Kalle verrennt sich

Kalle Kunkel hat als Gewerkschaftssekretär die Streiks zu Personalbemessung an der Charité in Berlin mit­or­ga­ni­siert. Er ist in der Kampagne „Krankenhaus statt Fabrik“ aktiv.

Im "Freitag" vom 15.4. publi­ziert er einen Artikel gegen ein Papier der Leopoldina von 2016, in dem die Schließung von Krankenhäusern in die Diskussion gebracht wur­de. Im Kern geht es dar­um, daß der Faktenfinder von tages​schau​.de der Meinung ist, dies sei sei­ner­zeit kei­ne Empfehlung, son­dern ein Diskussionspapier gewesen.

Kalle sagt: War es woll und argu­men­tiert fak­ten­reich gegen den Gedanken zur Krankenhausschließung.

Was er über­sieht: Wie immer man das Papier von 2016 ein­schät­zen mag, was die Leopoldina 2010 heu­te vor­schlägt, geht in eine völ­lig ande­re Richtung. Bedauerlicherweise gibt es aber nicht nur in den Mainstream-Medien, son­dern bis in die Linke hin­ein eine Verweigerung, die heu­ti­gen Vorschläge über­haupt zur Kenntnis zu neh­men. Sie befin­den sich damit in bester Gesellschaft mit der Regierung, die das heu­ti­ge von ihr ja beauf­trag­te Papier schlicht ignoriert.

So meint der Linken-Politiker Niema Movassat:

"Doch die Leopoldina macht knall­har­te neo­li­be­ra­le Forderungen: Schuldenbremse bei­be­hal­ten. Solidaritätszuschlag abschaf­fen (das nützt der gebeu­tel­ten Mittelschicht kaum, wohl aber den Topverdienern).

Vor 4 Jahren for­der­te die Leopoldina, 1300 Kliniken in Deutschland dicht zu machen. Wir kön­nen froh sein, dass nie­mand auf die­se Leute gehört hat. Ich fin­de: Wir soll­ten wei­ter nicht auf Marktradikale hören, auch wenn sie sich 'Wissenschaftsakademie' nennen."

In Wirklichkeit fin­den sich im Papier der Leopoldina sol­che Aussagen:

"Auf der Ausgabenseite lie­gen vor allem staat­li­che Investitionen sowie der Abbau kli­ma- und umwelt­schäd­li­cher Subventionen auf der Hand. Dabei soll­ten struk­tur­po­li­ti­sche Zielsetzungen, etwa im Hinblick auf die öffent­li­che Daseinsvorsorge und den Schutz von Gemeinschaftsgütern spe­zi­ell in den Bereichen Gesundheits‑, Klima- und Ökosystemschutz, vor­ran­gig berücksichtigt wer­den." „Kalle ver­rennt sich“ weiterlesen

Burgfrieden

Bislang wur­de als Burgfrieden-Politik die Haltung der SPD bezeich­net, die 1914 dem Kaiser ver­sprach, im Kampf gegen den "gemein­sa­men Feind" alle innen­po­li­ti­schen Konflikte zurück­zu­stel­len, ins­be­son­de­re auf Lohnbewegungen und Streiks zu verzichten.

Der Begriff muß heu­te erwei­tert wer­den. Inhaltlich eben­so wie von den poli­ti­schen Akteuren her.

Der heu­ti­ge Feind ist min­de­stens so tückisch wie sei­ner­zeit der Franzmann. Selbst die Linke kennt heu­te fast nur noch die­sen Gegner. Sicher, ein wenig Geziere gibt es, das als Fußnote zur umfas­sen­den Stützung der Regierungspolitik zu Protokoll gege­ben wird.

Die Linksfraktion hat in der ent­schei­den­den Bundestagssitzung vom 25.3.2020 ein Ermächtigungsgesetz für den Gesundheitsminister per Enthaltung mit­ge­tra­gen. Gerade ein­mal 13 ihrer Abgeordneten haben zumin­dest die Ermächtigung der Bundesregierung kri­ti­siert, für ein Jahr über die Aussetzung von Grundrechten zu ent­schei­den. Für die­se Sitzung wur­den sämt­li­che Tagesordnungspunkte abge­setzt – bis auf Corona und den Bundeswehr-Einsatz im Irak (ist halt irgend­wie auch von natio­na­ler Bedeutung).

Da paßt dann auch: Im thü­rin­gi­schen Suhl hal­ten sich Ende März eini­ge Asylbewerber nicht an Quarantänemaßnahmen. Daraufhin tele­fo­niert der lin­ke Ministerpräsident mit der Verteidigungsministerin. 'Er habe per­sön­lich mit Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) über "zivi­le Unterstützung" gespro­chen, so wie die Bundeswehr sie schon 2015 und 2016 in der Flüchtlingskrise gelei­stet habe. Da habe die Bundeswehr "einen wirk­lich wun­der­ba­ren Job gemacht".' Sein SPD-Innenminister hin­ge­gen stellt es so dar: 'der Freistaat habe die Bundeswehr für Bewachungsaufgaben angefordert'.

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Dir mei­sten Menschen sind der Meinung, Corona stel­le eine noch nie dage­we­se­ne Bedrohung dar, die streng­ste Maßnahmen erfor­de­re. Weltweit mel­den sich dut­zen­de Forscher, die dazu vor­sich­ti­ger for­mu­lie­ren – kei­ne Verschwörungstheoretiker, son­dern Fachleute.
Doch selbst bei die­ser Grundannahme gibt es unter­schied­li­che Umgangsweisen mit der Bedrohung. Sie rei­chen vom sehr libe­ra­len schwe­di­schen Modell über das des bra­si­lia­ni­schen Ignorierens hin zum offen dik­ta­to­ri­schen in Ungarn.
Die Linke hat bis­her nicht mit­ge­teilt, was ihre Gründe dafür sind, sich dem Mainstream anzu­schlie­ßen, der uns ein­trich­tert: Es gibt zur jet­zi­gen auto­ri­tä­ren Lösung kei­ne Alternative. Sie kann nicht wirk­lich ver­ges­sen haben, daß TINA schon immer das ver­lo­ge­ne Mantra der Rechten war. Nicht erst seit 1914.