Professor Dr. Matthias F. Schneider leitet die Abteilung Medizinische und biologische Physik an der TU Dortmund. Auf zeit.de stellt er sich am 9.9. der Aufgabe, die von Christian Drosten erzeugte Verwirrung um die drohende Corona-Perkolation zu ordnen. Er scheitert.
»"Wir können Corona noch stoppen"
Leben mit dem Infektionsrisiko – das scheint der neue Normalzustand. So müsste es nicht sein. Die Seuche wäre in den Griff zu kriegen, wenn man diese acht Punkte bedenkt.«
Wer bei diesen Grundannahmen (Corona = Seuche = Pest, Cholera, Ebola, also gilt Ausrotten) nicht weiterlesen mag, verpaßt Amüsantes. Auch acht Tips, wie man von einer Erde nicht herunterfällt, die man für eine Scheibe hält, können ein netter Zeitvertreib sein.
Schneiders Punkt 1: Ein Ausbruch kommt ohne Ansage
Drostens nicht ganz geglückten Beispielen zur Perkolation fügt er eines hinzu, dem ein vergleichbares Schicksal. beschieden ist:
»Stellen Sie sich einen Behälter mit Eis vor, in dem sich kleine rote Teilchen befinden. Nähert sich das Eis langsam dem Schmelzpunkt, bilden sich kleine Wassertaschen, in denen sich verschiedene Mengen der roten Teilchen befinden. Die Art und Geschwindigkeit, mit der sich diese Teilchen nun ausbreiten, wenn das Eis weiter schmilzt, hängt davon ab, wie viele Teilchen pro Liter Wasser herumschwirren. Viel mehr aber noch davon, wie die einzelnen Wassertaschen miteinander verbunden sind. Bilden sich dünne Verbindungen durchs Eis, durch die einzelne Teilchen benachbarte Wassertaschen erreichen – oder bleiben diese isoliert voneinander? Je nachdem bleiben die roten Teilchen in ihren Taschen gefangen oder sie sind bald überall.
Man kann dieses Szenario auf das Ausbruchsgeschehen von Sars-CoV‑2 übertragen.«
Hier soll nicht das Eis-Beispiel in Frage gestellt werden. Was aber will uns Schneider sagen, wenn er die Parallele zu Sars-CoV‑2 wie folgt zieht?
»Bei den roten Teilchen handelte es sich um infizierte Personen und jede Wassertasche wäre ein Cluster von Infizierten. Solange die Cluster isoliert bleiben, kann das Virus zwar innerhalb davon sein Unwesen treiben. Es wird aber aussterben, sobald genügend Menschen immun sind. Gefährlich wird es aber, wenn die einzelnen Cluster sich verbinden: Dann droht schlimmstenfalls ein bundesweiter schwerer Ausbruch. Besonders groß ist die Gefahr, wenn die Cluster eng vernetzt sind, in jedem davon viele Infizierte leben und die Entfernung zwischen den Clustern gleichzeitig gering ist.
Das Heimtückische an dieser Situation ist, dass die Umwandlung sehr plötzlich und ohne Ankündigung kommt. Bis zu einem gewissen Punkt ist alles ruhig, danach bricht der kaum aufzuhaltende Übergang los. Plötzlich gäbe es nicht mehr nur lokal begrenzte Ausbrüche, sondern einen sehr großen. Das Gefährliche: Wir wissen nicht, wie kurz wir uns hier in Deutschland derzeit vor diesem Phasenübergang befinden.
Der Vergleich hat aber auch Positives. Er zeigt, wie man einen großen Ausbruch verhindern kann. Indem man vermeidet, dass viele Cluster eng beieinander sind und gleichzeitig lokale Cluster isoliert. So lässt sich im Prinzip jedes Virus eliminieren.«
Rote Teilchen (der Feind ist immer rot!) sind also infizierte Personen. Wen aber stellt das schmelzende Eis dar? Die Bevölkerung in der "gesamten Länge Deutschlands", wie eine andere ZEIT-Autorin schrieb? Wie muß man sich deren Schmelzen vorstellen? Hat es etwas zu tun mit Drostens "Wir tun mehr drauf und es kommt immer noch weiter zuverlässig zu Infektionen" (vgl. Wenn die Zahlen sinken, braucht es Perkolation. Neues aus dem Tollhaus)? Klar wird immerhin, wie das Virus wie alle anderen zu eliminieren ist: Alles isolieren.
