„Die Menschen dieses Landes sind keine Untertanen“

Diesen Titel trägt ein Interview mit dem ehe­ma­li­gen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier auf welt​.de (Bezahlschranke). Er führt dort u.a. aus:

Die »Werteordnung unse­rer Verfassung war schon vor der Pandemie einer jeden­falls par­ti­el­len, schlei­chen­den Erosion aus­ge­setzt, es waren Diskrepanzen zwi­schen Verfassung und poli­ti­scher wie gesell­schaft­li­cher Wirklichkeit zu ver­zeich­nen. Aber seit einem Jahr müs­sen wir infol­ge der Pandemie Abweichungen von die­ser Werteordnung fest­stel­len, die sich nie­mand zuvor hat vor­stel­len kön­nen. Das gilt sowohl im Hinblick auf die Geltung der Grund- und Menschenrechte, als auch im Hinblick auf die Strukturen der par­la­men­ta­ri­schen Demokratie…

Papier: Ich habe den Eindruck, dass Wert und Bedeutung der Freiheitsrechte in wei­ten Teilen der Bevölkerung, aber auch in der Politik unter­schätzt wer­den – heu­te mehr denn je. Ich habe neu­lich eine Formulierung gehört, die etwa lau­te­te: Wenn die epi­de­mi­sche Lage so bleibt, wie sie jetzt ist, dann kann es kei­ne neu­en Freiheiten geben.

WELT: Eine Formulierung der Kanzlerin…

Papier: Von wem auch immer: Darin kommt die irri­ge Vorstellung zum Ausdruck, dass Freiheiten den Menschen gewis­ser­ma­ßen vom Staat gewährt wer­den, wenn und solan­ge es mit den Zielen der Politik ver­ein­bar ist. Nein, es ist umgekehrt!

Die Grundrechte sind als unver­letz­li­che und unver­äu­ßer­li­che Menschenrechte des Einzelnen ver­bürgt. Sie kön­nen zwar ein­ge­schränkt wer­den, aus Gründen des Gemeinwohls durch Gesetz oder auf­grund eines Gesetzes. Aber es han­delt sich nicht um eine ein­sei­ti­ge Gewährung des Staates, die man mehr oder weni­ger belie­big ent­zie­hen und neu ver­ge­ben kann…

Nun wird gesagt, es gehe doch um Solidarität. Ich kann aber kei­ne Solidarität ver­lan­gen gegen gel­ten­des Verfassungsrecht, zumal eine sol­che Solidarität den nicht geimpf­ten Personen über­haupt nichts nut­zen würde…

Gegen Schaltkonferenzen der Ministerpräsidenten und der Kanzlerin ist sicher­lich nichts ein­zu­wen­den, wenn und soweit sie der gegen­sei­ti­gen Beratung und Koordinierung die­nen. Aber es han­delt sich um ein Gremium, das in der Verfassung nicht vor­ge­se­hen ist und über kei­ner­lei Kompetenzen verfügt…

Ich möch­te noch­mals dar­auf hin­wei­sen, dass der­art inten­si­ve, flä­chen­decken­de und nicht nur kurz­zei­ti­ge Freiheitsbeschränkungen, die allein von der zwei­ten Gewalt beschlos­sen wer­den, für mich als Staatsrechtler bis­her undenk­bar gewe­sen waren…

WELT: Genügt das Infektionsschutzgesetz dem Bestimmtheitsgebot? Es sieht „breit ange­leg­te Schutzmaßnahmen“ bei einer Inzidenz von 35 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner inner­halb von sie­ben Tagen vor, „umfas­sen­de Schutzmaßnahmen“ ab einer Inzidenz von über 50 Neuinfektionen. Eine Legaldefinition die­ser Begriffe gibt es nicht.

Papier: Ich habe auch Bedenken, ob die gesetz­li­che Ermächtigung – die mei­ner Meinung nach schon dem Wesentlichkeitsgrundsatz nicht genügt – nach Inhalt, Zweck und Ausmaß hin­rei­chend limi­tiert und bestimmt ist. Mit dem sehr eilig ein­ge­führ­ten Paragrafen 28a des Infektionsschutzgesetzes ist mei­nes Erachtens nur eine Scheinrationalität her­bei­ge­führt wor­den. Man hat alle denk­ba­ren Beschränkungen und Schutzmaßnahmen in 17 ein­zel­nen Nummern aufgelistet.

