Lockdown-Urteil: Stuttgarter Richter stellt Verfassungsmäßigkeit von Verboten infrage

Das berich­tet focus​.de am 13.3.:

»Im Kampf gegen die Pan­de­mie greift der Staat tief in die Frei­heits­rech­te der Bür­ger ein, für vie­le bedeu­ten die Maß­nah­men zum Infek­ti­ons­schutz eine Art Berufs­ver­bot. Ein Musi­ker klag­te vor dem Land­ge­richt Stutt­gart auf Ent­schä­di­gung – und ver­lor. Doch die FOCUS Online vor­lie­gen­de Urteils­be­grün­dung lässt aufhorchen…

Ganz am Ende der Urteils­be­grün­dung, auf Sei­te 13, löst sich der Stutt­gar­ter Rich­ter vom kon­kre­ten Streit­fall und stellt all­ge­mei­ne Über­le­gun­gen zur Ver­fas­sungs­mä­ßig­keit von Para­graf 28 des Infek­ti­ons­schutz­ge­set­zes an. Die­ser Para­graf ermäch­tigt die Behör­den, zur Bekämp­fung von Infek­ti­ons­krank­hei­ten „Ver­an­stal­tun­gen oder sons­ti­ge Ansamm­lun­gen von Men­schen zu beschrän­ken oder verbieten“…

Zwei­fel an Ver­hält­nis­mä­ßig­keit bestimm­ter Maßnahmen
Das Land­ge­richt Stutt­gart schreibt: Sofern in der Rechts­li­te­ra­tur „Beden­ken an der Ver­hält­nis­mä­ßig­keit der hier in Rede ste­hen­den Maß­nah­me gel­tend gemacht wür­den und dabei ein Ver­stoß gegen Arti­kel 80 des Grund­ge­set­zes ange­mahnt wer­de, kön­ne „man die­se Auf­fas­sung durch­aus teilen“.

Das Gericht bezieht sich dabei expli­zit auf einen Auf­satz des ehe­ma­li­gen Bun­des­ver­fas­sungs­rich­ters Hans-Jür­gen Papier in der Deut­schen Rich­ter­zei­tung. Er trägt den Titel „Frei­heits­rech­te in Zei­ten der Pandemie“.

In dem Text habe Papier die Fra­ge auf­ge­wor­fen, „ob die Ein­grif­fe in Eigen­tum und Berufs­frei­heit … nicht durch gesetz­li­che Ent­schä­di­gungs­re­ge­lun­gen von Ver­fas­sungs wegen aus­zu­glei­chen wären“.

Dann folgt der zen­tra­le Satz des Stutt­gar­ter Urteils: „Dem tritt das hier ent­schei­den­de Gericht bei.“

Trotz sei­ner offen­kun­di­gen ver­fas­sungs­recht­li­chen Beden­ken hat der Rich­ter den Fall nicht nach Karls­ru­he wei­ter­ge­lei­tet. Grund: Für sei­ne Ent­schei­dung im kon­kre­ten Fall kam es nicht dar­auf an, ob die Coro­na-Ver­ord­nung ver­fas­sungs­ge­mäß ist oder nicht. Er hat­te nur zu prü­fen, ob es der­zeit eine gesetz­li­che Anspruchs­grund­la­ge für die Ent­schä­di­gung von Lock­down-Opfern wie Mar­tin Kil­ger gibt. Da dies nicht der Fall ist, wies er die Kla­ge des Musi­kers ab…

Anwalt des Klä­gers: Fall muss Karls­ru­he vor­ge­legt werden
Kil­gers Rechts­an­walt Niko Här­ting aus Ber­lin kri­ti­sier­te die­se Ent­schei­dung gegen­über FOCUS Online hart: „Ein Gericht, das ein Gesetz für ver­fas­sungs­wid­rig hält, muss den Fall dem Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt zur Ent­schei­dung vor­le­gen. Dies steht so in Arti­kel 100 Grund­ge­setz.“ Dass dies vom Stutt­gar­ter Gericht nicht gemacht wur­de, sei „voll­kom­men unverständlich“…

Mög­li­cher­wei­se dient der Fall des Musi­kers Mar­tin Kil­ger als kon­kre­te Vor­la­ge für eine höchst­rich­ter­li­che Ent­schei­dung. Der Musi­ker zu FOCUS Online: „Wir wer­den auf jeden Fall in Beru­fung gehen.“«

15 Antworten auf „Lockdown-Urteil: Stuttgarter Richter stellt Verfassungsmäßigkeit von Verboten infrage“

  1. Dann wird sich wohl die Har­barth-Cli­que ja jetzt staat­recht­lich diri­gie­rend ein­schal­ten kön­nen und den gewünsch­ten Weg auf­zei­gen können?

