Niemand kann bestreiten, daß es auf den Berliner Querdenker-Demos Reichsfahnen zu sehen gab, daß bekannte Neonazis und AfD-Funktionäre nicht unwillkommene TeilnehmerInnen waren.
Was also bewegte die Bundestagsfraktion der Partei "Die Linke", eine Anfrage zu diesem Thema zu stellen und sie ausgerechnet von Seehofers Innenministerium beantworten zu lassen? Der Rechtsaußen der Bundesregierung, der noch jede rechtsradikale Unterwanderung von Behörden in seinem Ressort leugnet, soll Auskunft geben über eine rechtsradikale Unterwanderung der Querdenker?
Das war nicht nur töricht, sondern eine Steilvorlage für die Rechten.
Warum greift die Fraktion dafür auf Berichte der bürgerlichen Presse zurück, die die Vermutungen höchst unzulänglich belegen (es gibt weitaus schlagendere Beweise für rechte TeilnehmerInnen) oder falsch sind ("Berliner Zeitung" zu Angriffen auf PressevertreterInnen, die mindestens im Fall Dunja Hayali nicht stattgefunden haben – siehe Medien in der Blase)?
Die Fraktion stellt diese Fragen:
Wie viele rechtsextrem Aufzüge?
»1. Wie viele von rechtsextremen oder rechtsextrem beeinflussten Gruppierungen oder als rechtsextrem bekannten Personen organisierte Aufzüge, die sich gegen die staatlichen Corona-Eindämmungsmaßnahmen richteten, fanden nach Kenntnis der Bundesregierung seit Beginn der CoronaKrise im März 2020 statt (bitte jeweils Ort und Zeitpunkt, Teilnehmerzahl und Veranstalter angeben sowie benennen, ob der Aufzug angemeldet war oder nicht)?«
Vom Verfassungsschutz (!) stammen die Antworten. Zwar werden die am besten wissen, wo ihre Leute waren, aber kann das für "Die Linke" eine glaubwürdige Quelle sein? Laut VS gab es 92 Demonstrationen in 37 Orten. 60 davon hatten eine TeilnehmerInnenzahl von unter 100. Die Stellungnahme datiert vom 2.9.
Eigentor Nummer 1
»2. An wie vielen und welchen nicht von rechtsextremen Personen oder Vereinigungen organisierten Aufzügen gegen die staatlichen Corona-Eindämmungsmaßnahmen seit März 2020 beteiligten sich welche rechtsextremen Kräfte in welcher Stärke (bitte jeweils Ort und Zeitpunkt, Teilnehmerzahl und Veranstalter angeben sowie benennen, ob der Aufzug angemeldet war oder nicht)?«
Erwartungsgemäß lügt der Verfassungsschutz:
»Versammlungen und Personen, für die keine hinreichenden Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen vorliegen, unterfallen nicht dem gesetzlichen Beobachtungsauftrag des BfV. Insofern liegen der Bundesregierung daher keine Erkenntnisse im Sinne der Fragestellung vor.…
Es liegen der Bundesregierung allerdings Hinweise vor, dass sich Personen aus dem rechtsextremistischen Spektrum an von nichtextremistischen Organisationen veranstalteten Kundgebungen gegen die Corona-Beschränkungsmaßnahmen beteiligt haben. Dies erfolgte jedoch, bezogen auf die Gesamtzahl der Teilnehmer, in geringem Umfang. Eine maßgebliche Beeinflussung oder Prägung dieser Veranstaltungen war nicht gegeben.«
Ein klares und zu erwartendes Eigentor für "Die Linke". Welche Antwort hätte sie später bekommen auf die Frage "Welche V‑Leute waren beim 'Sturm auf die Reichstagstreppen' eingesetzt"?
