nd – Journalismus von oben

Ein Sebastian Haak, Träger des Thüringer Journalistenpreises 2019, einer Auszeichnung der Sparkassen-Finanzgruppe Hessen-Thüringen und des DJV Thüringen, bespricht am 14.11.23 auf nd​-aktu​ell​.de eine Studie von Cornelia Betsch. Sie gehört seit lan­gem, zu den "Männern und Frauen, die die Impfkampagne jeden Tag vor­an­trei­ben. Sie alle sind an vor­der­ster Front auf unse­rem Weg aus der Pandemie tätig." (Quelle sie­he hier).

Der Historiker Haak beginnt so:

»Erinnerungen sind eine kom­pli­zier­te Sache. Angehende Historiker ler­nen das früh im Studium und sind des­halb aus­ge­spro­chen kri­tisch gegen­über allem, was Menschen ihnen aus dem Gedächtnis erzählen.

Das betrifft auch die Corona-Panedemie [sic], die ab dem Frühjahr 2020 Menschen über­all auf der Welt fast drei Jahre lang mas­siv ein­schränk­te. Mehrere aktu­el­le Studien von Wissenschaftlern der Universitäten Bamberg, Chicago, Erfurt und Wien kön­nen nach­zeich­nen, dass bei vie­len Menschen die Erinnerung an die­se Pandemie-Zeit erheb­lich ver­zerrt ist…«

Bereits die­se Einleitung geht von einer herr­schaft­li­chen Geschichtsforschung aus. In ihr gel­ten Urkunden über Kaiserkrönungen und Verlautbarungen von Regierungen als histo­ri­sche Quellen, Zeitzeugenberichte hin­ge­gen als aus­ge­spro­chen kri­tisch zu beäu­gen. Dabei gibt es schon sehr lan­ge die Methode der Oral History, mit der vor allem die Sichtweisen von unten, nicht zuletzt der Alltagsgeschichte, ein­be­zo­gen wer­den. Es exi­stie­ren zahl­rei­che wis­sen­schaft­li­che Archive zu ver­schie­de­nen Epochen mit umfang­rei­chen Erinnerungen. Wie zu Corona gibt es eine ähn­li­che Verdammung übri­gens der Geschichte der DDR. Da oft­mals die Erzählungen von Eltern und Großeltern nicht dem erwünsch­ten simp­len Narrativ der "zwei­ten deut­schen Diktatur" ent­spre­chen, wer­den Heerscharen von Sozio- und Psychologen in Gang gesetzt, um der "Ostalgie" entgegenzuwirken.

Hat der Autor gelesen?

Es ist höchst frag­lich, daß der Autor mehr als die Presseinformation über die Studie gele­sen hat. Wer sich ein Bild machen will von der will­kür­li­chen Auswahl der TeilnehmerInnen und den frag­wür­di­gen Methoden, kann sie unter crc​tr224​.de nach­le­sen. Hier ein Appetizer daraus:

»Um die Wirkung von Anreizen zu testen, wur­de den Teilnehmern gesagt, dass eine genaue­re Erinnerung ihre Chancen auf einen Geldpreis erhö­hen wür­de: 100 Euro wur­den unter allen Teilnehmern ver­lost, und eine genaue­re Erinnerung führ­te zu einer häu­fi­ge­ren Teilnahme an der Lotterie. Um die Auswirkung meta­ko­gni­ti­ver Informationen auf das Vorhandensein von Erinnerungsverzerrungen zu testen, wur­den die Teilnehmer über das Ausmaß die­ser Verzerrungen bei ande­ren infor­miert. Im Anschluss an die­se Interventionen teste­ten wir das Erinnerungsvermögen der Teilnehmer und bewer­te­ten ihre Wahrnehmung der Angemessenheit poli­ti­schen Handelns wie in Studie 1. Die Untersuchung der Antwortzeiten zeigt, dass die Teilnehmer die Interventionen gele­sen haben; in der Informationsbedingung (Anreiz, Kontrolle) benö­tig­ten die Teilnehmer im Median 94 (61, 45) Sekunden, um die Anweisungen zu lesen und ihre Antworten abzu­ru­fen.«

Man wird dort auch fest­stel­len, daß´die vier AutorInnen mit­nich­ten Studien in 10 Ländern durch­ge­führt haben. Doch Haak hat gele­sen, daß so etwas in einem renom­mier­ten Forschungsmagazin ste­hen soll, und so wirft er für die gute Sache sei­ne Eingangsbedenken über Bord:

