In Klinik-Boß: "Nur jeder vierte tatsächlich mit dem Virus infiziert" war die Rede von einer Studie "Initiative Qualitätsmedizin (IQM)". Dankenswerterweise hat ein Leser einen Überblick der VerfasserInnen ausfindig gemacht. Darin wird ausgeführt:
»421 IQM Krankenhäuser ihre Daten des ersten Halbjahres 2020 für eine umfassende Analyse der Effekte der Pandemie auf die stationäre Versorgung freigegeben. Auch wenn die vollständige Analyse zur Publikation in einer internationalen wissenschaftlichen Zeitung eingereicht werden soll, berichten wir an dieser Stelle die wichtigsten Ergebnisse…
In dieser Zeit wurden 14.783 Fälle mit einer nachgewiesenen Corona-Infektion stationär behandelt. Der wöchentliche Verlauf der COVID-Krankenhausfälle ist gemeinsam mit dem Verlauf der Neuinfektionen für ganz Deutschland (https://www.ecdc.europa.eu/en/publications-data/download-todays-data-geographic-distribution-covid-19-cases-worldwide) der Abb. 1 zu entnehmen. In Summe wurden 7,6% aller in Deutschland positiv Gemeldeten und ca. 38% der stationären COVID-Fälle in den beteiligten Krankenhäusern behandelt…
Erstaunlicherweise fanden wir mit 46.919 eine viel höhere Zahl von stationären Patienten, die mit der Verdachtsdiagnose einer COVID-Erkrankung, allerdings ohne Nachweis der Infektion im Labor, behandelt wurden.
Überraschenderweise war die SARI-Fallzahl im ersten Halbjahr 2019 mit 221.841 Fällen höher als 2020 mit insgesamt 187.174 Fällen, obwohl darin auch die COVID bedingten SARI-Fälle mit eingeschlossen wurden. Die nicht mit COVID in Verbindung stehenden SARI-Fälle summieren sich auf 166.214; SARI U07.1 auf 11.132; SARI U07.2 auf 11.206. Es ist auffällig, dass bei mehr als 35.000 Patienten ein COVID-Verdacht (U07.2) kodiert wurde, ohne dass ein SARI vorlag…
Die Beobachtung, dass ca. dreimal mehr Fälle mit COVID-Verdacht als mit einer nachgewiesenen Infektion kodiert waren, ist absolut erstaunlich. Allerdings findet sich ein vergleichbares Verhältnis in den InEk Daten von Ende Mai für ganz Deutschland, wo neben den 34.916 U07.1 Fällen 111.769 U07.2 Fälle kodiert sind.
Natürlich könnte man annehmen, dass hierfür gerade am Anfang der Pandemie mangelnde Testkapazitäten verantwortlich waren, was aber nicht zum später auftretenden zeitlichen Verlauf der Verdachtsfälle passt. Die wahrscheinlichste Erklärung ist unseres Erachtens nach, dass in Anbetracht der medialen Präsenz des Themas und der damit einhergehenden Aufmerksamkeit Fälle mit passender Symptomatik selbst dann als COVID-Verdacht behandelt wurden, wenn die PCR negativ blieb. In der Literatur sind bis zu 30% falsch negativer PCR Befunde beschrieben, sodass dies eine Grundlage für diese Kodierung bieten mag. In der Summe resultierte hieraus allerdings eine nicht plausibel hohe Anzahl an Verdachtsfällen. Das zog möglicherweise einen nicht begründet hohen Aufwand für Schutzmaßnahmen in den Krankenhäusern nach sich, sofern diese Patienten mit denselben oder ähnlichen Maßnahmen behandelt wurden wie nachgewiesene COVID-Fälle. Gerade wenn die Fallzahlen wieder steigen, wäre hier eine national oder international standardisierte Strategie zur Bewertung der Tests von höchster Priorität, um möglicherweise unnötige Engpässe in der Versorgung oder auch bei Schutzmaterialien zu vermeiden. Es ist davon auszugehen, dass bei negativer PCR keine Ansteckungsgefahr besteht, sodass die negativ getesteten Krankenhauspatienten mit deutlich weniger Aufwand zu behandeln wären.«
SARI: Schwere Atemwegsinfektionen (Severe Acute Respiratory Infections)
“SARI U07.1” / “SARI U07.2”, wenn ein SARI Kode mit einem der COVID Kodes verbunden war;
“U07.1 / U07.2 no SARI”, wenn einer der COVID Kodes ohne einen SARI Kode verwendet wurde.
