Der italienische Philosoph Giorgio Agamben hatte der "1. Konferenz der Anti-Lockdown-Linken am 27. März 2021" ein Grußwort zukommen lassen, das von der "Freien Linken" als Diskussionsbeitrag veröffentlich wurde, auch wenn es sich bei Agamben um keinen "dezidiert Linken" handelt. Es heißt dort:
»Das, was wir gerade erleben und bezeugen müssen, ist keine vorübergehende Krise, es ist vielmehr das Ende einer Politik wie einer Welt. Diese Politik ist diejenige, die fest verknüpft war mit den bürgerlichen Demokratien, ihren Verfassungen und Erklärungen der Rechte wie dem ökonomischen System, das mit ihnen verbunden war. Diese Welt war schon lange am Ende, wir wissen das, ohne daraus die Konsequenzen zu ziehen, die sich gleichwohl aufdrängten und darin liegt der Grund, dass der Gesundheitsterror uns unvorbereitet überrumpelt hat. Auch wenn wir aus taktischen Erwägungen die verfassungsmäßigen Freiheiten einfordern können, die man uns heute genommen hat, macht dies aus strategischer Sicht überhaupt keinen Sinn mehr.
Gerade weil es sich um das Ende einer Welt wie eines politischen Systems handelt, ist das, was die Regierungen an seiner statt installieren möchten kein neues politisches Paradigma, sondern lediglich die Form, die die alte Kultur beim Versuch annimmt, ihr eigenes Ende zu überleben…
Sie fragen mich nach der Rolle und Funktion einer kritischen Linken unter den gegenwärtigen Umständen. Es mag sein, dass „Rolle”, „Funktion” und selbst „Linke” noch im Vokabular der zu Ende gehenden Politik gefangen und nicht mehr die richtigen Begriffe sind. Allein, es gilt nicht über die Begriffe zu diskutieren. Es geht vielmehr darum, ganz einfach die Frage nach dem zu stellen, was wir können sowie danach, was wir nicht können.
In der sich zu Ende neigenden politischen Tradition war die Frage nach dem, was wir tun können paralysierend und steril, da sie nicht zwischen Wirkkraft [puissance/potentia] und Macht [pouvoir/potestas] unterschied. Vor allem geht es nicht darum, eine Wirkkraft, über die wir verfügen, zu verwirklichen, sondern darum, zu verstehen, dass jede echte Wirkkraft anarchisch ist, das heißt ohne Macht, und dass es nicht darum geht, sie in der Tat zu verwirklichen, da sie schon wirklich ist…
Derjenige, der glaubt über Handlungsmacht zu verfügen ist in Wirklichkeit ohnmächtig, da er nur vorab zugewiesene Vorschriften und Befehle ausführen kann; für denjenigen, der sich im Gegenteil ohne Macht über seine Wirkkraft weiß, kann etwas möglich werden, weil er sich der Kontingenz eines Ereignisses öffnet. Es liegt an euch in jeder gegebenen Situation zu verstehen, was das hinsichtlich des Aufgebots einer destituierenden Strategie impliziert.«
Ich bin gespannt auf die Diskussion und gebe reichlich hilflos zu, kaum zu begreifen, wo Agamben hin will.
Verständlicher für mich sind die Forderungen:
»Die Freie Linke zur Corona-Impfkampagne
Impfungen nur freiwillig!
Keine Form von Zwang,
keine digitale Kontrolle!..
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- Beendigung aller Versuche, Gesetze für einen direkten Impfzwang gegen das Coronavirus zu erlassen.
- Beendigung aller Bestrebungen, die Impfungen gegen das Coronavirus durch indirekte Zwänge und Taktiken des „Nudgings“ zu erreichen. Auch das ist keine Freiwilligkeit und keine akzeptable Art des Umgangs mit mündigen Menschen!
- Angemessene Sanktionen gegen Privatakteure, namentlich Fluglinien, Eventveranstalter und Geschäftsbetreiber, zu ergreifen, welche die Nutzung ihrer Dienstleistungen vom persönlichen Nachweis einer Corona-Impfung abhängig machen (indirekter Impfzwang durch Privathandeln).
- Angemessene Sanktionen gegen Arbeitgeber, die ihre Angestellten zur Impfung zwingen.