Schneiders Punkt 2: Wir müssen exponentielles Wachstum verstehen
»Wie schnell kann ein Ausbruch uns überrollen, wie schnell können aus ein paar Hundert Infizierten Tausende werden? Ein Problem in den meisten alltäglichen Debatten ist unsere mangelnde Intuition für exponentielles Wachstum. Das sei an einem Beispiel noch einmal erklärt.
Legen Sie, wie in der Legende von Shirham, Reiskörner auf ein Schachbrett, und zwar immer doppelt so viele wie auf das vorige Feld (1, 2, 4, 8, 16 …). So entspricht das Gewicht der Reiskörner auf Feld 11 bereits dem einer Maus, auf Feld 28 dem eines Elefanten und auf Feld 44 der Masse des Kölner Doms. Auf dem letzten Feld läge etwa das Millionenfache des Gewichts des Empire State Buildings – die Menge Reis, die wir auf dem Planeten in mehreren Hundert Jahren verspeisen. Exponentielles Wachstum gerät schnell außer Kontrolle, gerade dann, wenn wir uns einbilden, wir hätten es im Griff. Um eine realistische Vorstellung zu bekommen, brauchen wir Physik und Mathematik. Einschätzungen auf Grundlage von Alltagsgewohnheiten sind sinnlos und gefährlich.«
Die Geschichte mit den Reiskörnern gehört in der Tat nicht zu den Alltagsgewohnheiten. Da ist es gut, einen Physiker zu haben, der Reiskörner in Elefanten und gar das Gewicht des Empire State Buildings umrechnen kann. (Wir lassen das jetzt mit den Assoziationen.) Der Autor verzichtet übrigens darauf, die zu Anfang des Punktes 2 gestellte Frage zu beantworten.
Schneiders Punkt 3: Auch was selten passiert, ist entscheidend
Der Alltagsverstand weiß, ein Unglück kommt selten allein, aber ebenso: Auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn. Mit solchen Trivialitäten hält sich der Autor aber nicht auf. Er informiert uns vielmehr so:
»Auch wenn es um Wahrscheinlichkeiten geht, trügt uns unser Alltagsverstand. Wie groß vermuten Sie zum Beispiel die Wahrscheinlichkeit, dass Fußballspieler von Borussia Dortmund und dem FC Bayern am selben Tag im Jahr Geburtstag haben? Überraschenderweise beträgt die Wahrscheinlichkeit etwa 50 Prozent. Wenn man die Kader überfliegt, findet man Götze/Piszczek, Witzel/Can und mit Delaney/Boateng/Süle sogar ein Trio. Schon solch einfache Konstellationen sind nur schwer intuitiv für uns Menschen fassbar.«
Das leuchtet ein und ist ein hinreichender Grund, so fortzufahren:
»Die Wahrscheinlichkeit für ein Superspreading-Event anzugeben, also ein Ereignis, bei dem eine Person viele andere infiziert, ist aber um ein Vielfaches komplizierter. Dafür benötigt es Erfahrung im Umgang mit kollektiven Wahrscheinlichkeiten, wie sie in erster Linie physikalisch oder mathematisch gebildete Wissenschaftlerinnen und Forscher haben.«
Wie erfreulich, daß uns mit ihm nun jemand aus dieser Garde erklären kann:
»Um zu beschreiben, welchen Einfluss seltene Ereignisse haben, benutzen Physikerinnen und Physiker das Konzept von Verteilungen. Ein Beispiel: Ein Nichtschwimmer soll zu Fuß einen Fluss durchqueren. Nehmen wir zunächst eine Normalverteilung an, die uns als Menschen intuitiv recht vertraut ist. Sie würde bedeuten, der Fluss hat eine mittlere Tiefe von einem Meter, plus/minus 20 Zentimeter. Der Nichtschwimmer von 1,80 Metern Größe kann den Fluss in diesem Fall problemlos durchqueren. Nur sehr selten wird ihm das Wasser bis ans Kinn reichen.«
Vorbildlich knüpft der Populärwissenschaftler an das an, das uns als Menschen intuitiv recht vertraut ist: Jeder auch nur 1,80 Meter große Nichtschwimmer würde natürlich einen Fluß durchwaten, von dem ihm eine mittlere Tiefe von einem Meter, plus/minus 20 Zentimeter bekannt ist. Kein Mensch käme auf die abwerwitzige Idee, der Fluß könne am Ufer flach und in der Mitte arg tief sein. So viel zur Normalverteilung.