    1. Ja, auch das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt ist kei­ne siche­re Instanz mehr. Heu­te besteht wie nie zuvor seit WK II die rea­le Gefahr, dass von Sei­ten der Exe­ku­ti­ve Druck aus­ge­übt und die­sem nach­ge­ge­ben wird. 

      Wie konn­te es so weit kommen? 

      Offen­bar wird unse­re augen­blick­li­che Regie­rung von einer unhei­li­gen Alli­anz zwei­er Grup­pen gebil­det bzw. gestützt, deren Kurz­schluss die gan­ze über uns her­ein­ge­bro­che­ne Kata­stro­phe ver­ur­sacht: Da gibt es (1) zum einen die Cli­que der Phar­ma­lob­by­is­ten um Jens Spahn, Herrn Dros­ten, Herrn Lau­ter­bach, Herrn Mer­kel usw. (2) Und da sind zwei­tens die glo­ba­lis­ti­schen Reset­ter wie Gates, Rocke­fel­ler, Klaus Schwab usw., denen sich Frau Mer­kel ange­schlos­sen hat.

      Die ers­te Grup­pe ist nicht ideo­lo­gisch, son­dern nur gie­rig unter­wegs, und nutzt Geset­zes­lü­cken zur Selbst­be­rei­che­rung. Die zwei­te Grup­pe ist viel gefähr­li­cher, weil einer men­schen­feind­li­chen Ideo­lo­gie ver­pflich­tet; sie hebelt das Grund­ge­setz aus und han­delt verfassungswidrig. 

      Jede Grup­pe für sich allein hät­te noch nicht geschafft, was zur Zeit läuft. Zusam­men aber rui­nie­ren sie unse­re Wirt­schaft, unse­re Gesell­schaft und unse­ren Staat.

    2. @Law rules, es ist nicht ganz so schlimm, denn es ist eigent­lich nur Har­barth allein. Die ande­ren Rich­ter und Rich­te­rin­nen sind die­sel­ben wie immer.
      Die sind eigent­lich gar nicht das Pro­blem, obwohl ich denen auch nicht traue.

  2. Toll – und war­um igno­riert der Knilch dann sei­ne eige­nen Erkennt­nis­se und Aus­füh­run­gen? Juris­ti­scher Doppeldenk.

    Es gibt ja übri­gens auch noch 16 Lan­des­ver­fas­sungs­ge­rich­te. War­um die wenig bis gar nicht bemüht wer­den, obwohl es hier um Lan­des­ver­ord­nun­gen geht und in den meis­ten Lan­des­ver­fas­sun­gen auch noch ein­mal zusätz­lich zum GG ange­grif­fe­ne Grund­rech­te ver­brieft sind, ist mir eben­falls etwas schleierhaft.

    Ich glau­be zwar auch nicht, dass die anders ent­schei­den wür­den, als das Harbarth'sche Groß­in­dus­trie­ver­fas­sungs­ge­richt – aber hiel­te es dort wenigs­tens für nicht voll­kom­men aus­sichts­los. Jenes von Thü­rin­gen hat­te ja immer­hin, wenn auch nur aus for­ma­len Grün­den, eine kom­plet­te Ver­ord­nung für nich­tig und ver­fas­sungs­wid­rig erklärt.

    Und auch hier die Fra­ge, die ich mir stel­le: War­um stößt da der juris­ti­sche Wider­stand jetzt nicht mas­siv straf­recht­lich rein? Alle "Maß­nah­men", die in die­ser Zeit durch­ge­führt wur­den, erfolg­ten ohne Rechts­grund­la­ge. Das heißt (m. E.), mas­sen­haf­te Fäl­le staat­li­cher Frei­heits­be­rau­bung, Ver­fol­gung Unschul­di­ger, Nöti­gung usw.