- Angemessene Sanktionen gegen alle Staaten, welche die Einreise von Menschen vom persönlichen Nachweis einer Corona-Impfung abhängig machen (indirekter Impfzwang durch Staatshandeln).
- Eindeutige Distanzierungen von allen Plänen, digitale Immunitäts- und Impfausweise, Gesundheitszertifikate und digitale Identitäten einzuführen. Gegen Think Tanks, NGOs, Stiftungen, die diese Pläne voranbringen wollen, fordern wir scharfe Sanktionen und Regelungen, die diesem Treiben dauerhaft ein Ende bereiten!
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Wir sprechen unsere ausdrückliche Solidarität aus mit allen Beschäftigten im Gesundheits‑, Pflege‑, Sozial- und Bildungsbereich, die sich jetzt und in Zukunft gegen eine Impfung mit den neuartigen, noch nicht langzeitgetesteten und in manchen Ländern bereits zurückgezogenen Impfstoffen entscheiden. Diese Menschen stehen unter einem besonders starken Druck, da ihnen von der Politik auch immer wieder ein direkter Impfzwang angedroht wird. Dadurch, dass sie „NEIN!“ sagen, verteidigen sie an vorderster Front unser aller Menschenrecht. Das gilt ebenso für alle Menschen, die sich für echten Datenschutz und die Wahrung von Grund- und Menschenrechten im digitalen Raum und gegen die drohende digitale Diktatur einsetzen! Dafür sind wir dankbar. Die Freie Linke steht an Ihrer Seite!
«
Mit den obigen Forderungen kann man sich im ggw. Parteiensystem eigentlich nur bei "DieBasis" wiederfinden.
Die anderen Parteien stellen den "Block des Alten" dar
Die Direkte gibt es auch noch.
Nur was will diebasis bewirken ? Ohne ein Bündnis mit den anderen kleinen Parteien , mit gleichen Zielen, werden die 5% nicht erreicht.
D.h. die Wahlen werden keine Veränderung bringen, sondern die Gesellschaft muss sich verändern in Eigenverantwortung und Selbstbestimmung .
Da sollte man anfangen sich was zu überlegen in welcher neuen Welt WIR leben wollen. Nicht abwarten bis der Bruch kommt, so ungewiss wann er kommt. Reformen sind nötig Stück für Stück.
Das Böse hat noch nie gesiegt , man sollte aber vorbereitet sein.
Agamben sprich von einer 'destituierenden' Strategie. Dass 'die Macht vom Volk ausgeht' meint am Beispiel der französischen Revolution, das zunächst die alte Staatsform abgeschafft (destituierend) und dann eine neu konstituiert wurde.
Wenn also hier ohnehin 'Auflösungserscheinungen' vorliegen, ginge es wohl nach Agamben nicht um die Wiederherstellung der Staaten wie wir sie kennen, nicht um die Fortführung.
Dabei deutet er wohl an, die offizielle Staatsform sei wohl eine Fassade gewesen und die politische Macht wolle auch ohne Fassade weitermachen.
Nur wäre dann die französische Revolution schon fehlgeschlagen und habe keine echte Machtablösung sowie keine echte Demokratie hervorgebracht.
Für mich wäre die erste Frage die nach den Werten für die man steht und die man vertritt und die jetzige Situation sehe ich in erster Linie als eine Krise und einen Verlust der Werte über alle Klassen.
Giorgio Agamben hat schon zu Beginn der Coronakrise (oder richtiger Coronatäuschung) einen hervorragenden Beitrag gemacht, der den Nagel auf den Kopf trifft:
https://d‑dean.medium.com/biosecurity-and-politics-giorgio-agamben-396f9ab3b6f4
Ihm war damals schon klar, dass es nicht um Infektionsschutz sondern Vereinzelung der Bevölkerung und einen kompletten Wechsel im paradigma der politischen Beteiligung des Einzelnen ging. Ebenfalls, dass diese "Kriese" nimals enden wird.
@aa:
"Es mag sein, dass „Rolle”, „Funktion” und selbst „Linke” noch im Vokabular der zu Ende gehenden Politik gefangen und nicht mehr die richtigen Begriffe sind."
