Wie Sandra Ciesek dem Karl Lauterbach in die Parade fährt, ohne es zu merken

Sie preist einen Arti­kel über Pro­ble­me des Wissenschaftsbetriebs:

twit​ter​.com (7.2.23)

Er ist zu fin­den auf niem​an​lab​.org und wur­de dort schon am 9.6.22 ver­öf­fent­licht. Eigent­lich will der Autor Joel­le Ren­strom die Gefah­ren der wis­sen­schaft­li­chen "Coro­na-Kri­tik" dar­stel­len und ent­spre­chen­de Publi­ka­tio­nen ein­ord­nen in eine " Pan­de­mie der Des­in­for­ma­ti­on – was die Welt­ge­sund­heits­or­ga­ni­sa­ti­on als 'Info­de­mie' bezeich­net". Das gelingt nicht gut, soll hier aber nicht näher erör­tert werden.

Nach­voll­zieh­bar ist Ren­stroms War­nung vor der Flut von Pre­prints, und damit sind wir bald bei Lauterbach:

»Auf Pre­prints ent­fie­len rund 25 % der im Jahr 2020 ver­öf­fent­lich­ten Stu­di­en zu Covid-19. Von die­sen Vor­ab­dru­cken wur­den 29 % min­des­tens ein­mal in den wich­tigs­ten Nach­rich­ten­ar­ti­keln zitiert…

Etwa 70 % der Pre­print-Lite­ra­tur wird schließ­lich von Fach­kol­le­gen geprüft und ver­öf­fent­licht, aber was ist mit dem gan­zen Rest, der nie mehr als ein Pre­print wird? Vie­le Bericht­erstat­ter unter­schei­den nicht zwi­schen unge­prüf­ten Vor­ab­dru­cken und offi­zi­ell ver­öf­fent­lich­ten Papie­ren; für gele­gent­li­che Web­spür­na­sen kön­nen die bei­den fast iden­tisch erschei­nen. Wenn unbe­wie­se­ne Erkennt­nis­se das per­sön­li­che Ver­hal­ten und die Poli­tik bestim­men, kann selbst eine klei­ne Anzahl feh­ler­haf­ter Stu­di­en erheb­li­che Aus­wir­kun­gen haben. Ein inter­na­tio­na­les For­scher­team fand her­aus, dass es sehr schwie­rig sein kann, das, was wir für wahr hiel­ten, wie­der zu ver­ler­nen, wenn die ers­ten Ent­wür­fe weit ver­brei­tet wer­den – selbst wenn die Ent­wür­fe spä­ter geän­dert werden…«

Genau die­ses Ver­fah­ren ist Lau­ter­bachs gän­gi­ge Pra­xis, und auch sein Ziel wird hier zutref­fend beschrie­ben. So gut wie alle von ihm get­wit­ter­ten Stu­di­en sind Pre­prints und ent­hal­ten Falsch­in­for­ma­tio­nen oder aber – er kann sie unmög­lich wirk­lich gele­sen haben – das Gegen­teil von dem, was er in ihnen ver­mu­tet. Es gibt auf die­sem Blog zahl­rei­che Bele­ge dafür.

Für die ver­gan­ge­nen drei Jah­re kom­men die­se guten Rat­schlä­ge zu spät:

Die direk­te Ein­bin­dung der Öffent­lich­keit ist der bes­te Weg, um den Men­schen ver­ständ­lich zu machen, dass selbst die kano­ni­sier­tes­ten wis­sen­schaft­li­chen Fak­ten einst Gegen­stand von Debat­ten waren. Wenn man den wis­sen­schaft­li­chen Pro­zess trans­pa­ren­ter macht, wer­den Feh­ler auf­ge­deckt und es kann sogar zu Kon­tro­ver­sen kom­men, aber letzt­end­lich wird es den Wis­sen­schaft­lern ermög­li­chen, die Mecha­nis­men zur Feh­ler­kor­rek­tur zu stär­ken und das Ver­trau­en der Öffent­lich­keit aufzubauen…«

Nach­voll­zieh­bar beschreibt der Autor das Sys­tem, dem die Dros­ten, San­der & Co. folgen:

»Insti­tu­tio­nen bie­ten Wis­sen­schaft­lern, die sich um eine Fest­an­stel­lung bemü­hen, oft Anrei­ze, sich auf die Quan­ti­tät statt auf die Qua­li­tät der Ver­öf­fent­li­chun­gen zu kon­zen­trie­ren und die Stu­di­en­ergeb­nis­se über die Gren­zen einer stren­gen Ana­ly­se hin­aus zu über­trei­ben. Wis­sen­schaft­li­che Fach­zeit­schrif­ten selbst kön­nen ihre Ein­nah­men stei­gern, wenn sie mehr gele­sen wer­den. So stür­zen sich man­che Zeit­schrif­ten auf Ein­rei­chun­gen mit pikan­ten Titeln, die Leser anlo­cken sollen..

