Bayern zeigt Weimar, wo der Hammer hängt

Mit der Begründung, das Weimarer Urteil "wider­spre­che der ganz über­wie­gen­den Rechtsprechung deut­scher Gerichte", folgt das Gericht der Argumentation des baye­ri­schen Landesvaters (s. Söder: Professor irrt, weil es eine Einzelmeinung ist).

vgh​.bay​ern​.de

»Mit Beschluss vom heu­ti­gen Tag hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) eine Beschwerde im Zusammenhang mit einer Versammlung der „Querdenken-Bewegung“ am 24. Januar 2020 in München in wesent­li­chen Teilen zurückgewiesen. 

Der Antragsteller hat­te eine über vier­stün­di­ge Versammlung mit 1.000 Teilnehmern in Form eines Umzugs über den Münchener Altstadtring und durch die Ludwigstraße geplant, der in eine sta­tio­nä­re Kundgebung vor dem Gebäude des BayVGH mün­den soll­te. Die Versammlungs­behörde hat­te den Umzug unter­sagt, die Teilnehmerzahl auf 200 redu­ziert, die Versammlungszeit auf etwas mehr als zwei Stunden begrenzt und den Versammlungsort ver­legt. Ein Eilantrag des Antragstellers beim Verwaltungsgericht München blieb ins­ge­samt erfolglos. 

Hinsichtlich Versammlungsdauer, Teilnehmerzahl und Untersagung des Umzugs führ­te der für das Versammlungsrecht zustän­di­ge 10. Senat aus, dass die Versammlungsbehörde zu Recht fest­ge­stellt habe, dass die­se Beschränkungen not­wen­dig sei­en, um Infektionsgefahren durch die Versammlung zu ver­hin­dern. Der Senat folg­te ins­be­son­de­re nicht einem Urteil des Amtsgerichts Weimar, auf das der Antragsteller ver­wie­sen hat­te, um unter ande­rem zu bele­gen, dass eine gefähr­li­che Epidemie gar nicht vor­lie­ge. Dieses Urteil wider­spre­che der ganz über­wie­gen­den Rechtsprechung deut­scher Gerichte und sei metho­disch frag­wür­dig. Außerdem maße sich das Amtsgericht eine Sachkunde an, die ihm ange­sichts der hoch­kom­ple­xen Situtation ersicht­lich nicht zukomme. 

Erfolgreich war die Beschwerde ledig­lich im Hinblick auf den Versammlungsort und die Versammlungzeit. Die Versammlung darf dem­nach mit 200 Teilnehmern vor dem Gebäude des Bayerischen Verwaltungsgerichtshof stattfinden.«

Siehe Weimar: Zweite Runde in Verfahren zu Verfassungswidrigkeit der Kontaktbeschränkungen.


Für wie­vie­le Jahrzehnte wur­de von der­ar­ti­gen Gerichten das Frauenwahlrecht "ganz über­wie­gend" nicht gebilligt?

»Viele Frauenbildungsvereine ver­fie­len wegen angeb­lich poli­ti­scher Betätigung der Auflösung. Es hagel­te Anklagen.«
Clara Zetkin, 1911

»Am 13. Januar 2020 wur­de mit Andrea Breit erst­mals in der Geschichte des Gerichts eine Frau zur Präsidentin berufen.«
Wikipedia zum Bayerische Verwaltungsgerichtshof

20 Antworten auf „Bayern zeigt Weimar, wo der Hammer hängt“

  1. Der Antragsteller war Markus Haintz, und die Versammlung hat heu­te wie "erlaubt" statt­ge­fun­den. Es gab einen Zwischenfall, weil Hilz sich wei­ger­te, Maske zu tra­gen – er durf­te nicht reden und wur­de "ent­fernt", es blieb jedoch fried­lich. Haintz und Hilz sind hart im Nehmen – und in Bayern ist das auch beson­ders wich­tig. Die ste­hen das.

    Noch ein Wort zum Weimarer Urteil: der Staatsanwalt (STA) hat Rechtsbeschwerde ein­ge­legt, damit soll erreicht wer­den, dass es neu ver­han­delt wird. Das wird ger­ne als bös­wil­li­ges Kippenwollen dar­ge­stellt, und was das Wollen angeht, stimmt das vielleicht/vermutlich auch. ABER: es ist durch­aus üblich, ein Urteil, das der­ar­tig von der seit­he­ri­gen Rechtsprechung abweicht, erneut zu verhandeln!
    § 80 Abs. 2 OWiG: Das Beschwerdegericht läßt die Rechtsbeschwerde nach § 79 Abs. 1 Satz 2 auf Antrag zu, wenn es gebo­ten ist,
    1. die Nachprüfung des Urteils zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer ein­heit­li­chen Rechtsprechung zu ermög­li­chen,