»Ein Unterschied dazu ist die Paretoverteilung. Sie ist die bekannteste Vertreterin einer Klasse von Verteilungen, die dadurch gekennzeichnet sind, dass eine kleine Zahl großer Abweichungen das Geschehen bestimmt (power-laws). Ist die Tiefe des Flusses also Pareto-verteilt, dann befindet sich mit hoher Wahrscheinlichkeit im Fluss eine Stelle, die ohne Weiteres eine Tiefe von 10 Metern erreicht. In dem Fall würde der Nichtschwimmer ertrinken, egal wie flach der Fluss an den anderen Stellen ist. Der Mittelwert hätte dem Nichtschwimmer hier nicht geholfen.«
Man nimmt sich also die Paretoverteilung her und schwupps! kann ein jeder Fluß auch ohne Weiteres eine Tiefe von 10 Metern erreichen. Das ist anscheinend Physik.
»Das zeigt, wie wichtig es ist, sich über die Art der Verteilung von Ereignissen (hier die Tiefe des Flusses) im Klaren zu sein. Wäre die Übertragung von Sars-CoV‑2 Pareto-verteilt, dann wäre nur ein Ereignis von 1000 für 53 Prozent aller Infektionen verantwortlich. Und vieles deutet darauf hin, dass im Falle von Pandemien sogar noch weniger Ereignisse das Geschehen dominieren (Nature Physics: Cirillo & Taleb, 2020). Superspreading-Ereignisse könnten also noch viel wichtiger sein als bisher angenommen.«
Nachdem wir uns damit "über die Art der Verteilung von Ereignissen (hier die Tiefe des Flusses) im Klaren" sind, fällt der daraus abgeleitete Gedanke doch leicht. Oder nicht? Wie wird aus der Vertiefung des Flusses bei geeigneter Verteilung "ein Ereignis von 1000 für 53 Prozent aller Infektionen verantwortlich"? Ich gestehe, mir den Artikel in Nature Physics erspart zu haben.
Neurotische Realität
Schneiders Punkt 4: Superspreading-Events wird es weiter geben
»Wir werden wegen dieser ungewöhnlichen Verteilung immer neue Superspreading-Ereignisse finden. Wahrscheinlich ist, dass wir im Herbst und Winter wegen veränderter Rahmenbedingungen (geschlossene Räume, andere Luftfeuchtigkeit, Erkältungskrankheiten und dergleichen) mit einer Reihe neuer Superspreading-Situationen rechnen müssen. Das heißt, es werden neue gefährliche Situationen dazu kommen, die wir jetzt nur bedingt vorhersagen können.
Und es ist auch überhaupt kein Widerspruch, dass eine Reihe von Studien, etwa zur Ansteckung und Erkrankung von Kindern, unterschiedlich ausfallen. Kleinigkeiten, von denen wir noch viel zu wenig wissen, spielen eine enorme Rolle, genauso wie im exponentiellen Wachstum. Das etwas irritierende, sozusagen "neurotische" Verhalten in der Ausbruchsdynamik ist kein Versagen der Wissenschaft, sondern vielmehr ein Markenzeichen für Ausbrüche dieser Art.
Die Unsicherheit im Vohersagbaren heißt aber auch: Wir müssen vermutlich etwas mehr leisten als "nur" die Superspreading-Events zu identifizieren, zum Beispiel auf Familienfeiern oder bei einer Chorprobe. Idealerweise bräuchten wir die echte Null, keine Neuinfektionen für längere Zeit, keine Spiele mit dem Feuer. Ansonsten werden wir immer wieder neue Superspreading-Ereignisse und Cluster von Infektionen bekommen, wie etwa in Frankreich. Das neuartige Coronavirus hat sich in den vergangenen Monaten mehr in der Fläche von Deutschland verteilt. Nun schlummert es verborgen überall in sogenannten silent pools und füttert irgendwann den nächsten lokalen Ausbruch.«
"Wahrscheinlich" "werden neue gefährliche Situationen dazu kommen, die wir jetzt nur bedingt vorhersagen können". Und an allem ist "diese ungewöhnliche Verteilung" Schuld, die zwar auch anders sein könnte, aber wenn, dann…
Es gibt zwar dutzende Studien über "Ansteckung und Erkrankung von Kindern", die überhaupt nicht unterschiedlich ausfallen, aber das Argument verfolgt der Autor auch gar nicht weiter. Er sorgt sich um das "etwas irritierende, sozusagen 'neurotische' Verhalten in der Ausbruchsdynamik". Denn das paßt ums Verrecken nicht in die offizielle Pandemie-Erzählung. Die Wirklichkeit verhält sich neurotisch, weil sie den Annahmen einiger WissenschaftlerInnen nicht nachkommt.
