In einem ersten Beitrag war zu erfahren, daß das Institut, mit dem Christian Drosten berühmt wurde, seine „Bernhard-Nocht-Medaille“ an Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen in Anerkennung hervorragender Leistungen auf dem Gebiet der Tropenmedizin verleiht. Link zum BNITM
Zu dieser Ehrenriege gehört eine ganze Reihe übelster Nationalsozialisten. Der Namensgeber hatte keine Bedenken, daß die Nazis das heutige Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin 1942 mit seinem Namen beehrten. (vgl. Das Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin und seine Nazi-Vergangenheit).
Auch wenn die Pressestelle heute die Verharmlosung der NS-Tradition so bewertet:
»Dies ist sicherlich nicht beabsichtigt. Wir werden Ihre Anfrage im Vorstandskreis diskutieren und wieder auf Sie zurückkommen.«
soll hier der nächste Teil der unglaublichen Tradition gezeigt werden.
Walter Kikuth
»(* 21. Dezember 1896 in Riga; † 5. Juli 1968 in Düsseldorf) war ein deutsch-baltischer Tropenmediziner bei der Bayer AG…
Während des Deutsch-Sowjetischen Krieges nahm er am 23. Juli 1942 an einem Treffen in der Landesheilanstalt Arnsdorf teil. Dort wurde die Infizierung von Patienten mit Malaria vorbesprochen. Ein von ihm im Tierversuch erprobtes Mittel gegen Fleckfieber wurde ab Januar 1943 in der von Erwin Ding-Schuler geleiteten Fleckfieberversuchsabteilung des Hygiene-Instituts der Waffen-SS im KZ Buchenwald an Häftlingen erprobt.
Nach dem Krieg wurde er 1946 kommissarischer Leiter des Düsseldorfer Hygiene-Instituts und 1948 o. Professor für Hygiene und Mikrobiologie… Er war an der Neugründung der Deutschen Tropenmedizinischen Gesellschaft und der Gesellschaft für Allergie- und Immunitätsforschung beteiligt.«
Die Ausführungen von Wikipedia müssen ergänzt werden.
Bayer mit Menschenversuchen an Häftlingen und Zwangsarbeitern dabei
Als Abteilungsleiter bei Bayer (IG-Farben) in Wuppertal-Elberfeld war er beteiligt an Menschen-Versuchen zur Chemotherapie des Fleckfiebers. Der Leiter des Tropeninstituts Mühlens hatte sich freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet und im besetzten Warschau eine Fleckfieberforschungstelle errichtet. Auftraggeber für die folgende Forschungsreihe war Prof. Walter Menk, auch er Absolvent des Tropeninstituts und nun, ebenfalls als Kriegsfreiwilliger, Leiter der Hygienisch-Bakteriologischen Untersuchungsstelle. Link auch zu Folgendem
»Nahezu 100 verschiedene therapeutische Mittel wurden in Warschauer Krankenhäusern, vor allem im jüdischen Czyste-Krankenhaus, an Menschen erprobt. Lediglich ein einziges Präparat verursachte einen schwächeren Krankheitsverlauf – und das nur minimal. Angeregt wurden die Versuche auf der einen Seite durch die ausländische Literatur, auf der anderen Seite durch die IG Farben, die in Wuppertal-Elberfeld in ihrem Chemotherapeutischen Institut seit längerem Sulfonamide und deren Ableger herstellten. Diese Chemotherapeutika hatten sich bei einigen anderen Krankheiten bewährt. Bei Fleckfieber versagten sie vollständig.«
Menk beschönigt die Ergebnisse; zurückhaltender reagiert Bayer Wuppertal:
»Zwar drückte sich Gerhard Domagk, der Leiter der chemotherapeutischen Abteilung der IG Farben in Wuppertal-Elberfeld, etwas vorsichtiger aus: "Bei Fleckfieber fehlen noch ausreichende Erfahrungen, um sicher urteilen zu können"; aber auch er verschleierte die absolute Unbrauchbarkeit sämtlicher durch ihn und seinen Kollegen Walter Kikuth entwickelten Sulfonamide bei der Behandlung von Fleckfieber. Obwohl die Unwirksamkeit in der Fachliteratur z.T. sehr deutlich wurde versuchten immer wieder Ärzte, an KZ-Häftlingen, Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern und ‑innen diese Chemothera-peutika gegen Fleckfieber einzusetzen. Bei vielen blieb der Glaube an die Wunder der Chemie ungebrochen: "Die im Osten endemische Seuche des Fleckfiebers hat somit für die deutschen Ärzte auch für die Heilmittelherstellung eine Fülle neuer Forschungsaufgaben mit sich gebracht. (…) Jene Arbeiten [haben] eine besondere Bedeutung, deren Ziel darin besteht, die an Fleckfieber erkrankten Menschen mit Hilfe eines Arzneimittels, d.h. chemotherapeutisch zu heilen."