    Die Chancen: es könn­te von einer höhe­ren Instanz auch bestä­tigt wer­den (AG ist ist die nied­rig­ste) oder auf dem Weg durch die Instanzen ggf. sogar beim BVerfG anlan­den. Es ist also nicht nega­tiv aus mei­ner Sicht, es zum Lackmustest für das Funktionieren einer unab­hän­gi­gen und demo­kra­ti­schen Justiz zu machen!
    Je mehr von die­sen Dingen unter­wegs sind, um so bes­ser! Da kommt es weni­ger auf den unbe­ach­te­ten Sieg an, als dar­um, dass immer mehr Gerichte sich immer und immer wie­der neu beschäf­ti­gen müs­sen. Bis die Rechtsfortbildung geglückt ist und die Irrtümer alter Rechtsprechung an die wis­sen­schaft­li­chen Erkenntnisse ange­passt sind.

    1. Korrekt. Denn in der OLG-Instanz geht es nicht (mehr) um eine Beweisaufnahme, son­dern um eine recht­li­che Würdigung. Und das dürf­te span­nend wer­den, da jedes Argument des AG-Richters zer­pflückt und wider­legt wer­den müss­te. So gese­hen kann es auch sein, dass exakt das die Absicht des Richters war. Dafür spricht, dass sei­ne Begründung deut­lich über das übli­che und gefor­der­te Maß in einer klei­nen "OWi-Sache" hin­aus ging…

      Erstaunlich, dass Hilz nicht reden durf­te, da doch die Redner per Auflagenbescheid von der Maskenpflicht befreit waren…

    2. Danke auch wenn es natür­lich poli­tisch gewollt ist, und die Politik sich ver­dammt noch mal nicht in Gerichte ein­zu­mi­schen hat, sehe ich das ähn­lich. Es ist der ulti­ma­ti­ve Test ob unse­re Justiz über­haupt noch unab­hän­gig urtei­len kann.

  2. Ralf Ludwig kom­men­tiert die­sen erneu­ten Tiefpunkt deut­scher Rechtsprechung hier per Facebook-Video.

    Freislers Erben: Er setzt sei­ne eige­ne Auffassung an die Stelle der Einschätzung des Bundestages und des Thüringer Verordnungsgebers, ohne sich auch nur ansatz­wei­se mit den wis­sen­schaft­li­chen und tat­säch­li­chen Grundlagen auseinanderzusetzen. 

    Ludwig: (Pause) Irre!

  3. Durch die­ses Urteil bekommt man das Gefühl, das eini­ge Gerichtshöfe offen­bar doch schon durch­po­li­ti­siert sind.

    Witzigerweise begrün­det das Bayerische Gericht genau mit den Gesundheitsargumenten, deren Kompetenz sie ihrem Weimarer Kollegen von Amtsgericht abspre­chen: die Bewertung einer "hoch­kom­ple­xen" Gesundheitslage. Bis heu­te gibt es kei­ne Belege für eine kon­kre­te Ansteckungsgefahr im Freien.

    Für das durch­zäh­len von frei­en und beleg­ten Betten braucht es m.E. aber nicht mehr als gesun­den Menschenverstand.

  4. "ange­sichts der hoch­kom­ple­xen Situtation"
    Ja, hoch­kom­plex. In der Fantasie von Merkel und ihren Lakaien. Darum ist das Volk ein­ge­sperrt seit Monaten. Gesellschaft im selbst­zer­stö­re­ri­schen Wartezustand. Schön zu sehen, wie auch Richter sich dem unter­ord­nen (und ein ein­zi­ger nicht). Der Rechtsstaat wird durch die­se selbst­fa­bri­zier­te Ausnahmesituation wun­der­schön vor­ge­führt und ad absur­dum geführt. Eigentlich ganz wit­zig. Wenn nicht hun­dert­tau­sen­de drauf gehen wür­den dadurch..

    1. @Eine Landapothekerin: Nicht nur da, für ganz Deutschland hat die Revolution von 1918 das erkämpft. Auch gegen sol­che bür­ger­lich-mon­ar­chi­sti­schen JuristInnen.

  5. Merkel erklärt in der PRessekonferenz, dass die kri­ti­sche Wissenschaft igno­rie­ren wer­den kön­ne, da es sich hier um eine poli­ti­sche Entscheidung handle.

    Hier nun wird wie­der­um die Wissenschaft bemüht, die ja etwas ganz ande­res sage als das Urteil.

    Immer so, wie man es braucht. Kohärenz spielt kei­ne Rolle mehr. Dieses Regime wird sein Ziel mit jedem Mittel durchdrücken.

  6. "Außerdem maße sich das Amtsgericht eine Sachkunde an, die ihm ange­sichts der hoch­kom­ple­xen Situtation ersicht­lich nicht zukomme. "

    Das ist unfrei­wil­li­ge Komik und eine Übung in Selbstbezüglichkeit. Wer so etwas aus­spricht, muss "ersicht­lich" über die erfor­der­li­che Sachkunde ver­fü­gen, anson­sten masst er sich sel­bi­ge an.

