Wann lügt der Verfassungsschutz nicht?

»In Ber­lin ist bestä­tigt wor­den, wovor wir seit März und April bereits war­nen. Dass näm­lich die Coro­na-Pro­tes­te deut­lich von Rechts­extre­mis­ten beein­flusst und in zuneh­men­der Wei­se instru­men­ta­li­siert wer­den. Wir haben am Anfang fest­ge­stellt, dass Rechts­extre­mis­ten ver­sucht haben, das The­ma auf­zu­grei­fen und ver­sucht haben, eige­ne Ver­an­stal­tun­gen zu orga­ni­sie­ren. Das hat aber nicht wirk­lich funktioniert.«

Das erzähl­te am 10.9. der Chef des NRW-Ver­fas­sungs­schut­zes. Das ist nicht wahr, zumin­dest für den Bundes­verfassungsschutz. Nach der Ber­li­ner Demons­tra­ti­on vom 1.8. hat­te der erklärt, nur „ein­zel­ne Ange­hö­ri­ge“ aus dem rechts­extre­men Spek­trum hät­ten dar­an teilgenommen.

»"Inso­fern resul­tier­te aus der Kund­ge­bung für die tra­di­tio­nel­le rechts­extre­mis­ti­sche Sze­ne kei­ne nen­nens­wer­te Anschluss­fä­hig­keit an demo­kra­ti­sche Kund­ge­bungs­teil­neh­mer", sagen die Ver­fas­sungs­schüt­zer.«

Jetzt heißt es:

»Die Rechts­extre­mis­ten haben begrif­fen, dass sie mit den Pro­tes­ten pro­vo­kan­te Bil­der schaf­fen kön­nen – wie zum Bei­spiel die Beset­zung der Trep­pe des Reichs­ta­ges. Sie wol­len damit errei­chen, dass die Gesell­schaft auf sie auf­merk­sam wird – zunächst egal ob posi­tiv oder nega­tiv. Sie orga­ni­sie­ren die Pro­tes­te aber nicht selbst, son­dern neh­men dar­an teil. Sie kom­mu­ni­zie­ren im Netz, wer­ben dort und mobi­li­sie­ren Anhän­ger aus den eige­nen Rei­hen für die Coro­na-Demos. Damit machen sie Pro­pa­gan­da für ande­re Ver­an­stal­tun­gen – und das ist neu. Für ihre Sze­ne orga­ni­sie­ren sie gemein­sa­me Anrei­sen. Sie wis­sen, dass sie durch eine Demo brei­te­re Schich­ten der Gesell­schaft errei­chen. Und das ist ein Pro­blem für die Gesell­schaft. Denn man­cher erkennt nicht, wem er da eine Büh­ne über­lässt

In Ber­lin gehen wir zum Bei­spiel davon aus, dass bis zu 3000 Rechts­extre­me dabei waren. Das ist eine Min­der­heit in der Min­der­heit der Coro­na-Leug­ner und der Men­schen, die die aktu­el­len Coro­na-Maß­nah­men ableh­nen. Aber es ist eine gefähr­li­che und lau­te Min­der­heit. Eine wei­te­re Gefahr besteht dar­in, dass Recht­ex­tre­mis­ten mit­lau­fen und ein gro­ßer Teil der Demons­tran­ten das nicht sieht oder nicht sehen will und sich nicht wirk­lich abgrenzt…

Der Ein­fluss der Rechts­extre­mis­ten bei den soge­nann­ten "Coro­na-Rebel­len" nimmt stark zu. Sie sind mitt­ler­wei­le nicht nur in die­ser Orga­ni­sa­ti­on betei­ligt, son­dern steu­ern die­se auch zuneh­mend. Die Rechts­extre­mis­ten und Reichs­bür­ger wer­den akzep­tiert und sind nicht nur Mit­läu­fer…

Wir sehen, dass Rechts­extre­mis­ten ihren völ­ki­schen Sprach­ge­brauch zurück­stel­len, ihre Ideo­lo­gie auf den ers­ten Blick ver­schlei­ern und immer mehr aktu­el­le The­men auf­grei­fen. Durch moder­ne Spra­che und Medi­en ver­su­chen sie, immer tie­fer in die Mit­te der Gesell­schaft ein­zu­drin­gen. Und Tei­len der Gesell­schaft fehlt gleich­zei­tig der Abgren­zungs­re­flex zu den Rechts­extre­mis­ten. Die­se Ent­wick­lung ist schon vor Coro­na dage­we­sen; Coro­na wirkt jetzt aber wie ein Katalysator…