»Effekte der Pandemie auf andere Krankenhausfälle – Fallzahlen
Während der Phase des Lockdowns waren die Krankenhausbehandlungen um ca. 40% reduziert, was im Wesentlichen darauf zurückzuführen ist, dass zu der Zeit weitreichende Regularien das elektive Behandlungsangebot für Patienten bundesweit einschränkten. Auch nach Beendigung des Lockdowns bewegten sich die Fallzahlen nur langsam wieder aufwärts, sodass am Ende des ersten Halbjahres 2020 ca. 15% weniger Fälle im Krankenhaus behandelt wurden als zur selben Zeit im vergangenen Jahr.
Interessanterweise beobachteten wir für den Verlauf der Intensivaufenthalte und auch für die Anzahl der maschinell beatmeten Patienten keine Zunahme im Vergleich zu 2019. Im Gegenteil, die Anzahl von Intensivfällen war im Lockdown deutlich geringer und die Beatmungsfälle blieben weitgehend unverändert…
Während die Reduktion der elektiven Behandlungen das Ziel der Maßnahmen war, sollten weiterhin alle Notfälle behandelt und dringliche Behandlungen ungehindert fortgeführt werden. Dass allerdings die Pandemie auch deutliche Folgen für die Notfallversorgung hatte, soll am Beispiel der Herzerkrankungen gezeigt werden. Sowohl für den akuten Herzinfarkt als auch für die Herzinsuffizienz waren die Fallzahlen um 24% bzw. 35% während des Lockdowns erniedrigt. In der Phase danach waren die Zahlen für den Herzinfarkt wieder vergleichbar zu dem Niveau vorher, während für die Herzinsuffizienz die Fallzahlen weiterhin um 15% im wöchentlichen Durchschnitt erniedrigt blieben…
Schlussfolgerungen
Routinedaten bieten eine exzellente Basis zur Überwachung des Pandemiegeschehens in unseren Krankenhäusern. Wir schlagen dringend eine zeitnahe, auf den Abrechnungsdaten basierende Überwachung der Krankenhausfälle inklusive der Intensiv-und Beatmungsfälle vor, die gemeinsam mit den Zahlen zu den Infektionsraten eine umfassende Grundlage zur Steuerung der Pandemie geben.
Das Maximum der wöchentlichen COVID-Krankenhausfälle folgte dem Maximum der Neuinfizierten mit ca. einer Woche Abstand.
Es wurden im ersten Halbjahr 2020 drei Mal mehr COVID-Verdachtsfälle als nachgewiesene COVID-Fälle aufgenommen. Für die Schonung der Kapazitäten und notwendigen Schutzmaßnahmen muss ein Standard gelten, wie mit Patienten mit negativer PCR, aber typischen Symptomen umzugehen ist.
Im ersten Halbjahr 2020 wurden deutlich weniger Patienten im Krankenhaus behandelt als 2019. Auch die Gesamtzahl der SARI-Fälle, Intensivfälle und Beatmungsfälle war zu jedem Zeitpunkt geringer als 2019. Zu keinem Zeitpunkt war in den beteiligten Krankenhäusern ein Kapazitätsengpass messbar. Die Folgen der verminderten Krankenhausbehandlungen müssen genau und zeitnah analysiert werden, um auch anhand dieser Daten zu bilanzieren, welche Maßnahmen angemessen sind.
