Rechtsfragen sind immer auch Machtfragen. Deshalb darf man sich nicht (nur) auf Gerichte verlassen, sondern muß Politik weiterhin auf die Straße tragen. Das Bundesverfassungsgericht teilt mit
»Pressemitteilung Nr. 42/2021 vom 20. Mai 2021
Beschlüsse vom 20. Mai 2020 – 1 BvR 900/21, 1 BvQ 64/21, 1 BvR 968/21 und 1 BvR 928/21
Mit heutigen Beschlüssen haben die Kammern des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts mehrere Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt und eine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, die sich gegen § 28b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 IfSG („Kontaktbeschränkungen“), § 28b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 IfSG („Einzelhandelsbeschränkungen“), § 28b Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 IfSG („Untersagung kultureller Einrichtungen“) sowie gegen § 28b Abs. 3 IfSG („Schulschließungen“) richteten. Damit ist nicht entschieden, dass die angegriffenen Vorschriften mit dem Grundgesetz vereinbar sind.
Diese Prüfung bleibt im Falle der Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung den jeweiligen Hauptsacheverfahren vorbehalten (ebenso wie die Prüfung des § 28b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 IfSG zur „Ausgangsbeschränkung“, vgl. Pressemitteilung Nr. 33 vom 5. Mai 2021).
Mit dem Antrag im Verfahren 1 BvR 900/21 sollte erreicht werden, dass die geregelte Einschränkung privater Zusammenkünfte vorläufig außer Vollzug gesetzt wird. Mit den Anträgen in den Verfahren 1 BvR 968/21 u. a. wurde begehrt, die im Infektionsschutzgesetz geregelten Beschränkungen des Einzelhandels vorläufig außer Vollzug zu setzen. Die vorzunehmende Folgenabwägung führt hier jeweils zu dem Ergebnis, dass die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechenden Gründe nicht überwiegen.
Im Verfahren 1 BvR 928/21 wenden sich die Beschwerdeführenden gegen die Untersagung der Öffnung kultureller Einrichtungen. Ihre Verfassungsbeschwerde ist jedoch bereits unzulässig, weil sie die Möglichkeit einer Verletzung ihrer Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechte nicht ausreichend dargelegt haben.
Der Antrag im Verfahren 1 BvQ 64/21 richtet sich gegen die Regelung im Infektionsschutzgesetz, wonach die Durchführung von Präsenzunterricht an Schulen untersagt ist, wenn die durch das Robert-Koch-Institut veröffentlichte Anzahl der Neuinfektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV‑2 je 100.000 Einwohner (im Folgenden: Sieben-Tage-Inzidenz) im jeweiligen Landkreis oder in der jeweiligen kreisfreien Stadt den Schwellenwert von 165 überschreitet. Der Antrag hat bereits deshalb keinen Erfolg, weil die vom Antragsteller besuchte Schule in einem Landkreis liegt, in dem die Sieben-Tage-Inzidenz stabil unter dem maßgeblichen Schwellenwert liegt…«
https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2021/bvg21-042.html
"Das herrschende Recht ist das Recht der Herrschenden"
So war – lang ist's her – am 17.5.2011 eine Wortmeldung der "AG Rechtskritik des Studierendenverbandes DIE LINKE.SDS" überschrieben. Dort las man:
»Obgleich der Staat – in gewissen Grenzen – relativ autonom agiert, garantiert er zugleich die gesellschaftlichen Machtverhältnisse. Der Staat garantiert insbesondere die Sphäre der Warenproduktion und des Handels. Dies tut er nicht primär mit dem Ziel, Versorgungsstrukturen zur Bedürfnisbefriedigung aller herzustellen, sondern er schützt und erhält in erster Linie die Herrschaft der EigentümerInnen über die Produktionsmittel. Der Staat ist keine neutrale Instanz neben oder über der Ökonomie, die wie ein Werkzeug einfach zur Einführung eines anderen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems eingesetzt werden könnte. Die Ziele des Staates sind vielmehr durch die kapitalistische Produktionsweise selbst gegeben…