Genau mein Reden. So lange die Menschen im alten Rechts-Links-Paradigma denken, kann sich nichts ändern. Es ist nur dazu geeignet die Bevölkerung zu spalten, damit sich kein Widerstand des Volkes gegen die Eliten formieren kann. Den gleichen Zweck haben Parteien grundsätzlich.
@Martin:
Nur so eine Idee, aber kann der Streit über diesen Begriff 'links' nicht auch Teil sein einer Anstrengung das gegewärtige parteipolitische Paradigma zu durchbrechen? Also in so einer Form von Neubewertung oder Neuverhandlung? Ich meine ich bin auch entsetzt darüber wie die Mainstream-Linke (wenn ich sie so nennen darf) Solidarität mit Moralismus verwechselt und aus der, wie ich empfinde, doch antiautoritär geprägten Tradition der Linken genau das Gegenteil macht. aa hat doch auch vor nicht allzulanger Zeit zu diesem Thema einen Beitrag gebracht, mit der Frage und Vorschlägen, welche Prinzipien (und die sind wichtiger als das Label) wir unter 'links' subsummieren wollen. Ich fände es schade das so einfach aus der Hand zu geben.
Die "freie Linke" muss ich wohl die ganze Zeit überhört haben, so "laut" haben die das alles gefordert! Wer sind die, Frau Wagenknecht?
Zu Agamben, der wie es ich verstehe, die Thesen vertritt, dass die Veränderungen längst im Gange sind und höhere Mächte bzw. Kräfte dafür verantwortlich sind, die wir nicht beherrschen können, also quasi Naturgesetze, (Weltwirtschafts)Zyklen, regelmäßige Umbrüche und Katastrophen wie die Weltkriege vor 80–100 Jahren und davor, wenn man so will.
Ähnliches habe ich bereits von Max Otte gehört.
Also, wir können nichts tun, alles Gegenstrampeln wird am Ende zu nichts führen. Man kann sich nur selbst auf die neuen Zeiten und die kommenden Veränderungen vorbereiten und sofern es möglich ist und man uns lässt, die neuen Zeiten mitgestalten in unserem Sinne. So verstehe ich den Text von Agamben in einigermaßen verständlichem Deutsch interpretiert, hoffe ich.
"The Winds of Change"
Danke für die Ehrlichkeit Herr A.A.
Ich schließe mich an und gebe auch zu bei Herrn Agamben, habe ich nur "Bahnhof" verstanden. (also nix)
Den weitergehenden Forderungen der FL würde ich mich sofort anschließen. Auch wenn dies in der derzeitigen Pandemiepanik kein Gehör finden wird. Es werden die momentan (hoffentlich temporär) die gegenteiligen Forderungen lauter und lauter.
Die derzeitigen "Impfungen" gegen Corona, so diese den Namen überhaupt tragen dürfen, dürfen niemals direkt oder indirekt "verpflichtend" werden. Die Vergleichbarkeit wäre eine Grippeimpfung. Wurde da auch schon laut über eine Pflicht nachgedacht?
btw. Wie passen die Forderungen der FL zu den mittlerweile staatstreuen Parolen der ANTIFA, welche bei keiner "Gegen"-Demo den Hinweis auslässt, wie wichtig das "Impfen" ist?
Um nur ein paar aufzuzählen: "Impfen ist Liebe", "Wir impfen euch alle".
Ich interpretiere Agamben so: Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die Globalisten und von ihnen durchsetzte demokratische Institutionen keine Rückkehr zur freiheitlich-demokratischen Konstitution innerhalb derselben möglich machen werden. D.h. wir können nicht auf Wahlen, Gerichtsentscheidungen, Leit-Medien, Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, soziale Marktwirtschaft etc. hoffen (auch wenn es strategisch Sinn macht dort zu agieren), sondern im Kern die selbstermächtigten Autoritäten durch Verweigerung der Gefolgschaft die Macht entziehen und das machen was wir für richtig halten (in all unserer Vielfalt). Dabei müssen wir uns nichts beweisen und auch kein Machtspiel eingehen.
genau so sehe ich das auch. Regionale Stärken ausbauen und Eigenverantwortung übernehmen.