In wel­cher Welt mag der Autor in den letz­ten Jahren gelebt haben, wenn ihm beson­ders bemer­kens­wert erscheint, daß der Impfstatus nicht nur als medi­zi­ni­sches Merkmal wahr­ge­nom­men wird? Wie soll­te ein Kriterium, das lan­ge Zeit eben nicht nur medi­zi­nisch, und ver­mut­lich noch nicht ein­mal vor­ran­gig so, wahr­ge­nom­men wur­de, son­dern die gesell­schaft­li­chen Beziehungen bestimm­te, kei­ne Auswirkungen haben? Millionen Menschen wur­den aus wesent­li­chen Bereichen des öffent­li­chen Lebens aus­ge­schlos­sen – mit wöchent­lich wech­seln­den und sich oft wider­spre­chen­den Begründungen – , wie soll­te das auf ein medi­zi­ni­sches Problem zu redu­zie­ren sein?

Haak, der ver­mut­lich selbst Ostdeutscher ist, staunt:

"Die Professorin für Gesundheitskommunikation Cornelia Betsch, die für die Universität Erfurt an den Studien betei­ligt war, hat­te Zeitungen erst vor Kurzem gesagt, in der Pandemie habe es »eine extre­me Politisierung von Gesundheitsverhalten« gege­ben. Vor der Pandemie sei Impfen ins­be­son­de­re im Osten etwas gewe­sen, wor­über sich die aller­mei­sten Menschen kei­ne Gedanken gemacht hät­ten. »Dann hat sich das völ­lig gedreht«, sagt Betsch, und fol­gert: »Impfen wur­de etwas Politisches«."

Daß das etwas zu tun haben könn­te mit neu­ar­ti­gen und uner­prob­ten gen­tech­ni­schen Präparaten und damit, daß man sich lan­ge Zeit im Osten kei­ne Gedanken machen muß­te, daß mit ihnen hor­ren­de Gewinne ein­ge­fah­ren wer­den, koste es Gesundheit, was es wol­le – auf die­sen Gedanken kom­men weder Betsch noch Haak.

Genau anders herum

»Laut den Studien ten­die­ren Ungeimpfte, die sich stark über ihren Impfstatus defi­nie­ren, nun dazu, die Ängste her­un­ter­zu­spie­len, die sie am Beginn der Corona-Pandemie sehr wohl emp­fun­den hat­ten. Bei Geimpften, die stolz dar­auf sind, gegen Covid-19 immu­ni­siert zu sein, ist es genau anders her­um, wenn­gleich in einem ähn­lich star­ken Ausmaß. Sie hät­ten die Gefahren, die ihnen und der Gesellschaft durch Sars-CoV‑2 dro­hen, damals deut­lich stär­ker emp­fun­den, als sie das tat­säch­lich waren.«

Es ist ihm ein Herun­ter­zu­spie­len, wenn Ungeimpfte im Laufe der Zeit fest­stell­ten, daß die Erzählung über ein Monstervirus nicht ganz zutref­fend war. Eine Bewertung der Erfahrung der stol­zen Geimpften, daß ihnen unnö­tig Angst gemacht wur­de, fin­det nicht statt.

An die­ser Stelle des Artikels wird eingeblendet:

Relativ simples Studiendesign und gesellschaftlicher Zusammenhalt

»Um die­sen Effekt zu mes­sen, haben die Forscher den Angaben nach ein rela­tiv simp­les Studiendesign ver­wen­det. Sie befrag­ten um den Jahreswechsel 2022/23 her­um Menschen zu ihren Einschätzung zur Pandemie, die schon 2020 dazu befragt wor­den waren. Nun soll­ten sie Auskunft geben, wie sie sich an ihre Wahrnehmungen und Verhaltensweisen im ersten Jahr der Pandemie erin­nern. Im Ergebnis zeig­te sich dann, dass die­je­ni­gen, die sich stark über ihren Impfstatus defi­nier­ten, sich beson­ders falsch an die Antworten erin­ner­ten, die sie selbst etwa drei Jahre zuvor gege­ben hatten…

Wenig über­ra­schend haben die­se ver­zerr­ten Erinnerungen Auswirkungen sowohl auf die Gegenwart als auch auf die Zukunft. Und zwar sowohl für den gesell­schaft­li­chen Zusammenhalt in Deutschland, als auch dafür, wie das Land auf eine wei­te­re mög­li­che Pandemie vor­be­rei­tet ist oder wäre.