Aber die eigent­li­che Entscheidung dar­über, wel­che Schutzmaßnahmen in wel­chem Ausmaß, mit wel­cher Dauer und vor allem in wel­cher Kombination dann wirk­lich ange­ord­net wer­den, ist nach wie vor der ermäch­tig­ten Exekutive über­las­sen. Begriffe wie „breit ange­leg­te“ oder „umfas­sen­de Schutzmaßnahmen“ bie­ten kei­ne hand­hab­ba­ren Maßstäbe. Im Übrigen dürf­ten die vom Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gefor­der­ten Abwägungen recht­lich defi­zi­tär sein, wenn ein­sei­tig auf das Ziel einer Unterschreitung von Inzidenzwerten abge­stellt wird…

Ich möch­te dar­auf hin­wei­sen, dass wir jeden­falls durch völ­ker­recht­li­che Abkommen ein ver­bind­li­ches sozia­les Menschenrecht auf Bildung haben, ins­be­son­de­re der Kinder und Jugendlichen. Das ist nicht nur eine mora­li­sche Verpflichtung, son­dern ein aner­kann­tes, recht­lich ver­bind­li­ches Gebot, das etwa bei der Prüfung von Schulschließungen im Rahmen von Verhältnismäßigkeitsabwägungen zu beach­ten ist. Meines Erachtens ist das in der Realität bis­lang zu wenig gewür­digt worden…«

18 Antworten auf „„Die Menschen dieses Landes sind keine Untertanen““

  1. Ich wünsch­te, er hät­te recht. Aber wenn die letz­ten 12 Monate etwas gezeigt haben, dann genau das: Der Deutsche ist ein unter­tä­ni­ger Untertan, wie er unter­tä­ni­ger nicht mehr sein könnte.

    Mit Papier als Verfassungsgerichtspräsidenten hät­te es die­sen Irrsinn nicht gege­ben; er war maß­geb­lich für das Urteil zum Luftsicherheitsgesetz ver­ant­wort­lich. Ein Urteil, des­sen weg­wei­sen­de Inhalte nicht nur die Exekutive, son­dern vor allem die Judikative seit einem Jahr durch­weg ignoriert.

    Um den C‑Putsch abzu­si­chern, muss­te ja extra noch in die­sem Frühjahr Großindustrieanwalt Harbarth an der Spitze instal­liert werden.

    Ich per­sön­lich hab kei­ne Hoffnung mehr.

    1. @DS-pektiven – ".…muss­te ja extra noch in die­sem Frühjahr Großindustrieanwalt Harbarth an der Spitze instal­liert werden."

      .…das ist so nicht ganz kor­rekt. Nur mal als Info: Harbarth wur­de nicht die­se Jahr an die Spitze instal­liert, auch nicht 2020, son­dern er wur­de schon ca 2018 /19 instal­liert als es um die Fragestellung ging: "sind Sanktionen in Hartz IV Verfassungswidrig".
      Harbarth schafft es das kom­plett posi­ti­ve Urteil der Richterschaft des Bundesverfassunsggerichtes mit einer ein­zi­gen Randnummer ins Gegenteil zu verkehren.
      Vorher wur­de noch von der Partei "die Linke (…)" die Frage nach Befangenheit des Habarth gestellt, den er (oder das Gericht) abbü­gel­te mit einer Presseerklärung: "Nein, wir sind nicht Befangen."
      Der Mann ist da aber defi­ni­tiv völ­lig falsch am Platz.

      1. Das ist mir schon klar – dass man ihn aber noch zum Präsidenten ernannt hat, zeigt ein­deu­tig die poli­ti­sche Motivation hin­ter die­ser Beförderung. Leider haben aber auch die Verfassungsrichter, die viel­leicht doch noch auf dem Boden des Rechtsstaates ste­hen, nicht den Mut, sich gegen den Kurs des Präsidenten zu wen­den. Oder gar öffent­lich zu positionieren.

