Sollte der Berliner Senat gehofft haben, sein Demonstrationsverbot würde die Menschen von der Reise nach Berlin abhalten, hat er sich gründlich geirrt. Vermutlich hat die juristische Schlappe eher noch mehr TeilnehmerInnen mobilisiert.
Auf der Strecke zwischen Brandenburger Tor bis weit hinter die Siegessäule, im Tiergarten und den Nebenstraßen versammelten sich deutlich mehr DemonstrantInnen als am 1.8.
Eine nachmittags erfolgte Auflösung der Demonstration (wegen Verstoßes gegen "Hygienemaßnahmen") führte lediglich dazu, daß die TeilnehmerInnen sich auf anderen Wegen zum Kundgebungsplatz begaben.
Dort gaben sich die Veranstalter alle Mühe, die vorgegebenen Mindestabstände zu organisieren.
Neben der Hauptveranstaltung von Querdenken gab es eine ganze Reihe Kundgebungen rechtsradikaler Organisationen. Mehrere Tausend Reichsbürger gaben sich ebenso klar zu erkennen wie die NPD und andere Nazi-Organisationen. Ihnen gelang es an einigen Stellen, Auseinandersetzungen mit der Polizei zu provozieren, während es ansonsten sehr friedlich blieb.
Bedenklich war, daß diese offen Rechtsradikalen sich problemlos in die Kundgebung von Querdenken einreihen konnten. Zwar gab es verbal eine Abgrenzung von "Rechts- und Linksradikalen", die aber völlig folgenlos blieb. "Linksradikale" gab es ohnehin nicht, zahllose Fahnen und Embleme von Reichsbürgern und anderen Rechten erschienen niemandem als Problem.
Schwerwiegender noch erscheint das politische Agieren von der Bühne. Mehrere Hauptredner bemühten auf der Veranstaltung für die Grundrechte die Erzählung der Reichsbürger von einer nicht vorhandenen Verfassung. Ohne diese Tradition zu benennen und unter Weglassung der skurrilen Aspekte der Bewegung, wurde mehrfach gefordert, das Grundgesetz durch eine Verfassung zu ersetzen. Diese solle durch eine Versammlung des Volkes erlassen werden, als deren Gründung man sich verstehe. Ein Redner putschte das Publikum auf mit dem erfolgreich aufgegriffenen Sprechchor "Wir bleiben hier!" – gemeint war, bis die neue Verfassung steht.
Dieser Größenwahn und das beängstigende Bejubeln schlichter populistischer Slogans durch große Teile der TeilnehmerInnen stellt einen merkwürdigen Gegensatz dar zur berechtigten Kritik an obrigkeitsstaatlichen Maßnahmen der Regierung.
Dies sind erste Eindrücke. Sie sollen nicht überschatten, daß die Veranstaltung vor allem eine bunte, vielfältige Demonstration dafür war, sich nicht bedingungslos den verordneten angeblich wissenschaftlichen Wahrheiten unterzuordnen.
So bleibt also ein gemischtes Gefühl. Deutlich wurde, daß der medial zur Schau getragene Konsens zu den "Corona-Maßnahmen" nicht existiert und die Maßnahmen zunehmend in Frage gestellt werden. Ob sich die Bewegung emanzipatorisch und aufklärerisch entwickelt oder sich rückwärts gewandte Richtungen durchsetzen, wird sich zeigen. Eine gut organisierte und klug agierende Rechte steht da nicht nur in den Startlöchern. Eine paralysierte und staatstreue Linke wird sich in diese Diskussion nicht einbringen können. Es wird Linken und Demokraten, die nicht den Rechtsradikalen das Feld überlassen wollen, nichts anderes übrig bleiben als der alte Spruch "Alles muß man selber machen".
Danke für diesen sachlichen Kommentar. So sollten Nachrichten aussehen. Genau die gleichen Beobachtungen habe ich gemacht, als ich mir die Demo im Livestream angesehen habe.
Auch, dass in den Mainstreammedien nur Negativbilder gezeigt wurden und nicht die Siegessäule wo die Menschen friedlich und mit Abstand versammelt waren. Ich persönlich fand es sehr schade, dass auch einige Rechte bei der Demo waren, aber auch die haben das Recht zu demonstrieren. Das muss eine Demokratie aushalten.