(Auch wenn heute nicht Juden oder andere Häftlinge als Versuchskaninchen mißbraucht werden: Der heutige Umgang der Bayer AG mit dem Wirkstoff Chloroquin scheint in einer sehr unrühmlichen Tradition zu stehen.)
Kirkuth ist auch Teilnehmer der wissenschaftlichen Arbeitstagung der Abteilung Gesundheitswesen in der Regierung des Generalgouvernements im Jahr 1941.
»Auf dieser Konferenz trafen sich fast hundert deutsche Ärzte, um über Seu-henbekämpfung in Polen zu diskutieren. Im Vordergrund stand die Bekämpfung des Fleckfiebers. "Es mehren sich in der letzten Zeit die Berichte, daß in vielen Fällen die Entlausungsmaßnahmen, besonders von der jüdischen Bevölkerung, umgangen werden." Referent Kudicke zumindest war bereit, darüber nachzudenken, ob man den Forderungen der jüdischen Ghettoärzte entgegenkommen könne und stellte zur Diskussion, "die Juden in einer anderen Form in den Arbeitsprozeß einzuspannen mit Hilfe der jüdischen Arbeitslager." Dabei war ihm bewußt, daß dies nur vor[r]übergehend sei, denn "ich schneide diese Dinge an, weil immerhin zu überlegen ist, wie lange wir die Juden hier noch haben müssen."…
Der Vorsitzende der Tagung und Leiter der Gesundheitsbehörden des Generalgouvernements Jost Walbaum zog Hungertod oder Erschießen vor, für seine "offenen" Äußerungen wurde er beklatscht. "Wir können aber nicht anders, wenn wir auch möchten. (…) Von einem anderen Standpunkt aus können wir diese Dinge nicht betrachten." Der Warschauer Distriktsleiter Arnold Lambrecht begründete seine Ablehnung der Vorschläge Kudickes und Hagens damit, daß Hilfe für die Juden "mit Rücksicht auf die charakterliche Eigenschaft der Juden, die eben immer wieder Leute bestechen werden, zum Scheitern verurteilt" sei. Und deshalb: "Man muß hier konsequent sein."«
In der Fachwelt war bekannt, daß sich Chemotherapie im Kampf gegen das Fleckfieber als unwirksam erwiesen hatte.