Beim tra­di­tio­nel­len Modell füh­ren Wis­sen­schaft­ler Ori­gi­nal­for­schun­gen durch und schrei­ben ihre Ergeb­nis­se und Metho­den auf, ein­schließ­lich Daten, Tabel­len, Bil­dern und ande­ren rele­van­ten Infor­ma­tio­nen. Sie rei­chen ihren Arti­kel bei einer Zeit­schrift ein, deren Redak­teu­re ihn an ande­re Exper­ten auf dem Gebiet zur Über­prü­fung wei­ter­lei­ten. Die­se Gut­ach­ter bewer­ten die wis­sen­schaft­li­che Fun­diert­heit der Stu­die und raten den Her­aus­ge­bern der Zeit­schrift, sie anzu­neh­men. Die Redak­teu­re kön­nen die Autoren auch auf­for­dern, den Arti­kel zu über­ar­bei­ten und erneut ein­zu­rei­chen, ein Pro­zess, der Wochen bis Mona­te dau­ern kann…«

Bei der Arbeit von Dros­ten et al. über sei­nen Coro­na-PCR-Test schrumpf­te die­ser Pro­zeß auf Stun­den bis Tage, mit ver­hee­ren­den Folgen.

»In die­ser neu­en Welt kon­kur­rie­ren wis­sen­schaft­li­che Zeit­schrif­ten und Wis­sen­schaft­ler genau­so um Klicks wie Main­stream-Publi­ka­tio­nen. Arti­kel, die am meis­ten her­un­ter­ge­la­den, gele­sen und geteilt wer­den, erhal­ten einen hohen "Impact Fac­tor" oder Alt­me­tric Atten­ti­on Score. Stu­di­en zei­gen, dass Men­schen eher dazu nei­gen, Arti­kel mit kur­zen, posi­tiv for­mu­lier­ten oder Emo­tio­nen wecken­den Titeln zu lesen und zu teilen.

Das Bewer­tungs­sys­tem hat zwangs­läu­fig Aus­wir­kun­gen auf die Ver­öf­fent­li­chun­gen von Wis­sen­schaft­lern und ihre Kar­rie­ren. "Vie­le [Wis­sen­schaft­ler] müs­sen bestimm­te Kenn­zah­len errei­chen, um in ihrer Kar­rie­re vor­an­zu­kom­men, För­der­mit­tel zu erhal­ten oder sogar ihren Arbeits­platz zu behal­ten", sag­te der Dok­to­rand und For­scher Ben­ja­min Free­ling von der Uni­ver­si­ty of Ade­lai­de, der eine Stu­die zu die­sem The­ma lei­te­te, die 2019 in den Pro­cee­dings of the Natio­nal Aca­de­my of Sci­en­ces ver­öf­fent­licht wur­de. "Es gibt weni­ger Raum für einen Wis­sen­schaft­ler, an einer wis­sen­schaft­li­chen Fra­ge von immenser Bedeu­tung für die Mensch­heit zu arbei­ten, wenn die­se Fra­ge nicht zu einer bestimm­ten Anzahl von Ver­öf­fent­li­chun­gen und Zita­ten führt", schrieb er in einer E‑Mail. Die Tat­sa­che, dass die Öffent­lich­keits­ar­beit über den wis­sen­schaft­li­chen Pro­zess gestellt wird, schafft Anrei­ze für schlam­pi­ge und unethi­sche Prak­ti­ken und ver­deut­licht das Gesetz des bri­ti­schen Wirt­schafts­wis­sen­schaft­lers Charles Good­hart: "Wenn eine Mes­sung* zu einem Ziel wird, hört sie auf, eine gute Mes­sung zu sein"…

