»Andrea Kießling forscht an der Ruhr-Universität Bochum zum Recht der öffentlichen Gesundheit und gibt einen aktuellen Kommentar zum Infektionsschutzgesetz heraus.«
So informiert faz.de über die Wissenschaftlerin, mit der sie am 30.9. ein Interview führt. Sie hält z.B.die Quarantäneregelung im IfSG für verfassungswidrig. Im Interview heißt es:
»… [FAZ:] Im Jahr 2000 wurde das Infektionsschutzgesetz (IfSG) verabschiedet, das noch heute gilt und in zentralen Vorschriften dem Bundesseuchengesetz ähnelt. Hat sich das Gesetz im Kampf gegen die Corona-Pandemie bewährt?
Leider nicht. Man sollte diese Pandemie zum Anlass nehmen, das IfSG grundlegend zu überarbeiten. Noch nie waren Bürger von so massiven Grundrechtseingriffen wegen einer Infektionskrankheit betroffen. Früher ging es meist um ein lokales Krankheitsgeschehen. Dass nun die ganze Republik mit solchen Maßnahmen überzogen wird, ist beispiellos.
[FAZ:] Was ist problematisch an den Corona-Verordnungen der Bundesländer, die sich ja auf das IfSG stützen?
Vieles, was dort verfügt wurde, hat im IfSG keine Grundlage. Nehmen Sie die Schließung aller Schulen und Kindergärten. Dass man Gemeinschaftseinrichtungen schließen kann, steht zwar so im Gesetz. Es liegt ja auch nahe, etwa eine Kita dichtzumachen, in der Covid-19-Fälle aufgetreten sind. Da gibt es eine konkrete Gefahr. Aber wenn die Gefahr nur abstrakt besteht, ist die gesetzliche Grundlage überstrapaziert.
[FAZ:] Was ist mit den Ausgangsbeschränkungen in Bayern, unter denen es nur mit "triftigem Grund" erlaubt war, seine Wohnung zu verlassen?
Eine Landesregierung kann auf Grundlage des IfSG Menschen verpflichten, einen Ort nicht oder nur unter Bedingungen zu verlassen oder andere Orte nicht oder nur unter Bedingungen zu betreten. Das ist richtig. Aber die überwiegende Auffassung in der Rechtswissenschaft ist, dass es sich dabei um einen konkreten Ort handeln muss. Eine Art Betretungsverbot für den gesamten öffentlichen Raum wäre unverhältnismäßig und kann darauf nicht gestützt werden.
[FAZ:] Auch nicht nach den Gesetzesnovellen im März und Mai aufgrund der Corona-Pandemie?
Bis zur Novellierung im März stand in dem betreffenden Paragraphen noch, das Betretungsverbot gelte, "bis die notwendigen Schutzmaßnahmen durchgeführt worden sind". Die Betroffenen mussten also etwa so lange warten, bis ein Ort desinfiziert wurde, oder Passagiere durften nach einem Infektionsgeschehen ein Kreuzfahrtschiff erst verlassen, nachdem die Infizierten von den anderen getrennt worden waren. Diesen Verweis auf das Vorübergehende hat man im März gestrichen, weil die Politik nach der Kritik in der Rechtswissenschaft offenbar gemerkt hat, dass es so nicht geht. Aber ich sage immer noch: Die Novelle hat zu kurz gegriffen und deckt nicht, was man bei Ausgangsbeschränkungen und Kontaktverboten gemacht hat.
[FAZ:] Es gibt im IfSG eine Generalklausel, die vorsieht, dass die zuständige Behörde bei einer Infektionskrankheit "die notwendigen Schutzmaßnahmen" ergreift, "soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist". Geht das etwa nicht weit genug?
Nehmen wir als Extrembeispiel einen gewöhnlichen grippalen Infekt, der sich im Winter in Kitas und Schulen verbreitet. Dem Wortlaut nach wären die Bedingungen des IfSG erfüllt, aber natürlich wäre es unverhältnismäßig, dann alle Schulen und Kitas zu schließen. Maßnahmen, die derart stark in die Grundrechte eingreifen, darf man nicht auf so eine vage Generalklausel stützen. Dafür braucht es eine Norm, die konkret festlegt, unter welchen Voraussetzungen welche Maßnahmen zulässig sind. Da könnte etwa drinstehen, dass beim Auftreten eines Erregers, der zu schweren klinischen Verläufen einer Erkrankung führt, alle Schulen einer Stadt geschlossen werden können.
[FAZ:] Muss man nicht großzügiger sein mit dem Gesetzgeber, der ja selbst mit einer höchst ungewissen Situation konfrontiert wurde?
