, die ande­ren schüt­ten es wie­der zu. Wis­sen sie nicht, dass das selbst dann nicht ihre jour­na­lis­ti­sche Auf­ga­be wäre, wenn die Bun­des­re­gie­rung in der Kri­sen­po­li­tik – und es gibt wenig Anlass, das anzu­neh­men – wirk­lich alles rich­tig gemacht hät­te? Mer­ken sie nicht, wie sie beim ver­zwei­fel­ten Ver­such, das aus Grün­den ange­knacks­te Ver­trau­en in die Poli­tik zu ret­ten, das Ver­trau­en in den Jour­na­lis­mus nach­hal­tig beschä­di­gen? Ist ihnen nicht bewusst, dass sie dabei ein Mei­nungs­kon­glo­me­rat aus Poli­tik und Medi­en erzeu­gen, das jeden Kri­ti­ker der „Sys­tem­me­di­en“ in sei­nen kru­des­ten Fan­ta­sien bestätigt?..

Die Haupt­stadt­me­di­en schirm­ten die Coro­na-Poli­tik der Bun­des­re­gie­rung gegen Angrif­fe von Drit­ten ab, sie stell­ten die aus­ge­ge­be­nen Marsch­rou­ten in Form von Leit­ar­ti­keln an ihre Leser durch und rich­te­ten ihre brach­lie­gen­de kri­ti­sche Ener­gie ein­fach auf die „unver­nünf­ti­gen“ Bür­ger, die regel­mä­ßig dafür gegei­ßelt wur­den, sich nicht so zu ver­hal­ten, wie sich das die Coro­na-Stra­te­gen und ihre media­len Dol­met­scher wünschten.

Dort unten, an den Sub­jek­ten des Regie­rungs­han­delns, konn­te sich der „kri­ti­sche“ Jour­na­lis­mus dann doch noch aus­to­ben, da wur­de von den Medi­en ein „Skan­dal“ nach dem ande­ren auf­ge­deckt – ob es nun die fei­ern­den Jugend­li­chen im Park waren, die Urlaubs­rei­sen­den im Som­mer und Herbst, die gestress­ten Last-Minu­te-Weih­nachts­ein­käu­fer oder jetzt eben die Fami­li­en, die sich einen Hang zum Schlit­ten­fah­ren suchen…

Das media­le Inter­es­se an Län­dern, die auf den Lock­down ver­zich­ten, ist immer nur dann groß, wenn man dort den tota­len Zusam­men­bruch pro­gnos­ti­zie­ren kann – wenn er aus­bleibt, wie der­zeit in der Schweiz, lässt die Auf­merk­sam­keit nach, obgleich doch dort wie in einem Labor zu beob­ach­ten wäre, ob die Still­le­gung der gesam­ten Gesell­schaft wirk­lich so alter­na­tiv­los ist…

Doch die fra­gen­den Stim­men ver­hall­ten in jener gro­ßen Kathe­dra­le der Angst, die in der Kri­se von Poli­tik und Medi­en gemein­sam errich­tet wur­de – und die der Kri­tik schon dadurch den Sta­tus der Häre­sie zuwies, dass die Kri­ti­ker der Maß­nah­men in einer gro­tes­ken Täter-Opfer-Umkehr immer wie­der für das Übel der Pan­de­mie ver­ant­wort­lich gemacht wurden.

Schon die Wör­ter „Kri­tik“, „Kri­ti­ker“ und „Skep­ti­ker“ wur­den in der Kri­se mit nega­ti­vem Bei­klang auf­ge­la­den. Dass der Jour­na­lis­mus mit die­ser Umwer­tung der auf­klä­re­ri­schen Wer­te sei­nen eige­nen Wesens­kern beschä­digt, kann man dar­an sehen, dass immer mehr Leser ins Dun­kel­feld der „alter­na­ti­ven“ Medi­en abwan­dern, um sich jene Per­spek­ti­ven, die ihnen der Main­stream als ver­nünf­ti­ge Opti­on ver­wei­gert, in ange­schärf­ter Form bei „Tichys Ein­blick“ oder „Reit­schus­ter“, „Epoch Times“ oder „Ken­FM“ abzuholen.