Bzgl. "Grußwort": Das ist einfach das typisch speudointellektuelle Geschwafel wie ich es auch aus meine (ehemaligen) Umfeld kenne. Ich wünschte die betreffenden Personen (erschreckend viele) würden endlich mal einsehen, daß diese "Überlegenheitsduftmarke" absolut niemanden beeindruckt. Der halbwegs bewanderte Zuhörer/Leser denkt sich nur "Was für ein pathetischer Käse…" und der Rest schaltet bei der hochtrabenden Ansprache an den Pöbel sofort ab.
Dementsprechend wenig Zeit sollte man auf die Analyse verschwenden. Wenn der Schreiber daran interessiert wäre verstanden zu werden würde er sich verständlich ausdrücken. Aber einfach festzustellen, daß authoritäre Scheiße nunmal stinkt fehlt dann eben die Möglichkeit sich zu profilieren. Wirklich skuril wird es wenn sich dann die selben Leute hinstellen und voller Unverständnis beklagen, daß die Massen ihren ach so fortschrittlichen Ideen nicht folgen wollen…
…autoritäre…skurril..
Hier mal noch was anderes von der freien linken:
https://freie-linke.de/freier-funke/2021/03/offener-brief-an-boris-reitschuster-einen-alten-sozialdemokraten
Danke, sehr interessante und lesenswerte Wortmeldung. Es gibt wie es scheint, doch noch Personen, welche aus dem derzeitigem Einheitsbrei positiv herausstechen.
Die Übersetzung von potestas mit "Macht" erscheint mir gelinde gesagt irreführend. Genau genommen handelt es sich dabei nämlich um Herrschaft, genauer noch um gewaltsame Herrschaft oder Herrschaftsgewalt.
Das sieht man schon daran, dass im auf Francis Bacon zurückgehenden Diktum "knowledge is power" – das im Kontext des Novum Organum auf das Wissen um Kausalzusammenhänge verweist – im lateinischen Original von potentia und nicht von potestas die Rede ist.
Und seit Max Weber sollte es doch eigentlich selbstverständlich sein, zwischen Macht – dem Vermögen, seinen Willen durchzusetzen – und Herrschaft – einem Verhältnis von Befehl und Gehorsam – zu unterscheiden. Macht kann, muss aber nicht "anarchisch" sein, während Herrschaft zwingend "archisch" ist.
Danke, Übersetzung ist revidiert, der Übersetzer war zu sehr in Gedanken bei Spinoza.
Herzlichen Dank auch an Herrn Aschmoneit für die Erwähnung auf diesem äußert verdienstvollem Blog.
Red. Freier Funke
Ich bin gespannt auf die Diskussion und gebe reichlich hilflos zu, kaum zu begreifen, wo Agamben hin will.….
Ich gebe Ihnen Recht. Und wenn der Autor sagt, dass es nicht darum geht Begriffe zu klären, finde ich, dass dies in diesem Text ein besonders Manko darstellt. Freilich wie Hegel schon bemerkte, ist die Arbeit am Begriff ein schwieriges Unterfangen aber unerlässlich, wenn der Gegenstand begriffen werden soll. Insofern wäre die Arbeit am Begriff genau das, was eigentlich jetzt wichtig wäre. Oder anders gesagt, es ist das was fehlt. Aber auch die Eule der Minerva beginnt erst in der Dunkelheit ihren Flug, was ja auch bedeutet, dass nur der voll ausgebildete Zustand einer Zeit die wahre Begriffsbestimmung einer Epoche erlaubt. Von daher, wenn Agamben sagt es ist ein Ende einer Welt, sollte er schon sagen von welcher Welt er spricht, d.h. welcher Zustand sich dem Ende neigt. Wobei ich ihm in der Sache zustimme.
@Emil: Er sagt in einer nervtötend pompösen Art, daß "jetzt" der Zeitpunkt ist mit etwas völlig neuem zu beginnen weil eine Rückkehr zu den Vorabzuständen angeblich unmöglich ist. Das ist zu einem großen Teil der exakte Grund waren ein beträchtlicher Teil des linken Lagers seit einen Jahr still hält: Die Hoffnung in der allgemeinen Zerstörung einen generellen Umbruch durchdrücken zu können. Ob die hier geäußerte Einschätzung akkurat oder einfach nur selbstnützig und in sich fahrlässig spaltend/demotivierend ist darf jeder für selbst beurteilen.