Wenn man sich die Teil­neh­mer der letz­ten Demons­tra­tio­nen anschaut, fängt das an mit Rechts­extre­mis­ten und Reichs­bür­gern. Unter den Rechts­extre­mis­ten sind sowohl Par­tei­en wie "die Rech­te", "Der drit­te Weg" als auch nicht­par­tei­ge­bun­de­ne Neo­na­zis und Skin­heads aus den Misch­sze­nen. Dann sind da Ver­schwö­rungs­ideo­lo­gen aus dem Bereich der soge­nann­ten Quer­den­ker und "Coro­na-Rebel­len". Und der drit­te Teil ist viel­leicht nicht wirk­lich extre­mis­tisch, aber hat ein Fai­ble für die Ver­schwö­rungs­my­then wie Eso­te­ri­ker. Und dann gibt es noch den Teil der ehr­lich besorg­ten Bür­ger, der aber immer mehr abnimmt.«

Vor­sicht ist ange­bracht bei allem, das vom Inlands­ge­heim­dienst kommt. (Sie­he dazu Der gute Ver­fas­sungs­schutz).

Den­noch sind die Beob­ach­tun­gen nicht ganz von der Hand zu wei­sen. Rich­tig ist: "Tei­len der Gesell­schaft fehlt der Abgren­zungs­re­flex zu den Rechts­extre­mis­ten." Das nur auf die "Coro­na-Skep­ti­ker" zu bezie­hen, nicht aber zugleich auf Horst See­ho­fer, Thi­lo Sar­ra­zin, die gesam­te AfD und vie­le ande­re, die seit Jah­ren die "Mit­te der Gesell­schaft" nach rechts drü­cken, macht die Ana­ly­se unglaubwürdig.

Schließ­lich ist es seit Jahr­zehn­ten der Ver­fas­sungs­schutz, der Rechts­extre­mis­mus klein­re­det und die Auf­klä­rung von Anschlä­gen aus die­sem Spek­trum behin­dert, ja sogar dar­in ver­wi­ckelt ist. Ande­rer­seits ver­brei­tet er seit lan­gem die Legen­den von lin­ken Gewalt­tä­tern, die sich in aller Regel als fried­li­che Baum- oder Braun­koh­le-Bag­ger­be­set­zer bzw. Blo­ckie­rer bei Nazi-Auf­mär­schen herausstellen.

Es darf spe­ku­liert wer­den, was den VS jetzt bewegt. Viel­leicht will er ein wei­te­res Pro­blem­feld neben der wie­der erwa­chen­den Kli­ma­be­we­gung, der gegen Ras­sis­mus, für bezahl­ba­ren Wohn­raum und ande­re sozi­al­po­li­ti­sche The­men vermeiden.

5 Antworten auf „Wann lügt der Verfassungsschutz nicht?“

  1. Natür­lich. Erst schleust der Ver­fas­sung­schutz die V‑Rechten ein – und dann for­dert er den "Abgren­zungs­re­flex".

    Wer nicht kapiert, dass mit der For­de­rung die­ses so genann­ten "Abgren­zungs­re­fle­xes" jeg­li­che demo­kra­ti­sche Wil­lens­äu­ße­rung, die dem Staat/V‑Schutz unge­nehm ist, ver­un­mög­lich bzw. unter­bind­bar wird, dem kann man kaum mehr helfen.

    Ob sich nun "Anti­fa" als Pro­vo­ka­teu­re gene­rie­ren oder V‑Leute – kommt dann doch aufs sel­be hinaus.

    Eine Fra­ge: war­um hat das rech­te Sperk­trum die­se Metho­de der Demo-Unter­wan­de­rung noch nicht für sich ent­deckt? Viel­leicht weil erkenn­ba­re Recht in "lin­ken" (Gen­der, BLM, open­boar­ders, "gegen­rechts") Demos um ihre kör­per­li­che Unver­sehrt­heit fürch­ten müssen?

    Wie soll eigent­lich genau die­ser omi­nö­se Abgren­zungs­re­flex aus­se­hen? Ein paar auf die Schnau­ze? Weg­prü­geln? Lynchen?

    Hat eigent­lich jemand auf dem Schirm, dass fried­li­che Pro­tes­te sich genau dadurch aus­zeich­nen, dass NIEMAND aus­ge­grenzt, ange­fein­det, weg­ge­prü­gelt wird?

    Was der­je­ni­ge for­dert, der einen "Abgren­zungs­re­flex" bei Demos for­dert, ist schlicht Gewalt gegen Andersdenkende.

    Wer den Inhalt einer Demos nicht durch die dort getä­tig­ten Aus­sa­gen und den kleins­ten, gemein­sa­men Kon­sens defi­niert, son­dern durch Per­so­nen und Ein­zel­mei­nun­gen, der zer­mürbt das demo­kra­ti­sche Demons­tra­ti­ongrund­recht, höhlt es bis zu einem uner­kenn­ba­ren Rest staats­tra­gen­der Pseu­do-Ver­an­stal­tung aus.

