Es sieht so aus, als ob die "ZeroCovid"-Kampagne, mit der eine Reihe linker AktivistInnen den Drosten-Wieler-Priesemann-Aufruf "Contain COVID-19" unterstützen, zu einer nun auch medial vernehmbaren Differenzierung auf der Linken führt. Die Forderungen nach einem Lockdown für ganz Europa, beschleunigtem Impfen und einer Null-Fallzahl haben wohl den letzten Anstoß gegeben.
Auf akweb.de ist am 18.1. unter "Warum die Forderung nach einem harten Shutdown falsch ist" ein Artikel von Alex Demirović, Sozialwissenschaftler, Mitglied des wissenschaftlichen Beirats von Attac und Fellow der Rosa-Luxemburg-Stiftung, zu lesen. Er entwickelt eine Argumentation entlang der Überschriften "1. Ein europäischer Lockdown ist nicht realistisch", "2. Ein Ende der Pandemie ist nicht möglich", "3. Ein harter Lockdown kann nur polizeilich durchgesetzt werden", "4. Die geforderte Solidarität ist zwiespältig", "5. Die Kapitalinteressen sind vielschichtiger, als der Aufruf behauptet", "6. Die Gefahren für die Demokratie fallen unter den Tisch", "7. Der Verweis auf die Wissenschaft ersetzt keine Politik".
Es gibt dort die merkwürdige Formulierung "Die Politik hat sich an die Querdenker*innen ängstlich angebiedert und auf sie Rücksicht genommen", aber es wird auf die landläufige Erzählung von "rechtsradikalen Corona-Leugnern" verzichtet.
Auf de.indymedia.org gibt es am 17.1. unter "Contra #Zero Covid" eine linksradikale (und sehr emotionale) Abrechnung mit ZeroCovid und eine Debatte dazu. Bei aller Kritik an ZeroCovid darf bei den vier AutorInnen aus dem Gesundheitssektor nicht fehlen: "Als letztes wollen wir allerdings noch klarstellen, dass wir mit den drecks Faschisten von Querdenken nichts zu tun haben."
Das gefällt Clemens Heni, der in Anlehnung an ein Kaiser-Wilhelm-Zitat keine Klassen, sondern nur noch Deutsche kennt:
»Deutschland stand und steht für den Untertan, für autoritäre Charaktere, für Nazi-Blockwartdenken, für Denunziation, Polizeistaat, Behördenwillkür, Monsterbegriffe aus dem Wörterbuch des Unmenschen, in der Coronakrise auch besonders eklatant für Unwissenschaftlichkeit, Irrationalismus, Gruppendenken und Antiintellektualismus quer durch alle politischen Lager. Eine Volksgemeinschaft des medizinischen Imperialismus.«
In einem Aufruf "Auf ein kämpferisches Jahr 2021 – Lockdown Capitalism! Auf zur Demo am 23.01.!" ist immerhin zu lesen:
»Das Jahr 2020 hat alle vor neue Herausforderungen gestellt. Die staatlichen Maßnahmen zur Aufrechterhaltung des Status Quo sind auch an uns nicht spurlos vorbeigegangen. Genauso wie für viele andere auch ist es für uns – nicht nur seit Beginn der staatlichen Beschränkungen – schwierig einen kollektiven Umgang mit der Situation zu finden.
Überall werden wir auf die “nationale Einheit” im Angesicht einer “Jahrhundertkrise” eingeschworen, die es nur mit einer Generalmobilmachung zu überwinden möglich sei. Wenn uns jetzt die Bundeswehr in Gestalt “mobiler Impfteams” präsentiert wird, dann ist das nur die logische Konsequenz einer allgemeinenen [so im Original, AA] Militarisierung der Sprache im Bezug auf diese Krise.
Diese Krise existiert für den Staat aber immer nur solange, wie er aus ihr Profit schöpfen kann. Um seine Macht im Ausnahmezustand zu erweitern und die Kontrolle über die Bevölkerung auszubauen oder auch um den Begriff der Solidarität zu missbrauchen, um Menschen, unter Missachtung der Risiken für ihre eigene Gesundheit zum “Weiter-so!” anzustiften.«
Im Aufruf zu besagter Demo ist Widersprüchliches zu lesen:
»Corona ist das Virus – Kapitalismus die Pandemie
Die Regierungen begegnen der Corona-Pandemie mit Einschränkungen, Lockdowns, Ausgangssperren, sozialer Isolation und dem Slogan „stay home, stay safe“. Der Staat macht deutlich, dass es wichtiger ist, den Kapitalismus am Laufen zu halten, als uns zu schützen und zu unterstützen. Profit zuerst.
