Lage auf Intensivstationen: „Die Klagen der Spitzenmediziner sind getrost zu ignorieren“

Unter diesem Titel wird heute auf reitschuster.de ein Brief eines Krankenhausarztes veröffentlicht, in dem es heißt:

»Während wir im Jahr 2000 in Deutschland 2.242 Krankenhäuser hatten, waren dies im Jahr 2018 nur noch 1.925 Häuser. Ein Rückgang um 317 Krankenhäuser oder 14,2%. Hat sich dadurch die Versorgung der Kranken in diesem Land verschlimmert? Ich glaube nicht.

„Historisch niedrige Bettenauslastung“ war eine Überschrift in einem Artikel im Deutschen Ärzteblatt vor 4 Wochen. Dieser Artikel ist wirklich lesenswert. Trotz Pandemie sind die Fallzahlen (also die Zahl der stationären Patienten in deutschen Krankenhäusern) im vergangenen Jahr um 13 Prozent (!) zurückgegangen... 

Warum haben die Krankenhäuser geschlossen? Weil sie nicht mehr wirtschaftlich arbeiten konnten. Zumeist, weil sie zu klein waren. Egal, ob ein Haus 100 Betten oder 500 Betten hat, sie brauchen eine Küche, einen Kaufmännischen Leiter, eine Pflegedirektorin, eine Einkaufsabteilung, eine Personalabteilung etc. Je geringer die Bettenanzahl, umso höher die Kosten pro Bett, um diese Stellen und Abteilungen zu finanzieren. Outsourcing von einzelnen Leistungen wird versucht, bringt aber auch nachhaltig keine besondere Optimierung der Erlössituation...

Diese kleinen Krankenhäuser können aber durch das in 2003 eingeführte neue System der Krankenhausvergütung, das DRG-System (Definition siehe hier), kaum noch wirtschaftlich bestehen, es ist auch ein politisch gewolltes unterfinanziertes System...

Die Krankenhäuser, die geschlossen wurden im vergangen Jahr, hätten an der medizinischen Bewältigung der COVID-19 Pandemie nichts geändert. In keinem der geschlossenen Krankenhäuser wäre ich gerne ein Patient auf der Intensivstation mit COVID-19 gewesen. Es sind kleine Krankenhäuser am Rande der Stadt, die bestimmt eine gute Regelversorgung durchgeführt haben, sich menschlich hervorragend um die Patienten gekümmert haben und hoffentlich und bestimmt auch gute Ergebnisse in der medizinischen Versorgung erbracht haben, aber nicht für eine überragende medizinische Versorgung hochspezieller COVID-19 Patienten geeignet gewesen wären. Findet Euch damit ab, das diese Häuser geschlossen wurden, dies hat mit COVID-19 aber nix zu tun...

Ich möchte dies an kurzen Beispielen erläutern, leider ist dies aber bestimmt nicht vollzählig,

Die HELIOS-Kliniken wollten eigentlich zum 31. März 2020 das Krankenhaus Bochum-Linden schließen. Dann kam Corona und sie verschoben die Schließung bis zum 30.09.2020. Begründung offiziell: Die Corona-Krise. Dies ist auch nicht falsch, aber nicht, weil ein Krankenhaus mit 181 Betten erheblich zur Bewältigung der COVID-19 Situation beitragen hätte können... 

Aber: Pro Bett, welches nicht belegt war, bekamen die Krankenhäuser in 2020 eine Freihaltepauschale von 560 Euro am Tag). Wenn ich in einem Krankenhaus keine geplanten Patienten mehr aufnehme, ist die Belegung automatisch deutlich geringer als in 2019 und solche Krankenhäuser konnten sich an dieser Freihaltepauschale für viele Monate gesundstoßen. Nicht zu Unrecht beklagten sich bereits im Mai 2020 viele Ärztevertreter und die Politik, dass sich gerade die kleinen Krankenhäuser an der aktuellen Situation durch die großzügigen Zahlungen der Politik ungerechtfertigt bereichern. Ich kenne sogar Krankenhäuser, in denen es den Ärzten im vergangenen Jahr untersagt wurde, elektive Patienten aufzunehmen, da mit der Corona-Pauschale mehr Geld verdient wird, als wenn in dem Bett Patienten liegen, die behandelt werden.«

Ich teile die Sympathien für Krankenhausschließungen nicht. Das Kriterium der "Optimierung der Erlössituation" halte ich für unangebracht in diesem Zusammenhang. Wie die Versorgung mit Feuerwehren oder Schulen darf das Angebot im Gesundheitswesen nicht von Verwertungsinteressen privater Konzerne abhängen. Eine Grundversorgung muß flächendeckend wohnortnah gegeben sein. Das heißt weder, daß es keine Rechnungsführung geben solle, noch daß bestimmte Kompetenzen nicht konzentriert werden könnten. Krankenhäuser, die Gewinne erzielen müssen, werden allerdings zwangsläufig auf Kosten der PatientInnen oder der Beschäftigen wirtschaften.