Für das Miteinander in Deutschland ist es ein Problem, dass die zumin­dest teil­wei­se bewusst ver­än­der­te Sicht dazu führt, dass die durch Corona kata­ly­sier­te Spaltung der Gesellschaft wei­ter fort­ge­schrie­ben wird… Zudem behin­de­re die­se Polarisierung die Vorbereitung Deutschlands auf kom­men­de Krisen.«

Für eine Zeitung, die sich als links aus­gibt, ist es ver­blüf­fend, über eine gesell­schaft­li­che Spaltung anhand der Erinnerungen via Impfstatus zu grei­nen. Als sei das Miteinander in Deutschland jemals ohne Spaltungen in arm und reich, oben und unten vor­stell­bar gewe­sen. Als sei­en die Interessen der Mulitmilliardäre Türeci und Sahin iden­tisch mit denen der Menschen, die durch die Maßnahmen Jobs ver­lo­ren, wochen­lang in engen Wohnungen ein­ge­sperrt wur­den, von Berufsverboten bedroht Injektionen auf sich nah­men, die sie ohne die­sen Zwang viel­leicht abge­lehnt hätten.

Bis hin zum Krieg. Ungeimpfte wollen gesamte politische Ordnung zerschlagen

Für die Vorbereitung Deutschlands auf kom­men­de Krisen, zu der bekannt­lich die Kriegstauglichkeit gehört, ist wie­der die Volksgemeinschaft gefragt, ohne über­flüs­si­ge Spaltungen. Bereits im September 2022 hat­te General Breuer, ehe­mals Leiter des "Corona-Krisenstab im Kanzleramt" über sein damals neu­es "Territoriale Führungskommando" gesagt:

»Den Wert die­ses Kommandos macht eine unun­ter­bro­che­ne, robu­ste Führungsfähigkeit über das gesam­te Intensitätsspektrum hin­weg aus, – vom Frieden, von sub­si­diä­ren Hilfseinsätzen der Streitkräfte über den Spannungs- und Verteidigungsfall bis hin zum Krieg.«

Mehr dazu hier.

Für den angeb­lich lin­ken Haak ist eine Infragestellung des kapi­ta­li­sti­schen Regimes eine Bedrohung:

"Konkret bedeu­tet das den Studien zufol­ge zum Beispiel: Ungeimpfte, die sich heu­te ein­re­den, sie hät­ten schon immer gewusst, dass Covid-19 »nur eine Grippe« sei, wären nur in einem gerin­gen Maße bereit, beim Auftreten einer wei­te­ren Pandemie staat­li­chen ver­ord­ne­ten Schutzmaßnahmen zu fol­gen. Der Studie zufol­ge sei bei die­sen Befragten auch der star­ke Wunsch zu fin­den, Politiker und Wissenschaftler für ihr Handeln in der Pandemie zu bestra­fen und die gesam­te poli­ti­sche Ordnung zu zer­schla­gen. Auch im inter­na­tio­na­len Vergleich ist des­halb die Zahl derer in Deutschland ziem­lich gering, die heu­te sagen, sie wür­den die im Falle einer neu­en Pandemie Vorschriften einhalten…"

Die Millionen staats­ge­fähr­den­den "Ungeimpften", die sei­ner Meinung nach von einer Grippe schwa­dro­nie­ren, wuß­ten oder ahn­ten früh, was Haak bis heu­te nicht zur Kenntnis neh­men will:

Laut Gesundheitsministerium sank die Bettenauslastung 2020 auf einen "Allzeittiefpunkt von 67,3% (und 68,6% auf den Intensivstationen)"

Nicht nur wegen sol­cher Berichte befin­det sich das Blatt im öko­no­mi­schen Sinkflug.

9 Antworten auf „nd – Journalismus von oben“

    1. @D.S.
      Das "ND" kämpft ums Überleben, weil eigent­lich nie­mand ein ehe­ma­li­ges Organ des ZK der SED braucht. 

      Und auch die Idee dar­aus einen "Freitag-Light" für arbeits­lo­se Westlinke zu machen ist schon vor gerau­mer Zeit kra­chend gescheitert. 

      Im Moment hat die ND-Belegschaft das "Neue Deutschland" in einer Art Genossenschaft über­nom­men. Das da kein teu­rer Qualitätsjournalismus her­aus­kom­men kann soll­te klar sein, zumal am ND ja auch das pom­pö­se aus DDR-Zeiten stam­men­de ND-Verlagsgebäude am Franz-Mehring-Platz 1 in Berlin hängt. Dieser Bau ist für so ein klei­nes Medium inzwi­schen eini­ge Nummern zu groß. 