        Derartige "Palastrevolutionen" feh­len seit Beginn die­ses Terrors fast voll­stän­dig. Die Fälle Kohn, Pürner etc. waren wohl abschreckend genug. Wirklich alles ist gleichgeschaltet.

  2. …was ist denn beim Springer Verlag los?
    Sinken die Verkaufszahlen so rapi­de, dass man's mal mit Journalismus ver­sucht oder hat sich Friede Springer beim letz­ten Kaffeekränzchen mit der FDJ Sekretärin gestritten?

  3. Vorsicht Jurist !
    Papier ver­brei­tet Blödsinn !
    Für den Dt. GG-Staat sind alle GG-Bürger juri­stisch Objekte mit einer Menschenwürde.
    Mit Ausrufung der „Pandemie natio­na­ler Tragweite“
    ist den GG-Bürgern ihre Menschenwürde suspendiert
    worden.
    Für den GG-Staat heißt das: Dein Körper gehört mir.
    Dein Körper stellt eine töd­li­che Gefahr dar. Deshalb habe ich dei­ne Menschenwürde suspendiert.

    Das GG kennt kei­nen Rechtsbegriff SUBJEKT, son­dern nur OBJEKT.

    Den Rechtsbegriff SUBJEKT gibt es seit 1948 und ist auf die UDHR aus­schließ­lich fixiert.

    Wer für das GG ist, ist juri­stisch ein Objekt für den GG-Staat.
    Wer für die UDHR ist, ist juri­stisch ein Subjekt gegen den
    GG-Staat.

      1. @DS-pektiven
        Warum hat Papier dann nicht das StGB verboten ?
        Das StGB kennt juri­stisch nur Objekte. 

        Warum hat Papier nicht den Artikel 12. 3, GG verboten ?
        Objektivierungs-Gebot durch ZWANGSARBEIT.

        Ich ver­mu­te Sie mei­nen den Papier-Begriff:
        „Objekt staat­li­chen Handelns“.

        Hier geht es um einen Objekt-Vergleich – nicht um ein Verobjektivierungs-Verbot. Objekte im Flugzeug und
        Objekte im Stadion.

  4. Und sie zie­hen wie­der durch die Straßen. Wenn man frü­her irgend etwas mit "Verrecke" aus einem Demo-Zug schal­len hör­te, wuss­te man, da sind wie­der die Rassisten und Judenfeinde unterwegs.

    Heute kommt der Hass und die Menschenfeindlichkeit aus Pseudolinken-Demos herausgekotzt.

    Die, die da grö­len, wis­sen wahr­schein­lich genau für wen und war­um sie das tun. Was ich nicht ver­ste­he ist, war­um da ande­re, viel­leicht sogar wirk­lich von lin­ken Anliegen Bewegte, brav hinterhertrotten.

  5. Der Mann zeich­net scharf die heu­ti­ge "lin­ke" Denkwelt anhand der Aktivisten-Hetz-Plattform "Volksverspetzer":

    "rechts­rechts­na­zi­pan­de­mie­leug­ner­rechts­rechts­na­zi­s­an­ti­se­mi­ten…"

    https://​you​tu​.be/​M​j​P​m​w​E​v​Z​OEU

    oder ein­ge­bet­tet hier:

    https://​tkp​.at/​2​0​2​1​/​0​3​/​0​7​/​w​e​i​t​e​r​e​-​u​s​-​b​u​n​d​e​s​s​t​a​a​t​e​n​-​b​e​e​n​d​e​n​-​c​o​r​o​n​a​-​m​a​s​s​n​a​h​m​e​n​-​u​n​d​-​m​a​s​k​e​n​p​f​l​i​c​ht/

    Junger Mensch mit Vernunft – das tut so gut.

    (Von der "Hamburger Studie" hal­te ich übri­gens nichts. Dass ich da mit dem "Volksverpetzer" d'accord gehe, muss ein Unfall (bei denen) sein)

  6. Auch mit den Nürnbergern Gesetzen hat das Regime "eine Scheinrationalität her­bei­ge­führt". Gleiches taten auch der Georgier Stalin und diver­se US-Präsidenten bei der Verfolgung und Ausschaltung von Staatsfeinden. Immer schön im Gewand der Rechtsstaatlichkeit. In allen Fällen gab es auch ober­ste Gerichte, die man hät­te anru­fen können.