Aufschlußreich ist der folgende Teil:

»Entwicklung der Intensivbetten

Die Anzahl der Intensivbetten in Deutschland ist über die vergangenen Jahre erheblich gestiegen. Hatten wir 1990 noch 16.024 Intensivbetten, so verfügten wir im Jahr 2019 über 26.319 Intensivbetten. Ein Anstieg über 64%.

Fakt ist also, dass die Zahl der Intensivbetten während der vergangenen Jahre deutlich angestiegen ist. Dies ist ein Ausdruck der deutlich verbesserten medizinischen Versorgung in unserem Land (z.B. bessere Behandlung von Krebspatienten, bessere Behandlung von Herzinfarkt- oder Schlaganfallpatienten), aber auch geschuldet des immer höheren Bedarfs an solchen Intensivbetten, z.B. durch die zunehmende Überalterung der Bevölkerung. Das wir dies geschafft haben, ist ein besonderer Verdienst der jeweiligen Krankenhausträger (auch, weil sie damit mehr Geld verdienen, aber auch, weil dies Ausdruck unseres Selbstverständnisses einer guten Medizin ist).

Wir bräuchten aber noch viel mehr solcher Intensivbetten. Nicht in der Breite. Nicht im kleinen konfessionellen Krankenhaus um die Ecke. Die können eh nicht anbauen, da die Länder seit Jahren deren Investitionsverpflichtungen im Krankenhausbereich nicht nachkommen. Obwohl sie dies müssten. Bis 2019 hat sich der Investitionsstau der Länder auf ca. 30 Milliarden Euro aufgetürmt. Es fehlt aber auch, und vor allem, an den Pflegern und Schwestern auf den Intensivstationen. Hier ist der Personalmangel eklatant. Der Nachwuchs fehlt, über Jahre konnte wir den steigenden Bedarf nur halbwegs decken, indem wir Angehörige der Pflegeberufe aus Drittländern gewinnen konnten – die aber dort dann fehlen.

Anhand des DIVI-Tagesreports vom 17.4. verfügen wir über 23.739 Intensivbetten. Dies sind weniger als 2019, also vor der COVID-19 Pandemie, und ich frage mich, wo sind dann auch die ganzen neu geschaffenen Betten geblieben, für die die Krankenhäuser die € 50.000 pro geschaffenem Bett erhalten haben. Wurden die Prämien gezahlt und dann wurden die Betten wieder abgebaut, weil es kein Pflegepersonal dafür gibt? Waren dies Scheinbetten? Fragt der Bundesrechnungshof mal nach?

Es war schon immer so...

Schon zu meiner Assistenzarztzeit war es so, dass wir einen eklatanten Mangel an Intensivbetten hatten. Dies war in den 1990er Jahren an einer deutschen Universitätsklinik. Zu operierende Patienten wurden über Tage, teils über Wochen, jeden Morgen abgesetzt, da es kein Intensivbett gab...

Später dann, ich war Oberarzt an der Uniklinik, trafen wir uns täglich um 07.15 Uhr auf der Intensivstation. Die war recht groß, die Bettenzahl will ich hier nicht nennen. Es wurde dann verhandelt, welcher Patient verlegt werden kann und welche Abteilung dieses freiwerdende Bett neu belegen darf. Fast immer wurden die Bedarfe nicht umfassend gedeckt und einige Patienten konnten nicht operiert werden, da es nicht genügend freie Betten gab. Die Intensivstation war immer zu 100% ausgelastet. Ich kann mich an keinen Tag erinnern, an dem ein Bett leer blieb. Musste dann doch im Tagesverlauf ein Patient notfallmäßig auf die Intensivstation verlegt werden, so wurde der „Beste unter den Schlechten“ verlegt. Diese Triage gab es schon immer. Dass jetzt gerade dieses Argument verwendet wird, um auf die ausgelastete Situation auf den Intensivstationen hinzuweisen, ist für mich absurd...

Die Statistik der Intensivstationen

Verstörend finde ich die Darstellung der Intensivbetten beim DIVI-Register. Wir sehen hier eine Aufschlüsselung mit <1%, 1-5%, 5-10%, etc. in 5%-Schritten. Bereits optisch wird hier manipuliert, da alles in Blautönen dargestellt ist...