Exponentielle Null auf Gemeindeebene statt Vollausbruch
»Häufig wird argumentiert, dass die absolute Null nicht erreichbar sei, weil das Virus aus dem Ausland ja sowieso wieder hereingetragen würde. Das wird leicht zur selbsterfüllenden Prophezeiung. Man sollte es zumindest versuchen, auch wenn das hieße, Maßnahmen wieder anzuziehen. Bereits auf Gemeindeebene kann die Null wegen des exponentiellen Verhaltens enorme Konsequenzen haben. Wenn wir jetzt mit großen Infektionszahlen in den kalten Herbst und Winter gehen, kann es uns passieren, dass uns die Superspreading-Events nur so um die Ohren fliegen und wir uns dem Übergang zum Vollausbruch schnell nähern.«
Her mit der (schwarzen?) Null, Grenzen zu, Zügel anziehen! So verhindern wir den "Übergang zum Vollausbruch".
»Vorsicht ist besser als Verharmlosung.
Natürlich kann es auch sein, dass wir glimpflich davonkommen. Wer behauptet, er wüsste das, lügt. Jedenfalls sollten Lockerungen und Schulöffnungen gut durchdacht und flexibel sein, nicht stur durchgezogen werden. Gerade wegen der schwer vorhersagbaren Ausbruchsdynamik (unerwartet erscheinende Ereignisse sind nicht selten) und der Tatsache, dass das Virus verheerende Folgen haben kann, ist Vorsicht besser als Verharmlosung.«
Wissenschaft sagt: Schaden skaliert mit der Größe
Schneiders Punkt 5: Die Gemeinschaft zählt
Wieder bringt der Autor ein Beispiel aus der Praxis.
»Ein anderes in der Pandemie wichtiges Phänomen lässt sich noch einmal gut am Beispiel Fußball erklären: Angenommen, in einem Stadion, in dem sich 100 Infizierte befinden, liegt die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein einzelner Fan in weniger als anderthalb Meter Entfernung von einem Infizierten befindet, bei etwa fünf Prozent. Ein Fußballfan im besten Alter mag das durchaus in Kauf nehmen. Auf 60.000 Besucherinnen und Besucher hochgerechnet erreicht man so leicht 1.000 Neuinfizierte, die das Stadion verlassen. Bei ungebremstem Wachstum ist drei bis vier Wochen später fast eine komplette Großstadt durchinfiziert. Natürlich werden in der Realität Infektionsketten durch rücksichtsvolles Verhalten unterbrochen, aber das zeigt, wie der Schaden für die Gesellschaft rasant wächst (man sagt in der Wissenschaft, er skaliert mit der Größe).«
Wie alt mag "ein Fußballfan im besten Alter" sein? Versuchen wir einmal, die Berechnung ernst zu nehmen. Wir haben ein Stadion mit 60.000 Leuten und 100 Infizierten. Fünf Prozent der Infizierten halten keinen Mindestabstand ein, also 5 Personen. Wie gelingt es ihnen, 900 weitere Menschen anzustecken? Wie hoch wäre da das längst vergessene "R"? Vermutlich wirkt hier die gleiche Logik, mit der "drei bis vier Wochen später fast eine komplette Großstadt durchinfiziert" ist. Der Autor weiß, daß "natürlich in der Realität" das Unfug ist. Trotzdem sieht er, "wie der Schaden für die Gesellschaft rasant wächst".
Schneiders Punkt 6: Eins plus eins ist mehr als zwei
Nach der bisherigen intellektuellen Vergewaltigung der Wissenschaft wundert das nun nicht mehr.