@C
So ganz verstehe ich nun Ihren Kommentar nicht. Ich gebe Ihnen recht, dass Agambens sich schwer tut, die gegenwärtige Situation in Worte zu fassen, geschweige denn auf den Begriff zu bringen. Aber wer kann das schon?
Sie sagen : „“ weil eine Rückkehr zu den Vorabzuständen angeblich unmöglich ist. Das ist zu einem großen Teil der exakte Grund waren ein beträchtlicher Teil des linken Lagers seit einen Jahr still hält: Die Hoffnung in der allgemeinen Zerstörung einen generellen Umbruch durchdrücken zu können.“
Meine Frage an Sie: Die Rückkehr zu dem davor ist nicht möglich. Aber warum ist das der exakte Grund warum die Linke stillhält? Verstehe ich nicht.
und weiter…
Wer hat die Hoffnung aufgrund allgemeiner Zerstörung einen generellen Umbruch durchzuführen?
Über die Richtigkeit der Aussage Agambens kann man vielleicht geteilter Meinung sein, aber was bedeutet „“ selbstnützlichkeit“ in diesem Zusammenhang? Das erschließt sich mir nicht.
Und warum empfinden Sie die Aussagen als „“ in sich fahrlässig spaltend/demotivierend„? Verstehe ich auch nicht.
Ich denke auch, dass Intellektuellenschelte nicht die richtige Form der Kritik sein kann, eingedenk der Tatsache, dass es tatsächlich auf fundamentaler Ebene zu einer gewaltigen Verschiebung der Verhältnisse kommt— was in der Begriffslosigkeit Agambens gut zum Ausdruck kommt. Von daher bedarf es umso mehr die Analyse/ Kritik des Vergangenen und zwar deshalb um sicherzustellen, dass die Vergangenheit eben nicht in nur veränderter Form zur neuen Zukunft wird.
Vielleicht finden Sie das auch zu geschwurbelt, trotzdem finde ich es wichtig, dass man sich gesellschaftstheoretisch mit der Gegenwart auseinandersetzt. Es gibt niemals eine Stunde Null, man muss das Vergangene begreifen, um dem Verein freier Menschen näher zu kommen.
@joki
Ich finde, wenn man etwas sagen will, dann sollte das in einfacher verständlicher Sprache sein. Alles was so geschrieben ist wie der Text von Agamben ist intellektuelles Geschwurbel und das könnte er auch lassen. Ich habe auch so etwas ähnliches verstanden wie der/die Kommentator/In Joki, deren Ausdrucksweise mir viel mehr gefällt und dessen Interpretation ich auch inhaltlich teile.
Danke Joki!
Gut, die "Freie Linke" äußert sich explizit zur Corona-Impfkampagne – vielleicht deshalb fehlt mir hier der wichtigste Punkt:
– Beendigung des Generalverdachts gegen Gesunde als "Ansteckungsverdächtige"
Man könnte einfacher fordern:
Zurück zum Infektionsschutzgesetz!
(wie bis Anfang März 2020 gültig)
Nicht genau passend, aber sehr anschaulich wie es wohl dystopisch weitergeht:
https://twitter.com/goddeketal/status/1379491593435054083/photo/1
Ich verstehe Angamben so:
Macht verlangt Institutionen um sie durchzusetzen. Die gleichen Institutionen schränken jedoch die Durchsetzung von Macht durch Verfahrenswege so ein, dass letztendlich nichts wirklich durchgesetzt werden kann.
Wirkmacht ist jedoch dem Grunde nach anarchistisch: wenn alle die Maske absetzen, kann keine Macht das verhindern.
Insofern kann sich Veränderung nur mehr ausserhalb der Macht durchsetzen, da die Macht selbst nur mehr den Status Quo (bis zum endgültigen Zusammenbruch) erhalten kann.
Ob Agamben unsauber/unscharf denkt oder ob es an der Übersetzung liegt weiß ich nicht. Aber „potentia“ ist keine "Wirkkraft"sondern ist das Vermögen, etwas Bestimmtes tun zu können – wenn man es denn wollte oder anfinge es zu tun. Bis zur genauen Beschreibung dieser potentia ist diese nur eine Leerformel. Und potestas (Macht) kann auch bewirken nichts zu tun, die Dinge so laufen zu lassen.
Was solch ein Text in diesem konkreten Kontext soll weiß ich aber wirklich nicht.