      Das ein­zi­ge von Wert beim ND ist das Archiv, denn es kann lücken­los die gesam­te offi­zi­el­le DDR doku­men­tie­ren, denn fast alles was offi­zi­ell in der DDR her­aus­kam, ist im ND auch erschie­nen. Der Rest wird auf kurz oder lang das Schicksal des ehe­ma­li­gen Eigentümers SED/PDS/Linke tei­len, da die Geschichtliche Aufgabe inzwi­schen als erfüllt betrach­tet wer­den kann.

  1. Weder lohnt sich das Lesen sol­cher Artikel, geschwei­ge denn, sich dar­über zu echauf­fie­ren. Selbst das jet­zi­ge Kommentieren ist lei­der ver­schwen­de­te Lebenszeit. 

    Nur mein NEIN, ich mach da nicht mit, wird blei­ben. Sozusagen eine Erfahrung/Lektion fürs Leben. Oder wie der Journalist und die Studie es beti­teln wür­den: "ver­zerr­te Erinnerung".

    Über die Lügen eines angeb­lich über­la­ste­ten Gesundheitssystems, über Zahlenspiele und über sta­ti­sti­sche Manipulationen um eine Bedrohung für die Gesundheit der Menschen vor­zu­täu­schen, über die Drohungen und die Hetze gegen­über gan­zer Bevölkerungsgruppen, über das Versagen gan­zer Institutionen, über die Aus-Wirkungen der expe­ri­men­tel­len Gensubstanzen usw. wur­den mitt­ler­wei­le unzäh­li­ge Bücher geschrie­ben, Artikel in Blogs archi­viert, Videos und Podcasts erstellt, Tatsachen und Zahlen recher­chiert und schwarz auf weiß doku­men­tiert. Es mag sein, daß eini­ge die­ser Videos, Podcasts und Dokus nicht immer objek­tiv sind. Jedoch wie objek­tiv und unver­zerrt kann ein Artikel von einem Autor sein, des­sen Medium sich von vorn­her­ein auf einen Standpunkt fest­ge­na­gelt hat? 

    Vielleicht sind sol­che Artikel und Studienumfragen ein­mal für spä­te­re Generationen von Historikern inter­es­sant, um einen Einblick in die Denkweise der Mitverantwortlichen der gesell­schaft­li­chen Spaltung die­ser jet­zi­gen Zeit zu bekommen.

    Aber als Mensch möch­te ich mich mit sol­chen Pamphlets nicht mehr beschäf­ti­gen und mei­ne Lebenszeit ver­schwen­den, son­dern krea­tiv und kon­struk­tiv sein und an einer mensch­li­chen hoff­nungs­vol­len Zukunft arbeiten. 

    Den Rest (Spaltung und Zerstörung der Gesellschaft) über­neh­men schon die­je­ni­gen selbst, die stets die Schuld bei Anderen suchen. 

    Nachtrag: Nur die Stelle mit den finan­zi­el­len Anreizen für ein bes­se­res Erinnerungsvermögen hat im Kontext der Vergesslichkeit von einer Person, die kei­ne rote Linien kennt, einen gewis­sen Unterhaltungswert. Aber nein, ich mag trotz­dem nicht wei­ter dar­über nachdenken.

    1. "Aber als Mensch möch­te ich mich mit sol­chen Pamphlets nicht mehr beschäf­ti­gen und mei­ne Lebenszeit verschwenden"
      Ja, da stim­me ich Ihnen zu. Ich lese mir so etwas schon seit län­ge­rem nicht mehr durch, v.a. weil es so vor­her­seh- und durch­schau­bar ist und letzt­lich nur dem Zweck dient, die Leute beschäf­tigt zu halten.

  2. Tatsächlich, "fol­low the money" ist und bleibt Hauptbouster für das unend­li­che Leid auf die­sem Planeten… Gefolgt von Gier und Sexsucht im all­ge­mei­nen. Die Ur-Angst zu ver­hun­gern treibt vie­le zu sehr unsin­ni­gen Tätigkeiten und Taten… statt ein­fach nur zu Meditieren. Zusammenschlüsse von klei­nen Menschengruppen ist die beste Antwort auf die­sen Irrweg. Siehe z. B. Tamera in Portugal.

  3. " .. Von den in den Studien befrag­ten Deutschen gaben nur etwa zwei Drittel an, sie wür­den sich sol­chen Maßnahmen unter­ord­nen. Ähnlich gering war die Vergleichszahl unter den US-Amerikanern .."

    Ein gro­ßer Erfolg, wei­ter so 🙂

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