Die wesentlichen Fakten zur bundesweiten Demonstration am gestrigen Sonntag wurden hier bereits benannt. Hunderttausende Menschen haben sich von der Polizei nicht provozieren lassen, sondern ihr Recht auf Protest gegen die Corona-Maßnahmen über Stunden hinweg friedlich ausgeübt. Im Nachgang erleben wir eine völlig gleichförmige Berichterstattung, die die Tatsachen grotesk verzerrt. Bis auf ganz vereinzelte Reichskriegsflaggen-Schwenker waren Neonazis nicht auszumachen, antisemitische Plakate konnten die Medien überhaupt nicht vorweisen. [Update 7.8.: richtig ist: Reichsflagge schwarz-weiß-rot]
Nach diesem Erfolg bleiben dennoch Fragen an die Veranstalter.
Die aktuelle Ausgabe des "Demokratischen Widerstand" zeigt zumindest Wahrnehmungsprobleme. Danach war es Ziel der Demonstration, "das Corona-Notstandsregime zu beenden und bürgerkriegsähnliche Zustände abzuwenden". Mit Verlaub, das ist krude. Der Gedanke taucht noch ein weiteres Mal in dem Blatt auf, in einem Interview mit dem Gründer einer "Organisation Ärzte für Aufklärung in Hamburg". Er antwortet auf die Frage "Falls es einen zweiten Lockdown geben sollte: Was raten Sie den Bürgerinnen und Bürgern? [Antwort:] So weit dürfen wir es nicht kommen lassen—sonst gibt es Bürgerkrieg."
Man lügt sich in die Tasche, wenn man behauptet, gegen die Demonstrierenden "mobilisiert die Regierung Provokateure, die
Bilder von 'rechten Verschwörungstheoretikern' liefern".
Das ignoriert vollständig die vielfältigen Aufrufe offen rechtsradikaler Organisationen zur Teilnahme¹. Wenn heute eines der wichtigsten Organe der neuen Rechte, compact, eine Interview mit Thorsten Schulte, einem Hauptredner auf der Demo ankündigt, bleibt abzuwarten, ob er die Avancen annimmt. Das ist zu befürchten; compact vertreibt sein Buch "Fremdbestimmt" und wirbt dafür so:
»Thorsten Schulte demaskiert die Geschichtsschreibung der Sieger, deckt Un- und Halbwahrheiten und das Weglassen wichtiger Fakten in den Medien auf. Er entlarvt das verzerrte Geschichtsbild, das immer noch zu einem Schuldkomplex führt. «
Daß die Rechte sehr wohl ihre eigenen Pläne mit den Protesten hat, wird auch im Ausschnitt aus der Live-Berichterstattung deutlich (s. Demo Berlin – die dunkle Seite).
Noch immer überwiegen bei den Veranstaltern hierzu die abwiegelnden Stimmen wie man sei doch keine "Gedankenpolizei". Eine Abgrenzung von Rechtsradikalen sieht anders aus.
¹ Nur einige rechtsradikale Organisationen, die zu Demo mobilisierten: Patriotic Opposition Europe, NPD.
(Hervorhebungen nicht in den Originalen.)
Mobilisierungen zur Teilnahme an DER Demonstration, um die es hier geht, habe ich in dem aufgeführten Link nicht gefunden, die POE mobilisierte für eine andere Demo und auf der Seite der NPD habe ich ebenfalls keine Mobilisierung für die fragliche Demo gefunden. Auch der Link zum Rosenheimer AFD-Funktionär ist wenig überzeugend für die These, offen rechtsradikale Organisationen hätten für die fragliche Demo mobilisiert.
Im Übrigen kann kein Veranstalter verhindern, dass unerwünsche Gruppierungen für was auch immer mobilisieren und werben.
Einen Protest von Demokraten auf diese Weise zu diskreditieren, halte ich für unanständig.
Ich werde mich als Demokratin sicher nicht daran hindern lassen, beispielsweise gegen geplante Zwangsimpfungen oder durch die Hintertür oder gegen Maßnahmen der Regierung zu protestieren, nur weil die NPD oder wer auch immer auch dagegen ist oder mich vom Demonstrieren abhalten lassen, weil auch unerwünschte rechte Gruppierungen "mobilisieren". Nach dieser seltsamen These dürfte man gegen gar nichts mehr demonstrieren, was die Regierung veranstaltet.
Ich habe als Teilnehmerin der Demo rechtsextreme Gruppierungen nicht gesichtet, aber selbst wenn ein paar wenige uneingeladen erschienen wären, delegitimiert das in keiner Weise den friedlichen Protest von hunderttausenden Demokraten.
Auch "Befürchtungen" wem Schulte ein Interview geben wird oder wer sein Buch bewirbt, sind unmaßgeblich. Maßgeblich ist, welche Inhalte er vertritt. Würde man diesen seltsamen Thesen folgen, dürfte man ausschließlich gegen Rassismus, ggf. noch gegen Klimawandel demonstrieren, weil da rechtsextreme Trittbrettfahrer nicht zu erwarten sind.
Hier lügt sich niemand "in die Tasche", die Veranstalter haben sehr klar zum Ausdruck gebracht, dass sowohl Rechtsextreme, als auch Linksextreme nicht eingeladen sind. Wenn sie trotzdem "mobilisieren" kann daran kein Veranstalter etwas ändern. Eine "dunkle Seite" des friedlichen Protests hunderttausender Bürger gegen die Maßnahmen der Regierung, die für Frieden und Freiheit auf die Straße gingen, existiert nicht.