Dieses Ereignis kann man epochal nennen (große Worte sind gefragt in Corona-Zeiten). welt.de erklärt heute: Die Kanzlerin spinnt. Nein, das ist nicht das Wort, das die Zeitung verwendet. Aber es trifft den Kern, wenn die Meldung stimmt. Wir lesen:
»In Deutschland nehmen die Corona-Infektionen rasant zu, Bundeskanzlerin Merkel ist besorgt. Jetzt prophezeit sie in einer Hochrechnung bis zu 19.200 Infektionen am Tag – zu Weihnachten. Wie kommt sie zu so einer Prognose und stimmt sie? WELT hat nachgerechnet.
19.200? Auf den Hunderter genau will die Kanzlerin wissen, wie viele neue Corona-Fälle es zu Weihnachten in Deutschland geben könnte, wenn die Pandemie nicht rasch wieder eingedämmt wird?
Das verwundert, zumal Angela Merkel, die Naturwissenschaftlerin, im Zweifel eher übervorsichtig formuliert. Und zumal das vergangene Dreivierteljahr hinreichend gezeigt hat, dass sich das Infektionsgeschehen konkreten Prognosen regelmäßig entzieht: Der rasche Anstieg der Fallzahlen im März war unterschätzt worden, der Rückgang ab Anfang April ebenfalls.
Das Wiederaufflammen der Ansteckungsgefahr im Zuge des Tönnies-Desasters im Juni und des Rückreiseverkehrs im Juli war im Nachhinein so leicht erklärbar wie es ex ante unvorhergesehen geblieben war.
Nun also trotz allem die 19.200, die Kanzlerin soll diese Zahl bei einer Videokonferenz des CDU-Präsidiums genannt haben. Teilnehmer berichten, Merkel habe das hochrechnen lassen. Aber wie? Auf welche Weise kommt man zu diesem Ergebnis? WELT hat nachgerechnet.
Die Zahl der neuen Corona-Fälle lag im Durchschnitt der vergangenen sieben Tage – Montag bis Sonntag vergangener Woche – bei 1857. Bis zum Beginn der Weihnachtswoche am Montag, dem 21. Dezember, sind es von gestern an gerechnet 85 Tage.«
»Um in diesen 85 Tagen von 1857 auf 19.200 Fälle am Tage zu kommen, könnte man annehmen, dass der 7‑Tage-Schnitt jeden Tag gleichmäßig wächst. Im Ergebnis hieße das: Der Schnitt müsste jeden Tag um gut 204 Fälle zulegen und das gut zwölf Wochen lang. Schon kommenden Montag läge der Schnitt bei 3285 Fällen.
Plausibler ist es allerdings, nicht einen gleichmäßigen absoluten Zuwachs zu unterstellen, sondern eine konstante Zuwachsrate, also ein gleichbleibendes prozentuales Wachstum. Dies entspricht auch den exponentiellen Kurvenverläufen, wie wir sie aus der Frühphase der Pandemie kennen.
Rechnerisch ergibt sich, dass der 7‑Tage-Schnitt 85 Tage lang täglich um 2,786 Prozent steigen muss, damit am 21. Dezember 19.200 erreicht sind. Auf Wochen umgerechnet, ergibt sich ein wöchentliches Plus von konstant 21,2 Prozent.
Ist ein derart kräftiges Wachstum plausibel? Es erscheint zumindest nicht unrealistisch. Auch während der durch viel Reiserückkehrer verstärkten Infektionswelle, zwischen Ende Juli und Ende August, lag der wöchentliche Zuwachs fast durchgängig bei 20 und mehr Prozent.
Auch das neuerliche Hochschnellen der Infektionszahlen seit Anfang September haben den 7‑Tage-Schnitt vorübergehend um mehr als 20 Prozent je Woche steigen lassen. Ganz aktuell allerdings liegt der Zuwachs im einstelligen Bereich.
Der heute veröffentlichten RKI-Tagesstatistik zufolge befindet sich der 7‑Tage-Schnitt um 8,5 Prozent über dem Niveau, das eine Woche zuvor erreicht worden war. Das entspricht einem täglichen Wachstum von 1,117 Prozent.
Wäre das die tägliche Zuwachsrate – und nicht die von Merkels Experten implizit unterstellten 2,786 Prozent –, dann wären wir zu Beginn der Weihnachtswoche nicht bei 19.200 Fällen pro Tag. Sondern bei 4991.