Knapp 1200 der 2000 Krankenhäuser in Deutschland haben weniger als 200 Betten. Diese haben max. 10 Intensivbetten, zumeist aber 6-8 Intensivbetten, die Krankenhäuser mit weniger als 100 Betten max. 3 Betten auf Intensivstation (und dies sind schon 690 Krankenhäuser (Quelle s.o.). Im Median haben wir 12 Intensivbetten pro Krankenhaus. Bei letzteren [denen mit 3 Betten, AA] bedeutet ein COVID-19 Fall also schon eine Auslastung von 33%, in der DIVI-Darstellung die zweitdunkelste Darstellung. Bei 2 Patienten eines Hauses mit 200 Betten und 8 Intensivbetten bedeuten bereits 2 Patienten auf der Intensivstation eine Auslastung von 25%, also ebenso ein dunkles Blau. Hinzu kommt, dass in den kleineren Häusern am Wochenende bei internistischen Patienten keine Visite durchgeführt wird und alle auch nur etwas „problematischen“ Fälle daher gleich auf die Intensivstation verlegt werden, damit hier wenigstens ein Arzt nach den Patienten sehen kann.

Wir sehen, die Zahlen und die Darstellung wird hier bereits bewusst so dargestellt, dass der Laie die wirkliche Situation gar nicht überschauen kann.

Am Beispiel Schwäbisch-Hall als aktuellem Hotspot sehen wir: In einem Krankenhaus in der Stadt (492 Betten, 29 Intensivbetten) waren am 25.3.2021 (neuere Zahlen habe ich nicht gefunden) 5 Personen auf der Intensivstation (17,2% Belegung) und 23 Patienten auf Normalstation (23/463 = 4,9% Belegung), in einem Krankenhaus, welches im vergangenen Jahr eine Auslastung von 80% hatte. Und dies in einem Hotspot, in dem überwiegend positive Virusnachweise in Kindergärten (die Kinder werden selten symptomatisch und selten krankenhauspflichtig) sowie in Asylheimen und einigen Betrieben erfolgt sind. Trotz Hotspot sehen wir hier also keine Überlastung des Gesundheitssystems.

Zur weiteren Hintergrundsituation im Landkreis Schwäbisch Hall: Im Landkreis gibt es ein weiteres Krankenhaus in Crailsheim mit 165 Betten (in 2019 um 20 Betten reduziert), davon 9 Intensivbetten. Dieses ist in der Tat mit einer Auslastung auf Intensivstation von 89% am Limit. Angaben über Beatmungspatienten in Crailsheim fehlen...

Die Situation am Beispiel Essen

... Die Uniklinik Essen hat 180 Intensivbetten. Aktuell sind in Gesamt-Essen (also auch den anderen Krankenhäusern…) 27 Patienten in intensivmedizinischer Betreuung (Zahlen von heute 15 Uhr). Die sind auch nicht alle intubiert und beatmet. Und da soll bei einer Intensivbelegung von 14% (wenn alle Essener Fälle auf der Uni-Intensivstation liegen) ein Ausnahmezustand vorliegen? So schlimm, wie es von den Verantwortlichen der Uniklinik Essen vorgetragen wird, kann es ja wohl nicht sein.

Die emotional vorgetragenen Belastungen der Spitzenmediziner, die zumeist nicht selbst an der „Front“ stehen, wenn es um die Behandlung der COVID-19-Patienten geht (Prof. Werner, der Ärztliche Direktor der Universitätsmedizin Essen ist HNO-Arzt und hat noch nie einen COVID-19 Patienten selbst behandelt und noch nie auf einer Intensivstation gearbeitet) sind daher getrost zu ignorieren aus meiner Sicht.

Wir sehen hier, das Problem auf den Intensivstationen der Maximalversorger der Krankenhäuser ist und war oftmals dramatisch. Seit 40 Jahren schon gibt es hier zu wenig Betten und sehr oft zu wenig Pflegepersonal. Der „Pflegenotstand“, der erstmals in den 1980er Jahren ausgerufen wurde, ist bis heute präsent. Die aktuelle COVID-19-Situation wird hier in der Diskussion nicht adäquat abgebildet. Warum?«

9 Antworten auf „Lage auf Intensivstationen: „Die Klagen der Spitzenmediziner sind getrost zu ignorieren““

  1. Ich tei­le die folgendeArgumente von Herrn Aschmoneit zu 100%
    Zitat:
    Ich tei­le die Sympathien für Krankenhausschließungen nicht. Das Kriterium der "Optimierung der Erlössituation" hal­te ich für unan­ge­bracht in die­sem Zusammenhang. Wie die Versorgung mit Feuerwehren oder Schulen darf das Angebot im Gesundheitswesen nicht von Verwertungsinteressen pri­va­ter Konzerne abhän­gen. Eine Grundversorgung muß flä­chen­deckend wohn­ort­nah gege­ben sein. Das heißt weder, daß es kei­ne Rechnungsführung geben sol­le, noch daß bestimm­te Kompetenzen nicht kon­zen­triert wer­den könn­ten. Krankenhäuser, die Gewinne erzie­len müs­sen, wer­den aller­dings zwangs­läu­fig auf Kosten der PatientInnen oder der Beschäftigen wirtschaften.