@Emil
"Die Rückkehr zu dem davor ist nicht möglich."
Das stimmt schon. Ich wollte auch nicht unbedingt den Umkehrschluß nahelegen. Grundsätzlich ist das auch rein technisch gar nicht möglich. Die im Original verwendete – wie ich finde doch recht absolute – Form würde ich es allerdings zumindest als diskutabel bezeichnen.
"Aber warum ist das der exakte Grund warum die Linke stillhält?"
Das ist eine gute Frage. So wirklich 100% den Finger darauf legen kann ich auch nicht. Es ist einfach der – zugegeben stark verkürzte – Eindruck der sich letztes Jahr bei mir ergeben hat. Eine diffuse Mischung aus Zufriedenheit über das geglaubte Straucheln des Kapitalismus, der seltsamen Annahme die Bedrängnis der "Notlage" würde bei der Masse eine Art Lernprozess in Gang setzen der die Grundlage für eine linke Umstrukturierung der Gesellschaft bilden würde und einem völligen Tunnelblick in Bezug auf Nebeneffekte. In das Bild passt meiner Meinung nach auch recht gut die Pervertierung des Solidaritätsbegriffs und ähnliche Stilblüten die man letztes Jahr bewundern durfte.
Wie es im größeren Maßstab zu einer derartigen Fehlentwicklung kommen konnte ist dann allerdings nochmal eine ganz andere Frage… Eine Theorie meinerseits wäre, daß über die letzten Jahre eine Art Wandel stattgefunden hat. Rückblickend betrachtet gab es durchaus Situationen bei denen ich mir heute wünschen würde vielleicht etwas kritischer gewesen zu sein.
"Und warum empfinden Sie die Aussagen als „“ in sich fahrlässig spaltend/demotivierend„? Verstehe ich auch nicht."
Nun, wie bereits weiter oben möchte ich das nicht per se unterstellen. Wenn die Aussage allerdings in den genannten Kontext des "Lernprozesses" setzt stellt sich die Frage ob die behauptete Aussichtslosigkeit nicht unter Umständen darauf abziehlt Versuche zur "Umkehr" zu demoralisieren. Ob dies nun realistisch ist oder nicht völlig außen vor es wird definitiv für einige Menschen der Antrieb sein sich zu organisieren und die Möglichkeit vorab auszuschließen halte ich demnach für fragwürdig. Mag sein, daß ich dem Verfasser unrecht tue. Ich bin mistrauisch und wahrscheinlich auch ein bischen bitter geworden…
"Ich denke auch, dass Intellektuellenschelte nicht die richtige Form der Kritik sein kann, eingedenk der Tatsache, dass es tatsächlich auf fundamentaler Ebene zu einer gewaltigen Verschiebung der Verhältnisse kommt— was in der Begriffslosigkeit Agambens gut zum Ausdruck kommt."
Ich muss zugeben aus dieser Perspektive habe ich das noch nicht betrachtet.
"Vielleicht finden Sie das auch zu geschwurbelt, trotzdem finde ich es wichtig, dass man sich gesellschaftstheoretisch mit der Gegenwart auseinandersetzt."
Absolut nicht. Ich lehne es ja nicht grundsätzlich ab sich Gedanken zu machen und die dürfen gerne auch mal etwas komplexer als "1 + 1 = 2" sein. Man muss nur ab und zu schauen, daß man ein bischen auf dem Boden bleibt.