Oder, anders formuliert: Bleibt es beim aktuellen Wachstum würde es nicht 85 Tage dauern, ehe 19.200 erreicht wären, sondern rund 200 Tage. Nicht kurz vor Weihnachten wären wir bei 19.200. Sondern kurz nach Ostern.«
Update: 14.10.: Abbitte. Merkel hat Recht
Ihre Berechnung ist falsch. Merkel hat recht. Wenn die Rate der täglichen Neuansteckungen 2,7 % beträgt, dann ist das identisch mit der Aussage, dass die Reproduktion stahl 1.027 beträgt. Unter der (wahrscheinlich falschen) Annahme dass diese Reproduktion egal Kontakt bleibt und der Feststellung, dass es am Tag der Aussage 2000 Neuansteckungen gibt errechnen sich für einen Zeitraum von 85 Tagen 2000 x 1.027 hoch 85 tatsächlich 19253 Fälle am Weihnachtstag. Das ist aber eine Milchmädchen Rechnung, weil R bis zum Ende einer Epidemie nach einem anfänglichen Wert von 1.3 bis 2.5 immer um 1 ein pendelt. Mal etwas größer, mal etwas kleiner.
Wir können nur noch beten.
Wenn, was zu hoffen ist, die demnächst anstehende Grippe-Welle mild ausfällt, ist das der dickste Stein, der den Corona-Wahnsinnigen auf die Füße fallen kann.
Lasst uns beten …
Rein rechnerisch hat Merkel recht. Wenn der Zuwachs an Neuinfektionen pro Tag 2,7% beträgt, dann entspricht das einer R‑Zahl von 1.027. geht man von derzeit 2000 Neuinfektionen pro Tag aus, dann errechnet sich die tägliche Neuinfektionszahl für Weihnachten aus 2000 x 1,027 hoch 85. Das sind genau 19257.
Aber das ist trotzdem eine Milchmädchenrechnung, denn sie geht davon aus, dass die R‑Zahl konstant bleibt. Das ist aber nicht der Fall. Zu Beginn lagen die R‑Werte fast überall in den ersten 7 Tagen bei 2,5 bis 3 und gingen dann auf 1,26 zurück. Erreicht die Pandemie den Gipfel, dann ist die R‑Zahl 1. Von dann an pendelt sie, wie man auch an den deutschen Daten sehen kann um die 1, mal etwas größer, mal etwas kleiner. Auf Null geht sie nie. Am Ende der Pandemie, wenn nur noch einer Infiziert ist, geht sie schlagartig auf null. Aber solange es noch Infizierte gibt, pendelt die Zahl R um 1.
Derartige Prognosen extrapolieren ein momentanes exponentielles Wachstum in unzulässiger Weise.
Bei anderen Infektionserkrankungen, bei denen keine Maßnahmen, wie Masken, Abstand, oder Lockdown getroffen werden, verläuft der R‑Wert ebenso. Ursache dürfte die Anpassung des Immunsystems an den betreffenden Erreger sein. Außer in Bayern. Da ist es die Maske, das Starkbierverbot und der infantile Starrsinn der Ministerpräsidenten.
Blamieren tun eher Sie sich mal wieder, mit unzulänglicher Recherche und entsprechend falschen Schlussfolgerungen.. Tatsächlich sagte Merkel laut RND:
"Bei gleichbleibender Entwicklung gebe es das Risiko, dass es um Weihnachten herum in Deutschland täglich 19.200 neu Infizierte gebe, sagte Merkel in einer CDU-Präsidiumssitzung nach Angaben von Teilnehmern."
https://www.rnd.de/politik/corona-angela-merkel-warnt-vor-19200-neuinfektionen-taglich-IXCUTWNWDMR2RYWSCK6MCLMRLA.html
"Bei gleichbleibender Entwicklung." Sagt Ihnen der Begriff Szenarienanalyse etwas? Das ist keine Prognose, sondern eine hypothetische Hochrechnung der aktuellen Entwicklung, unter der Prämisse, dass alles weitergeht wie bisher. Deswegen braucht sich auch keiner künstlich aufzuregen, wenn nun Maßnahmen ergriffen werden, und die Zahlen deswegen an Weihnachten geringer ausfallen.
Gilt auch für so allerlei anderes, was unter Querdenkern als "falsche Prognose" verkauft wird. Man sollte halt wissenschaftliche Szenarienanalysen von Wahrsagerei unterscheiden können.
