Es war eine der größten Demonstrationen, die Berlin je gesehen hat. Angesichts der Bilder wirken die Versuche der meisten Medien, sich auf alberne Polizeiangaben zu beziehen, entweder hilflos oder perfide.
Es spielt fast keine Rolle, ob es wirklich die von den Veranstaltern angegebenen 1,3 Millionen waren oder nur hunderttausende. Jeder Mensch in Berlin kann die Bilder einschätzen, die bei weitem nicht alle DemonstrantInnen zeigen. Zehntausende hielten sich darüber hinaus im Tiergarten auf Wiesen und Wegen auf.
Ein paar Nazis waren dabei, das ist richtig. Mitunter wirkte es verstörend, hinter der Reichskriegsflagge [Update 7.8.: richtig ist: Reichsflagge schwarz-weiß-rot] Menschen mit Fahnen der Friedensbewegung zu sehen. Doch die waren weitaus zahlreicher als die Deutschlandfahnen, die es auch zu sehen gab. Zahlreicher auch als die Häufchen irregeleiteter Antifas, die den Demonstrierenden ihr einfallsloses "Nazis raus" entgegenbrüllten. Noch nie waren im übrigen ihre SprecherInnen so prominent in den Massenmedien zu vernehmen wie heute.
Der Autor muß selbstkritisch feststellen, daß auch er das Ausmaß der Unzufriedenheit mit den antidemokratischen und immer widersinnigeren Maßnahmen der Regierenden egal welcher Zusammensetzung unterschätzt hat.
Wie die Polizeiführung des rot-rot-grünen Berlin mit der Demo umging, ist bezeichnend. Provokative Greifereinsätze hochgerüsteter Spezialeinheiten inklusive Pfefferspray kannte man bisher eher von Demonstrationen der Antifa, die sich heute in weiten Teilen so staatstragend gab, oder anderen eher linken Aktionen. Heute wandte sich die Polizei im Auftrag des Senats gegen die berühmte "Mitte der Gesellschaft". Da war ein bunter Querschnitt der Bevölkerung auf den Straßen, viele sicher zum ersten Mal auf einer Demo. Sie haben ein Lehrstück in Demokratie erlebt.
Da mögen hier aufgeworfene Fragen nach der Doktorarbeit von Christian Drosten oder dem Zuschieben von profitablen Aufträgen an befreundete Unternehmen der Charité marginal wirken. Doch das sind sie nicht. Sie beschreiben ein System, in dem Wissenschaftlichkeit nachrangig ist gegenüber Profitabilität. Um letztere zu sichern, darf ein demokratischer Diskurs bestenfalls eingeschränkt stattfinden.
Die Menschen auf den Straßen in Berlin stellen auch dieses System in Frage. Mag sein, daß davon Rechtspopulisten profitieren. Denkbar und zu wünschen ist, daß hier ein neuer Aufbruch entsteht, der das Land ähnlich wie 1968 durcheinanderwirbelt. Das hängt auch davon ab, ob sich JournalistInnen endlich dazu durchringen, mehr als regierungsamtliche Statements zu verkünden. Noch sieht es nicht so aus.
Soeben hat der Regierende Bürgermeister im RBB von Randale phantasiert. Auf Nachfrage mußte er das präzisieren als Nichttragen von Masken. Der Senat sei sich einig, daß man auch über Verbote nachdenken müsse, wie man das angeblich mit Antisemiten und Rechtsradikalen handhabe.
(Vgl. die weiteren Beiträge zur Demonstration, u.a. Oops ‑schiefgelaufen? Hat Polizei 1,3 Mio. für Demo gemeldet? und Demo-Zahlen: Sonne bringt Licht ins Dunkel der Tagesschau-Fakes)
Offener können Steuernapf-Politiker und Amtsträger ihre Abscheu vor dem angeblich gemeinen Volk kaum zeigen.
Vermutlich muss das erst jeder live und in Farbe selbst erleben, sehen und erkennen. Erst dann wird sich das Volk abkehren, den Feudalherren nicht mehr dienen.
it's getting frosty babes 🙂
Wunderbar beschrieben. Ich war auch. Ja, schade um die blöden Flaggen, aber was soll man machen? Sie wegprügeln?
Wir wohnen übrigens im gleichen Kiez.
Ja, man muss, scheint's, tatsächlich sein eigenes Plakat mitbringen und hochhalten, denn sonst werden leider nur die schwarz-weiß-roten Fahnen wahrgenommen.
Was technisches: Bitte diese Hin-und-her-Schaltung der beiden Bilder wieder rausnehmen, der gesamte Text wandert entsprechend der unterschiedlichen Bildhöhe ständig hoch und runter, das nervt…