Rosen für den Richter

Am 8. April 2021 hat­te ein Weimarer Familienrichter einen Aufsehen erre­gen­den Beschluss gefasst, der den kri­ti­schen Geistern in die­sem Land nach über einem Jahr „Corona-Krise“ wie­der etwas Hoffnung gab. Im 178 Seiten lan­gen Beschlussdokument wird detail­liert erklärt, war­um im Ergebnis die Entscheidung für das Kindeswohl und gegen Maskenpflicht, Abstandsregelungen und Schnelltests an Schulen gefal­len war. Es folg­ten Hausdurchsuchungen beim Richter, bei den Gutachtern und ande­ren mehr oder gar nicht mit dem Verfahren ver­bun­de­nen Personen, die Suspendierung und schließ­lich die Anklage des Richters wegen Rechtsbeugung. Auf die­sem Blog wur­de mehr­fach dar­über berich­tet, eine Übersicht über die Beiträge ist in „Audiatur et alte­ra pars“ enthalten.

Am 23. August 2023 ver­ur­teil­te das Landgericht Erfurt den Richter zu zwei Jahren Haft auf Bewährung. Dieses Urteil wür­de bei Inkrafttreten die Beendigung des Richterverhältnisses und den Verlust der Pensionsansprüche bedeu­ten, ist aber nicht rechts­kräf­tig, der Prozess wird weitergeführt.

In der WELT erklä­ren Frauke Rostalski (Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Rechtsphilosophie und Rechtsvergleichung an der Universität zu Köln und Mitglied des Deutschen Ethikrats) und Elisa Hoven (Professorin für Strafrecht an der Universität Leipzig und Richterin des Verfassungsgerichtshofs des Freistaates Sachsen), wie das Urteil zu bewer­ten ist und wie das Verfahren wei­ter­ge­hen könnte.