  7. Zum Zeitpunkt des Urteils aus Weimar konn­te natür­lich nicht vor­aus­ge­se­hen wer­den, dass die WHO am 20. Januar 2021 erklä­ren wür­de, dass ein posi­ti­ver PCR Test allein nichts dar­über aus­sa­gen kann, ob eine Person tat­säch­lich infi­ziert ist. Nach mei­nem Verständnis hat es als logi­sche Konsequenz die­ser Feststellung dem­nach eine Grundlage, bzw. einen Nachweis für eine "Pandemie" nie gege­ben. Ich begrü­ße daher aus­drück­lich die zuläs­si­ge Rechtsbeschwerde. Eine Bestätigung des Urteils aus Weimar durch eine höhe­re Instanz scheint unaus­weich­lich. Vielleicht hat das Urteil aber auch das Potential wie some1 es beschreibt, es bis zum Bundesverfassungsgericht zu schaf­fen. Spannend bleibt es allemal.

  8. Es gibt den Begriff der 'herr­schen­den Meinung'. Wenn man das 'herr­schen' dabei betont, kling es von vor­ne­her­ein merkwürdig.

    Die Frage ist, was 'herr­schen­de Meinung' eigent­lich besagt. Wikipedia drückt es so aus: 

    'Besteht jedoch kein all­ge­mei­ner dog­ma­ti­scher Konsens, so kann aus wis­sen­schaft­li­cher Sicht die blo­ße Autorität einer „herr­schen­den Meinung“ eine inhalt­li­che Auseinandersetzung mit den Sachargumenten von jener und ande­ren Meinungen nicht erset­zen. In einem sol­chen Vorgehen wird ein „Zeichen eines gewis­sen Niederganges der Rechtskultur“ gese­hen, da dadurch die „Fähigkeit, über­haupt eige­ne Gedanken zu ent­wickeln“, erlah­me und in letz­ter Konsequenz eine „Erstarrung des Rechts“ drohe.'

    https://​de​.wiki​pe​dia​.org/​w​i​k​i​/​H​e​r​r​s​c​h​e​n​d​e​_​M​e​i​n​ung

    Hier nun:

    '…führ­te der..10. Senat aus, dass…zu Recht fest­ge­stellt habe, dass die­se Beschränkungen not­wen­dig sei­en, um Infektionsgefahren durch die Versammlung zu verhindern…Dieses Urteil [AG Weimar] wider­spre­che der ganz über­wie­gen­den Rechtsprechung deut­scher Gerichte und sei metho­disch frag­wür­dig. Außerdem maße sich das Amtsgericht eine Sachkunde an, die ihm ange­sichts der hoch­kom­ple­xen Situtation ersicht­lich nicht zukomme.'

    Das ist mE ganz schwach argu­men­tiert. Hier 'masst sich' das Verwaltungsgericht schein­bar die Sachkunde an, ein­gangs fest­zu­stel­len, was 'not­wen­dig sei um die Infektionsgefahren durch die Versammlung zu verhindern'.

    Während dem AG Weimar wohl die­se Sachkunde 'ange­sichts der hoch­kom­ple­xen Situation' nicht zukomme.

    Aber das Bayer. Verwaltungsgericht führt – zumin­dest in der Passage der Pressemitteilung – kei­ne eige­ne Würdigung an, son­dern 'die über­wie­gen­de Rechtsprechung deut­scher Gerichte'. Diese haben bes­se­re Sachkunde als das AG Weimar?

    Wer hat denn über­haupt die not­wen­di­ge Sachkunde hier? Herr Spahn und Frau Dr. Merkel? Der eng begrenz­te 'Ratgeberkreis and Virologen und Tierarzt'?

    Selbst habe ich weder das Urteil des AG Weimar, noch des Bayer. Vewaltungsgerichts, noch ande­rer Gerichte gele­sen, weil ich das als Zeitverschwendung erach­te. Eben, ich hal­te mich lie­ber an Menschen mit Sachkunde…

  9. Man muss es posi­tiv sehen. Allein die Tatsache, dass das Weimarer AG den Mut für die­se kla­re Ansage gefun­den hat, ist unbezahlbar.
    Wenn die­ses Urteil jetzt durch einen gefäl­li­ge­ren Senat gekippt wer­den soll­te, wird das die Aufmerksamkeit nur erhöhen.
    Was im Falle einer Bestätigung des Urteils los wäre, male ich mir vor­erst in mei­nen Wunschträumen aus.

    1. Ich hat­te mich schon gefragt, wie lan­ge die ein­schlä­gi­gen Scharfmacher wohl brau­chen wür­den, um sich den Richter per­sön­lich vor­zu­neh­men. Ist natür­lich ein Skandal, wenn ein Richter sich anmaßt vor Gericht zu zie­hen. Demnächst kom­men­tie­ren Journalisten noch die Tätigkeit ande­rer Journalisten…

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