Aber ich weiß schon, damit lässt sich nicht so schön Stimmung machen.
@Marc: Schön, daß Sie wieder mal vorbeischauen!
Wenn Sie genau lesen, werden Sie feststellen: Ich ziehe gar keine Schlußfolgerung, sondern zitiere aus der "Welt", einem der Kanzlerin sehr nahe stehenden Blatt. Immerhin ist Frau Springer eine der Vertrauten von Frau Merkel, sagt man. Ich sage zudem ausdrücklich: "wenn die Meldung stimmt".
Sie bestätigen ihre Richtigkeit und sagen, daß sei ja nur ein Szenario. Richtig. Nur warum wird ausgerechnet das genommen und an die Presse durchgestochen?
Ihre Schlussfolgerung steht in der Überschrift: "Merkel blamiert sich". Was soll jetzt diese Ausflucht, "wenn die Meldung so stimmt"? Das dauert keine drei Minuten, das zu recherchieren. Dann findet man auch gleich heraus, dass sie es hat hochrechnen lassen.
Für einen Blog, der sich angeblich zum Ziel gesetzt hat, gegen Fake News vorzugehen, findet man hier erstaunlich viele.
"Nur warum wird ausgerechnet das genommen und an die Presse durchgestochen?"
Weil heute die Gespräche über weitere Maßnahmen stattfinden?
Und was Friede Springer angeht: Wenn die so viel Einfluss hätte, wie Sie glauben, und über jeden Artikel der Springer-Presse wachen würde, dann wäre kaum ein so dämlicher Kommentar in der Welt erschienen. Aber die schafft es ja nichtmal, den Reichelt halbwegs in Schach zu halten.
"Sie bestätigen ihre Richtigkeit und sagen, daß sei ja nur ein Szenario. Richtig. Nur warum wird ausgerechnet das genommen und an die Presse durchgestochen?"
Damit lässt sich nämlich so richtig schön Stimmung machen, Mister Marc.
Aber lst es nicht so, dass es sich vornehmlich um symptomfreie positiv Getestete handeln würde und man dazu dann auch 1.920.000 Tests pro Tag durchführen müsste? Die Positivenrate liegt doch immernoch relativ konstant um nicht ganz 1% rum.
was soll das alles, man muss nicht hochrechnen.
Deutschland hinkt in der Entwicklung hinterher,
andere sind um mehrere Wochen voraus,
einige haben die Welle bereits hinter sich,
sehen wir einfach wie es dort war/ist und man kommt
zu aehnlichen Ergebnissen.
Die Sterberate ist derzeit gering, man weiss nicht, warum.
Sie koennte im Winter wieder ansteigen sowie in
Westeuropa und New York im Marz, wer weiss.
In der 1.Welle gab es weniger Tests, deshalb sind die
19200 nicht vergleichbar. Ein besseres Mass sind die Krankenhauseinweisungen.
https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Sept_2020/2020–09-29-de.pdf?__blob=publicationFile
Seite 8
da kaemen wir dann auf etwa 5000 pro Tag, so wie zum
Hoehepunkt der 1.Welle, aber das wahrscheinlich fuer eine
laengere Periode (siehe Balkan,FRA,SPA,UK,NL,BEL,CZ,POL,
Wien,.. ganz zu schweigen von Israel,Argentinien…)
Machen wir's einfach wie Oesterreich, die lagen ganz gut und sind uns mit
Wien einige Wochen voraus
Vielleicht solltet Ihr Euch mal korrigieren. Am 21.10.2020 wurden erstmals mehr als 11.000 Neuinfektionen gezählt. Und wir sind noch mitten im Oktober.
Merkel hat wohl nicht Recht gehabt, sie hatte wahrscheinlich zu niedrig geschätzt.
Es ist sowas von eindeutig, wer sich hier blamiert. Und das ist sicher nicht die Kanzlerin.
@Isabel Santos: Bitte den Artikel bis zu Ende lesen!
oh wie gut, dass wir bereits heute (31.10.2020) statt halloween Ostern haben.
Siehe oben:
"Oder, anders formuliert: Bleibt es beim aktuellen Wachstum würde es nicht 85 Tage dauern, ehe 19.200 erreicht wären, sondern rund 200 Tage. Nicht kurz vor Weihnachten wären wir bei 19.200. Sondern kurz nach Ostern.«
Nicht nur Ihre Rechenkunste lassen zu Wünschen übrig, sondern alle Ihre Auslassungen !