Die Verlorenen

Die­ses auf­ge­ge­be­ne Publi­kum, das oft ein libe­ra­les und urde­mo­kra­ti­sches Welt­bild mit­bringt, die libe­ra­le Demo­kra­tie in der Kri­se aber nicht mehr wie­der­erkennt, wird nicht ein­fach zurück­kom­men, wenn die Imp­fung läuft. Es bleibt für unser poli­ti­sches und media­les „Sys­tem“, das in sei­ner Ein­zig­ar­tig­keit unbe­dingt schüt­zens- und bewah­rens­wert ist, auf Dau­er verloren…

Der Poli­tik­wis­sen­schaft­ler Her­fried Mün­k­ler mag Ange­la Mer­kel im „Tages­spie­gel“ im Stil eines wil­hel­mi­ni­schen Hof­his­to­ri­kers schon jetzt beschei­ni­gen, dass „von ihr eine gan­ze Men­ge blei­ben“ wird, Anne Wills Talk­show mag sich als Tri­bu­nal ver­ste­hen, das Kri­ti­ker von Mer­kels Coro­na-Stra­te­gie mit freund­li­cher Unter­stüt­zung von Anna­le­na Baer­bock und Karl Lau­ter­bach aburteilt.

Aber einen Gefal­len tut der Kanz­le­rin damit weder der eine noch die ande­re. Unser Sys­tem – das ist die von den Popu­lis­ten ver­kann­te Wahr­heit – basiert näm­lich seit der Auf­klä­rung auf dem kri­ti­schen Ver­hält­nis von Poli­tik und Öffent­lich­keit. Eine Sym­bio­se zer­stört es.«

11 Antworten auf „"Teile des deutschen Journalismus haben in der Corona-Krise eine Wagenburg ums Kanzleramt gebildet"“

  1. Der Autor ist aber auch nicht der Hellste:

    "… immer mehr Leser ins Dun­kel­feld der „alter­na­ti­ven“ Medi­en abwandern .."

    Die sog. Alter­na­ti­ven Medi­en sind frei zugäng­lich, und in der Regel gibt es Kom­men­tar­spal­ten, die jeder mit­le­sen kann. Oft kann man sogar sel­ber schrei­ben, ohne zu bezah­len – im Gegen­satz zur Dunk­len Sei­te des Jour­na­lis­mus, die sich hin­ter Bezahl­schran­ken verbarrikadiert.

    "[Sie blei­ben] für unser poli­ti­sches und media­les „Sys­tem“, das in sei­ner Ein­zig­ar­tig­keit unbe­dingt schüt­zens- und bewah­rens­wert ist, auf Dau­er verloren… "

    Die "ein­zig­ar­ti­gen" Jour­na­lis­ten des Sprin­ger-Ver­lags möch­ten also geschützt wer­den. Vor wem eigentlich?

    Ansons­ten sagt er klu­ge Din­ge, aber wohl eher aus Angst um die eige­nen Pfründe …

  2. Aller­dings. "Ein­fach zurück­kom­men" wer­de ich nicht. Ent­we­der die Gesell­schaft kehrt auf den Boden der Auf­klä­rung zurück, oder sie kann mich. Habe vor­hin C. Lind­ner im Radio gehört: Er merkt, dass der Libe­ra­lis­mus am Pfahl steht und man die­sem die Augen­bin­de umlegt, meint aber trotz­dem, es gäbe die FDGO irgend­wie noch.

  3. Für mich bricht eine Medi­en­land­schaft zusam­men. Ich als treu­er Deutsch­land­funk-Hörer, der auch mal gern den Spie­gel las, Will und Tages­the­men sah. Das gehör­te für mich zu Deutsch­land, zur demo­kra­ti­schen Infor­ma­ti­on. Das war. Wir machen es neu und ohne Staat und stin­ken­des Geld von Groß­fi­nanz und Co. , das sind wir Demo­kra­ten uns schul­dig. Gerne.

  4. Das Stell­ver­tre­ter Phä­no­men scheint mir sowie­so noch unterbelichtet.

    Bei der sog. Auf­stel­lungs­ar­beit, aber auch im Vodoo oder Umban­da etc., kommt dies zur Gel­tung, wird aber mei­nes Ermes­sens nicht in der Gene­ra­li­tät des Auf­tre­tens erkannt, also dass es ('wie das Spie­geln im NLP z.B.') ein Vor­gang ist, der stän­dig sowie­so abläuft.