    Nun reiht sich auch das Bundesverfassungsgericht ein, und sein ehe­ma­li­ger Präsident sieht bei all der diplo­ma­ti­schen Kritik den Elefanten im Raum nicht. Wenn die­ses Gericht schon seit einem Jahr schläft, wird es auch nicht auf­wa­chen, wenn es um nicht min­der Grundsätzliches wie Impfpässe geht.

    Und ja, auch die mit­tel­ba­re Vernichtung von Existenzen als unmit­tel­ba­re Maßnahmenfolge, medi­zi­nisch-poli­tisch-media­ler Desinformations-Psychoterror (beson­ders bei Jungen und Alten) und die zeit­wei­li­ge Abschaffung von Grundrechten sind Formen von Folter und Mord.

    1. Sie haben Recht. Scheinrationalität. Eine Schande dass sich wie schon damals Juristen und Richter (Verführte oder Überzeugungtäter) als wil­li­ge Vollstreckter poli­ti­scher Vorgaben anbie­dern und unter­tä­nigst Gehorsam Folge lei­sten. Die Würde des Menschen ist unantastbar.
      In einer Demokratie hat die Regierung Angst vor dem Volk.
      In einer Diktatur hat das Volk Angst vor der Regierung.

  7. Soll die­ser Journalist bit­te ein­mal die jet­zi­gen Richter des Verfassungsgerichtes inter­view­en . Ob bereits gesche­hen, ist mir nicht bekannt. Falls nicht, war­um nicht?

  8. oder Ausbildung zum Blockwart?

    Die zivi­le Reserve gibt es schon – sie heißt BuFDi
    https://​www​.bun​des​frei​wil​li​gen​dienst​.de/

    1) Braun will „zivi­le Reserve“ zur Unterstützung staat­li­cher Behörden
    Epoch Times 8. März 2021 Aktualisiert: 8. März 2021 7:52
    Die Bundesländer müss­ten aktu­ell Aufgaben in Größenordnungen bewäl­ti­gen, die vor­her nicht da gewe­sen seien.
    Als Beispiel nann­te Braun
    die Bearbeitung von Asylanträgen und
    die Kontaktnachverfolgung in der Pandemie.
    https://​www​.epocht​i​mes​.de/​p​o​l​i​t​i​k​/​d​e​u​t​s​c​h​l​a​n​d​/​b​r​a​u​n​-​w​i​l​l​-​z​i​v​i​l​e​-​r​e​s​e​r​v​e​-​z​u​r​-​u​n​t​e​r​s​t​u​e​t​z​u​n​g​-​s​t​a​a​t​l​i​c​h​e​r​-​b​e​h​o​e​r​d​e​n​-​a​3​4​6​5​0​1​9​.​h​tml

    2) Helge Braun will zivi­le und mili­tä­ri­sche Reserven für wei­te­re Krisen
    dpa/chg, 8.3.2021 – 09:39 Uhr 

    Als Beispiel nann­te Braun die Kontaktnachverfolgung in der Pandemie. Es gebe plötz­lich einen Ansturm von Aufgaben, den die Staatsbediensteten nicht mehr bewäl­ti­gen könnten. 

    https://​www​.ber​li​ner​-zei​tung​.de/​n​e​w​s​/​h​e​l​g​e​-​b​r​a​u​n​-​w​i​l​l​-​z​i​v​i​l​e​-​u​n​d​-​m​i​l​i​t​a​e​r​i​s​c​h​e​-​r​e​s​e​r​v​e​n​-​f​u​e​r​-​w​e​i​t​e​r​e​-​k​r​i​s​e​n​-​l​i​.​1​4​4​554

    Was soll es bedeuten,
    wenn
    die Regierung(en) vor­sätz­lich und systematisch
    Behörden zum Schutz der Bürger (Justiz‑, Verbraucher‑, div. Aufsichts-) fak­tisch arbeits­un­fä­hig machen
    und andererseits
    "Sicherheits"-Behörden" auf­blä­hen und mit orwell­schen Befugnissen ausstatten?

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