    1. @ , viel­leicht hilft das wei­ter – ich kopi­er das mal von den Rechts­an­wäl­ten für Auf­klä­rung rein:

      "Netz­werk Kri­ti­sche Rich­ter und Staats­an­wäl­te gegründet

      Es tritt ein für die voll­stän­di­ge Wie­der­her­stel­lung der Grund­rech­te und des Grund­sat­zes der Ver­hält­nis­mä­ßig­keit im Han­deln des Staa­tes. Zugleich ver­steht es sich als Ansprech­part­ner und Stim­me der Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen in der Jus­tiz, deren Arbeit und Unab­hän­gig­keit durch anders­lau­ten­de poli­ti­sche Vor­ga­ben unter Druck ist."
      https://​netz​werk​kris​ta​.de/​2​0​2​1​/​0​3​/​1​1​/​d​e​n​-​r​e​c​h​t​s​s​t​a​a​t​-​v​e​r​t​e​i​d​i​g​e​n​-​n​e​t​z​w​e​r​k​-​k​r​i​t​i​s​c​h​e​-​r​i​c​h​t​e​r​-​u​n​d​-​s​t​a​a​t​s​a​n​w​a​e​l​t​e​-​g​e​g​r​u​e​n​d​et/

      und dar­aus folg­te sogleich mehr Druck auf Karlsruhe:

      "Der Rich­ter Dr. Pie­ter Schlei­ter hält die deut­sche Pan­de­mie-Poli­tik für verfassungswidrig.
      Dr. Pie­ter Schlei­ter hat nun eine samt Anhang knapp 400 Sei­ten star­ke Ver­fas­sungs­be­schwer­de beim Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt in Karls­ru­he eingereicht."
      https://​nich​toh​neuns​-frei​burg​.de/​b​e​r​l​i​n​e​r​-​r​i​c​h​t​e​r​-​r​e​i​c​h​t​-​v​e​r​f​a​s​s​u​n​g​s​b​e​s​c​h​w​e​r​d​e​-​i​n​-​k​a​r​l​s​r​u​h​e​-​g​e​g​e​n​-​d​e​u​t​s​c​h​e​-​p​a​n​d​e​m​i​e​-​p​o​l​i​t​i​k​-​e​in/

  3. Ich sehe das wie Wei­mar – das (bei­des) ist so schlecht nicht. Je höher die Instanz des­to bes­ser – und mit DEM Emp­feh­lungs­brief! Zudem ist Här­ting kein schlech­ter Rechtsbeistand.

  4. Gewal­ten­tei­lung sieht man heu­te nützt nicht viel, bzw es ist nur eine for­ma­le, scheinbare.

    Im 3. Reich waren es 'Faschis­ten' im Volk, bei den Rich­tern, Volks­ver­tre­tern, Minis­tern, Mili­tärs, Wirt­schafts­bos­sen, Akademikern…

    Heu­te suchen wir nur noch eine pas­sen­de Bezeichnung…nicht weil 'Faschis­ten' nicht mehr tref­fend wäre…

    Aller­dings scheint mir der Dilet­tan­tis­mus und Unpro­fes­sio­na­li­tät, das Feh­len der 'hand­werk­li­chen' Qua­li­tät, heu­te noch unbegreiflicher.

  5. Hm, wenn ich das als Nicht-Jurist rich­tig ver­ste­he, dann heult da zwar der Anwalt des Klä­gers rum, aber eigent­lich hat er den Feh­ler gemacht, sei­ne Ankla­ge auf die fal­schen Para­gra­phen zu beru­fen (nur Scha­dens­er­satz für die Maß­nah­men), anstatt gleich die Ver­fas­sungs­mä­ßig­keit der Maß­nah­men in Fra­ge zu stel­len. Der Rich­ter hat ihm qua­si in der Urteils­be­grün­dung einen Hin­weis gege­ben, wie der Klä­ger sei­ner Mei­nung nach eher zu Recht kom­men könnte.