„Es kommt also allein dar­auf an, ob die Voraussetzungen des Tatbestandes der Rechtsbeugung erfüllt sind. Paragraf 339 des Strafgesetzbuches lau­tet: ‚Ein Richter, ein ande­rer Amtsträger oder ein Schiedsrichter, wel­cher sich bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache zugun­sten oder zum Nachteil einer Partei einer Beugung des Rechts schul­dig macht, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren bestraft.‘ […]
Nicht nur für Juristen, son­dern für alle, die an einer gerech­ten Aufarbeitung der Corona-Pandemie inter­es­siert sind, dürf­te die Begründung des Landgerichts Erfurt für die Verurteilung von Interesse sein. Darin wird näm­lich nicht etwa an der Entscheidung Anstoß genom­men, die Maskenpflicht auf­zu­he­ben – die­se sei ‚ver­tret­bar‘. Ebenso urteilt das Landgericht über die Zuständigkeit: Überwiegend wird die Kompetenz eines Familienrichters für Anordnungen gegen­über Schulen zwar ver­neint, aber auch das war noch kein ‚ele­men­ta­rer‘ Verstoß.
Der Vorwurf, der nach Ansicht des Landgerichts eine straf­ba­re Rechtsbeugung begrün­det, ist ein ande­rer: Christian D. sei bei sei­ner Entscheidung befan­gen gewe­sen und habe trotz­dem in der Sache geurteilt.
Die Voreingenommenheit des Richters stützt das Erfurter Gericht auf eine Reihe von Indizien: Christian D. hat­te das Verfahren selbst initi­iert, im Vorfeld such­te er nach Eltern, die bei ihm einen Antrag auf Durchführung eines Kindeswohlverfahrens stel­len soll­ten. Er hat­te Formulare ver­fasst, die es den Antragstellern erleich­tern soll­ten, ihre Anträge zu for­mu­lie­ren. Er unter­stütz­te die Antragsteller sogar beim Abfassen ihrer Anträge, nahm Korrekturen vor, noch bevor die Schriftstücke offi­zi­ell bei ihm ein­ge­reicht wor­den waren.
Er war maß­nah­men­kri­tisch, was sei­ne Mitgliedschaft im Verein ‚Netzwerk Kritische Richter und Staatsanwälte‘ und sei­ne Teilnahme an Montagsspaziergängen zeig­ten. Und er wähl­te für sei­ne Entscheidung Gutachter, die schon vor­ab in Publikationen Kritik an der einen oder ande­ren fach­wis­sen­schaft­li­chen Einschätzung geäu­ßert hat­ten, die die offi­zi­el­le Pandemiepolitik trugen. […]
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshof kann eine Rechtsbeugung durch die schwer­wie­gen­de Verletzung von Verfahrensvorschriften, also auch durch die Führung eines Verfahrens trotz eige­ner Befangenheit, began­gen wer­den. Dafür müs­se der Richter, so legt es der Bundesgerichtshof in einer Entscheidung dar, aus ‚sach­frem­den‘ Erwägungen her­aus gehan­delt haben, etwa um einer befreun­de­ten Partei einen per­sön­li­chen Gefallen zu tun. […]
Christian D. woll­te kei­nen guten Bekannten bevor­zu­gen oder sich durch sei­ne Entscheidung einen Vorteil ver­schaf­fen. Er war davon über­zeugt, das erkennt auch das Erfurter Gericht an, dass die Maskenpflicht an Schulen eine Verletzung des Kindeswohls darstellte.
Ein Blick in das Familienrecht zeigt, dass genau die­ser Schutz von Kindern die wesent­li­che Aufgabe eines Familienrichters ist. […]
Damit wird klar, dass Christian D. sein Handeln nicht an sach­frem­den Maßstäben aus­ge­rich­tet hat, die im Gesetz kei­nen Ausdruck gefun­den haben. […]
Das räumt letzt­lich auch das Landgericht Erfurt ein, wenn es recht hilf­los for­mu­liert, dass es nicht wis­se, ob es eine Rechtsbeugung auch bejaht hät­te, wenn der Angeklagte ‚den muti­gen Weg gegan­gen wäre, ein Verfahren von Amts wegen ein­ge­lei­tet hät­te und dann so ent­schie­den hät­te – qua­si mit offe­nem Visier.‘ […]
Das ist so nicht halt­bar. Entweder ist ein Richter befan­gen und darf nicht ent­schei­den, oder er ist es nicht. Eine ‚Verschleierung‘ durch das Ansprechen mög­li­cher Antragsteller – für die es Gründe geben kann, zum Beispiel den, kei­ner Familie gegen ihren Willen ein Verfahren auf­drän­gen zu wol­len – ist als sol­che nicht verboten.
Das Urteil des Landgerichts Erfurt ist nicht rechts­kräf­tig, der Bundesgerichtshof wird sich mit dem Fall beschäf­ti­gen müs­sen. Wir gehen davon aus, dass die Entscheidung aus Thüringen auf­ge­ho­ben wird: Eine Rechtsbeugung begeht ein Familienrichter, der nach sei­ner Vorstellung von einem not­wen­di­gen Schutz des Kindeswohls eine recht­lich ver­tret­ba­re Entscheidung trifft, nicht.“

Weitere juri­sti­sche Bewertungen sind auf der Website der Anwälte für Aufklärung zu fin­den und der Rechtsanwalt des Richters Gerhard Strate (der juri­stisch gegen Olaf Scholz und Peter Tschentscher in der Sache Cum-Ex vor­geht) hat eine aktu­el­le Linkliste mit wich­ti­gen Dokumenten zu dem Verfahren zusam­men­ge­stellt. Und nach dem Urteil gab es kei­ne Rosen für den Staatsanwalt wie im Film, son­dern im wirk­li­chen Leben Rosen für den Richter.

