Politische Betätigung hieß damals noch nicht "Querdenken". In einer Zeit von Medien hochgeputschter Denunziation konnte schon gewerkschaftliche Organisierung, die man als kommunistisch oder anarchistisch stigmatisierte, zum Tode führen.
Auf welt.de, keineswegs dem politischen Ansatz der Beiden verbunden, ist heute zu lesen:
»Ihr Tod auf dem elektrischen Stuhl machte sie zu Märtyrern
Belastbare Beweise gab es nicht, nur vage Indizien. Trotzdem wurden die italienischen Einwanderer Ferdinando Sacco und Bartolomeo Vanzetti am 22. August 1927 in den USA wegen Doppelmordes hingerichtet. Das machte sie weltbekannt.
Im Zweifel für den Angeklagten. Dieses Prinzip gehört zu den ältesten Grundsätzen jedes Rechtsstaates, denn es stammt bereits aus der römischen Antike, in der lateinischen Form „In dubio pro reo“. Doch zugleich ist es herausfordernd, denn es nützt nicht nur dem unschuldigen Angeklagten, sondern ebenso und wahrscheinlich häufiger wirklichen Schuldigen, deren Schuld aber nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden kann.
Was allerdings geschehen kann, wenn sich gleich mehrere Instanzen über den ehrwürdigen Grundsatz des Strafrechtes hinwegsetzen, zeigt der Fall Sacco & Vanzetti. Die beiden italienischen US-Einwanderer wurden am 23. August 1927 kurz nach Mitternacht auf dem elektrischen Stuhl im Staatsgefängnis von Massachusetts in Charlestown hingerichtet. Bei Sacco, der zuletzt aus Protest jede Nahrungsaufnahme verweigert hatte, musste die Spannung erhöht werden, weil sein Körper dehydriert war.
Verurteilt worden waren beide, der 1891 geborene Ferdinando „Nicola“ Sacco und der drei Jahre ältere Bartolomeo Vanzetti, schon 1921, und zwar wegen eines Raubüberfalls auf einen Geldtransport, bei dem am 15. April 1920 ein Buchhalter und ein Wachmann ermordet worden waren. Die Täter erbeuteten genau 15.776,51 Dollar, nach heutiger Kaufkraft knapp 1,4 Millionen Dollar.
Der örtliche Polizeichef vermutete, eine italienischstämmige Gruppe von Anarchisten stecke hinter dem Überfall; ermittelt wurde, von einem anderen Ansatz in den ersten Tagen abgesehen, eigentlich nur in diese Richtung. Am 5. Mai 1920 gingen Sacco & Vanzetti ins Netz. Beide waren polizeibekannte Anarchisten, beide waren bei ihrer Festnahme bewaffnet (was in den USA allerdings zulässig war) und beide logen in den ersten Verhören.
Jedoch gab es keinerlei überzeugende Beweise, die sie mit dem Überfall in Verbindung brachten, nur vage Indizien. Dennoch wurden sie 1921 angeklagt und aufgrund wenig beweiskräftiger Zeugenaussagen, einer am Tatort gefundenen Mütze, wie Sacco sie zu tragen pflegt, die ihm allerdings mindestens zwei Nummern zu klein war, und eines fragwürdigen Gutachtens über die Kugel, mit der eines der beiden Opfer getötet worden war (der Sachverständige sagte: „Meine Meinung ist, dass sie einer aus dieser Pistole abgefeuerten Kugel entspricht“) von der Jury des Doppelmordes schuldig gesprochen.
Das Strafmaß jedoch wurde noch nicht verkündet – ein Unterschied des angloamerikanischen Rechts zur kontinentaleuropäischen Tradition. Im Falle von Sacco & Vanzetti dauerte es sogar fast sechs Jahre, bis der zuständige Richter die Todesstrafe gegen die beiden Immigranten aussprach…
Die Verteidigung brachte bis 1927 insgesamt acht Anträge auf Berufung ein (der Hauptgrund, warum das Strafmaß erst so spät verkündet wurde, denn vorher musste nach damaliger Auslegung des US-Rechts der Schuldspruch gültig sein). Doch alle lehnte der Richter des Prozesses ab – und verkündete stattdessen das Todesurteil…
Nach dem Prinzip „In dubio pro reo“ hätten Sacco & Vanzetti nicht verurteilt werden würden – unabhängig davon, ob sie den Doppelmord begangen hatten oder nicht. Denn ihre Schuld konnte vor Gericht eben nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden. Die Hinrichtung nach sechs Jahren in Haft machte die beiden endgültig zu Märtyrern.«
Das Springer-Blatt setzt die beiden toten Anarchisten nicht in Bezug zu Querdenken wohl aber der Historiker der sich immer gegen schiefe Vergleiche wehrt. Obwohl er weiß das keiner der bekannten Querdenken-Macher irgendetwas illegales oder kriminelles getan hat, setzt er trotzdem die beiden (mutmaßlich) kriminellen Anarchisten und Querdenken gleich. Welchen Zweck hat diese Steilvorlage?
@Hier: Selbst dem Springer-Blatt ist zu entnehmen, daß die beiden Ermordeten nicht "irgendetwas illegales oder kriminelles getan" haben, sondern wegen ihrer Gesinnung verurteilt wurden.