Der Unterschied zwischen verschiedenen Arten von Arbeit macht dies besonders deutlich. Während die einen ins Homeoffice geschickt werden, wird vielen dieses Privileg verwehrt und sie müssen sich der Krise jeden Tag ohne ausreichenden Schutz stellen. Arbeiter*innen in Supermärkten, Lieferdiensten, Fabriken, Pflegeheimen, Schulen und Kitas können nicht einfach von zu Hause aus arbeiten. Menschen werden genötigt, überfüllte öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen und ihren Tag an einem Ort zu verbringen, an dem die Schutzmaßnahmen vom Arbeitgeber oft nicht umgesetzt werden, da der Gesundheitsschutz dem Geschäftsprofit untergeordnet wird. Tausende migrantische Saisonarbeiter*innen, aus dem (EU-)Ausland dafür eingeflogen, sind dazu gezwungen, in beschissenen Arbeitsverhältnissen auf engstem Raum in Ernte- und Schlachtbetrieben zu arbeiten und in Massenunterkünften zu wohnen.
Und zugleich sollen wir uns freuen, wenn wir überhaupt noch einen Job haben. Viele, die früher in Restaurants, Bars und im Kulturbereich gearbeitet haben, sind jetzt arbeitslos. Denn die von der Regierung auferlegten Einschränkungen betreffen vor allem die Freizeit. Kunst- und Kulturstätten mussten schließen, private Kontakte sollen stark reduziert werden. Die einzig erwünschte Freizeitgestaltung ist der Konsum…
Die Ungerechtigkeiten des kapitalistischen Systems werden durch die aktuelle Gesundheitskrise noch verstärkt. Menschen, die bisher in unserer Gesellschaft unsichtbar gemacht wurden, werden weiter unterdrückt und ihre Lebensbedingungen zunehmend unerträglich. Die staatlichen Einschränkungen führen dazu, dass Menschen mit psychischen Problemen, Wohnungslose und Illegalisierte allein gelassen und vergessen werden. Gefangene werden isoliert, da Besuchszeiten und Hofgang reduziert oder sogar verboten werden. Migrant*innen werden weiterhin abgeschoben oder in Abschiebegefängnissen unter unmenschlichen Lebensbedingungen festgehalten. Sicherheitsmaßnahmen wie Abstand und einfache Hygiene sind in überfüllten Lagern an den Grenzen Europas wie Moria und Samos nicht möglich. Die Regierungen lassen die Menschen systematisch zurück und beschwören eine nationale Einheit, in der denjenigen Schutz versichert wird, die für die Aufrechterhaltung der Wirtschaft als wichtig erachtet werden.
Abstand halten bedeutet für Viele den Verlust sozialer Kontakte und Hilfsangebote. Notunterkünfte und Beratungsstellen sind geschlossen oder arbeiten stark eingeschränkt. Dabei ist gerade jetzt der Bedarf an Unterstützung groß. Häusliche Gewalt hat stark zugenommen. Doch die Überlebenden haben derzeit kaum die Möglichkeit, sich den Gewalttätern zu entziehen, „stay home, stay safe“ funktioniert für sie nicht…
Die Aneignung des Begriffs der „sozialen Verantwortung“ durch die Regierungen soll verdecken, dass sie eigentlich nichts für die Menschen in dieser Krise tun. Stattdessen ermahnen sie uns, in unserem Privatleben verantwortlich zu handeln, um das hohe Infektionsrisiko auszugleichen, das wir eingehen müssen, um die Wirtschaft am Laufen zu halten. Einschränkungen und Kontrollen für die Allgemeinheit, Hilfspakete für große Konzerne…
Nein, wir müssen die Pandemie nicht leugnen. Wir müssen auch nicht Hand in Hand mit Neonazis marschieren, um die staatlichen Maßnahmen abzulehnen. Seit jeher gibt es Kämpfe und Auseinandersetzungen gegen Ungerechtigkeiten und Unterdrückung durch das kapitalistische und neoliberale System. Und Nationalismus war noch nie eine Lösung…«