»Ein weiteres wichtiges Merkmal des Ausbruchs lässt sich gut anhand der Schutzwirkung von Masken beschreiben: Nichtlinearität. Nehmen wir an, eine Maske reduziert die Partikel (wie zum Beispiel Aerosole, die das Virus mit der Luft verbreiten) um einen Faktor p. Nehmen wir der Einfachheit halber an, die Filterleistung der Maske ist beim Ein- und Ausatmen in etwa gleich. Dann reduziert sich die Teilchenzahl um einen Faktor p hoch zwei, wenn beide (infektiöser und gesunder Mensch) einen Mund-Nasen-Schutz tragen. Einen exakten Wert für p anzugeben ist schwierig, aber realistisch scheint zumindest bei chirurgischen Masken ein Drittel (PloS One: van der Sande et al., 2008). Das bedeutet: Wenn Kellner und Gast bei der Bestellung eine Maske tragen, reduziert sich die Partikelexposition auf ein Neuntel.
Geht man zusätzlich zur Maske noch auf zwei Meter Abstand, reduziert man die Infektionswahrscheinlichkeit weiter um etwa einen Faktor zwei auf insgesamt ein Achtzehntel (Lancet: Chu et al., 2020). Damit rutscht man unter Umständen bereits unter die Schwelle einer für eine Ansteckung notwendigen Viruslast.
Die Botschaft ist daher: Maßnahmen – wie das Tragen einer Maske, Hygieneregeln und Kontaktbeschränkungen multiplizieren sich in ihrer Wirkung. In Kombination sind sie daher sehr mächtig.
Dazu kommt: Immer wenn man nicht weiß, wie weit man noch von einem Ausbruch entfernt ist, gilt das Vorsichtsprinzip. Sollten sich Masken als Vorsichtsmaßnahme in einer Situation tatsächlich im Nachhinein als unnötig herausstellen, haben wir nicht viel verloren. Sollte sich die Gefahr aber bestätigen und wir haben die Masken nicht getragen, können die Folgen fatal sein. Bei Ungewissheit ist also Vorsicht angebracht.«
Hier wird allerlei multipliziert. Wer genau liest, stellt fest: Egal ob die Berechnung stimmt, sie wird für chirurgische Masken vorgenommen. Mit Alltagsmasken hat das alles komplett gar nichts zu tun. Der Autor könnte auch konstatieren: "Sollten sich die Ganzkörperverhüllung als Vorsichtsmaßnahme in einer Situation tatsächlich im Nachhinein als unnötig herausstellen, haben wir nicht viel verloren." Recht hätte er!
Zügel strammer anziehen mittels des Zustands der gelben Zonen
Schneiders Punkt 7: Klug ist, das Feuer im Keim zu ersticken
»Die beste Strategie ist nach wie vor, das Feuer im Keim zu ersticken…
Aber das reicht nicht. Wir müssen uns vor neuen Superspreading-Ereignissen schützen und uns weiter in Richtung Null bewegen. Im Moment gilt in den meisten Bundesländern eine Grenze von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern innerhalb einer Woche. Im Extremfall würden so mehr als 40.000 Neuinfizierte in Deutschland zusammenkommen, was dramatisch wäre. Mit solchen Maßgaben wird man das Virus nicht nur nicht loswerden, sondern man muss mit einem explosionsartigen Wachstum rechnen.«
Er meint vermutlich nicht, daß in den meisten Bundesländern (per Verordnung?) die Zahl der Neuinfektionen festgelegt wird. Wie für ihn der "Extremfall" eintritt mit "mehr als 40.000 Neuinfizierten" bleibt sein mathematisches Geheimnis. Doch klar ist, daß diese seine "Maßgaben" zu einem "explosionsartigen Wachstum" führen.
»Daher wäre mein Vorschlag, deutlich strengere Kriterien anzusetzen und diese der Situation anzupassen. Das könnte gelingen, indem man beispielsweise den Mittelwert der Neuinfektionen über ein größeres Gebiet als Kriterium nimmt. Das hieße, man teilt die Gesamtzahl der Neuinfektionen durch die Einwohnerzahl in dem entsprechenden Gebiet. Bundesweit betrachtet, liegt dieser Mittelwert gerade bei etwa 10 pro 100.000 Einwohnern. Man könnte dieses Prinzip zum Beispiel auf einzelne Bundesländer anwenden: Jeder Landkreis, dessen Neuinfektionen sich unter dem Mittelwert befänden, könnte entspannen und als grüne Zone gelten, und jeder, der diesen Wert überschreitet, befände sich in einem Zustand, den wir hier als als gelbe Zone bezeichnen wollen. Die Bevölkerung ginge in einen "Zustand erhöhter Vorsicht", der dann wieder mit bestimmten Einschränkungen einhergehen würde. Je konsequenter die Maßnahmen umgesetzt werden würden, desto schneller gelänge die Rückkehr ins Grüne.