Es könnte sein, dass die Landesregierungen am Anfang der Pandemie ihre Maßnahmen übergangsweise auf die Generalklausel stützen durften, weil eine neue Situation eingetreten war, mit der niemand hatte rechnen können. Das könnte man vertreten, aber die Übergangsfrist ist meiner Meinung nach mittlerweile abgelaufen. Der Bundestag hat das Problem ja erkannt und das Gesetz in einem ordentlichen Verfahren zwei Mal geändert. Danach kann sich niemand mehr auf eine Ausnahmesituation berufen.
[FAZ:] Was heißt das für die Corona-Maßnahmen in Deutschland?
Die Anfangsphase der Pandemie mag eine Ausnahme gewesen sein. Aber Maßnahmen, die Grundrechte stark einschränken und sich heute noch auf die Generalklausel stützen, sind rechtswidrig, weil es für sie keine tragfähige Grundlage gibt. Das betrifft die strengen Auflagen für Restaurants und die Schließung von Diskotheken, die ja Existenzen bedrohen, die Kontaktdatensammlungen oder die Maskenpflicht für Schüler an ihrem Sitzplatz. Es bleibt nicht viel übrig, was man noch auf die Generalklausel stützen kann: die Maskenpflicht beim Einkaufen etwa oder ein Mindestabstand zu Fremden.
[FAZ:] Bestätigt das jetzt das von Kritikern verbreitete Narrativ der kompletten Entrechtung von Bürgern durch den Staat im Schatten der Corona-Krise?
Bestimmt nicht, das wäre Quatsch. Viele Gesetze schränken Grundrechte ein, das ist an sich nichts Besonderes. Die meisten Maßnahmen wie auch Kontaktverbote, die Schul- und Kitaschließungen hätte man grundrechtskonform regeln können, indem man konkrete Voraussetzungen und ebenso konkret beschriebene Maßnahmen ins IfSG geschrieben hätte. Das hat der Gesetzgeber bislang jedoch versäumt.
[FAZ:] Und welche Maßnahmen hätte man trotz aller Bemühungen nicht verfassungskonform regeln können?
Die bayerischen Ausgangsbeschränkungen waren wohl auch unter Corona-Bedingungen unverhältnismäßig und deshalb verfassungswidrig. So etwas wäre nur möglich, wenn schon ein Verlassen des Hauses sofort eine erhöhte Ansteckungsgefahr auslösen würde, weil der Erreger weit über die Luft übertragen wird. Das ist beim Coronavirus zum Glück nicht der Fall…
Ich halte auch die Quarantäneregelung im IfSG für verfassungswidrig. Es gibt im Gesetz einen ausdrücklichen Richtervorbehalt nur für den Fall, dass ein Quarantänebrecher in einer geschlossenen Einrichtung abgesondert werden muss. Trotzdem droht das Ordnungsamt, das die Quarantäne verhängt, dabei auch schon ausdrücklich mit einer hohen Geldbuße und zwangsweiser Absonderung. Da wird eine massive Drohkulisse aufgebaut. Deshalb kommt schon die Quarantäneanordnung meiner Meinung nach einer Freiheitsentziehung gleich, und ein Richter müsste darüber entscheiden. Das würde in der Praxis natürlich einen riesigen Verwaltungsaufwand nach sich ziehen.
[FAZ:] Haben auch die Behörden überschießenden Eifer in der Anwendung des IfSG entwickelt?
Durchaus. Da wurden ganze Flüchtlingsunterkünfte pauschal unter Quarantäne gestellt. Es wurde gar nicht unterschieden zwischen Infizierten, ihren Kontaktpersonen und jenen, zu denen ein Kontakt eher unwahrscheinlich war. Auch letztere zwei Wochen lang festzusetzen, war nicht gerechtfertigt. Das ist schließlich einer der schlimmsten Grundrechtseingriffe. Nach den Infektionen beim Fleischverarbeiter Tönnies in Rheda-Wiedenbrück hat man in einigen Fällen die Quarantäne einfach noch einmal um Wochen verlängert, ohne zu schauen, ob die Betroffenen Symptome entwickelten. Auch da haben es sich die Behörden zu einfach gemacht.
[FAZ:] Woran liegt es, dass die Behörden das IfSG nach Ihrer Meinung bisweilen falsch auslegen und anwenden?
