In einem Beitrag auf heise.de setzt sich am 29.10. Prof. Dr. Christof Kuhbandner mit der Problematik der Diagnostik bei den "COVID-19-Intensivpatienten" auseinander.
»In der Tat ist laut den Tagesreporten des DIVI-Intensivregisters die Anzahl der Intensivpatienten mit Diagnose "COVID-19" in den letzten Wochen stark gestiegen. Eine offizielle Antwort auf eine Anfrage an das DIVI-Intensivregister zur Diagnostik von "COVID-19-Intensivpatienten" offenbart aber ein fundamentales diagnostisches Problem. Dort wird bestätigt, dass (1) jeder Intensivpatient – unabhängig von der Symptomatik – mit einem SARS-CoV-2-PCR-Test getestet wird und (2) jeder Intensivpatient – unabhängig von der Symptomatik – mit einem positiven SARS-CoV-2-PCR-Testergebnis als "COVID-19-Intensivpatient" geführt wird. Letzteres wird auch in einer offiziellen Antwort des RKI auf eine entsprechende Anfrage bestätigt. Selbst wenn demnach beispielsweise eine Person wegen eines Autounfalls auf Intensivstation liegen würde und ein positives SARS-CoV-2-PCR-Testergebnis aufweist ohne jede weitere COVID-19-spezifische Symptomatik, würde diese Person als "COVID-19-Intensivpatient" zählen…
Der Anstieg in der Belastung der Krankenhäuser: Eine kritische evidenzbasierte Prüfung
Um empirisch zu prüfen, inwiefern der beobachtete Anstieg in der Anzahl der Intensivpatienten mit positiven PCR-Testergebnissen tatsächlich einen Anstieg in der Anzahl der Patienten mit COVID-19-spezifischen Krankheitssymptomen bedeutet, kann man sich zunächst die vom DIVI-Intensivregister veröffentlichten Zahlen zur Belegung der Intensivstationen genauer ansehen.
Grundlegend ist dafür folgende Überlegung: Wenn es aktuell einen echten Anstieg von Intensivpatienten mit COVID-19-Krankheitssymptomen geben würde, dann müsste eigentlich auch die Gesamtanzahl der belegten Intensivbetten steigen. COVID-19 ist eine neue Krankheit, dementsprechend müsste die steigende Anzahl an COVID-19-Intensivpatienten eigentlich zu den für diese Jahreszeit ansonsten typischen Krankheiten auf Intensivstation hinzukommen (außer man würde zugunsten von COVID-19-Intensivpatienten andere Intensivpatienten auf die Normalstation verlegen)…
Es lässt sich kein wirklicher Anstieg in der Anzahl der insgesamt belegten Intensivbetten erkennen. Das einzige, was ansteigt, ist die Anzahl der Intensivpatienten mit positivem SARS-CoV-2-PCR-Testergebnis. Dieses Muster wird auch durch weitere Befunde bestätigt. Im wöchentlichen Influenzabericht des RKI wird die Anzahl stationär behandelter Fälle mit akuten respiratorischen Infektionen (SARI-Fälle) berichtet sowie der Anteil dieser Fälle, welcher ein positives SARS-CoV-2-PCR-Testergebnis aufweist (basierend auf den Daten aus 71 Sentinelkliniken)…
Hier zeigt sich praktisch dasselbe Muster: Die Gesamtanzahl der stationär behandelten SARI-Fälle bleibt gleich bzw. sinkt sogar leicht, es steigt einzig der Anteil der SARI-Fälle (schwere akute Atemwegsinfektionen – severe acute respiratory infection), welche ein positives SARS-CoV-2-PCR-Testergebnis aufweisen.
Man findet also sowohl in Bezug auf die Belegung der Intensivstationen als auch in Bezug auf die stationär behandelten SARI-Fälle folgendes eigenartige Muster: Die Gesamtanzahl an Intensivpatienten und stationär behandelten SARI-Fällen bleibt gleich, das einzige, was zunimmt ist die Anzahl der Patienten mit positivem SARS-CoV-2-PCR-Testergebnis. Sollte es sich also um echte "COVID-19"-Fälle handeln, dann müssten in den letzten Wochen gleichzeitig alle anderen Krankheiten auf den Intensivstation bzw. alle stationär behandelten SARI-Fälle mit anderen viralen Ursachen abgenommen haben, und zwar spiegelbildlich zum Anstieg in den "COVID-19"-Fällen. Das erscheint relativ unwahrscheinlich.
Es ist noch darauf hinzuweisen, dass auch die Anzahl der beatmungspflichtigen "COVID-19-Intensivpatienten" zunimmt. Hier wird vom DIVI-Intensivregister leider nicht die Gesamtanzahl der beatmungspflichtigen Intensivpatienten veröffentlicht. Angesichts der Tatsache, dass die Gesamtanzahl der belegten Intensivbetten über die letzten Wochen hinweg nicht gestiegen ist, könnte auch hier zu beobachten sein, dass zwar die Anzahl der beatmeten Intensivpatienten mit positivem SARS-CoV-2-Testergebnis steigt, nicht aber die Gesamtanzahl der beatmeten Intensivpatienten. Allerdings ist das mit den verfügbaren Zahlen nicht überprüfbar…
Schlussfolgerungen
Die beschriebenen Befunde legen nahe, dass in Wirklichkeit keine nationale Gesundheitsnotlage droht. Weder ist die Gesamtanzahl der belegten Intensivbetten in den letzten Wochen gestiegen, noch die Gesamtanzahl der stationär behandelten SARI-Fälle, noch die Anzahl der Atemwegserkrankungen in der Bevölkerung. Das einzige, was gestiegen ist, ist die Anzahl der Personen mit positiven SARS-CoV‑2 Testergebnissen, was angesichts der sich häufenden Meldungen von falsch-positiven Testergebnissen daran liegen könnte, dass viele Labore Single-Target-Tests ohne Bestätigungstest einsetzen, so dass die erhaltenen positiven Testergebnisse womöglich zum Teil eher den üblichen saisonal bedingten Anstieg harmloserer Coronaviren widerspiegeln, als einen dramatischen Anstieg in SARS-CoV-2-Infektionen.
Da die zentrale Begründung für den drohenden "Lockdown 2.0" ein Anstieg der SARS-CoV-2-Fallzahlen und eine drohende Überlastung des Gesundheitssystems ist, wäre die politische Entscheidung zur Verordnung des Lockdowns fundamental zu hinterfragen.«
Prof. Dr. Christof Kuhbandner lehrt Pädagogische Psychologie an der Universität Regensburg.