7 Antworten auf „Rosen für den Richter“

  1. ‚Ein Richter, ein ande­rer Amtsträger oder ein Schiedsrichter, wel­cher sich bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache zugun­sten oder zum Nachteil einer Partei einer Beugung des Rechts schul­dig macht, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren bestraft.‘

    Ist es nicht Aufgabe eines Famimllienrichters, in einem Kindeswohlverfahren i zwei­fel zugun­sten einer Partei (der betrof­fe­nen Kinder) zu ent­schei­den? genau das hat doch der Richter getan. Das Urteil war unab­haen­gig von sei­ner per­soen­li­chen einung oder einer etwa­igen Voreingenommenhheit, den das Landgerichht hhat ja aner­kannt, dass die Entscheidung an sich ver­tret­bar war, eben­so wie die fach­li­che Eignung der Sachverstaendigen. Die Auswahhl von fachh­lich geeig­ne­ten Sachverstaendigen, die selbst eine bestimm­te Meinung zu demm Fall haben, kann doch wohl in einem Kindeswohlverfahren nicht die Begruedung fuer eine "Rechtsbeugung" sein. Auch, dass der Richhter sich hei­ne eige­ne Meinung zu demm Thema gebil­det hat­te, kann wohl kaum eine Rechtsbeugung begruen­den 8sonst hhaet­te nahe­zu gar kein Richter im Land ehhr irgend eine Entscheidung rund um Corona tref­fen duer­fen, denn es hat­te wohl *jeder* eine bereits irgend wie vor­ge­fass­te Meinung zu Corona und den Massnahmen.

    Fuer mich ist das Urteil (trotz der aus­fuehhr­li­chen Begruedung) voel­lig unver­staend­lich. Es wae­re viel­leicht ver­staend­lich, wenn es nicht aus­ge­rech­net um das Kindeswohl gegan­gen wae­re. Bei Kindeswohlverfahren sind aus gute Gund die Richtlinien etwas ver­scho­ben, da im Zweifelsfall *immer* zugun­sten des Kindeswohls zu ent­schei­den ist.

  2. Richter nut­zen Informationen und falsch dar­ge­leg­te Sachverhalte auch dann, wenn ihnen die Betreffenden, im eige­nen Interesse die Sachverhalte zuvor rich­tig gestellt habenI Das macht die Prozesse ver­mut­lich schneller.

    Deshalb wür­de mich im volie­gen­den Fall Christan D. inter­es­sie­ren, ob der Tatbestand der Initiierung bewie­sen ist, wenn schon die Entscheidung an sich kor­rekt sein soll.

    Ich bin sowie­so dafür, den libe­ra­len Rechtsstaat kon­se­quen­ter an den Rationalismus zu knüpfen.

  3. An Stelle des Richters hät­te ich eher Wieler und Drosten als Zeugen vor­ge­la­den und pein­lich befragt. Solche Gestalten fach­lich zu zer­le­gen macht mehr her, als Gutachter zu beauf­tra­gen, die die Medien ger­ne abstem­peln oder es gar schon getan haben.

  4. EGMR gibt Bild nach Debatte um Polizeigewalt recht
    Bild​.de muss Poli­zisten nicht immer verpixeln
    01.11.2023

    Im Zuge einer Debatte über Polizeigewalt zeig­te Bild​.de 2013 unver­pi­xel­te Aufnahmen eines Polizisten. 

    Deutsche Gerichte ver­bo­ten die Verbreitung der Aufnahmen vollständig. 

    Doch der EGMR gibt Bild​.de nun Recht.

    lst/LTO-Redaktion

    https://​www​.lto​.de/​r​e​c​h​t​/​n​a​c​h​r​i​c​h​t​e​n​/​n​/​e​g​m​r​-​9​6​0​2​1​8​-​b​i​l​d​-​d​e​u​t​s​c​h​l​a​n​d​-​v​i​d​e​o​-​p​o​l​i​z​i​s​t​-​u​n​v​e​r​p​i​x​e​lt/

  5. Krank ist krank
    18.10.2023

    Wer wegen Corona oder ande­rer Infektionen vom Gesundheitsamt in Quarantäne geschickt wird,
    kann Lohnfortzahlung im Krankheitsfall beanspruchen. 

    Auch ohne förm­li­che Krankschreibung liegt bei einer behörd­li­chen Quarantäne Arbeitsunfähigkeit vor, ent­schied das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein. 

    https://​www​.law​blog​.de/​a​r​c​h​i​v​e​s​/​2​0​2​3​/​1​0​/​1​8​/​k​r​a​n​k​-​i​s​t​-​k​r​a​nk/

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