  2. Auch die Kirchen könn­ten in die­ser Notlage von dämo­ni­schen Ausmaßen helfen.
    Eins, zwei Wörter wür­den reichen:

    F ü r c h t e t Euch nicht!

    (Berichtigung, nicht 1,2 Wörter, drei wären besser.)

    Zumindestens die Kirchen ohne eige­ne Krankenhausträgerbeteiligungen könn­ten doch mitmachen…

  3. Wahrscheinlich wird den MSM die­se Hochrechnung nicht ganz ins not­wen­di­ge Narrativ passen.
    Frau Pries/Brink/Brockmännerin, bitte
    über­neh­men Sie!
    Es wer­den sendungs/sendefähige Prognose- F a k t e n gesucht. 

    " Pressemitteilung Nr. 129 vom 16. März 2021

    WIESBADEN – Nach einer Hochrechnung des Statistischen Bundesamtes (Destatis) sind in der ersten Märzwoche (1. bis 7. März 2021) in Deutschland 18 557 Menschen gestor­ben. Diese Zahl liegt 14 % oder 3 133 Fälle unter dem Durchschnitt der Jahre 2017 bis 2020 für die­se Kalenderwoche. Dies geht aus einer Sonderauswertung der vor­läu­fi­gen Sterbefallzahlen hervor."

    https://​www​.desta​tis​.de/​D​E​/​P​r​e​s​s​e​/​P​r​e​s​s​e​m​i​t​t​e​i​l​u​n​g​e​n​/​2​0​2​1​/​0​3​/​P​D​2​1​_​1​2​9​_​1​2​6​2​1​.​h​tml

  4. Aus eige­ner Erfahrung kann ich berich­ten, wenn bei uns auf der ope­ra­ti­ven Intensivstation Betten frei waren wur­den unse­re Oberärzte immer ganz ficke­rig, nach dem Motto "Nur ein beleg­tes Intensivbett ist ein gutes Intensivbett", weils halt Geld bringt, wenns nicht leer rum­steht. Dann gin­gen die Oberärzte durch die OPs und den Aufwachraum um noch jeman­den zu fin­den, den man auf Intensiv über­wa­chen konnte.
    Wenn die Station voll belegt war, und das war gut so aus erlös­tech­ni­schen Gründen, und es muss­te noch unge­plant ein Notfall auf­ge­nom­men wer­den, wur­de halt der beste unter den "schlech­ten" auf die Intermediatecare ver­legt, Wenn dort alles voll war, dann wur­de von dort der beste unter den schlech­ten auf Allgemeinstation ver­legt. Hat in den mei­sten Fällen auch so geklappt. Aber wie schon gesagt: Nur ein beleg­tes Bett ist ein gutes Bett. Man muss ja auch den Personalbedarf vor dem Controlling begrün­den können.
    (Diese Aussagen bezie­hen sich auf die Vor-Corona-Zeit)

  5. 27.08.2021—Marcel Barz

    Die Pandemie in den Rohdaten

    "Ich bin Informatiker und beschäf­ti­ge mich hier mit den Zahlen der Pandemie. In die­sem Video geht es um die Sterbefallzahlen in Deutschland, die Belegung der Intensivbetten und die Zahl der Infizierten. Gleichzeitig berich­te ich hier von mei­nen Erfahrungen im Leben und auch von mei­nen Enttäuschungen. " 

    Inhalt
    00:00 Einleitung
    10:05 Sterbefallzahlen in Deutschland
    29:00 Belegung der Intensivbetten
    53:34 Zahl der Infizierten
    1:02:04 Ergebnis/Zusammenfassung
    1:11:59 Das Prinzip "Nebelkerze"

    Quellen

    Sonderauswertung zu Sterbefallzahlen—destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Sterbefaelle-Lebenserwartung/sterbefallzahlen.html

    Reports des DIVI-Intensivregisters—intensivregister.de/#/aktuelle-lage/reports

    Fallzahlen in Deutschland—rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Fallzahlen.html

    https://​www​.you​tube​.com/​w​a​t​c​h​?​v​=​n​E​P​i​O​E​k​k​Wzg

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