Es gab Indizien und die wurden nicht Zweifelsfrei nachgewiesen. Sie aber die sich ständig gegen irgendwelche Vergleiche der heutigen Situation mit der Nazizeit wehren stellen diesen alten ungeklärten Fall von Klassenjustiz der heutigen Querdenker-Bewegung gegenüber die nie etwas kriminelles getan hat. Sie erweisen der Demokratiebewegung damit einen Bärendienst, weil sie Zweifel säen wo keine sind. Und sie dürfen sicher sein das diese Zweifel irgendwann von irgendwen aufgegriffen werden um den Querdenkern zu schaden. Oder konkreter ausgedrückt die Idee das die Querdenker kriminell sein könnten haben Sie quasi in die Welt gesetzt.
Deutschlandfunk Kultur 23.8.2017
Vor 90 Jahren starben die Anarchisten Sacco und Vanzetti
Ein Fall von Klassenjustiz
Am 23. August 1927 wurden die beiden Anarchisten Nicola Sacco und Bartolomeo Vanzetti in den USA hingerichtet. Die Beweislage, die den beiden italienischen Einwanderern die Schuld an einem Raubmord gab, war brüchig. Sie mussten sterben – trotz weltweiter Proteste.
Staatsanwalt: „Wie sieht Ihre Anarchie in der Praxis eigentlich aus – oder wie sollte sie aussehen? Könnten Sie dem Gericht das erklären, Mr Vanzetti?
Bartolomeo Vanzetti: „Zunächst mal bedeutet sie Freiheit – und Achtung vor der Freiheit des Anderen. Abschaffung der Klassengesellschaft. Ein lebenswürdiges Leben für alle. So lange wir dieses Ziel nicht erreicht haben, werden wir weiterkämpfen!“
Als am 15. April 1920 Gangster in South Braintree nahe Boston den Zahlmeister einer Schuhfabrik und einen Wachmann überfallen, Lohngelder in Höhe von 15.000 Dollar klauen und die beiden erschießen, werden postwendend zwei stadtbekannte Anarchisten verhaftet, die vor gut einem Jahrzehnt in der Holzklasse über den Atlantik gekommen sind: Bartolomeo Vanzetti, der Bauernsohn aus Norditalien, ist gelernter Bäcker, liest Marx und Kropotkin und verkauft an eine Marktstand Fische. Nicola Sacco ist ein Bauernsohn aus Süditalien und arbeitet in einer Schuhfabrik. Die beiden haben Waffen bei sich, verwickeln sich in Widersprüche und werden wegen Raubmordes angeklagt. Die Beweislage ist äußerst dünn, die Verteidigung hat mehr Zeugen aufzubieten als die Staatsanwaltschaft, aber das sind fast alles Ausländer; und denen soll das Gericht glauben?
Bombendrohungen und Straßenschlachten
Am 31. Mai 1920 hatte der Prozess begonnen, und es brauchte sieben Jahre bis zur endgültigen Verurteilung und Hinrichtung der beiden Delinquenten. In der Zeit wurde der weltweite Protest immer stärker: In deutschen Städten gab es Massendemonstrationen, amerikanische Vertretungen wurden von Arbeiterdelegationen aufgesucht, es wurden Protestschreiben überreicht und Tausende von Unterschriften gesammelt. Es gab regelmäßige, zum Teil auch militante Protestaktionen in Marokko, Paraguay und Australien. Die meisten US-Botschaften wurden von Massenaufgeboten Polizei und Militär geschützt, es gab Bombendrohungen in Tokio und Straßenschlachten in Berlin.
Die Proletarier aller Länder vereinigten sich, und auch das bürgerliche Lager schickte Noten: Albert Einstein und H. G. Wells, Thomas Mann und Bernard Shaw, der Papst und Kurt Tucholsky, der Deutsche Reichstag und Frankreichs Nationalversammlung… Aber es half nichts. Am 23. August 1927 wurden die beiden Anarchisten Nicola Sacco und Bartolomeo Vanzetti mit dem elektrischen Stuhl hingerichtet.
Nicola Sacco: „Sie können zwar unsere Körper verbrennen, aber unsere Ideen können sie nicht zerstören. Unsere Ideen leben weiter für die Jugend der Zukunft.“
Es wurde nie bewiesen, ob Sacco und Vanzetti schuldig waren oder nicht, aber in einem Rechtsstaat hätten genau deshalb sie nicht verurteilt werden dürfen. Und so steht ihr Fall tatsächlich für Klassenjustiz und staatliche Willkür – und Nicolas und Bartolomeo für Heiligenfiguren des Kampfes für eine bessere Welt, weil sie als Märtyrer für ihre Sache gestorben sind.
Vor der Hinrichtung auf dem elektrischen Stuhl verabschiedete sich Nicola Sacco mit einem Händedruck vom Direktor des Staatsgefängnisses und beteuerte noch einmal seine Unschuld. Bartolomeo Vanzetti hingegen rief, als ihn Wachmänner an den elektrischen Stuhl fesselten:
Vanzetti: „Es lebe die Anarchie!“
Arzt: „Im Namen des Gesetzes erkläre ich sie für tot.“
https://www.deutschlandfunkkultur.de/vor-90-jahren-starben-die-anarchisten-sacco-und-vanzetti.2165.de.html?dram:article_id=394117
Woody Guthrie: two good men:
https://www.youtube.com/watch?v=dNKg54bvObQ
https://www.youtube.com/watch?v=s‑1Gi8ocgmc
Le marche de Sacco et Vanzetti
Georges Moustaki