Der Clou: Auf diese Weise würde der Mittelwert immer weiter gedrückt und die Tendenz zur grünen Zone verstärkt. Nur eins bliebe der Gemeinde nicht erspart: Solange die Gefahr des Virus nicht geklärt und keine Impfung oder Heilung möglich ist, muss sie wachsam bleiben und regelmäßig testen. Je mehr Bezirke aber auf Grün springen, desto weiter könnten die Maßnahmen zurückgefahren werden.«
Niemand hat die Absicht…
Schneiders Punkt 8: Es braucht lokale Lösungen, mit Rücksicht auf die Nachbarn
»Um die mühsam grün gewordenen Zonen zu schützen, würden Einwohnerinnen und Einwohner von roten Zonen (alle, die deutlich vom Mittelwert abweichen sowie alle mit Superspreading-Events) in ihrer Mobilität stark eingeschränkt. Zu Beginn mag ein solches Vorgehen zäh verlaufen und wäre womöglich politisch anfangs schwer durchzusetzen. Aber da letztlich alle davon profitieren würden (auch die Wirtschaft), führte es dazu, dass auch die Nachbargemeinden grüner Zonen eher auf Grün springen würden, weil die umliegenden grünen Zonen sie schützen, da von dort ja keine Infizierten einreisen könnten.
Viele Details müssten natürlich ausgearbeitet und konkrete Maßnahmen politisch diskutiert werden. Aber aus physikalisch-infektionstheoretischer Sicht sind diese Vorschläge von Bar-Yam und Taleb beinahe alternativlos.«
Nun doch noch die roten Zonen (nein, keine Assoziationen!), also die gelben "mit Superspreading-Events". Darum werden wohl Mauern gebaut werden müssen, was ja auch ihren EinwohnerInnen dient, sozusagen als antiviraler Schutzwall.
»Solange das Virus eine Gefahr für unsere Bevölkerung oder Teile davon darstellt, wäre seine Unterdrückung in jeder Hinsicht immer noch die günstigste Lösung. Sie würde – konsequent praktiziert – kaum länger als zwei bis drei Wochen dauern. Gingen wir mit der Null vor Augen in den Herbst und den Winter, uns würde höchstwahrscheinlich einiges erspart bleiben. Ja, dieser Weg würde anstrengend werden, für ein paar Wochen. Aber das wäre nichts gegen die Energie, die wir brauchen würden, uns inmitten einer verunsicherten Gesellschaft an eine immer neue ungewisse Normalität gewöhnen zu müssen.«
Wenn das so weitergeht, verkommt dieser Blog zu einem Satire-Magazin.
(Hervorhebungen nicht in den Originalen.)
Punkt 6: was passiert und welche Potenz erreicht der Physiker, wenn Gast und Kellner durch die gleiche Maske atmen? Ich atme ein. Ich raste aus.
Der Idiot, der die Geschichte mit den Reiskörnern auf dem Schachbrett als anschauliches Beispiel für exponentielles Wachstum bei Corona-Kranken angibt, vergisst den wesentlichsten Punkt: wo sollen denn all die Reiskörner herkommen?
Wissenschaftlich ist das eine Frage nach der Logistik. Verfügt man überhaupt über so viele Reiskörner – und kann man die alle zum Schachbrett schaffen (geschweige denn, darauf packen)?
Oder auf Corona übertragen: nein, da wächst nichts exponentiell, denn irgendwann sind die Anfälligen immun und die Herdenimmunität ist erreicht – und das exponentielle Wachstum war schon lange vorher erledigt – durch Ausdünnung.
Merke: jeder natürlicher Vorgang mit notwendig damit verbundener Ressourcenbeschränkung kann nur über eine sehr kurze Phase exponentiell wachsen.
Das sollte eigentlich ein Wissenschaftler wissen. Aber diese Leute scheinen heutzutage nur noch dafür da zu sein, dümmliche Beispiel für Unsinn zu konstruieren.
Professor Dr. Matthias F. Schneider,
ich schäme mich für Sie!
Dass Sie so einen Text mit Ihrem Namen gezeichnet, der Öffentlichkeit preisgeben, zeigt mir, dass Sie selbst zu Scham nicht (mehr) fähig sind.