    Man kann aber, so mei­ne ich, einer­seits sehen, wie sich in Orga­ni­sa­tio­nen wie Ban­ken, Steu­er­be­ra­tung, Unter­neh­mens­be­ra­tung etc. die Vor­gän­ge in den Regie­run­gen und Behör­den etc. 'spie­geln'.

    Auch ist das Phä­no­men brei­ter ersicht­lich mei­nes Ermes­sens, wie hier bei Jour­na­lis­ten ange­spro­chen, dass Berufs­trä­ger ger­ne als Stell­ver­tre­ter der Staats­macht auf­tre­ten, vom Zoll­be­am­ten, Poli­zis­ten, Rechts­an­walt, Steu­er­be­ra­ter etc. – wo man dann sagt 'Moment mal, Sie soll­ten mich ver­tre­ten oder schüt­zen, nicht sich als rech­ter Arm des Staa­tes dar­stel­len oder tat­säch­lich als lin­ker Arm agieren'.

    Ver­glei­che auch eine Bedeu­tung von Mas­ken, ggf. im Unter­be­wusst­sein der Gesell­schaft ver­an­kert: die Mas­ke ist ein Sym­bol, dass man selbst die gesellschaftliche/staatliche Macht reprä­sen­tiert – mei­ne Les­art: man gibt dem klei­nen Mann die Illu­si­on als Stell­ver­tre­ter der Macht. Vgl. Joseph Camp­bell, im Video Minu­ten 1:27–2:02 oder nur Erklä­rung 1:52–2:02: https://​www​.you​tube​.com/​w​a​t​c​h​?​v​=​a​G​x​4​I​l​p​p​SgU

  5. Weil ich gera­de zufäl­lig drauf gestos­sen bin, a pro­pos Regierung:

    Es kann natür­lich anstel­le von Stell­ver­tre­tun­gen auch zu Ver­wechs­lun­gen kom­men. Ist das die fran­zö­si­sche oder die deut­sche Regierung?

    100-Jäh­ri­ge dach­te es sei die 'Regie­rung der fran­zö­si­schen Regie­rung' und spricht Frau Dr. Mer­kel mit 'Mme Macron' an…'Ich bin nicht die…nee…ich bin…äh…na, ich bin die Kanz­le­rin von Deutschland'…

    https://​www​.you​tube​.com/​w​a​t​c​h​?​v​=​D​L​u​P​P​m​8​U​uNM

  6. Was meint der Autor wohl mit der "Ein­zig­ar­tig­keit unse­res poli­ti­schen und media­len Sys­tems"? Man muss schon ein aus­ge­spro­che­ner Nost­al­gi­ker sein, wenn man meint, in der BRD habe es zu irgend einem Zeit­punkt nach 1945 eine voll­kom­men staats­un­ab­hän­gi­ge Medi­en­land­schaft gege­ben. Was es gab, waren Nischen für staats‑, regie­rungs- und gesell­schafts­kri­ti­schen Jour­na­lis­mus. In dem Maß, wie die­se Nischen aus­trock­ne­ten und ver­schwan­den, wan­der­ten die Jour­na­lis­ten, aus deren Rei­hen sich nor­ma­ler­wei­se der Nach­wuchs für die­se Nischen rekru­tiert hät­te, in die elek­tro­ni­schen Alter­na­tiv­me­di­en ab. Bei rubi­kon, ach­gut oder Reit­schus­ter fin­den sich vie­le Bei­trä­ge, die man sich auch im SPIEGEL oder Stern vor­stel­len könn­te, wenn es die­se Maga­zi­ne in ihrer ursprüng­li­chen Gestalt noch gäbe und sie nicht zu arm­se­li­gen Zerr­bil­dern ihres eins­ti­gen Selbst­ver­ständ­nis­ses als Hoch­bur­gen jour­na­lis­ti­scher Diver­si­tät dege­ne­riert wären. An der heu­ti­gen deut­schen (Mainstream)-Medienlandschaft kann ich nichts Schüt­zens­wer­tes mehr erkennen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.