Zu glauben, dass eine Partei etwas an unserer Situation ändern würde erscheint mir geschichtlich gesehen naiv. Agamben stellt aber dies insofern zur Diskussion als er uns auffordert uns zu Fragen was wir können und was wir nicht können. Geschichtlich scheint es aus meiner Sicht offensichtlich, dass wir nicht mit Parteien eine linke Perspektive durchsetzen können. Agamben spricht die Wirkkraft an und stellt sie der Macht gegenüber. Die Linke hat oft die Machtfrage als Orientierung ihres Handels gesetzt und versucht die Macht zu ergreifen und dabei oft sich Korrumpieren lassen oder einfach festgestellt, dass nicht in der Politik die Macht liegt und um nicht auf die gewonnen Pfründe zu verzichten sich damit abgefunden. Die Wirkkraft ist aber uns allen bereits gegeben in der Form wie wir unser Leben gestalten und es im Widerstand gegenüber das System orientieren. So verstehe ich Agamben und so verstehen es immer mehr Menschen, weshalb die Parteienpolitik ihre Glaubwürdigkeit verliert. Heute gilt es in der Parteienpolitik lediglich zu schauen, dass nicht die radikale Rechte die Macht ergreift. Jedoch unterscheidet sich die Parteipolitik der Linken, Bürgerlichen oder Rechten kaum mehr voneinander und dienen nur noch den Konzernen. Wir müssen aufhören an repräsentative Demokratien zu glauben. Die Verantwortung ist nicht abzugeben. Sie muss von jeden einzelnen übernommen werden. In Bezug auf die Politik sollten Konzepte erarbeiten, welche die Menschen bemächtigt und die Regierenden und durch die Wirtschaft herrschenden entmachten. Sowie in der Vergangenheit die Kirche vom Staat getrennt wurde, gilt es heute die Wirtschaft vom Staat zu trennen. Nicht das Individuum soll total kontrolliert und Transparent sein sondern die Wirtschaft und die Parlamentspolitik. Schon allein diese Idee stellt die aktuellen Regelungen in Politik und Wirtschaft auf den Kopf.
Also, der Kampf zur Wiedererlangung bürgerlicher Freiheitsrechte ist verständlich, aber sinnlos weil das gegenwärtige Gesellschaftssystem am Ende ist?
So in etwa, als würden die Sklaven im Sklavenhalterstaat für bessere Mahlzeiten oder einen halben freien Tag in der Woche kämpfen? Soweit komme ich mit, der Rest ist mir auch zu hoch.
Ich sehe keine Alternative zu einer Art neuer Aufklärung die von außerhalb der staatlichen bzw. konzernabhängigen Strukturen kommen muss und die die Menschen aus ihrer Massenmedienhypnose aufwecken kann.
Vor einem Jahr habe ich nach "Schwurbel"stimmen im Netz gesucht. Über die NZZ bin ich auf Agamben gestoßen. Ich habe einige Texte aus dem Italienischen von der Seite quodlibet.it übersetzt. Ich habe zu dieser Zeit niemand sonst gefunden der so klare Worte gefunden hat.
Es wird keine Gruppe, keine/n Führer/in und keine bisherige Ideologie sein, die uns aus der Krise führt.
Eine Rückkehr zur "Normalität" wird es nicht geben. Entweder die Regierenden ziehen die Agenda der Pharma/IT … durch oder aber das Volk stimmt mit den Füßen ab. Boykottiert Masken, Impfen, Testen wo und wie immer es geht. Das ist Selbsermächtigung mit entsprechender Wirkmacht. So verstehe ich ihn.
Was dann kommen wird, wissen wir nicht. Wir müssen daher uns selbst und auch möglichst vielen im realen Umfeld vertrauen.
Die Interpretation von @ak finde ich sehr treffend.
In der NZZ hat Hans Ulrich Gumbrecht auch eine sehr positive Rezension über das Buch "An welchem Punkt stehen wir? Die Epidemie als Politik" von Giorgio Agamben veröffentlicht:
".……Der Mensch im Ausnahmezustand
Dass die einst ersehnte Rückkehr zur Normalität ausgeschlossen sei, begründete er mit der These von der vermeintlichen Virusgefahr als einer globalen Bewegung, hinter der sich ein sozialer und existenzieller Strukturwandel vollziehe. .….….….….….….…..
Als Folge des wiederholten Rekurses auf den Ausnahmezustand ist darüber hinaus auch die Grenze zwischen Demokratie und Diktatur durchlässiger geworden. Selbst eine Regierung, die von Phasen unter Ausnahmebedingungen immer wieder zur legalen Normalität zurückkehrt, wird sich an eine Machtausübung ohne Begrenzungen gewöhnen. Da Agamben als Norm auf eine Gesellschaft setzt, deren Kohärenz sich nicht in Gruppenidentitäten, sondern in der Freiheit zur Individualität erfüllen soll, beginnt das politisch-ethische Problem für ihn allerdings schon bei der blossen Unterscheidung verschiedener Typen von Bürgern, nicht erst bei ihrer vom Staat im Ausnahmezustand verhängten Reduktion auf «nacktes Leben»."