Daneben wäre die Struktur der RichterInnenschaft zu benennen, die sich noch immer nahezu ausschließlich aus den „oberen” Bevölkerungsschichten rekrutiert und gesellschaftliche Vorurteile gegen benachteiligte und Rand-Gruppen der Gesellschaft tendenziell in die Rechtsprechung überträgt…
Des Weiteren sollte der staatliche Repressionsapparat nicht unerwähnt bleiben. Dieser dient der Stabilisierung und Aufrechterhaltung von Herrschaft; er ist wesentlicher Aspekt staatlicher Gewalt. Hier wäre besonders auf die Rolle der Bundeswehr und bundesdeutscher Geheimdienste, der Polizei und Staatsschutzorgane im In- und Ausland sowie auf die der Strafverfolgungsbehörden (v.a. bei der Anwendung deutscher und europäischer „Anti-Terror”-Normen) hinzuweisen…
Deutschland weist seit dem Kaiserreich eine unrühmliche Geschichte Politischer Justiz auf…«
Dr. Norbert Häring gehört zu der kleinen Gruppe von Journalisten, deren Arbeit ich schätze. Seine Artikel sind stets sehr gut recherchiert, sachlich, ausgewogen und mit ordentlichen Quellenangaben versehen.
Heute schreibt er über einen Fall von brutaler Polizeigewalt gegen einen Menschen, der nichts anderes getan hat als aus dem Grundgesetz vorzulesen. Dr. Häring stellt die Aussagen des Opfers, der Polizei und eine Aufzeichnung des Geschehens gegenüber.
Einsatzphilosophie der Dresdner Polizei: Wer aus der Verfassung liest, wird mit Knie im Rücken auf dem Boden fixiert
https://norberthaering.de/news/postplatz-dresden-wolff/
>> nicht geahndetes Unrecht ist Quell von neuem [Unrecht] <<
Dies soll vor über 2000–3000 Jahren den Griechen bereits
bewußt gewesen sein – kennt jemand dies als Zitat?
Die Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts ist es, Regierung und Parlament vor der Verfassung zu schüzten. Seine Kunst besteht darin, diesen Schutz als Verfassungsrecht zu tarnen.
"Daneben wäre die Struktur der RichterInnenschaft zu benennen, die sich noch immer nahezu ausschließlich aus den „oberen” Bevölkerungsschichten rekrutiert …"
Stefan Harbarth, Unternehmens-Lobbyist, Konzern-Anwalt, Rekord-Nebenverdienstler im Deutschen Budestag, und seit neuestem als Bundesverfassungsmillionär in Karlsruhe tätig.
https://www.nachdenkseiten.de/?p=59130
Absurd. Wie kann eine Verfassungsbeschwerde abgelehnt werden, weil der Landkreis unter 165 liegt. Nicht der Umstand, dass die Schule geschlossen ist, ist das Problem, sondern der Mechanismus, der jederzeit wieder dazu führen kann, dass die Schule geschlossen wird. Es ist höchst problematisch, Grundrechte daran zu knüpfen, wie nun dieser verrückte Wert ist. Es ist 'ne schwachsinnige Zahl und die knüpfen Gesetze dran.
Also am Bundesverfassungsgericht sitzen anscheinend nur noch Luschen.
Ich glaube, die versuchen sich bis nach den Wahlen über die Zeit zu retten. Danach guckt man dann mal.
Die Eilanträge sind mittlerweile für die meisten Landkreise obsolet, da dort die "Notbremse" nicht mehr zählt. Ich denke, dadurch konnte sich das BVG aus der Schlinge ziehen. Man muss aber auch einsehen, dass dies nur die Eilanträge betrifft, die Hauptsacheverfahren werden (zumindest nach meinem Verständnis) fortgeführt. Leider gibt es diesen faden Beigeschmack der zeitlichen Korrelation zu den Wahlen. Man kann nur auf gerechte Verfahren in der Hauptsache hoffen, dann wird man sehen, wo Deutschland steht.
"Und wie hältst du es mit der Geduld?" Die Gretchenfrage 2021.