"Mein Herr, ich teile Ihre Meinung nicht, aber ich würde mein Leben dafür einsetzen, daß Sie sie äußern dürfen." Voltaire
Und noch einmal… Wie soll man sich anders distanzieren, als zu sagen, dass man nicht offen ist für Extremismus. Sollte man sie auffordern die Veranstaltung zu verlassen? Das wäre eine dumme Esakalation.
@FLS: Ich spreche nicht davon, was Leute denken, das ist ihr Ding und geht die Veranstalter nichts an. Wenn Menschen sich offen zu erkennen geben als UnterstützerInnen von rassistischen MörderInnen, dann sollte man sie in der Tat der Demo verweisen. Das haben die Veranstalter so auch von der Bühne verkündet, doch passiert ist es nicht. Im übrigen hielte ich es für klüger, seine Positionen so zu formulieren, daß Nazis wegbleiben. Etwa dadurch, daß man klar macht, die unantastbaren Grundrechte des GG gelten für alle hier Lebenden. Wer das nicht akzeptiert und Andersgläubige oder ‑aussehende davon ausnimmt, kann nicht zu uns gehören. Ich halte das für ein Minimum bei einer Demo zur Verteidigung der Grundrechte.
Mir gehen diesen Reichsflaggenträger ja auch auf die Nerven und richtig, Querdenken könnte sich deutlicher distanzieren. Aber wie gesagt, ich denke sie sind da vorsichtig, um nicht zu eskalieren.
Die Nazifraktion hat übrigens den Reichstag "gestürmt". https://www.youtube.com/watch?v=YoB7iX-TS2s&t=12s
In dem man sich klar und eindeutig positioniert und nicht die Reichflagge im Einladungs-Video wehen lässt. National-Konservative und Neoliberale haben natürlich Probleme, sich da klar zu positionieren. Da hilft auch kein Engelsgesichtlein und Love‑, Peace- und Freiheitsfassade.
Für dir Corona-Maßnahmen war gestern ein guter Tag.
Antiautoritäre, egalitäre und solidarische Grüße!
Auffordern könnte man ja. Nur, wer glaubt, die würden dann gehen? Würden Sie von einer Demonstration gehen wenn einer zu Ihnen sagt: "Ihre Nase, Ihre Gesinnung, Ihr Schild gefällt mir nicht. Bitte gehen Sie!"?
Eine Demonstration wird durch die erklärten Ziele definiert – und durch nichts sonst.
Würden Demonstrationen durch einzelne Teilnehmer definiert werden, könnten "Linke" jede "Rechte", "Rechte" jede "Linke", Staatstreue jede Staatskritische, White-Power-Aktivisten jede BLM-Demo sprengen – indem sie schlicht hingingen. Wie lächerlichist denn so ein Verständnis von Demonstrationen (nicht Ihres, bitte nicht missverstehen, ich meine das von denen in Politik und Medien, die so argumentieren).
Ich komme gerade von der Demo. Die Stimmung der Leute war phantastisch. Offenbar wurde aber durch die Polizeileitung versucht, Demonstrationszüge zu trennen, die eigentlich durch die Innenstadt ziehen sollten. So standen wir stundenlang zwischen Polizeisperren eingepfercht in der Friedichstraße. Mal lief Polizei auf, dann rückte sie wieder ab – abwechselnd mehrere Male – jeweils begleitet von „schließt euch an“ Rufen aus der Menge. In der entstandenen Enge waren die geforderten Sicherheitsabstände schlichtweg nicht einzuhalten und die polizeiliche Aufforderung Masken anzulegen, stieß auf Unverständniss und Empörung. Aber, trotz der Nervosität blieben die Zehntausenden ruhig bis ausgelassen heiter. Versammlungsteilnehmer waren mit der Polizei im Dialog. Gegen Nachmittag durften wir dann in Richtung 17.Juni zu den Bühnen ziehen.
In der Tat waren mehr Reichsflaggen als am 1.8. zu sehen. Man kennt das. Schon in der Vergangenheit nutzten Rechte ehrliche Proteste als Trittbrett. Eine solche Bühne können die sich allein nicht schaffen. Damit muss Querdenken lernen umzugehen. Völlig unverständlich ist indes die Senatsentscheidung, zeitgleich und in räumlicher Nähe der harten Rechten Versammlungen zu genehmigen. Was soll das? Der Aufzug der Ultrarechten war weder Gegendemo noch hatte sie irgendetwas mit der Friedensdemo zu tun. Wer nicht eben mal rüber zum Reichstag spazierte, oder vor der Russischen Botschaft verweilte, hatte davon auch kaum etwas bemerkt. Aber wem nützen diese Parallelvorstellungen?