Eigentor Nummer 2
»3. Welchen generellen Einfluss üben rechtsextreme und rechtsextrem beeinflusste Kräfte, Vereinigungen, Medien und Einzelakteurinnen und Einzelakteure sowie das Reichsbürger-Spektrum nach Kenntnis der Bundesregierung auf die Szene der sogenannten Corona-Rebellen bzw. der Kritikerinnen und Kritiker der staatlichen Pandemie-Eindämmungsmaßnahmen aus?«
Auch das ist eine Vorlage für Seehofers Inlandsgeheimdienst:
»Durch die Organisation bzw. die Teilnahme an Veranstaltungen gegen die staatlichen Pandemie-Eindämmungsmaßnahmen versuchen Rechtsextremisten, die in Teilen der Bevölkerung mittlerweile vorhandene Skepsis angesichts der Einschränkungen des öffentlichen Lebens für sich zu nutzen. So nehmen Szeneakteure die Pandemie zum Anlass, die Bundesregierung zu kritisieren, verschwörungstheoretische Inhalte zu verbreiten, und nutzten beispielsweise die Situation an der griechisch-türkischen Grenze dazu, jegliche Aufnahme von geflüchteten Menschen in Notsituationen abzulehnen. In diesem Zusammenhang findet eine fremdenfeindlich motivierte Abwertung von Migranten statt. Die CoronaKrise wird von Teilen rechtsextremistischer Parteien ferner genutzt, um sich als Helfer sozial schwächerer deutscher Bürger (ohne Migrationshintergrund) zu profilieren.
Ein prägender Einfluss auf die Kritiker der staatlichen Pandemie-Eindämmungsmaßnahmen oder deren Demonstrationen konnte nicht festgestellt werden.
Auch die im Nachgang zu derartigen Kundgebungen zu beobachtenden Versuche, diese Versammlungen propagandistisch für sich zu vereinnahmen, fanden keine erkennbare Resonanz. Insofern resultierte aus den Kundgebungen für die rechtsextremistische Szene bislang keine nennenswerte Anschlussfähigkeit an demokratische Kundgebungsteilnehmer.«
Verfassungsschutz differenzierter
Die Antworten auf weitere Fragen lassen den Verfassungsschutz in makaberer Weise differenzierter erscheinen als die Auskunft Suchenden:
»Analog zur gesamtgesellschaftlichen Debatte über den Umgang mit Covid-19 und geeigneten Maßnahmen zur Vermeidung neuer Ansteckungen haben Rechtsextremisten die auf der Grundlage des Infektionsschutzgesetzes erlassenen staatlichen Beschränkungsmaßnahmen als Agitationsthema aufgegriffen.
Sie behaupten, die Maßnahmen zielten darauf ab, der Bevölkerung in Deutschland elementare Grundrechte, insbesondere die Meinungs- und Versammlungsfreiheit, zu entziehen und damit einem autokratisch geprägten Regierungssystem Vorschub zu leisten. Anders als demokratische Akteure, die teilweise ähnliche Befürchtungen aussprechen, geht es Rechtsextremisten jedoch nicht um die
Wahrung der Rechtsstaatlichkeit oder eine sachliche Debatte über den geeigneten Weg heraus aus der Krise, sondern um die Delegitimierung staatlichen Handelns und demokratischer Institutionen…
Rechtsextremistische Parteien, wie "DIE RECHTE", "Der III. Weg" oder auch die NPD sind weiterhin vor allem darum bemüht, die durch die CoronaPandemie entstandene gesellschaftliche Notlage zu nutzen, um sich als "Kümmerparteien" und "Helfer" zu profilieren. So weitet die NPD im Rahmen der Corona-Pandemie ihre "Solidaritätsaktionen" aus. Im Fokus soll die Hilfestellung für besonders gefährdete Bevölkerungsgruppen stehen. Im Rahmen von Kritik am Krisenmanagement der Bundesregierung bemängelt die NPD vermeintlich zu spät geschlossene Grenzen, wodurch sich das Virus schneller habe ausbreiten können. ..
Anhänger und ehemalige Funktionäre des "Flügel" nahmen in den vergangenen Wochen an Veranstaltungen gegen die Corona-Beschränkungen teil und äußerten sich besonders im Internet und den sozialen Medien negativ zu den Beschränkungen.
Funktionäre und Gliederungen der "Jungen Alternative" nahmen ebenfalls an entsprechenden Veranstaltungen teil und äußerten sich gleichfalls negativ über die staatlichen Beschränkungsmaßnahmen.
Die Szene der "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" nutzt die Pandemie zur Verbreitung von Verschwörungstheorien. Überwiegend wird die Pandemie als Inszenierung begriffen, mit der weitergehende Ziele verfolgt würden… «
Für die Demonstration am 29.8. erklärt der VS, diesmal zutreffend:
»Die Größenordnung und mediale Präsenz der Veranstaltung am 1. August 2020 in Berlin [haben] Rechtsextremisten erneut motiviert, durch eine stärkere Werbung zur Teilnahme an der für den 29. August 2020 angemeldeten Folgeveranstaltung den Versuch zu unternehmen, auf diese Weise öffentliche Aufmerksamkeit zu erhalten und zumindest den Anschein einer Anschlussfähigkeit an die nichtextremistische Protestbewegung zu erzeugen. So waren die Mobilisierungsaufrufe im Vorfeld der Kundgebung in Berlin am 29. August 2020 breiter und intensiver als im Vorfeld der Demonstration vom 1. August 2020.