    1. @Albrecht Storz: Nazis gibt es aber schon noch in unse­rem Land, oder? Ich las­se mir jeden­falls nicht ein­re­den, Dut­zen­de ermor­de­te Migran­tIn­nen, bren­nen­de Not­un­ter­künf­te und Mord­auf­ru­fe aus Poli­zei­re­vie­ren sei­en allein Unta­ten fins­te­rer Geheim­diens­te, die damit "die Rech­te" dis­kre­di­tie­ren wol­len. Hier war mehr­fach davon die Rede, daß der V‑Schutz aus einer Nazi­tra­di­ti­on kommt und des­halb(!) die Über­gän­ge zu rechts­ra­di­ka­len Grup­pen flie­ßend sind.
      Bekannt­lich gibt es nach rech­ten Erzäh­lun­gen noch nicht ein­mal authen­ti­sche his­to­ri­sche Natio­nal­so­zia­lis­ten. Danach wur­den schon die dem deut­schen Volk unter­ge­scho­ben von jüdi­schen Ver­schwö­rern an der Wallstreet.
      Die Aktio­nen von Tei­len der Anti­fa bei den "Coro­na-Demos" waren über­wie­gend töricht, ihre Pro­vo­ka­teu­re bei dem "Sturm auf die Reichs­tags­trep­pen" sind Hirngespinste.
      Abgren­zungs­re­fle­xe gegen Mör­der und Holo­caust­leug­ne­rIn­nen sind rich­tig. Sie soll­ten beglei­tet wer­den durch Über­le­gun­gen, war­um das in einer demo­kra­ti­schen Gesell­schaft nötig ist. Das muß nicht in "Weg­prü­geln" enden. Es wür­de rei­chen, kla­re und wirk­lich demo­kra­ti­sche For­de­run­gen auf­zu­stel­len. Dann wür­den Nazis und Reichs­bür­ger schon wegbleiben.

      1. Die­se Abgren­zungs-For­de­run­gen sind pure Zermürbungstaktik.

        Eine "ver­nünf­ti­ge" Demons­tra­ti­on rich­tet For­de­run­gen an die Macht­aus­üben­den. Und jeder, der die­se vor­her ver­brei­te­ten For­de­run­gen unter­stützt, kann und soll sich so einer Demons­tra­ti­on anschlie­ßen. Und kei­ner auf so einer Demons­tra­ti­on muss sich gegen den rechts oder links neben ihm Lau­fen­den abgren­zen. Denn auf einer Demo zu sein heißt nicht, alle dort zu lie­ben und mit jedem einer Mei­nung zu sein. Son­dern heißt ganz ein­fach: Im Sin­ne der Demo-For­de­run­gen einer Mei­nung zu sein – und viel­eicht in sonst gar nichts. Das ist dann aber unerheblich.

        Was ist, wenn neben mir in der Demo ein beken­nen­der und prak­ti­zie­ren­der Pädo­phi­ler läuft? Oder ein Söld­ner auf Heim­ur­laub, oder ein flüch­ti­ger Mör­der, oder ein Sci­en­to­lo­ge, .… muss ich mich von denen auch pro­phy­lak­tisch Abgrenzen?

        Jeder, der mit so Ansprü­chen wie "not­wen­di­ge Abgren­zung" den Sinn und die Funk­ti­on einer Demons­tra­ti­on ent­kernt und ver­dreht macht sich mit­schul­dig an der Aus­höh­lung der Demokratie.

  2. @aa
    Abgren­zungs­re­fle­xe gegen Mör­der und Holo­caust­leug­ne­rIn­nen sind richtig.

    Bei einer Demo für die Grund­rech­te: warum?
    War­um ist das wich­tig? Nein, sogar: "rich­tig"?
    Grund­rech­te sind für alle, auch für Mör­der und Holo­caust­leug­ne­rIn­nen, egal, wie man ihnen gegenübersteht.

