Während die gängige Erzählung ist, nur Schwurbler, Esoteriker und Rechtsradikale planten für Mittwoch den Protest gegen das "Bevölkerungsschutzgesetz", ist in der Welt von einem "Schlag ins Gesicht der parlamentarischen Demokratie" zu lesen.
»Der Verfassungsrechtler Christoph Möllers kommentierte zu den Lockdowns im Frühjahr, „dass der massivste kollektive Grundrechtseingriff in der Geschichte der Bundesrepublik ohne angemessene gesetzliche Grundlage erfolgen kann, weil er in der Sache richtig ist, diese Einsicht könnte das Legalitätsverständnis in einer Weise erschüttern wie kaum ein Ereignis seit dem preußischen Verfassungskonflikt, als sich die monarchische Exekutive das Budgetrecht nahm und damit das Rechtsverständnis noch der Weimarer Republik nachhaltig prägte. Dies gilt umso mehr, wenn vom Parlament – anders als damals – kein ernsthafter Versuch unternommen wird, diesen Zustand zu korrigieren.“
Diesen Versuch unternimmt nun das Parlament am 18. November 2020. Aber ist es ein ernsthafter Versuch?
Nein. Was die Regierungskoalition hier vorstellt, ist eine Gesetzesfarce. Eine eilige Flickschusterei mit weitreichenden Folgen. Es ist ein Copy-and-paste der bisherigen Regulierungsfantasien in Gesetzesform und damit ein Schlag ins Gesicht der parlamentarischen Demokratie…
Die gesamte Konstruktion steht von Anfang an auf wackeligen Füßen. Und es bleibt bei dem Befund, den der Rechtswissenschaftler Thorsten Kingreen von der Universität Regensburg in einem Gutachten für den Bundestag stellte:
„Das rechtliche Problem besteht aber im Kern darin, dass die Feststellung der ‚epidemischen Notlage‘ ein verfassungsrechtlich hochgradig problematisches Ausnahmerecht auslöst und ihre dauerhafte Aufrechterhaltung den fatalen Anschein eines verfassungsrechtlich nicht vorgesehenen Ausnahmezustands setzt."
Hinter die Generalklausel des § 28 wird nun einfach zusätzlich ein neuer § 28a Abs. 1 IfSG eingeführt, mit einer nicht abschließenden Aufzählung von Zwangsmaßnahmen und Verboten, wie wir sie spätestens seit dem 1. November kennen und welche die Regierungsspitzen in einem informellen, intransparenten Verfahren unter Ausschluss der Öffentlichkeit beschlossen haben: die Untersagung und Beschränkung von Kultur‑, Freizeit‑, Sportveranstaltungen, die Schließung von Restaurants, sowie Übernachtungs‑, Ausgangs‑, Reise‑, Alkoholverbote und vieles mehr…
Das Grundgesetz setzt voraus, dass aus der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage „Inhalt, Zweck und Ausmaß“ der Rechtsverordnung erkennbar sein muss. Das Gesetz in der jetzigen Form ist eine Wundertüte. Eine Blankovollmacht für ein Verordnungsregime des Bundesgesundheitsministers. Je tiefer und breiter der Gesetzgeber in die Grundrechte eingreift, desto größer wird der Begründungsaufwand…
Dies sind nur einige Punkte, es gäbe weitaus mehr: die Frage nach der Einrichtung von Impfzentren, die Frage der starren Grenze der 50 Neuinfektionen (gemeint sind positive PCR-Tests) auf 100.000 Einwohner, nach unabhängigen Expertengremien, nach einer grundlegenden wissenschaftlichen Aufarbeitung der vielen, in sich widersprüchlichen Maßnahmen.
Die Politik verlangt Gehorsam, schafft es aber nicht einmal, ein in sich schlüssiges, auf breiter Basis stehendes und mit dem Grundgesetz konformes rechtliches Pandemie-Regime vorzustellen. Sogar der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages nennt einige Defizite und Vorbehalte.
Am Wochenende wurde daraufhin auch etwas nachgebessert. Auf eine Befristung der Maßnahmen konnte sich die Koalition offenbar einigen. Auch sollen die Länder die Maßnahmen besser begründen und einige Begriffe konkretisiert werden. Auf einen Parlamentsvorbehalt für bestimmte Maßnahmen konnte man sich jedoch wohl nicht einigen. Das hätte dem Bundestag die Möglichkeit gegeben, bestimmte Maßnahmen nachträglich zu genehmigen.
Das Gesetz wird gerade in Ausschüssen thematisiert, und es ist zu hören, dass nun vonseiten der Koalition kurzfristig noch mal zehn Seiten an Änderungen eingebracht werden. Wie Abgeordnete bei einer solchen Informationspolitik korrekt arbeiten sollen, ist ein Rätsel und gibt dem ganzen Verfahren den Anstrich von eiligem Dilettantismus. Ein Trauerspiel.
Insgesamt ist dies gerade die größte Prüfung, welche die parlamentarische Ordnung seit 1949 erlebt. Welten sterben nicht mit einem Knall, sondern mit einem Winseln, wusste der Schriftsteller T. S. Eliot. Wenn dieser Entwurf Gesetz wird, gibt sich die Institution Bundestag selbst auf, sie schaufelt sich ihr eigenes Grab.«
Das Original gibt es hier.
Aber man muß der WELT schon fast Dank dafür aussprechen, daß sie ab und an die Gegenseite zu Wort kommen läßt. Sonst macht das von den etablilerten Medien fast keines.
Das muß man so konstatieren, auch wenn zumindest ich immer etwas Bauchschmerzen dabei bekomme, wenn doch eher rechts/konservative Medien, wie auch Reitschuster oder Achgut durchaus handfeste grundlegende und faktenbasierte, vor allem erkenntnisreiche Beiträge veröffentlichen. Das beruht vor allem auf der Tatsache, dass im Zusammenhang mit dieser Corona-Angelegenheit die Erinnerung an die Substanz des bürgerlichen Staates wachgerufen wird, die im Sinne der Aufklärung einstmals erkämpften Rechte und Freiheiten. Mir scheint, es gibt eine gewisse Ähnlichkeit zur 1848er Revolution.
Die Welt bringt allerdings auch durchaus solche Fejknjus-Knaller wie diesen:
https://www.welt.de/regionales/sachsen/article222376566/Querdenken-Akteur-mit-Covid-19-auf-Intensivstation-beatmet.html
bei dem sich mein Bauchgefühl dann auch bestätigt hat:
https://de.rt.com/inland/110711-fake-news-oder-recherchepanne-medien/
Ein Paradebeispiel. Und aufschlussreiches über das Recherchieren für und Herstellen von regierungsaffiner Propaganda findet man auch hier:
https://de.rt.com/programme/derkommentar/110698-wenn-staatsfunk-gegen-staatssender-schimpft-ard-blamiert-sich-gegen-rt/
Und dass es immer noch möglich ist, alle bisherigen Maßnahmen und Forderungen nach weiteren Maßnahmen zu toppen ohne dabei schallend belacht zu werden, kommt nicht vom Postillon sondern von wem? Natürlich von "noisy brook" wie ich kürzlich lesen konnte:
https://www.focus.de/kultur/kino_tv/focus-fernsehclub/tv-kolumne-maybrit-illner-inzidenz-wunsch-dauer-warner-lauterbach-toppt-merkel-noch-bei-lockdown-ansage_id_12788010.html