Das Institut, in dem Christian Drosten seine Karriere startete, das Hamburger Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin, hat eine üble kolonialistische und Nazi-Vergangenheit. Das wurde u.a. im Beitrag Das Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin und seine Nazi-Vergangenheit gezeigt.
Im Juni zeigte sich Prof. Dr. Egbert Tannich, Vorstandsvorsitzender des Instituts interessiert und kündigte Verbesserungen der historischen Darstellung an. Was ist seitdem passiert? Fast nichts.
Nach wie vor gibt es auf der Webseite einen Zeitstrahl, auf dem die Direktoren benannt werden. Dort ist weiterhin zu lesen*:
»1930
Neuer Direktor
Die Ära Bernhard Nocht geht zu Ende. Sein Amt übernimmt Friedrich Fülleborn (1866–1933).
Entwicklungszyklus des Katzenleberegels
Hans Vogel klärt den Entwicklungszyklus des Katzenleberegels (Opisthorchis felineus) über die Zwischenwirte (Schnecken und Fische) bis zum Endwirt (Katze, Mensch) auf. Mit diesen und späteren Arbeiten über Saugwürmer hat er er das Wissen um die Entwicklung und Übertragung des Erregers der Schistosomiasis (Bilharziose) maßgeblich erweitert, einer Krankheit, die vor allem in Asien ein großes Gesundheitsproblem darstellt.
1933
Neuer Direktor
Mit dem Inkrafttreten des nationalsozialistischen Beamtengesetzes müssen wertvolle Wissenschaftler das Institut verlassen. Der Institutsdirektor Friedrich Fülleborn stirbt im September 1933, bevor über sein Rücktrittsgesuch entschieden werden kann. Sein Nachfolger wird Peter Mühlens (1874–1943).
1939
"Kriegsrelevante Forschung"
Nach Ausbruch des 2. Weltkriegs werden vor allem die Assistenzärzte zum Kriegsdienst eingezogen. Die "kriegsrelevante Forschung", u.a. an Fleckfieber, macht einen Großteil der wissenschaftlichen Forschung dieser Jahre aus.
1942
Umbenennung
Anlässlich des 85. Geburtstags von Bernhard Nocht wird das Institut in "Bernhard-Nocht-Institut für Schiffs- und Tropenkrankheiten" umbenannt.
In den letzten Kriegsjahren wird das Institut verstärkt als Wehrmachtslazarett genutzt und durch Bomben teilweise stark zerstört.
1943
Neuer Direktor
Die Protozoologen Eduard Reichenow und Lilly Mudrow klären die letzte Lücke im Vermehrungszyklus des Erregers der Vogelmalaria (Plasmodium praecox): die Vermehrung zwischen der Übertragung durch die Mücke und dem Eindringen in die Erythrozyten. Nach dem Tod Peter Mühlens im Juni 1943 übernimmt Ernst-Georg Nauck (1897–1967) das Amt des Direktors.«
Überzeugte Nazis als Direktoren
Bei den letzten beiden Herren handelt es sich um überzeugte Nationalsozialisten und Rassisten. Letzterer leitete das Institut dennoch bis zu seiner Emeritierung 1963.
Der 2. Weltkrieg "bricht aus", als hätte es keinen völkerrechtswidrigen Angriffs- und Vernichtungskrieg gegeben. Ein Großteil der wissenschaftlichen Forschung wird "kriegsrelevant". Dazu beantragt der verdiente Direktor Mühlens bei Himmler persönlich und erfolgreich, Menschenversuche an Häftlingen in Neuengamme durchführen zu dürfen. Ziel war es, die Kampffähigkeit der Verbrecherarmee sicherzustellen.
Umbenennung in heißer Liebe zu unserem Führer Adolf Hitler
Die Umbenennung des Instituts 1942 durch die Nazis wird neutral vermeldet. Nichts davon, daß der Festsaal gefüllt war mit NS-Größen. Nicht zu lesen, daß Direktor Mühlens seine Ansprache so einleitete:
» „Unser erster Gedanke und Gruß zu Beginn … gilt dem Manne, dem heute alle deutschen Herzen in heißer Liebe entgegenschlagen, unserem Führer Adolf Hitler. Wir danken unserem Führer in dieser Stunde und grüßen ihn, den genialen siegreichen Feldherrn, den Wiederhersteller Groß-Deutschlands und den Wiederbringer unserer Kolonien. Unser Führer Adolf Hitler, Sieg Heil! «
Keinerlei Distanzierung
Prof. Tannich hatte angekündigt, einen Link zu setzen, "dass die Publikationen zur Historie des Instituts im Untermenüpunkt 'Bibliothek' zu finden sind". Erst auf erneute Nachfrage gibt es nun in der Tat diesen Link.
Was gibt es dort zu sehen? Bis vor wenigen Tagen einige wenige Seiten zweier historischer Arbeiten als „Vorschau“. Zum fraglichen Thema, der Verstrickung des Instituts in Kolonialismus und Nazi-Vergangenheit, war dort nichts zu lesen.
Nach meiner (unbeantworteten) Anfrage gibt es dort zwar immer noch nicht die angekündigten "Gesamt-PDF zum kostenfreien Download". Doch immerhin wird im Auszug einer Arbeit das Thema nicht mehr vollständig ausgespart.
Man versucht nun also, das finstere Kapitel abzutun mit einem Link zu Auszügen einer historischen Arbeit. Verantwortlicher Umgang mit der Vergangenheit sieht anders aus.
* Update Den Zeitstrahl gibt es (Stand 26.11.22) nach einem Relaunch nicht mehr. Es heißt dort nunmehr lapidar:
»Im Nationalsozialismus wurden mehrere jüdische Mitarbeiter:innen von den Nazis gezwungen, das Institut zu verlassen. Belegt sind Medikamentenversuche an den Insassen der Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn und die Erprobung neuer Heilverfahren an fleckfieberkranken Gefangenen im Konzentrationslager Neuengamme bei Hamburg. In den Hamburger Bombennächten trug das Institutsgebäude schwere Schäden davon.
Kurz nach Kriegsende nahmen sich Bernhard Nocht und seine Ehefrau das Leben. In einem Abschiedsbrief an ihre Kinder schrieben sie, dass sie sich dem Wiederaufbau nicht gewachsen fühlten.«
bnitm.de
Zwar werden die Opfer korrekt gegendet, Täter gibt es aber offenbar nicht. Und schließlich wurde das Institut ja selbst schwer getroffen. Opfer sind wohl auch die Nochts.