Die Uni­ver­si­tä­ten wol­len, dass ihre Wis­sen­schaft­ler pres­ti­ge­träch­ti­ge Sti­pen­di­en und För­der­mit­tel erhal­ten, und um das zu errei­chen, "muss die For­schung auf­fäl­lig und grenz­über­schrei­tend sein". PR-Büros kön­nen die­sen Effekt noch ver­stär­ken, indem sie die Gewiss­heit oder die Aus­wir­kun­gen der Ergeb­nis­se in Pres­se­mit­tei­lun­gen über­trei­ben, die rou­ti­ne­mä­ßig fast wort­wört­lich in den Medi­en ver­öf­fent­licht werden…«

Ren­stroms Schluß­fol­ge­run­gen wir­ken hilflos:

»Dass die Wis­sen­schaft trotz der hier fest­ge­stell­ten Pro­ble­me funk­tio­niert, ist, wie Berg­strom [Bio­lo­ge an der Uni­ver­si­tät von Washing­ton] es aus­drückt, "erstaun­lich". Aber die Fähig­keit der Wis­sen­schaft, die Män­gel des Sys­tems zu über­win­den, soll­te nicht erstaun­lich sein – sie soll­te Stan­dard sein. Spa­ren wir uns das Stau­nen für die Ent­de­ckun­gen auf, die durch den Wis­sen­schafts­be­trieb und nicht trotz ihm zustan­de kommen.«

Er schafft es nicht, die Fra­ge zu stel­len, wie die Kom­mer­zia­li­sie­rung des Wis­sen­schafts­be­triebs, der ein rie­si­ges Geschäft dar­stellt, über­wun­den wer­den kann. Schon gar nicht beschäf­tigt er sich mit den Geld­ge­bern von Stu­di­en, egal ob peer review­ed oder nicht. Immer­hin müs­sen Finan­ziers in den Erklä­run­gen zu Inter­es­sen­kon­flik­ten dar­ge­legt wer­den. Das inter­es­siert natur­ge­mäß Lau­ter­bach nicht, und die Medi­en ver­schwei­gen es all­zu häufig.

(Her­vor­he­bun­gen in blau nicht im Original.)

* Update: Jemand mit bes­se­ren Eng­lisch­kennt­nis­sen als die mei­nen, bemän­gelt, daß das ursprüng­lich hier ste­hen­de "Maß­nah­me" irre­füh­rend war für den Satz “When a mea­su­re beco­mes a tar­get, it cea­ses to be a good mea­su­re".

8 Antworten auf „Wie Sandra Ciesek dem Karl Lauterbach in die Parade fährt, ohne es zu merken“

  1. Horo­skop Wis­sen­schaft ist es, wie Brink­mann, Dros­ten, Lau­ter­bach, Gies­ecke zeigt. Hochs­ta­bler halt, mehr nicht und da wird nur noch gefälscht, bei der Cha­ri­te und bei einer angeb­li­chen Wissenschaft

  2. Aus dem zitier­ten Arti­kel von Joel­le Ren­strom unter
    https://​www​.niem​an​lab​.org/​2​0​2​2​/​0​6​/​h​o​w​-​s​c​i​e​n​c​e​-​h​e​l​p​s​-​f​u​e​l​-​a​-​c​u​l​t​u​r​e​-​o​f​-​m​i​s​i​n​f​o​r​m​a​t​i​on/

    On the basis of that abs­tract, a video on Brand­New­Tu­be, a social media out­let that cir­cum­vents YouTube’s anti-mis­in­for­ma­ti­on poli­ci­es, pro­no­un­ced Covid vac­ci­na­ti­ons “mur­der.”

    "that cir­cum­vents YouTube’s anti-mis­in­for­ma­ti­on policies"

    Wenn man nun einen unab­hän­gi­gen Dienst für Film­chen anbie­tet, "umgeht man die von You­tube vor­ge­ge­be­nen Regeln der Anti-Des­in­for­ma­ti­on"? 1984.

  3. @aa:
    Na, na – schon wie­der eine Über­set­zung, die sich nicht dafür eig­net als Zitat bezeich­net zu wer­den, sogar wenn sie im irren Maß­nah­men­dschun­gel der letz­ten 3 Jah­re auch so einen gewis­sen Sinn ergibt : "Wenn eine Maß­nah­me zu einem Ziel wird, hört sie auf, eine gute Maß­nah­me zu sein".
    (Ori­gi­nal: “When a mea­su­re beco­mes a tar­get, it cea­ses to be a good measure.”).
    https://​dict​.leo​.org/​e​n​g​l​i​s​c​h​-​d​e​u​t​s​c​h​/​m​e​a​s​ure

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