»Trotz dieser eindeutigen Ergebnisse wurden immer wieder neue Anläufe in Richtung Chemotherapie genommen. Besonders verheerend wirkten sich die Präparate aus, die in der IG-Abteilung Höchst von Carl-Ludwig Lautenschläger, Rudolf Fußgänger und Julius Weber und in Elberfeld von Walter Kikuth entwickelt worden waren. Nach ähnlichem Schema wie bei den Impfstoffversuchen (Infizierung, Behandlung und Kon-trolle) wurden Häftlinge des Konzentrationslagers Buchenwald in zwei Versuchsreihen traktiert. Zwar hatten sich die Präparate im Tierversuch nach Auffassung der Höchster Forscher bewährt, aber am Menschen blieben sie wirkungslos. Im Zusammenhang mit den beiden Therapieversuchsreihen und deren Vorversuchen, zuerst mit Akridin (auch Präparat 3582 genannt) aus Höchst und Methylenblau (Kikuth, Elberfeld) im Januar/Februar 1943 und dann mit Akridin-Granulat und Rutenol (beide Höchst), wurden insgesamt 167 Häftlinge künstlich infi-ziert, von denen der Großteil erkrankte und 27 starben; bei der Versuchsreihe mit Akridin-Granulat und Rutenol starben jeweils 8 von 15 Versuchspersonen.«
Bernhard Nocht ohne jede Distanz zu Nazis
Dazu war im oben genannten Beitrag schon zu lesen. Etwa vom Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Tropenmedizin und Internationale Gesundheit e.V. (DTG) 1940. Nach dem Rechenschaftsbericht des seinerzeitigen Vorsitzenden des damaligen Tropeninstituts (dem heutigen BNITM) Mühlens', der mit einem "Sieg Heil" auf den Führer begann und formulierte
»Es darf und kann in unseren Kolonien nur einen Arzttyp geben: den deutschen Kolonialarzt. Und den müssen wir jetzt formen. Dabei kommt es darauf an, daß er 1. bis auf die Knochen ein guter deutscher Nationalsozialist ist, 2. ein in jeder Hinsicht ausgebildeter Arzt sein muß, der jeden Posten einzunehmen und voll auszufüllen gewillt ist«
und nachdem oben erwähnter Walter Kikuth von der Bayer AG (IG Farben) die Bernhard Nocht-Medaille erhielt, führte Nocht selbst in einem Grundsatzreferat zu deutschen Eingeborenenhygiene aus:
»… daß eine ausgedehntere Besiedlung des tropischen Afrikas mit Deutschen nicht in Frage kommt und damit der Eingeborene zum wichtigsten Aktivum für die Entwicklung dieser Gebiete zu gelten hat.« Link
Das alles, wie im erwähnten Beitrag bereits benannt, im Rahmen eines Festaktes zum 40-jährigen Bestehen des Instituts mit Größen von NSDAP, Militär, Wirtschaft und Bürgertum.
»Die Buchausgabe der Verhandlungsberichte [der Tagung] erscheint unter dem Titel „Koloniale Gesundheitsführung in Afrika“ im August 1941. Reichsstatthalter Karl Kaufmann bedankt sich für die Übersendung eines Exemplars und fügt hinzu, er haben „an den auch im Kriege gezeigten vorbildlichen Leistungen der deutschen Tropenmedizin und Tropenhygiene … (seine) Freude gehabt.“« Link
Dieser Beitrag stützt sich wie die anderen, die sich mit der Geschichte des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin beschäftigen, im wesentlichen auf diese historischen Ausarbeitungen:
Thomas Werther: Fleckfieberforschung im Deutschen Reich 1914 – 1945. Untersuchungen zur Beziehung zwischen Wissenschaft, Industrie und Politik unter besonderer Berücksichtigung der IG Farben (Inauguraldissertation zur Erlangung des Grades eines Doktors der Philosophie dem Fachbereich Gesellschaftswissenschaften und Philosophie der Philipps-Universität Marburg, 2004)
Friedrich Hansen: Geschichte der DTG. Vom Kolonialismus zur Geomedizin, o. J. u. O.
Jürgen Knobloch: Die hundertjährige Geschichte der DTG von 1907 bis 2007, Herausgegeben vom Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Tropenmedizin und Internationale Gesundheit, Berlin, 2007
Siehe auch Übelste Gestalten Träger der Bernhard-Nocht-Medaille (Teil 1) und Übelste Gestalten Träger der Bernhard-Nocht-Medaille (Teil 3).