Rechtsextremisten sowie Angehörige der Reichsbürgerszene, die an der Kundgebung am 29. August 2020 in Berlin teilnahmen, gelang es, durch aggressive und gewalttätige Störaktionen einen Resonanzraum zu besetzen und medial wirkmächtige Bilder zu erzeugen, auch wenn diese Störaktionen abseits der angemeldeten Großveranstaltung stattfanden.«
Eigentore Nummer 3 und 4
Prompt erzielt die Linksfraktion ein weiteres Eigentor mit der Frage, ob sich die Veranstalter wohl von Rechtsextremisten distanziert hätten:
»Die Veranstalter der Kundgebung vom 1. August 2020 distanzierten sich bei der Versammlung in Berlin – wie zuvor auch bei den Versammlungen in Stuttgart – von Gewalt und Extremismus jeglicher Couleur und riefen dazu auf, Störer von der Polizei entfernen zu lassen.
Inwieweit dieser Aufruf in konkrete praktische Maßnahmen umgesetzt wurde, ist der Bundesregierung nicht bekannt.«
Dumm läuft die Frage nach " Übergriffen auf Medienvertreterinnen und Medienvertreter". Sie nutzt das Innenministerium für die bis heute nicht aufgeklärte Legende, ein Angriff auf ein Team der "heute-show" sei von Linksradikalen ausgegangen.
Das eigentliche Problem: die Maske
Eine weitere Watsche gibt es für die Frage, ob es für den 1.8.
»… Aufrufe oder Ankündigungen [gab], dort oder bereits bei der Anreise gegen Hygiene-Regeln wie das Tragen von Mund-Nase-Masken oder das Abstandhalten zu verstoßen?«
»Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse im Sinne der Fragestellung vor.«
Die Frage verrät ebenso wie der permanente irreführende Gebrauch der Vokabel "Corona-Eindämmungsmaßnahmen": Mindestens so groß wie das Interesse am Einfluß Rechtsradikaler ist das, sich von jeglicher Kritik an den Regierungs-Maßnahmen zu distanzieren. Was sonst hat dieses Thema zu suchen bei einer Kleinen Anfrage zu "Rechtsextreme Beeinflussung von Protesten gegen die Corona-Eindämmungsmaßnahmen"?
Dahinter steckt die Überzeugung "Wer keine Maske trägt oder Abstand hält, verstößt gegen die unhinterfragbare Absicht der Regierung, das Volk – wen sonst ? – gegen ein ebenso nicht befragbares Übel zu schützen". Bei der Art und Weise der "Eindämmung" kann es keine Diskussion geben. Es gilt: Ein Virus, ein Volk, eine Eindämmung. Klingt das links?
Steilvorlage für die Rechten
"Tichys Einblick" konnte höhnen: "Antwort auf Anfrage der Linken: Kaum Rechtsextreme auf Corona-Demonstrationen". Der Autor nutzt die von der törichten Anfrage der Linkspartei provozierte Stellungnahme des Verfassungsschutzes, um demagogisch noch einen drauf zu setzen:
»"Über 90 Corona-Kundgebungen von Rechtsextremisten dominiert." Das muss ja unfassbar viel sein. Unfassbar böse, unfassbar gefährlich für Deutschland. Unfassbar sägend auch an unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung?
Pustekuchen. Und um deutlich zu machen, warum: zunächst mal eine Zahl angemeldeter Demonstrationen alleine für Berlin für den 29. August 2020. An diesem Tag waren es über 5.000 (in Worten: fünftausend) angemeldete Demonstrationen..«
Das ist natürlich Quatsch. Es hat gerade einmal ein Dutzend Veranstaltungen gegeben. Die angeblich 5.000 Anmeldungen waren ein netter Trick zur Verwirrung der Genehmigungsbehörden, mehr nicht.