Diskussion vor dem Hintergrund der kürzlich publizierten Bundesstatistik der Sterbefälle
In Zusammenhang mit unseren Beobachtungen ist die Publikation der Sterbefälle für das Jahr 2020 (bis August) durch das Statistische Bundesamt interessant, die eine Analyse der sogenannten Übersterblichkeit ermöglicht, also den Vergleich der auftretenden Sterbefälle mit den erwarteten, die typischerweise aus einem Durchschnitt der Vorjahre berechnet werden (https://www.destatis.de/DE/Themen/Querschnitt/Corona/Gesellschaft/bevoelkerung-sterbefaelle.htm).
Hier zeigt sich, dass die Sterbefälle 2020 nur unwesentlich von dem Mittel der Sterbefälle der Jahre 2016–19 abweichen…«
https://www.helios-gesundheit.de/qualitaet/auslastung/
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21.12.20
Effekte der SARS-CoV‑2 Pandemie auf die stationäre Versorgung von Januar bis November 2020. Eine Analyse der §21 Routinedaten von 284 Kliniken der Initiative Qualitätsmedizin (IQM)
"In den ersten 11 Monaten des Jahres 2020 wurden insgesamt weniger Patienten im Krankenhaus behandelt als im Vergleichszeitraum 2019. Auch die Gesamtzahl der SARI-Fälle, Intensivfälle und Beatmungsfälle war im Untersuchungszeitraum nicht höher als 2019. Vor dem Hintergrund steigender Infektionszahlen wird hier die Analyse der Dezemberdaten von besonderem Interesse sein. Die Krankenhaussterblichkeit sowie auch die Sterblichkeit des SARI, der Intensiv- und Beatmungsfälle waren 2020 im Vergleich zu 2019 erhöht. Neben dem direkten Effekt der COVID-19-Infektion müssen die Folgen der verminderten Krankenhausbehandlungen zeitnah analysiert werden, um auch anhand dieser Daten zu bilanzieren, welche Maßnahmen angemessen sind."
25.11.20: "Stellungnahme zu der missbräuchlichen Verwendung der Analyse der Effekte der SARS-CoV‑2 Pandemie auf die stationäre Versorgung im ersten Halbjahr 2020
IQM distanziert sich von Behauptung: 'Die Analyse des Leistungsgeschehens in 421 IQM Mitgliedskrankenhäusern widerlegt eine COVID-19-Pandemie von nationaler Tragweite'
Am 26.10.2020 hat die Initiative Qualitätsmedizin e.V. eine Analyse der Effekte der SARS-CoV‑2 Pandemie auf die stationäre Versorgung im ersten Halbjahr 2020 unter Einbezug der §21 Routinedaten aus 421 Mitgliedskrankenhäusern veröffentlicht. … Die Analysen dienen ausschließlich der transparenten Aufbereitung und Unterstützung unserer Mitgliedskrankenhäuser während der Pandemie. Sie dienen ausdrücklich nicht der Verleugnung des zunehmenden Infektionsgeschehens von Covid-19. Dr. Francesco De Meo, Präsident des Vorstandes IQM, 25.11.2020"
Quelle: https://www.initiative-qualitaetsmedizin.de/
Wikipedia: "Fünfzehn Krankenhausträger haben sich 2008 zusammengeschlossen und die Initiative Qualitätsmedizin e. V. (IQM) gegründet. Zu den Gründungsinitiatoren gehören die Helios Kliniken GmbH, die Johanniter GmbH Gemeinnützige Gesellschaft für soziale Einrichtungen, die Medizinische Hochschule Hannover (MHH), die MTG Malteser Trägergesellschaft gGmbH, die SRH Kliniken GmbH, das Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden an der TU Dresden, die Vereinigung Berufsgenossenschaftlicher Kliniken, das Universitätsspital Basel und die Ärztekammer Berlin. Die Charité – Universitätsmedizin Berlin, die Damp Holding AG, die Gesundheit Nordhessen Holding AG, die Klinikum Saarbrücken gGmbH, die Klinikum St. Elisabeth Straubing GmbH und die Ludwig-Maximilians-Universität München sind 2009 als weitere Gründungsmitglieder hinzugekommen."