  6. Man­che Leu­te schei­nen ein Land­ge­richt mit dem "Jüngs­ten Gericht" zu ver­wech­seln in Ihrem Anspruch.

    Die Kla­ge von Här­ting kennt ja kei­ner hier. Ich hal­te für nahe­zu aus­ge­schlos­sen, dass er den Ver­fas­sungs­be­zug NICHT aus­drück­lich her­ge­stellt hat. Aber er kann als Anwalt des Klä­gers das Gericht nicht ANWEISEN, die Sache dem BVerfG vor­zu­le­gen, das zu tun oder nicht ist Ermes­sen des Gerichts!

    Falls das Urteil mit DIESEN Aus­sa­gen in die nächs­te Instanz geht, ist das wert­vol­ler als wenn ein ein­fa­ches LG das tut.

    1. @some1
      "Das Land­ge­richt Stutt­gart schreibt: Sofern in der Rechts­li­te­ra­tur „Beden­ken an der Ver­hält­nis­mä­ßig­keit der hier in Rede ste­hen­den Maß­nah­me“ gel­tend gemacht wür­den und dabei ein Ver­stoß gegen Arti­kel 80 des Grund­ge­set­zes ange­mahnt wer­de, kön­ne „man die­se Auf­fas­sung durch­aus tei­len“."

      Dar­aus inter­pre­tie­re ich, daß die Kla­ge genau das eben nicht gemacht hat.

      Wir haben es in der Ver­gan­gen­heit immer wie­der gese­hen. Mal gibt es Rich­ter, da kommt eine Kla­ge mit z.B. 10 Punk­ten, und das Urteil lau­tet Punkt 1 (for­mal­ju­ris­ti­sche Grün­de): statt­ge­ge­ben. Auf den Rest muß gar nicht mehr ein­ge­gan­gen werden.
      Und ein ande­rer Rich­ter nimmt sich alle 10 Punk­te vor und zeigt im Detail, daß sie alle gute Grün­de sind, der Kla­ge statt­zu­ge­ben (z.B. Wei­mar). Solch ein Urteil wiegt dann wesent­lich mehr und ist auch in der Beru­fung schwe­rer zu kip­pen. Ich glau­be die­ser war einer der flei­ßi­ge­ren Rich­ter, der damit einen Hin­weis geben woll­te, wie man aus sei­ner Sicht vor­ge­hen sollte.

      1. @Jo

        Das ist schon rich­tig, Rich­ter und Anwäl­te sind höchst unter­schied­lich, auch nicht alle gleich gut bzw. in jedem Fall glei­cher­ma­ßen auf Zack…

        Grund­sätz­lich aber den­ke ich, dass Recht ins­ge­samt seit gerau­mer Zeit schon ein Posi­ti­vis­mus­pro­blem hat. Die Regie­rung war aus­ge­spro­chen emsig dar­in, sich selbst die recht­li­chen Grund­la­gen zu schaf­fen, bzw. die waren von lan­ger Hand vor­be­rei­tet, so plötz­lich, wie die kurz nach dem ers­ten Lock­down zur Abstim­mung stan­den. Es genügt nun mal, for­mal die Spiel­re­geln ein­zu­hal­ten, und der Schritt, sie nach deren Ver­fas­sungs­mä­ßig­keit zu hin­ter­fra­gen, ist für Gerich­te bis­lang sel­ten erfor­der­lich gewe­sen, also unge­wohnt und – rich­tig – aufwändig. 

        Ich bin weit davon ent­fernt, die kom­plet­te Judi­ka­ti­ve ver­tei­di­gen zu wol­len, rech­ne es jedoch der­zeit jedem, der sich mit der undank­ba­ren Sache aus­ein­an­der­setzt oder sich gar enga­giert, hoch an. Här­ting ist eigent­lich ein bekann­ter und in der Wol­le gefärb­ter IT-Recht­ler, den aber die Coro­na­ge­scheh­nis­se so sehr empö­ren, dass er sich auch auf die­sem Feld enga­giert. Es ist also nicht aus­ge­schlos­sen, dass man sei­ne Kla­ge hät­te bes­ser for­mu­lie­ren kön­nen … was wir bei­de aber nicht wissen.

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