»Nein, die Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage der Fraktion der Linkspartei, gibt keinen Anlass, zu behaupten, wir hätten ein Problem mit Rechtsextremen auf Anti-Corona-Maßnahmen-Demos. Das exakte Gegenteil ist der Fall.«
Was der Autor mit dem letzten Satz wohl ausdrücken will?
Inzwischen sind wir eine Demo weiter und wissen, daß der Einfluß von Rechtsextremisten am 29.8. erheblich größer war als am 1.8. Dennoch hat sich die Linksfraktion mit ihrer Anfrage einen Bärendienst erwiesen.
Zu "Tichys Einblick"
Das Portal gilt manchen als Informationsquelle für die "Corona-Maßnahmen". Das sollte den Blick nicht darauf verstellen, daß es geprägt ist von Themen wie "Migration: Die große Transformation Deutschlands", "Thilo Sarrazin: Merkels Einwanderungspolitik überfordert uns", "Sarrazin über die Grenzen des Staates in Zeiten der Migration", "„Rasse“ raus aus dem Grundgesetz? Nur ein Schritt der Sprachreiniger", "Die Folgen von Corona: Einwanderung und Kleinstaaterei gleichzeitig" etc.pp.)
In dieser Woche mußte Roland Tichy den Vorsitz der Ludwig-Erhard-Stiftung niederlegen, weil er selbst für die Staatsministerin für Digitales, Dorothee Bär, Friedrich Merz, den Bundesbankpräsidenten Jens Weidmann und Jens Spahn nicht mehr tragbar war.
Mit heftigem Igitt-Gefühl hatte ich im Mai oder so noch den 90-Seiten-Bericht des geschassten BMI Mitarbeiters bei TE 'runter geladen und gedacht, dass es da bestimmt informelle Zirkel in diese Kreise gibt, die die Veröffentlichung ermöglicht haben, aber dass der Tichy selbst noch so mitten drin in der CDU-Wolke agierte hätte ich bei den Inhalten auf seiner Seite nun doch nicht erwartet. So kann man sich irren, selbst wenn man schon mit dem Übel rechnet. Aber Ludwig Erhard war ja im Grunde auch ein überzeugter Marktradikaler, der sich nicht so ausleben konnte wie gewollt. Dem hätte wohl die Entwicklung der letzten 30 Jahre eher zugesagt, wenn er sie noch hätte erleben können. Von wegen soziale Marktwirtschaft. Das war bloß taktische Erwägung, Schaufensterpolitik Richtung DDR.
Nur bei der Linken überrascht mich derzeit nichts mehr, und zwar genau seit dem 23.3.20, seit der PK mit Katja Kipping, die mit dem Satz begann: "Wir sind nicht dogmatisch gegen Einschränkung der Grundrechte…". Mir tut es nur um Mitglieder und Wähler der PdL leid, die vor 6 Monaten nicht nur eine Amputation der Verfassung erleben mußten, seitdem im Panikraum vor einer Weltseuche "geschützt" werden sollen, sondern auch noch einer Hoffnungsträgerin auf eine gerechtere und freiere Zukunft beraubt worden sind.
Oops, nun muß ich mich gleich selbst korrigieren: bei TE hatte ich nur gelesen über die Analyse mit vielen Zitaten. Den ganzen Bericht bakam man bei 'Achgut'. Ist ja auch nicht besser.
"Inzwischen sind wir eine Demo weiter und wissen, daß der Einfluß von Rechtsextremisten am 29.8. erheblich größer war als am 1.8. "
Wie Sie zu diesem Schluss kommen ist mir ein Rätsel. Aus den Antworten auf die Anfragen geht nur hervor, dass rechte Gruppen zur Teilnahmen aufgerufen hätten, und für den 29.08. mehr als für den 01.08.
Nun könnten rechte Gruppen zB auch dazu aufrufen, Ihre Webseite zu besuchen. Was würde das dann über Sie oder Ihre Webseite aussagen?
Bereiten wir den Rechten und dem VS nicht den Boden, die demokratische Bewegung unterminieren zu können indem wir Ihnen die Strategien vordeklinieren. Bzw. machen wir uns diese Strategien überdeutlich klar und wehren wir sie gemeinsam ab!
"… Dorothee Bär, Friedrich Merz, den Bundesbankpräsidenten Jens Weidmann und Jens Spahn nicht mehr tragbar war."
Ist für diese Personen tragbar zu sein etwa ein Qualitätsmerkmal? Was für eine Volte!