Zum einen an fehlender Erfahrung. Noch nicht jedes Gesundheitsamt wird schon einmal die Quarantänenorm angewendet haben – zum Glück, muss man sagen. Zudem sind die Gesundheitsämter oft unterbesetzt und schlecht ausgestattet. Das lässt sich historisch erklären. Gesundheitsämter hatten früher viel umfangreichere Kompetenzen, sie waren etwa auch für Impfungen, für die Schwangeren- und Säuglingsfürsorge zuständig. Im Dritten Reich haben sie die Erb- und Rassenpflege als Aufgabe übertragen bekommen und diese auch sehr eifrig ausgeführt. Der Begriff "Volksgesundheit" ist dadurch in Verruf geraten – und mit ihm die Gesundheitsämter. Nach dem Krieg hatte die Präventionsarbeit einen schweren Stand. Dass man das auch ganz human machen kann, wurde damals nicht mehr gesehen. Es kam zu einer historischen Zäsur. Impfungen, Schwangeren- und Säuglingsfürsorge machen seitdem niedergelassene Ärzte. Der Öffentliche Gesundheitsdienst wurde total ausgetrocknet.
[FAZ:] Die Fokussierung der Regierung auf einen Impfstoff gegen das Coronavirus hat bei manchen die Befürchtung geweckt, dass es eine Impfpflicht geben könnte, wie sie seit März für Masern gilt. Wäre eine Impfpflicht auch für SARS-CoV2 verfassungskonform?
Das kann man jetzt noch nicht sagen, denn es sind noch zu viele Fragen unbeantwortet. Wie effektiv wäre der Impfstoff, wie sicher in Bezug auf Nebenwirkungen und Impfschäden? Die Gefährlichkeit des Coronavirus würde wohl für eine Impfflicht reichen – nicht nur, weil Menschen daran schwer erkranken und sterben können, sondern auch, weil immer mehr über Langzeitschäden bekannt wird. Andererseits: Wenn sich freiwillig so viele Menschen gegen Corona impfen lassen würden, dass eine Herdenimmunität erreicht wäre, wäre eine Impfpflicht hinfällig. Bei Masern gibt es diese Herdenimmunität erst ab 95 Prozent, beim Coronavirus anscheinend schon bei 60 bis 80 Prozent. Man würde das Verhalten der Menschen sicher erst einmal eine Zeitlang beobachten müssen und könnte auch durch Kampagnen mehr Menschen zum Impfen bewegen. Dann käme es auf die anderen vielleicht gar nicht mehr an.«
(Hervorhebungen nicht in den Originalen.)
Die Gefährlichkeit des Coronavirus würde wohl für eine Impfflicht reichen – nicht nur, weil Menschen daran schwer erkranken und sterben können, sondern auch, weil immer mehr über Langzeitschäden bekannt wird.
Die Dame sollte sich vielleicht besser informieren, bevor sie solche Knaller losläßt.
Ein Teil ihrer Kritik ist ja schön und gut, aber sie glaubt auch alles, was so (in den MSM) kolportiert wird.
Wie die Gerichte, weswegen sich alles im Kreis dreht: von oben wird behauptet, es bestehe eine Gefährdung, und wer das richterlich geklärt bekommen möchte, erhält zur Antwort, daß eine Gefährdung besteht. Sprich: Das jeweilige Gericht macht sich die Auffassung des/der Beklagten zur unantastbaren Wahrheit, aufgrund derer es dann urteilt. Und das kann nur in die Hose gehen, was es jetzt seit einem halben Jahr auch zuverlässig tut.
Man sollte immer im Hinterkopf behalten das möglicherweise eine Strategie der "Shifting Baselines " nicht die schlechteste Möglichkeit auch weiterhin am öffentlichen Diskurs mitzuwirken.
Auf diese Weise entgeht man der Gefahr diskreditiert, verleumdet oder ruiniert zu werden. Es gibt mehr als ausreichende Beispiele dafür, dass eine kritische Meinungsäußerung in der zu derartig sensiblen Themenbereichen nicht zu Beifallstürmen im Politisch-Juristisch-Medialen-Komplex führt. .
Man kann einen Teil des Volkes die ganze Zeit täuschen und das ganze Volk einen Teil der Zeit. Aber man kann nicht das gesamte Volk die ganze Zeit täuschen. (A. Lincoln)
Das ist nur Weichspülerei; kleine Zugeständnisse machen, dies und das war falsch oder überzogen und nebenbei erwähnen, daß ber eine Impflicht oder Impfen an sich vertretbar wäre.
Das werden wir demnächst noch öfter hören. Auch gegen Masken sein ist dann erlaubt.
Da wird doch ganz genau vorgweführt wie das ganze funktioniert: der Jurist verlangt vom Gesetzgeber saubere Grundlage. Schafft dieser diese Grundlagen ist für den Juristen alles recht.
Und so konnte auch ein Filbinger (der schreckliche Marinerichter war das, glaube ich) sagen "Was früher recht war kann heute nicht unrecht sein!"
Solche Leute wie diese Kießling können uns vor Diktatur und Entrechtung nicht schützen. Die wollen nur, das alles seine "Ordnung" hat – wenn es sein muss auch das Quarantäne-KZ.