  3. Sehr geehr­ter AA,
    als Teil­neh­me­rin bei­der gro­ßen Demos in Ber­lin am 01.08. und 29.08. möch­te ich ger­ne mei­ne Sicht der Din­ge zu die­sem The­ma beitragen:
    Schon im Früh­jahr war ich ab und an bei den "Hygie­ne-Demos" dabei, da ich es schon damals nicht fas­sen konn­te, was da über unse­re Köp­fe hin­weg auf Kos­ten unse­rer Grund- und Frei­heits­rech­te ent­schie­den wur­de.… Nach Mona­ten mit immer unmensch­li­che­ren und unlo­gi­sche­ren Maß­nah­men waren für mich die bei­den Demos im August umso wichtiger.
    Umso erschre­cken­der war es für mich, dass ich und die ande­ren Teil­neh­mer, die am 1.8. fröh­lich durch die Stadt zogen, am Ran­de von klei­nen Grup­pen der Anti­fa und "Omas gegen rechts" usw. mit "Nazis-raus"Rufen "begrüßt wur­de… What thw f…, dach­te ich, ich will doch nur für unse­re Grund­rech­te demons­trie­ren! Was hat "Oma" denn jetzt für ein Pro­blem mit mir?
    Danach nahm die­se Dis­kus­si­on zuneh­mend an Fahrt auf, wur­de in mei­nen Augen poli­tisch instru­men­ta­li­siert, um uns Kri­ti­ker mund­tot zu machen. Bei der Demo am 29.08. wur­den dann von Sei­ten der Poli­zei und unse­res Senats wider­li­che Schach­zü­ge benutzt, um die­se Bewe­gung in ein noch schlech­te­res Licht zu rücken. Nun rückt man uns mit immer mehr hoh­len Abgren­zungs­for­de­run­gen auf den Pelz. Sag­te nicht Gei­sel noch vor ca. 2 Jah­ren, wenn er als Demo­krat auf der Stra­ße gebraucht wird, dann läßt er sich nicht von mit­lau­fen­den Extre­mis­ten davon abhal­ten? Anschei­nend gilt die­se Frei­heit nur für ihn und nur für das Jahr 2018…
    Ich gehe auf die Demos als eigen­stän­di­ge Per­son und ich weiß, dass ich nicht rechts bin und mit die­ser Sze­ne auch nichts zu tun habe. Ich füh­le mich nicht für jeden Men­schen ver­at­wort­lich, der auf die Reichs­tags­trep­pe "stürmt", wenn ich gleich­zei­tig mit Hun­dert­tau­sen­den von fried­li­chen Mit­bür­gern am 17. Juni Robert F. Ken­ne­dy Juni­or lau­sche. War­um auch? Ich las­se mich nicht in einen Topf schmeis­sen mit sämt­li­chen Demo­teil­neh­me­rIn­nen und ich muss mich auch nicht stän­dig dafür recht­fer­ti­gen, dass ich mein Recht auf Kri­tik an den Regie­rungs­maß­nah­men durch den Gang auf die Stra­ße in Anspruch neh­me. Damit habe ich in mei­nen Augen mehr für unse­re brö­ckeln­de Demo­kra­tie getan als die vie­len "Ses­sel­pup­ser", die alles sto­isch erdul­den und wo der Gram zuhau­se vor sich hin wuchert, um dann bei der nächs­ten Wahl in einem Kreuz bei der AFD zu münden.
    Wie sehen denn ganz kon­kret Ihre Ideen zur Abgren­zung nach rechts für mich (ich rede nicht von den Ver­an­stal­tern) aus? Nicht mehr auf die Demo gehen? Jedem Vor­bei­ge­hen­den sagen, dass ich nicht rechts bin? Mich wei­ter­hin als rechts-eso­te­ri­sche Covidio­tin beschimp­fen las­sen und Bes­se­rung gelo­ben? Wenn man mal die­ses gan­ze poli­tisch-moti­vier­te "Geschrei" bei­sei­te lässt, was bleibt dann? Dann blei­be ich, eine 46-Jäh­ri­ge Frau, die fried­li­che Prä­senz gezeigt hat. Das ist ein gro­ßes Zei­chen, auch wenn es im heu­ti­gen Gebrüll um "die rich­ti­gen Wor­te, die rich­ti­ge Abgren­zung, die rich­ti­ge Hal­tung" lei­der all­zu ger­ne über­se­hen wird (passt auch nicht mehr in unse­re Zeit der lee­ren Lipoen­be­kennt­nis­se und hash­tags). Aber mir war und ist es wich­tig, mich zu zei­gen, da zu sein… Mich zu erken­nen zu geben: Ich bin nicht ein­ver­stan­den! War­um mei­ne Prä­senz auf den Demos irgend­was damit zu tun haben soll, dass ich mit rech­tem Gedan­ken­gut lieb­äu­gel, leuch­tet mir nicht ein und ent­spricht nicht mei­ner Lebens­wirk­lich­keit (und wird es auch zukünf­tig nicht tun). Die­ses Spiel spie­le ich ein­fach nicht mit. Punkt. Aber ich gebe zu, man muss inner­lich schon sehr stark sein, um die­se Dif­fa­mie­run­gen aus­zu­hal­ten. MfG

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