Insgesamt war es eine bunte, friedliche und inspirierende Großdemo, die zahlenmäßig alles übertraf, was ich je erlebte. Das Jahr 2020 schreibt hier sicherlich Geschichte. Man muss den Veranstaltern danken. Es dürfte eine Herkulesaufgabe gewesen sein, fast aus dem Stand heraus solche Großveranstaltungen erfolgreich zu organisieren, dabei mit Richtern gegen den Senat zu verhandeln und organisatorisch vieles besser zu bewältigen als am 1.8.2020. Hut ab!
Ich kann die Beobachtungen bestätigen. Und doch bleibt ein ungutes Gefühl, ausgerechnet vor dem sowjetischen Mahnmal Figuren mit Reichsflaggen flanieren zu sehen – und alle finden das normal. Ja, die Veranstalter haben bestens organisiert und deeskaliert. Aber in dieser Frage geben sie keine gute Figur ab.
Ich fürchte, was Sie erwarten ist die Quadratur des Kreises. Es sollen Vielen kommen aber nur die Richtigen. Querdenken hat sich wieder & wieder von Extremisten distanziert. Meines Wissens sind auf den Hauptveranstaltungen auch keine in nennenswerter Anzahl zugegen gewesen. Den offenen Konflikt mit ein paar wenigen Verwirrten zu suchen, hätte auch nichts gebracht & nur vom eigentlichen Thema abgelenkt. Die Presse hätte trotzdem nur die kaputten gezeigt und nicht den Versuch diese loszuwerden. Querdenken hätte nicht gewinnen können. Diese Gefechte im Kleinklein wären aus meiner Sicht extrem unklug. Letztlich ist es legitim, wenn Links & Rechts gemeinsam für das Grundgesetz demonstrieren, solange die Teilnehmer auf dem Boden der Verfassung stehen. Das ist Demokratie.
"Sollte der Berliner Senat gehofft haben, sein Demonstrationsverbot würde die Menschen von der Reise nach Berlin abhalten, hat er sich gründlich geirrt."
Das glaube ich nicht. Es mag vielleicht ein paar Wenige annimiert haben, gerade deshalb zu fahren. Aber ich kann mir vorstellen, dass unterm Strich bis zu 1/3 weniger nach Berlin gekommen sind, als sonst, alos ohne das Gezeter und Gezerre.
Wer bitte, nimmt eine lange Fahrt auf sich, wenn er vermuten muss, sein Ziel garnicht zu erreichen, das was er machen will garnicht machen zu können.
Wie wirkt sich das für den Durchschnittsbürger aus, wenn er gar befürchten muss – und die Signale waren da – starker Restriktionen, ja vielleicht gar Polizeigewalt, Verhaftung, Wasserwerfer-Einsatz ausgesetzt zu werden?
Nicht jeder ist hartgesottener Demokratieverteidiger und kann das Motto "jetzt erst recht" jederzeit umsetzen.
Die " Rechts Radikalen " sind genau wie die AntiFA durchsetzt von Geheimdiensten . Die gehen dahin wo sie hingeschickt werden . Eine Lösung des Problems gibt es nicht bis die Geheimdienste entmachtet werden.
Es ist doch offensichtliches Kalkül, dass die politischen Strategien im Hintergrund (Demoverbote, Demogenehmigungen, Polizeistrategien, …) darauf ausgerichtet waren, die gewünschten Bilder zu erzeugen. Dazu gehört nicht nur, rechte Kundgebungen in räumlicher Nähe zu genehmigen, so dass eine Vermischung in den Bildern möglich ist, sondern sicher auch Provokateure zu schicken. Für den 01.08. ist das durch die Aktion von der Hayali klar belegt. Es gibt doch das idiotische Interview mit diesem jungen, langhaarigen, sicher studierten Reichsfahnenschwenker. Wo der herkam ist doch wohl eindeutig klar. Was haben die wohl in seiner "Antifa"-Gruppe alle zusammen gelacht …